Der wichtigste Maßstab für die Richtigkeit von Strafgesetzgebung und Strafrechtsanwendung ist Art. 103 II GG. Strafgesetze müssen hinreichend bestimmt sein und dürfen nicht zum Nachteil eines Beschuldigten analog angewendet werden. Dass vor allem dem Bestimmtheitsgrundsatz im Strafgesetzbuch an manchen Stellen nicht oder nicht optimal Rechnung getragen wird, ist jedenfalls in der Strafrechtswissenschaft einhellige Auffassung. Bei Bemühungen um Korrektur verfassungswidriger oder zumindest verfassungsrechtlich bedenklicher Bestimmtheitsmängel kann man vom Bundesverfassungsgericht leider wenig Unterstützung erwarten.[1] Wiederholt hat das höchste deutsche Gericht fragwürdige Bestimmtheits-Atteste erteilt. Dem Engagement für mehr Gesetzesbestimmtheit wird dadurch ein Dämpfer verpasst, der regelmäßig zu Resignation und Sichabfinden mit der unbefriedigenden Gesetzeslage führt. Diese Situation haben wir in Bezug auf die in § 13 StGB angeordnete Strafbarkeit der sogenannten „unechten Unterlassungsdelikte“ und deren Vereinbarkeit mit Art. 103 II GG.[2] Das Bundesverfassungsgericht hat die Grundgesetzkonformität des § 13 StGB bejaht und dies auf Begründungen gestützt, die schon zum Entscheidungszeitpunkt nicht tragfähig waren (näher dazu unter B. I.). Sie sind es jetzt, nachdem 27 bzw. 22 Jahre seit den verfassungsgerichtlichen Entscheidungen vergangen sind, erst recht
nicht. Die gesetzlich angeordnete und von der Justiz praktizierte Strafbarkeit unechter Unterlassungsdelikte verstößt in weiten Teilen gegen Art. 103 II GG. Die Art und Weise, wie von Rechtsprechung und Literatur § 13 StGB und das zentrale Tatbestandsmerkmal „Garantenstellung“ behandelt werden, stehen in Widerspruch zu Bestimmtheitsgebot und Analogieverbot.
A. Das unechte Unterlassungsdelikt vor Einführung des § 13 StGB
Die Möglichkeit der Erfüllung von Straftatbeständen des Besonderen Teils des StGB durch Unterlassen war − nicht unumstritten − anerkannt, bevor der Gesetzgeber mit der Einführung des § 13 StGB die Bestrafung von Unterlassungen auf der Grundlage von Begehungsdeliktstatbeständen für zulässig erklärte. Auch wenn das viele nicht wahrhaben wollten oder wollen, war die Justizpraxis eine Missachtung von § 2 StGB a.F., Art. 116 WRV und Art. 103 II GG.[3] Die Gesetzestexte, mit denen im Besonderen Teil das strafbare Verhalten beschrieben wird, sind an Tatbegehung durch aktives Tun ausgerichtet.[4] Durch § 13 StGB – vor allem seine „Entsprechungsklausel“ − wird das auch vom Gesetzgeber nachträglich bestätigt.[5] Zwar mag eine sehr weite Auslegung die Aussage tragen, dass einen Menschen auch „tötet“, wer ihn „sterben lässt“, obwohl er den Tod abwenden könnte.[6] Sofern dieses Auslegungsergebnis – was ich verneinen würde[7] − richtig ist, wird die Wortlautgrenze des § 212 I StGB nicht durchbrochen. Jedoch lässt sich die Begrenzung des Täterkreises auf Träger einer „Garantenstellung“ weder dem § 212 I StGB noch allen anderen BT-Vorschriften entnehmen. Die meisten Begehungsdeliktstatbestände können von jedermann verwirklicht werden, weshalb der Gesetzestext das einschränkende Merkmal „Garantenstellung“ nicht enthält.[8] Ein Nachbar, der sieht, wie die alleinerziehende Mutter im Haus
nebenan ihr Kleinkind verhungern lässt, erfährt aus dem Wortlaut des § 212 I StGB nicht,[9] ob er auf Grund seiner Untätigkeit gerade dabei ist, das fremde Kind zu töten oder nicht.[10] Streng genommen sagt ihm die extensiv ausgelegte Norm, dass er durch Unterlassen tötet.[11] Wenn die Vorenthaltung von Nahrung oder lebenswichtiger Medikamente eine Tötung ist, erfüllt dieses Tatbestandsmerkmal jeder, der die Zurverfügungstellung von Nahrungsmittel oder Medikament unterlässt, obwohl er es könnte.[12] Dieses Ergebnis akzeptiert aber niemand. Der Kreis tauglicher Unterlassungstäter ist begrenzt.[13] Nur ist die Grenze nicht sichtbar, jedenfalls nicht im Text des § 212 I StGB. Dieser Bestimmtheitsmangel ist evident und nicht zu bestreiten. Inwieweit § 13 StGB ausreichend Abhilfe geschaffen hat,[14] wird unten zu erörtern sein. Bemerkenswert ist aus heutiger Sicht[15] der Mangel an Respekt der Rechtsprechung gegenüber dem verfassungsrechtlichen Appell „nullum crimen sine lege“.[16] In der letzten Auflage des Lehrbuches von Jescheck/Weigend wird uns mitgeteilt, dass die Rechtsprechung die Vereinbarkeit der unechten Unterlassungsdelikte mit dem Gesetzlichkeitsprinzip „nie in Zweifel gezogen“
habe.[17] Das habe schon in einer frühen Reichsgerichtsentscheidung – die freilich nicht an der noch nicht existierenden Weimarer Reichsverfassung und erst recht nicht an Art. 103 II GG, wohl aber an § 2 RStGB gemessen werden kann − Ausdruck gefunden.[18] Dazu werden in einer erfrischend kritischen Monographie folgende treffende Bemerkungen gemacht:
