In der ersten Ausgabe der NSW 2025 finden sich Beiträge von Kölbel (NSW 2025, 43 ff.) und Schuchmann (NSW 2025, 58 ff.), in denen spezifische Verständnisse einer „kritischen Strafrechtswissenschaft“ vorgestellt werden. Zahlreiche der darin aufgeworfenen Punkte dürften breit konsensfähig sein. Einige Überlegungen reizen allerdings zum konstruktiven Widerspruch, der im Nachfolgenden versucht wird.
A. Kritische Strafrechtswissenschaft und kriminologische Strafrechtskritik
Unter den Bannern einer „kritischen Strafrechtswissenschaft“ bzw. einer „kriminologischen Strafrechtskritik“ sammeln sich Stimmen, die die vorherrschenden Denk- und Ordnungsmuster des Strafrechts hinterfragen. Angriffspunkte finden die Vertreter der „kritischen Lesart“ vor allem in – vermeintlichen – „blinden Flecken“ der strafrechtlichen Dogmatik: Machtasymmetrien würden verkannt, echte Probleme wegdogmatisiert und insgesamt zu wenig über den Tellerrand geblickt. Der Beitrag setzt sich mit den zentralen Argumentationslinien dieser Ansätze anhand ausgewählter Publikationen auseinander und prüft, ob – und wenn ja, welche – Kritik an der „kritischen Lesart“ geboten ist.
I. Kritische Strafrechtswissenschaft – Schuchmann NSW 2025, 58
Der Beitrag „Aufgaben einer kritischen Strafrechtswissenschaft“ möchte die dominierenden Formen der Kritik innerhalb der Strafrechtswissenschaft durchleuchten und fordert davon ausgehend ein erweitertes Verständnis von „kritischer Wissenschaft“. Im Zentrum steht die Frage, ob es möglich ist, eine kritische Haltung zum Strafrecht einzunehmen, ohne es als Ganzes infrage zu stellen. Es folgen Überlegungen zu Maßstäben, die einer derartigen Kritik zugrunde gelegt werden sollten. Zu fordern sei eine Strafrechtswissenschaft, die die politischen und gesellschaftlichen Grundlagen des Strafrechts offenlege und (sich) nicht hinter einem trügerischen Neutralitätsideal verstecke. Historische und gesellschaftliche Kontexte seien zu berücksichtigen, um „unsichtbare Machtstrukturen“ und deren Kontinuitäten aufzudecken sowie strukturelle Diskriminierungen sichtbar zu machen.[1]
Dabei wird zwar eingeräumt, dass sich die deutsche Strafrechtswissenschaft aus Tradition als kritische Disziplin verstehe. Sie verfolge jedoch lediglich das Ziel, bestehende Normen zu optimieren, um ihre
(Binnen-)Kohärenz zu verbessern,[2] ohne dabei das System infrage zu stellen.[3] Dieser „criticism“ diene der Rationalisierung von Kriminalisierungsdiskursen,[4] in denen der Acquis anhand interner Maßstäbe wie Logik, Konsistenz oder Effizienz bewertet werde.[5] Eine radikale Form der Kritik („critique“) hinterfrage hingegen die grundlegenden Funktionen und Auswirkungen des Strafrechts.[6] In der Strafrechtswissenschaft spiele diese Kritikform bislang nur eine untergeordnete Rolle und würde häufig als politisch oder aktivistisch diskreditiert.[7] Zugleich wird die Annahme verworfen, dass das Strafrecht „politisch neutral“ sein könne.[8]
Der Versuch, das Strafrecht von politischen Einflüssen freizuhalten, verdecke allenfalls dessen ideologische Prägung.[9]
Ein Dilemma der skizzierten „kritischen Strafrechtswissenschaft“ liege im Spannungsfeld zwischen der Kritik am Strafrecht als repressivem Machtinstrument und der Forderung nach strafrechtlichem Schutz marginalisierter Gruppen.[10] Schuchmann schlussfolgert:
„Vor dem Hintergrund der […] exkludierenden […] Effekte […] lässt sich […] das Projekt des Strafrechts insgesamt in Frage stellen.“[11]
Diese „kritische“ (gemeint: ablehnende) Haltung schließe
„jedoch nicht […] aus, auch Strafrechtserweiterungen zu fordern, sofern dies zur Beseitigung struktureller Gewalt- und Machtverhältnisse dient“[12].
II. Kriminologische Strafrechtskritik – Kölbel NSW 2025, 43
In seinem vielzitierten Beitrag „Die dunkle Seite des Strafrechts – Eine kriminologische Erwiderung auf die Pönalisierungsbereitschaft in der strafrechtswissenschaftlichen Kriminalpolitik“ argumentiert Kölbel mit einer Selektivität[13] und Dysfunktionalität des Strafrechts samt dessen Sanktionspraktiken.[14] Im aktuellen NSW-Beitrag „Kriminologie und Strafrechtswissenschaft: eine Subjekt-Objekt-Beziehung“ plädiert er dafür, die Strafrechtswissenschaft selbst zum Gegenstand einer kriminologischen Kritik zu machen. Dadurch sollen Bedingungen und Mechanismen der Wissensproduktion und deren Einfluss auf die Kriminalitätskonstruktion einer Analyse unterzogen werden. Ausschließlich mithilfe einer solchen Selbstreflexion könne die Strafrechtswissenschaft ihrer Verantwortung als Akteurin der Strafrechtsherstellung gerecht werden.[15]
Es wird hervorgehoben, dass Sinn und Bedeutungsgehalt von Normen nicht ausschließlich im Gesetzestext enthalten seien, sondern erst durch
Anwendungsvorgänge konstituiert werden („Semantisierungsprozesse“[16]). Bedeutsam sei dabei die Orientierung der Praxis an eigenen Entscheidungslinien, obergerichtlichen Präjudikaten sowie – weniger invasiv – der Kommentarliteratur und dem sonstigen Schrifttum. Der Strafrechtswissenschaft käme so die Rolle als Helferin der Norminterpretation und Lieferantin von Deutungsangeboten zu.[17]
Unterbelichtetsei in diesem Sinnproduktionsprozess allerdings die empirisch fundierte Bedingungsanalyse, unter denen Normkonstruktionen entstehen. Eine „kriminologische Beobachtung“ der Strafrechtswissenschaft solle daher die Funktionsweisen und Effekte der rechtswissenschaftlichen Praxis aus einer distanzierten Perspektive („Beobachtung zweiter Ordnung“) untersuchen helfen.[18]
Ein exemplarisches Feld hierfür bilde die juristische Methodenlehre. Zu beobachten seien Unsicherheit und Inkonsistenz in der Rezeption empirischen Wissens in der Dogmatik. Kriminologische Befunde würden selektiv und unsystematisch in Argumentationen integriert („ungeregelte Spontaneität“). Ein explizites Problem identifiziert der Beitrag in der Verwendung empirie-ersetzender Alltagstheorien.[19] Alternativ würden empirische Befunde „zurechtbehauptet“.[20]
B. Überlegungen zur Strafrechtskritik
I. „Criticism“ und „Critique“ sind keine Antagonisten
Die von Schuchmann herangezogene Unterscheidung zwischen systemimmanenter („criticism“) und radikaler Kritik („critique“) lässt sich fruchtbar machen.[21] Gerade die Strafrechtswissenschaft sollte nicht in der Binnenperspektive verharren, sondern bedarf der Perturbation „von außen“, um (Soll-)Bruchstellen innerhalb des Rechts und strukturelle
Missstände außerhalb des Rechts erkennen zu können. Das ist so richtig wie unumstritten.[22]
Nicht nachvollziehbar ist allerdings, weshalb die beiden „Formen“ der Kritik gegeneinander ausgespielt werden.[23] Zumindest entsteht dieser Eindruck, denn das „Projekt Strafrecht“[24] binnenkohärent zu fassen, wird als zu selbst gewiss und machtkonservierend degradiert. Das überdeckt einerseits die Schwierigkeiten einer Kritik „von außen“ und übersieht andererseits die Stärken der Kritik „von innen“.