„Es ist ein im deutschen Strafrecht sehr seltener Vorgang, dass die Rechtsprechung seit Jahrzehnten fast ohne gesetzliche Begrenzung zu einer strafrechtlichen Kernfrage faktisch Recht setzen konnte.“[19]
Vielleicht erklärt dies auch, warum heute überwiegend die Bestrafung auf Grundlage des die Gesetzlichkeitssituation nicht verbessert habenden § 13 StGB[20] als verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet wird. Fragwürdige Kontinuitäten im Justizwesen der Bundesrepublik hat es ja gerade in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens gegeben.[21] Ein „weiter so!“ könnte also auch die Einführung des § 13 StGB begleitet haben.[22]
B. § 13 StGB und Bestimmtheit
I. Bundesverfassungsgericht
Starke Schutzschilde gegen den Einwand der Verfassungswidrigkeit sind seit langem eine Plenar- und eine Kammerentscheidung des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts aus den Jahren 1997 und 2002. In seinem Beschluss vom 10.6.1997 erklärte der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts die Strafbarkeit der unechten Unterlassungsdelikte nach § 13 StGB und insbesondere das die Garantenstellung umschreibende Merkmal „rechtlich dafür einzustehen hat“ für mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 II GG vereinbar.[23]
1. Vorhersehbarkeit verbotenen Verhaltens
In seiner Begründung geht das Gericht bereits von einer in Bezug auf das Thema „unechtes Unterlassungsdelikt“ unpräzise umrissenen Schutzfunktion des Bestimmtheitsgebotes aus:
„Der einzelne Normadressat soll vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist“.[24]
Diese Funktionsbeschreibung passt gewiss zu den Anforderungen, denen der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung von Strafvorschriften für Begehungsdelikte – im Besonderen Teil des StGB − zu entsprechen hat. Darauf beschränkt das Gericht selbst seine Aussage, indem es die Vorhersehbarkeit mit dem Thema, „welches Verhalten verboten ist“[25], verknüpft. Dass es verboten ist, einen anderen Menschen aktiv zu töten, erfährt jedermann tatsächlich aus dem Text des § 212 I StGB. Mit § 13 StGB hat das nichts zu tun. Aus § 212 I StGB in Verbindung mit § 13 I StGB sollte „der Normadressat“ (dazu sogleich unter 2.) hingegen erfahren, welches Verhalten „geboten“ ist, welche aktiven Handlungen ausgeführt werden müssen, um eine Strafbarkeit wegen Totschlags durch Unterlassen zu vermeiden. Der Unterschied zwischen Verbot und Gebot ist den Richtern des Bundesverfassungsgerichts gewiss bekannt. Warum also finden sie im vorliegenden Zusammenhang nicht die richtigen Worte? Vielleicht glaubten sie, „verbotenes Verhalten“ (Begehungsdelikt) und „gebotenes Verhalten“ (Unterlassungsdelikt) sei dasselbe, denn „verboten“ − so könnte man sagen − ist im Fall eines Unterlassungsdelikts ja schließlich das „Unterlassen“ (der gebotenen Handlung).[26] Aber verschleiert wird damit, dass die Vorhersehbarkeit des „richtigen“ – d.h. die Strafbarkeit vermeidenden – Verhaltens herzustellen bei Unterlassungen erheblich schwieriger ist als bei aktivem Tun. Der Mensch mit der geladenen Pistole in der Hand erfährt aus § 212 I StGB mit hinreichender Deutlichkeit, dass er mit der Schusswaffe nicht auf einen anderen Menschen in seiner Nähe schießen darf. Der Mensch, der sich zufällig an einem Ort aufhält, wo gerade ein schwerer Verkehrsunfall mit mehreren Schwerverletzten passiert ist, erfährt weder aus § 212 I StGB noch aus
§ 13 I StGB und auch nicht aus der „Zusammenschau“ beider Vorschriften, wie er sich zu verhalten hat, um bei den Unfallopfern Todeserfolge zu verhindern. Dieser Mangel an gesetzlicher Klarheit belastet den rechtlichen Status des potentiellen Normadressaten beim Unterlassungsdelikt besonders einschneidend und stärker als bei Begehungsdelikten. Denn der Pflicht zur Ausführung einer bestimmten (Erfolgsabwen-dungs-)Handlung korrespondiert der Zwang zur Unterlassung sämtlicher (konkurrierender) Möglichkeiten aktiver Persönlichkeitsentfaltung, deren Wahrnehmung mit der pflichterfüllenden Handlung kollidieren würde. Das Verbot der aktiven Tötung eines Menschen verlangt vom Normadressaten nicht mehr als die Unterlassung der Tötungshandlung.[27] Die Befolgung dieses Verbots hindert den Adressaten nicht an der Beschäftigung mit beliebigen Tätigkeiten, auf die er verzichten müsste, wenn er sich lebensrettenden Maßnahmen zu widmen hätte.[28] Die Verunsicherung wird zusätzlich dadurch gesteigert, dass die Strafbarkeit von Unterlassungen unter einem Zumutbarkeitsvorbehalt steht. Die Unterlassung unzumutbarer Handlungen ist nicht strafbar, nach wohl noch herrschender Meinung entschuldigt, nach vordringender Ansicht nicht einmal tatbestandsmäßig.[29] Zu den Einzelheiten von Zumutbarkeit und Unzumutbarkeit erfährt jedoch niemand etwas aus dem Strafgesetzbuch oder sonstigen Gesetzen.