Notwendig erscheint zunächst der Hinweis auf das grundständige Übersetzungshindernis der Inkommensurabilität; allemal ist eine Betrachtung des Rechts „von außen“ komplex und voraussetzungsreich.[25] Sie setzt schließlich ein Gespräch zwischen verschiedenen Disziplinen voraus. Aufgrund der Transformation von Begriffen in die „Sprache des anderen“ können dabei schwer kompensierbare Unschärfen auftreten. Unter anderem dadurch erklärt es sich auch, dass andere Wissenschaften bei ähnlichen Fragestellungen zu anderen Ergebnissen gelangen. Produktive Interdisziplinarität[26] fordert deswegen, dass verstehend geprüft wird, welche Erkenntnisse überhaupt übertragen werden können.
Auch die besondere soziale Funktionalität des Rechts – fortlaufende Antwortproduktion und eindeutige Streitentscheidung – wirkt hinein. Aufgabe des (praktischen) Rechts ist es nicht, Einigkeit bezogen auf die „letzten Dinge“ zu erzwingen.[27] Dem Wissenschaftsdiskurs kommt an dieser Stelle eine stabilisierende Aufgabe zu, die gerade durch die binnenperspektivische Dogmatik erfüllt wird. Gemeint ist damit, dass wissenschaftliche Arbeit die Erkenntnis typischerweise nicht allein im „Außen“ (d.h. in anderen Disziplinen) sucht, sondern die fortschreitende Systematisierung des „Innen“ eine ebenso allgemein anerkannte Betätigungs-
form darstellt.[28] Die „dogmatisch orientierte Entfaltung“ einer Rechtsmaterie (anstelle der rein ideologisch ausgerichteten) hat einen Wert an sich.[29] Es sich als „kritische Strafrechtswissenschaft“ zur Aufgabe zu machen, die bestehende binnenperspektivische Dogmatik mit einem Federstrich zu pulverisieren, mag zwar eine radikale „critique“ sein. Wer nicht zugleich ein verlässliches Alternativangebot eröffnet, dürfte damit am Ende jedoch nicht zu einem besseren Recht beitragen, sondern ausschließlich prekäre Lagen für die Praxis des Rechts produzieren.
Es ist somit eine Lanze für die Kritik „von innen“ zu brechen: Anders als es die Inferioritätsannahme dogmatischer Arbeit nahelegt, sind Binnenoptimierungen weder nutzlos noch im machttheoretischen Sinne „unkritisch“. Denn Binnenkritik ist nicht bloße Zofe des „Machterhalts“, sondern schützt aufgrund der ihr inhärenten struktur-konservativen Beharrungskräfte vor (zu) radikalen und dysfunktionalen Umbrüchen. Sie macht das Recht dadurch widerstandsfähig und sichert seine praktischen Funktionen. Sie führt also nicht nur zur Kohärenz, sondern auch zur Resilienz des Gesamtsystems. Die damit verbundenen „Beharrungskräfte“ mögen dem Statuserhalt dienlich sein, dürften am Ende aber auch den disruptiven „Machtumsturz“ effektiver verhindern als eine aufgesetzt-radikale Kritikperspektive.[30]
II. Politische Neutralität und Kontextualisierung des Strafrechts als ambivalente Prämissen
Vertreter der „critique“ bleiben häufig eine Auflösung des Widerspruchs schuldig, weshalb eine kritisch-kriminologische Strömung das Strafrecht begrenzen, während eine anti-diskriminierende Strömung es gegen bestimmte Gruppen und für bestimmte Sachverhalte sogar verstärkt in Stellung bringen will.[31] Die eingeforderte „Kontextualisierung“ generiert also nicht immer klare Handlungsanweisungen. Diese scheinen vielmehr von der Perspektive abzuhängen, mit der man auf das Strafrecht blickt. Welche dabei die „richtige“ ist, bleibt opak. Eine „anti-diskriminierende“ Färbung erbringt offensichtlich andere Ergebnisse (i.d.R.: Ausweitung trotz Dysfunktionalität) als eine „kriminologische“ (i.d.R.: Abschaffung
wegen Dysfunktionalität) oder eine ebenso denkbare „strafrechtsphilosophische“ Prägung[32] (i.d.R.: Modellierung anhand theoretischer Strafzweckerwägungen).