2. Normadressat
Der oben referierte Satz aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts offenbart noch eine zweite – viel gravierendere − Unsauberkeit in der Wortwahl der Entscheidung. Der 2. Senat spricht ganz unbefangen vom „Normadressat“, für den das verbotene Verhalten vorhersehbar sein muss. Dabei wird verkannt, dass genau dies das Bestimmtheits-Problem der unechten Unterlassungsdelikte kennzeichnet: Wer ist überhaupt „Normadressat“ – z. B. Adressat des § 212 I StGB – im Falle eines unechten Unterlassungsdelikts?[30] Totschlag durch Unterlassen ist anders als Totschlag durch aktives Tun kein „Jedermanndelikt“.
Normadressat ist nicht jeder Mensch („Wer“ in § 212 I StGB), sondern nur der Inhaber einer Garantenstellung. Die Garantenstellung begrenzt den Kreis tauglicher Täter und definiert nicht das „Verhalten“, mit dem der Täter (Garant) den objektiven Tatbestand erfüllt.[31] Im Beispiel des Verkehrsunfalls wird der Durchschnittsbürger wahrscheinlich wissen, dass bestimmte Erste-Hilfe-Maßnahmen rechtlich relevant sind und ihre Nichtvornahme Strafbarkeit (aus § 323c I StGB) begründen könnte. Hinsichtlich des „Verhaltens“ wird man daher von hinreichender Vorhersehbarkeit ausgehen können. Stünde also fest, wer in der konkreten Unfallsituation Normadressat ist, gäbe es kein Bestimmtheits-Problem. Welcher der Unfallzeugen jedoch von der Staatsanwaltschaft als „Totschläger“ oder gar „Mörder“ angeklagt werden wird, wenn er untätig bleibt, teilt den meisten Personen – ausgenommen sind z. B. Eltern eines unter den Verletzten befindlichen minderjährigen Kindes oder der pflichtwidrige Unfallverursacher (Ingerenz) − kein Gesetz mit.[32] Nicht die Unvorhersehbarkeit des tatbestandsmäßigen Verhaltens, sondern die Unvorhersehbarkeit des Normadressatenkreises ist die Crux der unechten Unterlassungsdelikte. Das Bundesverfassungsgericht hat also schon im Ausgangspunkt „das Thema verfehlt“.
3. Gesetzgeberisches Antizipationsunvermögen
Gesetze sind in der Regel nicht befristet, ihre Geltung ist auf unbestimmte Zeit gerichtet. Es trifft daher durchaus zu, dass Gesetze
„nicht alle zukünftigen Fälle im Detail voraussehen“
können. Ob sie auch die volatile Zukunft vorwegnehmen und den
„Wandel der Verhältnisse aufnehmen und der Besonderheit des Einzelfalls in ihrer Allgemeinheit gerecht werden“
müssen,[33] ist hingegen zu bestreiten.[34] Das Strafrecht ist anerkanntermaßen „fragmentarisch“, eine Feststellung, die üblicherweise nicht negativ konnotiert ist, sondern vielmehr als ein Gütesiegel des liberalen
deutschen Strafrechts (keine „Vielstraferei“) ausgewiesen wird.[35] Strafgesetze müssen also nicht komplett und lückenlos sein. Insbesondere wenn es dem Gesetzgeber nicht möglich ist, in der Vorausschau künftige Strafbarkeitslücken durch eine entsprechend dichte Normgestaltung zu vermeiden, erwächst ihm daraus kein Vorwurf. Wenn Straflosigkeit irgendwann inakzeptabel wird, hat der Gesetzgeber darauf zu reagieren und das geltende Strafrecht zu ergänzen.[36] Das Phänomen „Computerbetrug“ war 1871 nicht vorhersehbar und konnte somit keinen Einfluss nehmen auf die sprachliche Gestaltung des § 263 StGB, mit dem man später vergeblich den Computerbetrug in den Griff zu bekommen versuchte. Konsequenz war die Einführung des § 263a StGB im Jahr 1986. Unmöglichkeit der Vermeidung von Strafbarkeitslücken ist also kein Rechtfertigungsgrund für die Nichtbefolgung des Bestimmtheitsgebots oder – was im Fall der Anwendung des § 263 StGB auf den Computerbetrug in Rede stünde − des Analogieverbots. Wenn es nicht möglich ist, der gewünschten Strafbarkeit bestimmter Verhaltensweisen in einer hinreichend bestimmten Strafnorm Ausdruck zu verleihen, dann muss von dem Pönalisierungsvorhaben Abstand genommen werden.[37] Unvermögen ist kein Erlaubnistatbestand für verfassungswidrige Gesetzgebung.[38] Das Bundesverfassungsgericht schlägt also eine um 180 Grad falsche Marschrichtung ein: Wenn Bestimmtheit nicht möglich ist, ist auch Unbestimmtheit erlaubt. Unbestimmtheit ist in der Strafrechtsgesetzgebung immer unerlaubt.[39]
Eine grobe Fehleinschätzung verbunden mit einer unrichtigen Folgenableitung und einem Selbstwiderspruch unterläuft dem Senat in den folgenden Sätzen seiner Begründung. Reichlich vage erklärt er, dass sich eine