Die von Schuchmann geforderte historische Kontextualisierung kann an dieser Stelle nur für wenig Trittsicherheit sorgen. Denn aus der zutreffenden Einsicht, dass Normen „problematische Ursprünge“ aufweisen,[33] folgt eben nicht zwangsläufig, dass sie auch heute noch diskriminierende oder andere dysfunktionale Wirkungen entfalten. Es keimt an dieser Stelle vielmehr der Verdacht, dass nicht ein politisiert-machterhaltendes Strafrecht kritisiert, sondern das Strafrecht unter dem Banner der Kritik seinerseits machtpolitisch instrumentalisiert werden soll[34] – nur unter geänderten Vorzeichen. Schließlich wird zumindest mittelbar ein Schluss hin zu einer Kategorisierung in „gut“ und „böse“ gezogen, der sich darauf stützt, dass Ursprünge des Rechts in einer (angeblich unerkannt bemakelten) Vergangenheit vorliegen. Ein solches Framing („alt gleich falsch“) greift jedoch zu kurz. Auch hier zeigt sich erneut der ganz eigene Wert der Binnenkritik: In dieser geht es gerade nicht um moralische Kategorisierung in „gut“ (d.h. politisch erwünscht) und „böse“ (d.h. politisch unerwünscht), sondern um Konsistenz, Kohärenz und Stimmigkeit.[35] Dabei auch geschichts- und ursprungsbewusst zu argumentieren, stellt ein Gebot der Redlichkeit dar, ist über die „historisch-genetische“ Auslegungsmethode ohnehin fester Bestandteil der binnenperspektivischen Methodenlehre[36] und bildet im Übrigen auch einen gewichtigen Teil der Juristenausbildung.[37]
Ohne Zweifel kann die „critique“ klassistische Verzerrungen oder geschlechtsspezifische Diskriminierungen aufzeigen, die im und durch das Strafrecht konserviert wurden (und zum Teil weiterhin werden). Die dem zugrundeliegende Einsicht, dass das Strafrecht nicht „politisch neutral“ ist, ist so richtig wie trivial.[38] Eine gewisse politische „Aufladung“ ist einem menschengemachten, demokratisch vereinbarten und dadurch gestaltbaren Recht immanent.[39] Gerade wegen dieser Politisierung ist es allerdings besonders wichtig und gehört zur grundlegenden Aufgabenbeschreibung eines jeden Rechtswissenschaftlers, zwischen Meinung bzw. Haltung im politischen Diskurs und Ahnung (d.h. fachlicher Expertise) – so gut es geht – zu trennen, diese unterschiedlichen Rollen zu reflektieren und im Auftritt transparent offenzulegen. Politisch motivierte Diskursbeiträge, die als „wissenschaftlich“ etikettiert und dadurch einer egalitären demokratischen Meinungsbildung entzogen werden sollen, stören sowohl die echten wissenschaftlichen als auch die politischen Abläufe.[40] Der Streit um die „richtige“ Außenperspektive auf das Recht ist deswegen weder dem wissenschaftlichen noch dem politischen Diskurs entzogen. Dass einige Vorannahmen der Kritik „von außen“ vorrangig in die Sphäre des politischen Diskurses gehören und daher Gegenstand demokratischer Aushandlungsprozesse sein sollten, zeigt sich schon daran, dass die argumentativen Zielpunkte vielfach von vornherein rechtsgestalterisch gesetzt sind.
III. Beliebigkeit, Einseitigkeit und bedingte Tragfähigkeit kritikbegründender Vorannahmen
Eben dieser Pluralismus und die damit verbundene Fungibilität möglicher Außenperspektiven auf das Recht muss bei einer Bewertung des Nutzens, der Gefahren und der möglichen Folgen einer Kritik „von außen“ in den Blick genommen werden: Wer bewahrt eine „kritische Strafrechtswissenschaft“ vor einem anderen Kritikparadigma, das nicht mehr „gut“ ist? Was ist also zu tun, wenn „kritisch“ nicht mehr „strafrechtsbegrenzend“ bedeutet, sondern etwa die Kriminologie in eine Lieferantin
für eine „Law-and-Order-Policy“ umgewidmet oder gar eine „patriotische Strafrechtswissenschaft“ ausgerufen wird?[41]
Das methodische Problem dahinter: Die Vorannahmen der „critique“ werden nur selten selbst zum Gegenstand von Kritik gemacht.[42] Die gewählte Außenperspektive wird meist absolut gesetzt, der Pluralismus divergenter Außenperspektiven kaum thematisiert. Es sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, dass keine Wissenschaft „Gewissheiten“ hervorbringt. Die unbesehene Übertragung einzelner Erkenntnisse in das Recht und seine Praxis scheitert daher regelmäßig an der brüchigen Trittsicherheit der jeweiligen Inhalte. Das gilt auch und gerade für eine sozialwissenschaftliche und empirisch arbeitende Kriminologie. Vor allem eine „kriminologische Strafrechtskritik“ muss deswegen offenlegen, wie „dünn“ Erkenntnisgrundlagen in der Rechtstatsachenforschung sind: Empirische Erkenntnis steht erstens schon epistemologisch unter dem Vorbehalt der Vorläufigkeit („Vermutungswissen“[43]). Sie ist zweitens reduktionistisch (d.h. bewusst weglassend) und verzerrt, weil stets nur ein ganz bestimmter Wirklichkeitsbereich erfasst werden kann und die verwendeten Forschungsmethoden – sei es aus forschungspraktischen oder forschungsethischen Gründen – in der Kriminologie und der übrigen Rechtstatsachenforschung nie den „Goldstandard“ des Experiments erreichen, in dem Störvariablen annähernd sicher ausgeschlossen oder immerhin kontrolliert werden können. Empirisch bewiesene Kausalitätsaussagen sind im kriminologischen Forschungsfeld deswegen beinahe unmöglich. Die empirische Wissensproduktion wird drittens ihrerseits von Vorannahmen und korrespondierenden Forschungsparadigmen gelenkt und agiert damit unweigerlich selektiv.[44] Manches spricht deswegen dafür, dass das kriminologische Wissen ungleich verteilt ist und die Dysfunktionalitäten des Strafrechts im kriminologischen Wissensbestand eine größere Rolle spielen als in der Wirklichkeit.