„gesetzliche Regelung jedes einzelnen unechten Unterlassungsdelikts wegen der Vielzahl der denkbaren Tatbestände praktisch kaum verwirklichen“
lasse. Selbst wenn dem so wäre, stellt sich die Frage, wieso nicht wenigstens die nicht bloß „denkbaren“, sondern bekannten Garantenstellungen in eine gesetzliche Regelung gefasst werden. Hinsichtlich der nicht vermeidbaren „Lücken“ ist dann wieder auf die Fragmentarität des Strafrechts zu verweisen. Diese ist hinzunehmen und gegebenenfalls durch spätere Gesetzesergänzungen zu lindern.[40] „Lieber eine unvollständige Normkonkretisierung als gar keine“ lautet der verfassungsrechtliche Leitsatz, dem der Gesetzgeber zu folgen hat. Geradezu blamabel erscheint die Behauptung von der Regelungsunmöglichkeit, wenn man sie einem „Faktencheck“ unterzieht. Tatsächlich hat es schon zur Zeit der Entscheidung verschiedene Regelungsvorschläge gegeben,[41] die zwar vielleicht nicht perfekt sind, aber allemal besser als der Zustand völliger Ungeregeltheit, an dem sich auch mit der Einführung des § 13 StGB nichts substantiell geändert hat.[42] Im Jahr 2025 – also über ein Vierteljahrhundert nach der Entscheidung des 2. Senats – kann das, was das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1997 diagnostizierte, nicht mehr ernsthaft behauptet werden.[43] Sollte es tatsächlich sein, dass die Gesetzgebung nicht in der Lage ist, aus dem immensen Material, das Rechtsprechung und Strafrechtswissenschaft inzwischen zusammengetragen haben,[44] eine passable Vorschrift zu den anerkannten Garantenstellungen zu produzieren, wäre das ein Armutszeugnis für den deutschen Rechtsstaat. Eine Arbeitsgruppe von Strafrechtswissenschaftlern aus der Vereinigung „Kriminalpolitischer Kreis“ hat im Jahr 2023 einen bislang unveröffentlichten Entwurf eines neuen § 13 StGB verfasst, der den aktuellen Stand von Rechtsprechung und Wissenschaft verarbeitet und ein nahezu lückenloses Netz an Garantenstellungen ausbreitet, das in puncto Bestimmtheit nichts zu wünschen übrig lässt. Gäbe es zwischen Politik und Wissenschaft noch eine Zusammenarbeit wie es sie in den 1950er- und 1960er-Jahren gegeben hat, würde auch der Gesetzgebung die
Schaffung zufriedenstellender Gesetzlichkeit gelingen. Freilich hatte diese Zusammenarbeit beim Thema „Normierung der unechten Unterlassungsdelikte“ leider keine Früchte getragen.
Vollends unverständlich werden die Ausführungen in der Entscheidungsbegründung des Bundesverfassungsgerichts, wenn man sie in Beziehung setzt zu dem Erkenntnisstand, der angeblich von Rechtsprechung und Lehre sogar schon vor der Einführung des § 13 StGB generiert worden sei:
„Rechtsprechung und Lehre haben aber die Strafbarkeit der traditionell anerkannten unechten Unterlassungsdelikte bereits vor einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung dahingehend eingegrenzt, daß nur eine Rechtspflicht, die einem durch besondere Umstände begründeten Schutzverhältnis zum gefährdeten Rechtsgut entspringt, eine Garantenstellung begründen kann, eine sittliche Pflicht oder nur die faktische Möglichkeit zur Schadensverhinderung aber nicht genügen. Mit dem durch das Zweite Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 30.7.1973 zum 1.1.1975 eingeführten § 13 StGB fand diese jahrzehntelange Rechtsprechung ihre gesetzliche Form. Die auf sie zurückgehenden Merkmale der Garantenstellung wurden in der Folgezeit kontinuierlich weiterentwickelt.“[45]
In der Kammerentscheidung vom 21.11.2002 wird dies wiederholt:
„Die Anbindung an das Erfordernis normativ begründeter Pflichten und eine auf langjährige Tradition beruhende einheitliche und klare richterrechtliche Umschreibung möglicher Garantenstellungen gewährleisten aber, dass das Risiko einer Bestrafung für den Normadressaten voraussehbar wird.“[46]
Tatsächlich kann aber keine Rede davon sein, dass § 13 StGB die „jahrzehntelange Rechtsprechung“ in eine „gesetzliche Form“ übergeführt habe. Plausibel wäre eine solche Behauptung vielleicht, wenn der Text des § 13 StGB nach Art eines Blankettgesetzes eine Verweisung auf den „Output“ der Rechtsprechung enthielte:
„Die Rechtspflicht zur Abwendung des Erfolges richtet sich nach den Erkenntnissen der Rechtsprechung.“
Darin läge keine unzulässige Übertragung legislativer Gewalt auf die Judikative, jedenfalls sofern es sich nicht um eine dynamische, sondern eine auf einen bestimmten Stichtag vor Inkrafttreten des § 13 StGB
bezogene statische Verweisung handelte. Mit einem derartigen Text hätte der Gesetzgeber sich Rechtsinhalte, für die Gerichte Urheberschaft geltend machen können, zu eigen gemacht. Aber abgesehen davon, dass § 13 StGB einen solchen Verweisungs-Satz nicht enthält, wäre ein Pauschalverweis auf Kasuistik nicht ausreichend, um die Pflicht des Gesetzgebers zur Information potentieller Normadressaten über das gelten sollende Recht zu erfüllen. Merkwürdig ist indessen, dass nach Ansicht der Bundesverfassungsrichter der „Stoff“ einer gesetzlichen Regelung der Garantenstellungen schon bei Einführung des § 13 StGB existierte und „in der Folgezeit kontinuierlich fortentwickelt“ worden sei, gleichwohl aber
„eine gesetzliche Regelung jedes einzelnen unechten Unterlassungsdelikts wegen der Vielzahl der denkbaren Tatbestände praktisch kaum“
zu verwirklichen sei. Das Bundesjustizministerium mit seinen zahlreichen hochqualifizierten Mitarbeitern ist demnach mit der Erfüllung der Herkulesaufgabe, die „Vielgestaltigkeit des Lebens“ grundgesetzkonform gesetzlich abzubilden, überfordert. Den – überwiegend nicht juristisch gebildeten – Bürgern soll es hingegen zumutbar sein, sich die von Art. 103 II GG garantierte „Vorhersehbarkeit“ durch Recherche über eine „jahrzehntelange Rechtsprechung“ zu verschaffen.[47] Es fällt schwer, dies nicht satirisch zu kommentieren. Art. 103 II GG verpflichtet den Gesetzgeber, dem Bürger diese untragbare Last abzunehmen und ihm in Gestalt eines lesbaren und im Wesentlichen auch für Laien verständlichen Gesetzestextes das für die Steuerung des eigenen Verhaltens erforderliche Wissen zu vermitteln. Dazu müsste die große Fülle an Textmaterial in veröffentlichten Gerichtsentscheidungen und wissenschaftlichen Abhandlungen systematisch gesichtet, ausgewertet, gegebenenfalls korrigiert und schließlich redaktionell auf das Format von StGB-Paragraphen zugerichtet werden. Das ist sicher eine mühevolle und zeitaufwändige Aufgabe, die aber erfüllbar ist.[48] Fehlender politischer Wille ist kein Entschuldigungsgrund. Der Gesetzgeber sei daran erinnert, dass
nach seinem eigenen explizit zum Ausdruck gebrachten Willen, § 13 StGB eine Übergangslösung sein soll, weil damals die Zeit für eine konkretere Normierung „noch nicht reif“ gewesen sei.[49] Das liegt mehr als ein halbes Jahrhundert zurück. Wahrscheinlich würde Thomas Weigend – Mitglied der oben erwähnten Arbeitsgruppe – in eine Neuauflage des Leipziger Kommentars einen Satz wie folgenden nicht mehr aufnehmen:
„Man wird sich deshalb trotz der berechtigten Bedenken unter dem Aspekt von Art. 103 II GG mit dem derzeitigen Rechtszustand abfinden müssen.“[50]
4. Jahrzehntelange Rechtsprechung als Gesetz
Ein gesetzliches Vakuum kann tatsächlich durch Rechtsprechung gefüllt werden. Reichsgericht und Bundesgerichtshof haben das gezeigt. Diese Rechtsprechung ist aber kein Gesetz im Sinne des Staatsrechts[51] und aus ihr wird auch durch Zeitablauf und Vermehrung des Bestands an Entscheidungen kein Gesetz. Ein gegen Art. 103 II GG verstoßendes Gesetz kann nicht durch konkretisierende Rechtsprechung „geheilt“ werden.[52] Rechtsprechung bleibt Rechtsprechung, mehr nicht. Das Bundesverfassungsgericht „missachtet die Gewaltenteilung, lässt die Justiz zum Gesetzgeber werden“.[53] Aber selbst, wenn es zuträfe, dass irgendwann − „nach Jahrzehnten“ − die Menge, der sich in der Vergangenheit angesammelten Gerichtsentscheidungen, die rechtliche Wirkung hat, aus Jurisdiktion Legislative werden zu lassen, blieben unbeantwortbare Fragen, an denen das richterrechtliche Konstrukt zerbrechen muss. Wenn es laut Bundesverfassungsgericht eine „jahrzehntelange“ Rechtsprechung ist, mit deren Output die gesetzliche Lücke geschlossen worden ist, muss es dafür einen Mindestzeitraum geben. Vor Erreichen dieses Zeitraums war noch nicht genügend Rechtsprechung vorhanden, um das Fehlen einer vom Gesetzgeber selbst geschaffenen Bestrafungsgrundlage zu