Wer vor diesem Hintergrund nunmehr vorgibt, es existierten empirisch-sozialwissenschaftliche Erkenntnisse, die so belastbar seien, dass sie normative Schlussfolgerungen und politische Handlungsanweisungen
determinieren könnten, überhebt sich nicht nur. Vielmehr entsteht ein gefährlicher Verstärkerkreislauf aus einseitig produzierter und allenfalls vereinzelt[45] epistemologisch hinterfragter empirischer Erkenntnis einerseits sowie darauf gestützten normativen Schlussfolgerungen und rechtspolitischen Argumenten andererseits. In dieser Melange verfestigt sich vor allem neue Voreingenommenheit. Die Konsequenz dieser „critique“ sind beinahe immer Extrempositionen. So kennt etwa die
(Über-)Betonung der „dunklen Seiten“ und die damit einhergehende argumentative Verengung der Strafrechtskritik[46] kaum noch Zwischentöne. Die Wissenschaft wird auf diese Weise um ihre kreativen Potentiale gebracht und in der rechtspolitischen Agenda verengen sich die Diskursräume künstlich. Am Ende stehen Polarisierung und Diskursabbruch.
IV. Punitive Einsilbigkeit und Abolitionismus ohne Alternative
Die Beiträge von Schuchmann und Kölbel stehen sichtlich in der Tradition der „Kritischen Theorie“. Deren Vertreter tragen häufig vor, dass bestehende Machtverhältnisse durch ideologische Konstrukte verschleiert würden, um dadurch Herrschaftsstrukturen zu stabilisieren.[47] Diese Mechanismen verhinderten ein kritisches Bewusstsein und hielten Individuen in der Konformität.[48] SchuchmannsBeitrag suggeriert, dass aufgrund des überwiegenden Augenmerks auf „criticism“ in der Diskurspraxis der Strafrechtswissenschaft die eigentlichen machtstrukturellen Missstände verdeckt würden.Kölbel stellt vor allem auf sprachsoziologische Mechanismen ab und kritisiert ein unreflektiertes Weitertreiben von empirisch nicht hinreichend gesicherten Kriminalisierungsaffirmationen,[49] mithilfe derer sich über den Stand der Forschung hinweggesetzt würde.
Es mutet dabei beinahe so an, als wanderte die Strafrechtswissenschaft im dichtesten Nebel und sei – cum grano salis – ein Rhetorikclub für Ignoranten. Dieser Unterton schwingt zumindest mit, wenn unterstellt wird, dass Binnenkritik zum einen nichts anderes betreibe als
Herrschaftsabsicherung, zum anderen die unreflektierte Rolle der Rechtswissenschaft als Deutungslieferantin für die Praxis ausschließlich deren zwangskommunikative Schwingkräfte antreibe. Diese Vorwürfe wirken bei Lichte betrachtet allerdings wie eine Reise in Potemkinsche Dörfer.[50] Gerade das Strafrecht bekennt sich mit dem Konzept einer „Gesamten Strafrechtswissenschaft“ seit langem zur kritischen Reflexion seiner sozialen Funktionalitäten.[51] Ein kurzer Blick in die Standardlehrwerke zeigt Ausführungen zur Stellung und Bedeutung des Strafrechts in der Gesellschaft, zu den Folgen der Inkriminierung, den menschenrechtlichen Implikationen der Strafrechtspflege und den kriminologischen Grundlagen sowie zu dessen kriminalistischen Besonderheiten.[52] Hinzutritt eine unüberblickbare Zahl an Monographien zu interdisziplinären Fragen und mit Bezug zu den Nachbardisziplinen. Dass die Strafrechtswissenschaft nicht wüsste, dass es eine echte Welt außerhalb der Dogmatik gibt, lässt sich aus dem Ist-Zustand jedenfalls nicht ablesen.
Schließlich: Wer „Machtstrukturen durch Strafrecht aufbrechen“ und in der Folge Strafrecht gänzlich neu denken will, trägt Verantwortung für die Folgen. Wer demnach rechtspolitisch für die (Teil-)Abschaffung des Strafrechts wirbt, darf sich nicht mit dem Hinweis auf „dunkle Seiten“ begnügen, sondern muss ein Gegenkonzept vorlegen und auch dieses einer vergleichbar scharfen Kritik unterziehen. Wer also beispielsweise im Falle einer anti-diskriminierend begründeten Punitivität das Strafrecht ausdehnen und verschärfen möchte, muss mit den dadurch neu generierten Dysfunktionalitäten umgehen. Denn auch ein vorgeblich besonders machtsensibles Strafrechtsverständnis bleibt ein Exklusionsinstrument. Von einer Verantwortungsübernahme für die zusätzlich „kriminalisierten“ Täter liest man jedoch wenig: Was geschieht mit den „neuen“ Tätern im Vollzug? Wie werden sie behandelt und resozialisiert? Oder gilt auch für diese ein spezialpräventives „Nothing Works“?