kompensieren.[54] Ab und seit wann es die gesetzesgleiche „jahrzehntelange“ Judikatur gibt, kann niemand beantworten, auch das Bundesverfassungsgericht nicht. Klar ist hingegen, dass vor der ersten Gerichtsentscheidung, die jemals einen Angeklagten wegen eines unechten Unterlassungsdelikts schuldig gesprochen hat, eine „auf langjähriger Tradition beruhende einheitliche und klare richterrechtliche Umschreibung möglicher Garantenstellungen“[55] nicht existierte. Dieses erste Urteil und zahlreiche weitere Urteile danach ergingen also zweifellos ohne tragfähige gesetzliche Grundlage – auch ohne Basis einer „jahrzehntelangen Rechtsprechung“ − und verletzten Verfassungsrecht. Auf der anderen Seite ist es selbstverständlich, dass rechtsstaatliche Garantien wie die des Art. 116 WRV und Art. 103 II GG „von Anfang an“ gelten und nicht erst nach einer mehr oder weniger langen „Anlaufphase“ der Rechtsprechung. Schon das erste Urteil, mit dem ein Angeklagter schuldig gesprochen wird, muss sich auf ein Strafgesetz zurückführen lassen, das hinreichend bestimmt ist und nicht im Wege von Analogie auf den konkreten Fall angewendet wird. Daher war die sich allmählich entwickelnde Rechtsprechung, die nach dem Bundesverfassungsgericht irgendwann eine Dichte und Stabilität erlangt hatte, dass sie ein fehlendes Gesetz ersetzen konnte, zumindest vor Erreichen dieses Status verfassungswidrig. Verfassungswidrige Rechtsprechung ist kein zulässiges „Füllmaterial“ für eine inhaltlose Vorschrift wie § 13 I StGB.[56]
Unbeantwortet bleibt zudem die Frage nach der Zulässigkeit zukunftsgerichteter judikativer Kreativität in Gestalt der „Erfindung“ neuer Garantenstellungen. Das Bundesverfassungsgericht sieht es offenbar als ein die Grundgesetzkonformität des § 13 I StGB stärkendes Ereignis, dass die Merkmale der Garantenstellung „in der Folgezeit kontinuierlich weiterentwickelt“ wurden. Danach darf also die Judikative, am Gesetzgeber vorbei, aus dem seit Jahrzehnten verdichteten Gedankengut Impulse zur Begründung neuer Garantenstellungen empfangen. Die leitenden Grundgedanken, denen die bereits anerkannten Garantenstellungen ihre Entstehung verdanken, erzeugen im Zusammenwirken mit neuartigen Sachverhalten sowie eventuellem „Zuarbeiten“ aus der
Strafrechtswissenschaft die passenden Garantenstellungen für diese neuen Falltypen.[57] So sieht es das Bundesverfassungsgericht. Gäbe es ein positives Gesetz, dem im Wege eines Ähnlichkeitsvergleichs ein Sachverhalt untergeordnet wird, der vom Wortlaut des Gesetzes nicht erfasst wird, unterfiele dieser rechtsschöpferische Akt dem Verdikt des Analogieverbots. Hier nun ist es eine gefestigte Rechtsprechung, die den Gerichten eine Lizenz zur „kontinuierlichen Weiterentwicklung“ verleihen soll. Etwas anderes als Analogie kann diese gerichtliche Rechtsfortbildung nicht sein.[58]
Fortsetzung des Beitrags in Heft 3/2025
Prof. Dr. Wolfgang Mitsch, em. Professor für Strafrecht an der Universität Potsdam.
[1] Schmitz, in Münchener Kommentar StGB, Bd. 1, 4. Aufl. 2020, § 1 Rn. 54 ff.
[2] Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, 1993, 277; Schmitz, in Münchener Kommentar StGB, Bd. 1, 4. Aufl. 2020, § 1 Rn. 61.
[3] Kaufmann JuS 1961, 173, 175.
[4] Grünwald ZStW 70 (1958), 412; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 1996, 608; Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit und Gesetzlichkeitsgrundsatz, 1986, 143. Vgl. auch Grünewald, Zivilrechtlich begründete Garantenpflichten im Strafrecht, 2001, 14: „dogmatische Vorrangstellung des Handlungsdelikts“.
[5] Seebode in Seebode (Hrsg.), FS Spendel, 1992, 317, 335.
[6] Ordeig ZStW 111 (1999), 307, 315; Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, 47: Mutter, die ihren Säugling verhungern lässt. Ablehnend Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit und Gesetzlichkeitsgrundsatz, 1986, 143.
[7] Insbesondere wird aus einem Unterlassen nicht ein aktives Tun, weil der Unterlassende eine Garantenstellung hat, Kuhlen in Paeffgen/Böse/Kindhäuser/Stübinger/Verrel/Zaczyk (Hrsg.), FS Puppe, 2011, 669, 680.
[8] Kaufmann JuS 1961, 173, 175.
[9] Aus dem Wortlaut des § 13 StGB auch nicht.
[10] Ordeig ZStW 111 (1999), 307, 315 beschränkt sich auf das Beispiel der Mutter, die ihr Kind verhungern lässt, äußert sich aber nicht zur Tatbestandsmäßigkeit der Untätigkeit sonstiger Personen.
[11] Deswegen wird das Erfordernis einer Garantenstellung bei Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht Allgemeiner Teil II, 8. Aufl. 2014, § 46 Rn. 19, 28 für eine Strafbarkeitsvoraussetzung gehalten, die in Bezug auf den Tatbestand des StGB-BT strafbarkeitseinschränkende Wirkung („in bonam partem“) habe und deshalb nicht den strengen Anforderungen des Art. 103 II GG unterliege. Dagegen zutreffend Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1993, § 29 Rn. 4; Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit und Gesetzlichkeitsgrundsatz, 1986, 140.
[12] S. v. Coelln, Das „rechtliche Einstehenmüssen“ beim unechten Unterlassungsdelikt, 2008, 37; Kaufmann JuS 1961, 173, 175.
[13] Grünwald ZStW 70 (1958), 412, 413; Kuhlen in Paeffgen/Böse/Kindhäuser/Stübinger/Verrel/Zaczyk (Hrsg.), FS Puppe, 2011, 669, 676.
[14] Dies zu Recht verneinend Berster, Das unechte Unterlassungsdelikt, 2014, 30; Grünewald, Zivilrechtlich begründete Garantenpflichten im Strafrecht, 2001, 14. Bereits kurz vor Inkrafttreten des § 13 StGB stellte Claus Roxin fest, dass schon heute freilich sehr umstritten sei, ob es gelungen ist, die Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer Bestrafung unechter Unterlassungen zu beseitigen; Roxin/Stree/Zipf/Jung, Einführung in das neue Strafrecht, 1974, 2. In seinem Lehrbuch Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil II, 2003, § 31 Rn. 32 erklärt Roxin später, hinsichtlich des Analogieverbotes sei dem Gesetzgeber die Beseitigung der Bedenken „unbestreitbar gelungen“.
[15] Zur Situation nach Einführung des § 13 StGB konstatiert Seebode in Seebode (Hrsg.), FS Spendel, 1992, 317, 328 treffend einen „Gipfel in der Mißachtung der Verfassungsgebote gesetzlicher Strafbegründung (lex scripta) und hinreichender Tatbestandsbestimmtheit (lex certa)“. Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit und Gesetzlichkeitsgrundsatz, 1986, 126 stellt fest, dass „die Rechtsprechung zu § 13 die verfassungsrechtliche Problematik der Vorschrift […] ausnahmslos übergeht“; ebenso Albrecht, Begründung von Garantenstellungen in familiären und familienähnlichen Beziehungen, 1998, 138.
[16] Berster, Das unechte Unterlassungsdelikt, 2014, 29: mit dem Hinweis auf „Gewohnheitsrecht“ schnitt das Reichsgericht „kritischen Nachfragen nach Sinn und Zweck einer solchen Haftung […] das Wort ab“; Wagner, Die Entsprechungsklausel in § 13 Abs. 1 StGB, 2024, 49: zu der gerichtlichen Praxis nach Ende des 2. Weltkriegs, die ungeachtet erhobener Bedenken „weiterhin unbeirrt ohne gesetzliche Grundlage unechte Unterlassungsdelikte aburteilte“.
[17] Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 1996, 609.
[18] RGSt 10, 100, 101. Der Entscheidung lag ein Fall vertraglich begründeter Schutzpflicht zugrunde, eine Garantenstellung, deren Anerkennung nach Ansicht des Verfassers mit Art. 103 II GG in Einklang steht, Mitsch in Baumann/Weber/Mitsch/Eisele (Hrsg.), Strafrecht Allgemeiner Teil, 13. Aufl. 2021, § 21 Rn. 64 ff.
[19] Berster, Das unechte Unterlassungsdelikt, 2014, 30.
[20] Berster, Das unechte Unterlassungsdelikt, 2014, 54; Grünewald, Zivilrechtlich begründete Garantenpflichten im Strafrecht, 2001, 14.
[21] Wolf JuS 1996, 189, 194: „Der Satz nulla poena sine lege wurde gleichlautend in § 1 StGB und in Art. 103 II GG aufgenommen. Beachtet wird er bis heute nicht.“ (Hervorh. im zitierten Text).
[22] Seebode in Seebode (Hrsg.), FS Spendel, 1992, 317, 332.
[23] Mit Beschluss vom 21.11.2002 (2 BvR 2202/01) nahm die 3. Kammer des 2. Senats daher eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an, BVerfG NJW 2003, 1030.
[24] BVerfG NJW 1998, 50, 56.
[25] Kursiv-Hervorhebung hier.
[26] Kaufmann JuS 1961, 173, 174; Krey/Esser, Deutsches Strafrecht Allgemeiner Teil, 7. Aufl. 2022, Rn. 1102: „Das unechte Unterlassungsdelikt verletzt dasselbe Verbot wie das entsprechende Begehungsdelikt.“
[27] Kühl in Putzke/Hardtung/Hörnle/Merkel/Scheinfeld/Schlehofer/Seier (Hrsg.), FS Herzberg, 2008, 177, 180: „Das ist nicht zu viel verlangt“; ebenso Engisch in Lackner/Leferenz/Schmidt/Welp/Wolff (Hrsg.), FS Gallas, 1973, 163, 189.
[28] Man könnte sogar sagen, dass das Tötungsverbot den Handlungsspielraum erweitert: Durch Befolgung des Verbots verschafft der Normadressat sich die Freiheit zur Ausführung legaler Aktivitäten, die er während der Tötungshandlung zurückstellen oder ganz aufgeben müsste.