V. Wissenschaftliches Erkennen oder politisches Wollen?
Gegen eine „politisch motivierte“ Ergebnisorientierung ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Sie birgt allerdings das Risiko, die Wissenschaftlichkeit zu verlassen, indem sie gegen das Postulat der Werturteilsfreiheit verstößt.[53] Dieses mahnt dazu, wissenschaftliche Ahnung und persönliche Weltanschauung nicht zu vermengen. Wissenschaft tritt an, um die Welt so zu beschreiben, wie sie ist. Die deskriptive Frage „Wie ist die Welt?“ ist dabei von der präskriptiv-normativen „Wie sollte die Welt sein?“ strikt zu trennen. Für eine empirisch-sozialwissenschaftliche Kriminologie ist dies eine unmittelbar anwendbare Maxime. Die Rechtswissenschaft als „normative“[54] Disziplin (bzw. Geistes- und Kulturwissenschaft[55]) scheint hingegen nicht unmittelbar adressiert. Verstanden als allgemeines Redlichkeitsgebot kann sie jedoch auch in der Rechtswissenschaft eine Funktion erfüllen:[56] Auch der normativ argumentierende Wissenschaftler muss sich seiner teils offenen, teils unterschwelligen Werturteile bewusstwerden und ihren Einfluss auf Überlegungen erkennen, um eine Trübung seiner Erkenntnis zu verhindern.[57] Verletzt ist das Gebot auch in einer nicht-empirischen Wissenschaft jedenfalls dann, wenn ein Werturteil im Fachdiskurs argumentativ-strategisch in Stellung gebracht wird. Gemeint ist damit, dass das Werturteil unter dem Deckmantel der Fachlichkeit Einzug in die wissenschaftliche Argumentationskette findet, es also als Fachmeinung camoufliert wird, um die eigene Position emotional, ideologisch oder politisch zu munitionieren. Hier spätestes hört der „denkende Forscher“ auf und fängt der „wollende Mensch“ an.[58] Die „denkende Ordnung“ der Welt als wissenschaftliche
Methode ist daher auch in der Rechtswissenschaft von der „fühlenden Begeisterung“ für eine Weltanschauung zu trennen.[59]
Sollte die Strafrechtswissenschaft „neutral“ sein, d.h. zwischen subjektivem Werturteil und angenähert-objektivem Fachurteil scheiden? Ja![60] Zumindest sollte sie das anstreben, wenn sie weiterhin Strafrechtswissenschaft und nicht Strafrechtswollenschaft sein möchte. Die Kritik „von innen“ (s.o.) dürfte hier bereits strukturell im Vorteil sein, weil sie das Recht schon gar nicht nach moralischen oder ideologischen Kategorien beurteilen will.[61]
Sollte eine „gesamte Strafrechtswissenschaft“ – mit der Kriminologie als integralem Bestandteil – als Lieferantin richtiger oder falscher Lösungen auftreten? Nein![62] Denn dann drohten die Unterschiede zwischen Normativität und Empirie verschliffen und die erforderlichen politischen Aushandlungsprozesse beschnitten zu werden. Ohne weiteres kann zwar auch die Strafrechtswissenschaft wahrheitsfähige Aussagen über bestimmte (Rechts-)Tatsachen treffen und insoweit „richtige“ Lösungen erarbeiten, so etwa auf die Frage, ob ein Diebstahl als solcher strafbar oder wie das Institut der Notwehr ausgestaltet ist. Dabei handelt es sich jedoch um eine deskriptive Betätigung, die weder einer empirischen noch einer werturteilsbehafteten Grundierung bedarf. Die Verwendung von abseits der rechtswissenschaftlichen Methode deduzierten empirischen Erkenntnissen über deren Tragkraft hinaus und die scheinbare Verwissenschaftlichung politischer Meinungen bewirken hingegen lediglich eine Verfestigung der Polarisierung.
C. Metakritik, Objektivitätsstreben und wissenschaftliche Zurückhaltung
I. Was es nicht braucht: Pauschalisierungen und Sprachverhexungen
Bei aller hier vorgetragenen Kritik an der „kritischen Strafrechtswissenschaft“ darf ein Umstand nicht aus den Augen geraten: Zahlreiche der in
den Beiträgen von Schuchmann und Kölbel enthaltenen Aussagen und Überlegungen bilden einen breiten Konsens ab, auf dem auch dieser Beitrag ruht. Wie oft ist es aber auch hier ein Streit um (zum Teil aufgeladene) Worte, der die Gedanken trübt.
Was ist „die“ Strafrechtswissenschaft?[63] Kein ernst zu nehmender Teilnehmer des wissenschaftlichen (gemeint ist: strafrechtlichen) Diskurses übersieht die gesellschaftlichen und historischen Implikationen des Strafrechts vollends oder blendet sie gar bewusst aus. Mithin bedarf es dieser Konfrontationslinie schlicht nicht. Das Plädoyer für eine radikale(re) Kritik ist zwar erfrischend und kann helfen, bestehende Machtstrukturen und Diskriminierungen aufzudecken. Es übergeht jedoch den Ist-Zustand einer ohnehin nicht lediglich „von innen“ arbeitenden Rechtswissenschaft und muss sich daher vor allem auch eine mangelnde Anamnese vorwerfen lassen. Man muss „die“ Strafrechtswissenschaft nicht aus dem Dornröschenschlaf erwecken, damit sie die Probleme der Zeit erkennt.
Was heißt „kritisch“? Wenn es aussagen soll, dass nach vernünftigen Gründen gesucht wird, dann ist eine Strafrechtswissenschaft, die sich als Wissenschaft versteht, unabdingbar darauf angewiesen, „kritisch“ zu argumentieren.[64] Kritisch sein kann man „von innen“ und „von außen“. Wird ein solches Verständnis als „kritische Strafrechtswissenschaft“ gefasst, ist dies tautologisch. Bedeutet „kritisch“ hingegen strafrechtsgestaltend unter Zugrundelegung bestimmter Vorannahmen, ist dies politisch. Die Vorannahmen einer in dieser Lesart „kritischen“, d.h. politischen Strafrechtswissenschaft lassen sich mit dem Verweis auf ihre „Wissenschaftlichkeit“ nicht dem demokratischen Meinungsbildungsprozess entziehen. Sie müssen sich vielmehr im streitigen Diskurs behaupten. Adelt man die Vorannahme gar zum wissenschaftlichen Paradigma, entsteht eine Unantastbarkeit zutiefst subjektiver und weltanschaulicher Prägung im Gewand wissenschaftlichen Arbeitens, die mit einem aufgeklärten und sinnstiftenden Wissenschaftsverständnis unverträglich ist. Wissenschaft ist keine freischwebende Deutungs-
industrie – deren Akteure sollten sich daher auch nicht wie Vertreter einer solchen verhalten.
Was meint „politisch“? Meint „politisch“, dass eine ideologische Stoßrichtung innerhalb des Diskurses vorgegeben ist, die die Gründe hinter den Argumenten ordnet, steht das der Wissenschaftlichkeit entgegen. Meint „politisch“ hingegen im Sinne Hannah Arendts, dass das Strafrecht einen öffentlichen Raum bilden muss, in dem Individuen sicht- und hörbar werden, „Macht“ das Produkt gemeinschaftlichen und konsensorientierten Handelns ist,[65] „Gewalt“ den Konsens zerstört und das „Recht, Rechte zu haben“[66] das oberste Prinzip bildet, dann ist das Strafrecht mit guten Gründen „politisch“[67] – allerdings das Strafrecht als Ganzes, nicht die Strafrechtswissenschaft allein. Ansonsten verfängt man sich in einer Idiosynkrasie: „Politische Strafrechtswissenschaft“ ist je nach Perspektive entweder „Macht“ oder „Gewalt“ und dreht sich damit im Kreis.[68]
II. Was es braucht: Kritisches Denken ohne Scheuklappen
Welche Schlüsse lassen sich aus all dem ziehen? Eine Metakritik der Strafrechtswissenschaft – oder wenigstens der Versuch einer objektiven Herangehensweise frei von politischen Vorannahmen – ist unabdingbar. Sie gelingt nicht immer, sollte aber die Blickrichtung vorgeben.[69] (Politische) Vorannahmen müssen nicht nur offengelegt, sondern selbst (und selbstkritisch) hinterfragt werden. Die wissenschaftliche Arbeit verlagert sich also „nach vorne“.
Auch die empirische Wissensproduktion wird von Vorannahmen gelenkt. Es darf dabei nicht deren einzige Aufgabe sein, bestimmte normative Grundannahmen zu zerstören; sie muss auch dazu genutzt werden, konstruktiv zu erschaffen, was im Anschluss normativ integriert werden kann.[70] Was sich empirisch – in all seiner Vorläufigkeit und Ausschnitthaftigkeit – belegen lässt, kann Teil der normativen Argumentationsstruktur werden. Das, was sich nicht empirisch belegen lässt, darf Teil
der normativen Argumentationsstruktur werden. In beiden Fällen trifft den Wissenschaftler die Begründungslast, weshalb vom vorläufigen empirischen Wissensstand abgewichen oder trotz fehlenden „Beweises“ dennoch entsprechend argumentiert wird: Die Wissenschaftlichkeit besteht schließlich nicht in der ergebnisorientierten Beliebigkeit der Wirklichkeitsnutzung, sondern in der kohärenten Begründung, für welche Deutung des Sachstands sich aus welchen Erwägungen heraus entschieden wurde.[71] Die Rechtswissenschaft muss dabei von ihrem Werk womöglich auch mal einen Schritt zurücktreten, um es sich aus der Entfernung und damit einem weiteren Winkel zu besehen.[72]
Je weniger Prädikate sich die Strafrechtswissenschaft vor den Namen stellt, desto besser. Wissenschaft hinterfragt Bestehendes ohnehin. Klar ist auch, dass Recht ein politisch gestaltetes und soziales Phänomen ist. Und unbestritten ist, dass es in der Praxis des Bestrafens „dunkle Seiten“ gibt. Dass kein System fehlerfrei ist, überrascht nicht.[73] Der Diskurs zwischen Wissenschaft und Politik ist zum Teil eklektisch, zum Teil verzerrt und in der Regel durchweg zufällig.[74] Dass die Wissenschaft nur „die Fackel tragen“ müsse, damit Gesetzgeber und Richter diesem Lichte folgen,[75] ist ein zwar schönes, allerdings auch viel zu romantisches Bild der tatsächlichen Arbeits- und Funktionenzusammenhänge. Gelingensbedingung für den Austausch ist es daher,[76] die strukturellen Asymmetrien in den Willensbildungsprozessen zu akzeptieren, um gerade dadurch aus einem Momentum der Geduld heraus den entscheidenden Anstoß setzen zu können.[77] Wenn es denn überhaupt der „Empfehlung“ gegenüber der Disziplin bedarf, kann diese in der Entwicklung eines verschärften Blicks für
Instrumentalisierungstendenzen bestehen: dem Erkennen der (sicherlich gut gemeinten) Ideologisierung des Strafrechts unter dem Deckmantel politischer Agenden und Techniken sowie dem Erlernen von Praktiken, um diesen Umdeutungen zu begegnen. Denn einmal unterwandert, hilft auch Wehklagen nicht mehr, um den „kritisch angefixten“ Leviathan wieder zu bändigen.
Der Autor Baur ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Göttingen. Kontakt: alexander.baur@jura.uni-goettingen.de.
Der Autor Gerson ist Privatdozent an der Universität Passau. Kontakt: olivergerson@web.de. Die Autoren danken Hendrik Uken (Göttingen) für die „kritische“ Durchsicht des Manuskripts.
[1] Schuchmann NSW 2025, 58, 68 f.
[2] Schuchmann NSW 2025, 58, 74.
[3] Anders seit jeher die sog. „Frankfurter Schule“, die Strafrechtswissenschaft als „Strafrechtsbegrenzungswissenschaft“ versteht, vgl. Vormbaum ZStW 1995, 734, 744 ff.; Jahn/Ziemann JZ 2014, 943 ff. Hierauf verweist Schuchmann ausdrücklich (dazu erneut B.IV.).
[4] Schuchmann NSW 2025, 58, 60 unter Verweis auf Kubiciel.
[5] Beispiele seien die Diskussion über die Angemessenheit der Strafrahmen oder die Frage nach der Subsidiarität des Strafrechts.
[6] Schuchmann NSW 2025, 58, 61 ff.
[7] Schuchmann NSW 2025, 58, 59. Die Wahrnehmung, dass eine strenge Trennung – wohl zu Unrecht – zwischen Rechtsdogmatik und -politik gezogen wurde und wird, teilt auch Jung, Kolloquium Jung, 2023, S. 145, 146; dafür wiederum Vogel in Heger/Kelker/Schramm (Hrsg.), FS Kühl, 2014, 635, 636.
[8] Ebenso Jung, Kolloquium Jung, 2023, S. 145, 149.
[9] Schuchmann NSW 2025, 58, 64.
[10] Besonders deutlich zeige sich dies in der feministischen Strafrechtskritik, dazu Schuchmann NSW 2025, 58, 72 ff.; Burghardt/Steinl KJ 2024, 14 ff.
[11] Schuchmann NSW 2025, 58, 71.
[12] Schuchmann NSW 2025, 58, 74.
[13] Kölbel NK 2019, 249, 257 f.; erneut Kölbel/Kubiciel GA 2023, 181, 188.
[14] Kölbel NK 2019, 249, 261 f. Ebenfalls zu nennen ist Kölbel/Singelnstein NStZ 2020, 333 ff.
[15] Kölbel NSW 2025, 43, 56.
[16] Kölbel NSW 2025, 43, 44.
[17] Kölbel NSW 2025, 43, 46 f. Nach Morsch, Kolloquium Jung, 2023, S. 31, 36, sei sie auch Impulsgeberin eines „Agenda-Settings“ in der Strafgesetzgebung.
[18] Kölbel NSW 2025, 43, 48 f.
[19] Dies zeige sich besonders bei Konstruktionen wie der „Organisationsherrschaft“ oder der „Goldenen Brücke“ beim Versuchsrücktritt, so Kölbel NSW 2025, 43, 54.
[20] Kölbel NSW 2025, 43, 55.
[21] Anders Zabel in Hilgendorf/Hochmayr/Małolepszy/Długosz-Jóźwiak(Hrsg.), FS Joerden, 2023, 333, 339, der „kritisch“ als „differenzierend“ sowie „richtig und falsch trennend“ versteht.
[22] Zabel in Hilgendorf/Hochmayr/Małolepszy/Długosz-Jóźwiak(Hrsg.),FS Joerden, 2023, 333, 341 ff., möchte diese Prozesse durch Strafrechtswissenschaft als „responsive Institution“ eröffnen.
[23] Teilweise auch Jung, Kolloquium Jung, 2023, S. 145, 148 f.; Zabel in Hilgendorf/Hochmayr/Małolepszy/Długosz-Jóźwiak(Hrsg.),FS Joerden, 2023, 333, 336 ff., sieht den Bedarf, nicht nur „Binnenkohäsion“ zu betrachten, spielt aber beide „Perspektiven“ nicht gegeneinander aus.
[24] Schuchmann NSW 2025, 58, 60.
[25] Zu den Abstufungen Saliger in Hilgendorf/Schulze-Fielitz (Hrsg.), Selbstreflexion der Rechtswissenschaft, 2015, 117, 125.
[26] Bung, Wissen und Wollen im Strafrecht, 2009, S. 58 ff.
[27] Treffend Gutmann in Hilgendorf/Schulze-Fielitz (Hrsg.), Selbstreflexion der Rechtswissenschaft, 2015, 93, 96: „Würden wir alle Fragen unseres […] Tagesgeschäfts mit einer […] Meta-Analyse überfrachten, müsste das Rechtssystem […] zum Stillstand kommen.“
[28] Dazu auch Bohlander in Horn/Wigger (Hrsg.), Systematiken und Klassifikationen in der Erziehungswissenschaft, 1994, 341 ff.
[29] Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, 7. Aufl. 2023, § 40 Rn. 27.
[30] Sofern nicht „Identisches“ reproduziert wird, vgl. Brodowski, Kolloquium Jung, 2023, S. 21, 29.
[31] Vgl. u.a. Burghardt/Steinl KJ 2024, 14 ff. m.w.N.
[32] Dafür u.a. Zabel in Hilgendorf/Hochmayr/Małolepszy/Długosz-Jóźwiak(Hrsg.),FS Joerden, 2023, 333, 335.
[33] Einen Überblick über Strafrecht und Strafgesetzgebung in der NS-Zeit bieten Murmann JuS 2024, 97 ff. und T. Zimmermann JuS 2024, 491 ff.; zum Verfassungsrecht Wischmeyer JuS 2024, 481 ff.; zum (Strafun-)Recht in der DDR vgl. nur das siebenbändige Werk „Strafjustiz und DDR-Unrecht“ (ab 2000).
[34] Am Rande sei die „strafrechtskritische“ Frage gestreift, ob Strafrecht überhaupt Instrument sein kann und darf, um in herrschenden Narrativen sedimentierte Diskriminierungsmuster zu bekämpfen. „Ultima ratio“ meint neben einem „Begrenzungsgebot“ (das umstritten ist; vgl. nur Stuckenberg ZStW 135 [2023], 904 ff.) schließlich auch den Konsens über die grundsätzlich geringe Nützlichkeit strafrechtlicher Sanktionierung in der Breite; hierzu auch Gerson, beck-aktuell v. 11.6.2025; in jüngster Zeit kritisch zum Einwand der Verletzung des Ultima-Ratio-Grundsatzes zum Zwecke der Ablehnung von Strafrechtserweiterungen wiederum Hoven, VerfBlog v. 26.9.2025, abrufbar unter: https://verfassungsblog.de/catcalling-straftatbestand/, zuletzt abgerufen am 22.10.2025.
[35] Mahlmann (Fn. 29), § 40 Rn. 16, 18, nennt noch explanative Tiefe und empirische Fundierung.
[36] Vgl. statt vieler Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie und Juristische Methodenlehre, 12. Aufl. 2022, § 22.
[37] Vgl. u.a. die kürzliche Änderung des § 5a II 2 DRiG; vgl. hierzu BT-Drs. 19/30503, 21; Nettersheim NJW 2022, 1075 ff.; F.Walter NJW 2024, 1013 ff.
[38] Ebenso Zabel in Hilgendorf/Hochmayr/Małolepszy/Długosz-Jóźwiak(Hrsg.),FS Joerden, 2023, 333, 345.
[39] Letztlich auch Schuchmann NSW 2025, 58, 65.
[40] Auch Morsch, Kolloquium Jung, 2023, S. 31, 39 f. und Stuckenberg ZStW 129 (2017), 349, 356; vertiefend Münkler GA 2023, 223 ff.
[41] Schuchmann NSW 2025, 58, 66 ff., stellt die Gretchenfrage allerdings nicht: Wollte man nicht schon vor hundert Jahren das (vermeintlich) Beste für die Gesellschaft?
[42] Auch Schuchmann NSW 2025, 58, 65 f., 74, fordert diese Reflektion.
[43] Popper, Über Wissen und Nichtwissen, in ders.: Auf der Suche nach einer besseren Welt, 16. Aufl. 2011, S. 41, 49.
[44] Für die Kriminologie Wollinger NK 2025, 10, 12.
[45] Kölbel/Singelnstein NStZ 2020, 333 ff.
[46] Kritisch Hoven ZStW 136 (2024), 433, 439 ff.
[47] Vgl. nur Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 1969, S. 177 ff., mit der Darlegung der Unterdrückungsmechanismen im Faschismus.
[48] Horkheimer/Adorno (Fn. 47), S. IX; vgl. für das Recht Mahlmann (Fn. 29), § 21 ff.
[49] Kölbel NK 2019, 249, 250; eine differenzierte Analyse des entsprechend bestehenden Zustands der Literatur bieten (insoweit a.A.) Kölbel/Kubiciel GA 2023, 181 ff. m.w.N.
[50] In diese Richtung Hoven ZStW 136 (2024), 433, 435 f. m.w.N.
[51] Programmatisch v. Liszt ZStW 1 (1881), 1; aufgegriffen von Hassemer in Arnold/Burkhardt/Gropp/Heine/Koch/Lagodny/Perron/Walther (Hrsg.), FS Eser, 2005, 115 ff.
[52] Vgl. (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) nur Roxin/Greco, Strafrecht AT I, 5. Aufl. 2020, § 2 Rn. 94e ff., 125r ff.; Jakobs, Strafrecht AT, 2. Aufl. 2011, 1/1/1 ff.; Köhler, Strafrecht AT, 1997, I-IV; Krey/Esser, Strafrecht AT, 7. Aufl. 2022, §§ 1-6; Murmann, GK Strafrecht, 8. Aufl. 2024, §§ 5, 8, 10; Jesckeck/Weigend, Strafrecht AT, 5. Aufl. 1996, §§ 1-17; Weigend, in Leipziger Kommentar StGB, 13. Aufl. 2020, Einl.
[53] Vgl. Hirsch/Klinge (Hrsg.), Zur Wertfreiheit verpflichtet? Gegenwärtige Berechtigung und Bedeutung des Postulats einer wertfreien Wissenschaft, 2025, und hierin Gerson und Hirsch zur Bedeutung der Werturteilsfreiheit für die Strafrechtswissenschaft; vgl. auch Peters in Peters/Schrott (Hrsg.), Eine Theorie von der Wissenschaft des Rechts, 2023, 35 ff.; Engländer NSW 2024, 5 ff.
[54] Im engsten Sinne ist Rechtswissenschaft nicht „normativ“, denn wenngleich die Normen, die sie zum Gegenstand hat, präskriptiv sind, ist deren Beschreibung und Systematisierung deskriptiv. Die Rechtswissenschaft ist zwar „Normwissenschaft“, aber nur bedingt „normative“ Wissenschaft; vgl. dazu Gerson (Fn. 53), S. 275 ff., 279.
[55] Vgl. zur „Rechtwissenschaft als Kulturwissenschaft“ das gleichnamige ARSP-Beiheft, hrsg. von Senn/Puskás, 2007.
[56] Hierzu Gerson (Fn. 53), S. 292: „Der (Mehr-)Wert […] für die Rechtswissenschaft ist [ambivalent]. [Dass] die subjektive Auffassung des Rechtswissenschaftlers seine Arbeit nicht behindern soll, ist so zutreffend wie trivial […]. [Dass] die Arbeit mit dem Recht spezifische Unschärfen aufweist, die Möglichkeiten für Missbrauch eröffnen, ist altbekannt und nicht vollständig lösbar.“
[57] Weber in ders. (Hrsg.), MWG, Bd. I/7, hrsg. von Wagner, 2018, S. 142, 149.
[58] Weber (Fn. 57), S. 142, 157.
[59] Weber (Fn. 57), S. 142, 154, 232.
[60] So auch Brodowski, Kolloquium Jung, 2023, S. 21, 30.
[61] Engländer NSW 2024, 5, 14 f.
[62] Wollinger NK 2025, 10, 12.Ähnlich Hoven ZStW 136 (2024), 433, 449: Zumindest sei Fundamentalopposition nicht zielführend; gegen Fundamentalopposition auch Kölbel/Kubiciel GA 2023, 181, 184; anders Burghardt/Steinl KJ 2024, 14, 25: „Eine feministische Kriminalisierungstheorie muss eine politische Theorie des Einsatzes von Strafrecht sein.“; a.A. auch Jung, Kolloquium Jung, 2023, S. 145, 149: Recht müsse dem demokratischen Prozess „Vorgaben machen“. Mahlmann (Fn. 29), § 22 Rn. 11 ff., warnt davor, geschlechterspezifische Vorstellungen von Recht, Vernunft oder Moral zu unterstellen.
[63] Die Frage stellt auch Zabel in Hilgendorf/Hochmayr/Małolepszy/Długosz-Jóźwiak(Hrsg.),FS Joerden, 2023, 333, 334; ebenfalls kritisch Wollinger NK 2025, 10, 12.
[64] So auch Zabel in Hilgendorf/Hochmayr/Małolepszy/Długosz-Jóźwiak(Hrsg.),FS Joerden, 2023, 333, 339 ff.
[65] U.a. Arendt, Viva activa, 4. Aufl. 2006, S. 252; Über die Revolution, 2019, S. 11.
[66] U.a. Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, 10. Aufl. 2005, S. 222, 245, 601 ff.
[67] Vgl. auch Zabel in Hilgendorf/Hochmayr/Małolepszy/Długosz-Jóźwiak(Hrsg.),FS Joerden, 2023, 333, 345; in gewisser Weise auch Schuchmann NSW 2025, 58, 65.
[68] Zweifel an „wissenschaftlicher Kriminalpolitik“ hegen auch Vogel in Heger/Kelker/Schramm (Hrsg.), FS Kühl, 2014, 635, 636 und Brodowski, Kolloquium Jung, 2023, S. 21, 29.
[69] Welche nach Jung, Kolloquium Jung, 2023, S. 145, 147, sowohl „vor-“ als auch „rückwärts“ gerichtet sein kann.
[70] So auch Wollinger NK 2025, 10, 18 f.
[71] Weiterführend Wollinger NK 2025, 10, 18: „Wenn die Kriminologie es schafft, selbst Themen zu platzieren, wird […] vermieden, [dass] kriminologische Wissenschaftler:innen sich immer wieder an Forderungen wie […] der Herabsetzung der Strafbarkeitsgrenze abarbeiten müssen und die aus der Sicht der Disziplin relevanten Debatten nicht geführt werden.“
[72] Vgl. auch Brodowski, Kolloquium Jung, 2023, S. 21, 28: Innovationen lassen sich in „geschützten Räumen“ weitaus besser konzipieren.
[73] Treffend Hoven ZStW 136 (2024), 433, 447.
[74] So auch Morsch, Kolloquium Jung, 2023, S. 31, 42; differenzierter Brodowski, Die Evolution des Strafrechts, 2023.
[75] Nach Binding ZStW 1 (1881), 4, 29.
[76] Eine empirisch-politologische Untersuchung „zwischen Strafrechtspopulismus und Experteneinfluss“ legen Wenzelburger/Brodowski GA 2023, 204ff. vor.
[77] Jung, Kolloquium Jung, 2023, S. 145, 155: „Der zündende Funke allein reicht nicht; es gehört auch methodische Gründlichkeit dazu. Wissenschaft braucht also Zeit.“; Kuhli/Asholt GA 2023, 192, 193 f., weisen auf die fehlende demokratische Legitimation der Lehre sowie die Uneinheitlichkeit der vertretenen Auffassungen hin.