[29] Bosch, in Schönke/Schröder StGB, 30. Aufl. 2019, vor § 13 Rn. 155.
[30] Welzel, Das deutsche Strafrecht, 11. Aufl. 1969, 209.
[31] Daher wird die Garantenstellung als „besonderes persönliches Merkmal“ iSd § 28 I StGB anerkannt, BGH NStZ 2022, 220, 222; Heinrich, Strafrecht Allgemeiner Teil, 7. Aufl. 2022, Rn. 971.
[32] Kaufmann JuS 1961, 173, 176; Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit und Gesetzlichkeitsgrundsatz, 1986, 157.
[33] BVerfG NJW 1998, 50, 56; NJW 2003, 1030 („Vielgestaltigkeit des Lebens“).
[34] Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit und Gesetzlichkeitsgrundsatz, 1986, 130; Seebode in Seebode (Hrsg.), FS Spendel, 1992, 317, 339.
[35] Albrecht, Begründung von Garantenstellungen in familiären und familienähnlichen Beziehungen, 1998, 141.
[36] Herbertz, Die Ingerenz, 2020, 192; Seebode in Seebode (Hrsg.), FS Spendel, 1992, 317, 346.
[37] Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit und Gesetzlichkeitsgrundsatz, 1986, 128, 188.
[38] Inakzeptabel Paradissis, Unterlassungsstrafbarkeit in sog. Weiterungsfällen, 2015, 90: „Ein Gesetz ist demnach nur dann als zu unbestimmt und damit als verfassungswidrig zu verwerfen, wenn dem Gesetzgeber eine bestimmtere Gesetzesformulierung möglich gewesen ist, er sich aber für eine unbestimmte Variante entschieden hat.“ Ebenfalls abzulehnen Utz, Die personale Reichweite der strafrechtlichen Geschäftsherrenhaftung, 2016, 37.
[39] Seebode in Seebode (Hrsg.), FS Spendel, 1992, 317, 338.
[40] Herbertz, Die Ingerenz, 2020, 193.
[41] Herbertz, Die Ingerenz, 2020, 188.
[42] Kühl in Putzke/Hardtung/Hörnle/Merkel/Scheinfeld/Schlehofer/Seier (Hrsg.), FS Herzberg, 2008, 177, 190.
[43] Nicht erst aus heutiger Sicht, sondern schon in der 2015 veröffentlichten Arbeit von Paradissis, Unterlassungsstrafbarkeit in sog. Weiterungsfällen, 2015, 91 wird die Leistungsfähigkeit der Strafrechtswissenschaft unterschätzt, wenn behauptet wird, eine hinreichend bestimmte Gesetzesformulierung sei „dem Gesetzgeber zum Stand der damaligen und auch heutigen Dogmatik nicht möglich“. Richtig ist hingegen, dass – entgegen dem BVerfG – „die bis 1969/1975 ergangene Rechtsprechung jedoch in vieler Hinsicht noch nicht ausgereift“ war, Herbertz, Die Ingerenz, 2020, 185.
[44] Bei Herbertz, Die Ingerenz, 2020, 192 ist anschaulich von einem „ganzen Blumenstrauß an Legitimationsmöglichkeiten“ die Rede.
[45] BVerfG NJW 1998, 50, 56; NJW 2003, 1030 („auf langjähriger Tradition beruhende einheitliche und klare richterrechtliche Umschreibung möglicher Garantenstellungen“).
[46] BVerfG NJW 2003, 1030.
[47] Albrecht, Begründung von Garantenstellungen in familiären und familienähnlichen Beziehungen, 1998, 147; Herbertz, Die Ingerenz, 2020, 195; Paradissis, Unterlassungsstrafbarkeit in sog. Weiterungsfällen, 2015, 92; Schmitz, in Münchener Kommentar StGB, Bd.1, 4. Aufl. 2020, § 1 Rn. 55; Seebode in Seebode (Hrsg.), FS Spendel, 1992, 317, 338.
[48] Zutr. Herbertz, Die Ingerenz, 2020, 188; Seebode in Seebode (Hrsg.), FS Spendel, 1992, 317, 339. An dem oben erwähnten Gesetzesentwurf aus dem „Kriminalpolitischen Kreis“ haben durchschnittlich 8 bis 10 Strafrechtslehrer in deutlich weniger als 10 ca. 3-stündigen Sitzungen gearbeitet.
[49] Herbertz, Die Ingerenz, 2020, 192.
[50] Weigend, in Leipziger Kommentar StGB, Bd. 1, 13. Aufl. 2020, § 13 Rn. 19.
[51] Es wäre interessant zu erfahren, wie der Antrag einer abstrakten Normenkontrolle gemäß Art. 94 I Nr. 2 GG gegen „jahrzehntelange Rechtsprechung“ formuliert werden soll. Wahrscheinlich würde das BVerfG ihn wegen offensichtlicher Unzulässigkeit nicht zur Entscheidung annehmen.
[52] Kuhlen in Dannecker (Hrsg.), FS Otto, 2007, 89, 104; Paradissis, Unterlassungsstrafbarkeit in sog. Weiterungsfällen, 2015, 96; Seebode JZ 2004, 305, 307; Sternberg-Lieben, Gedächtnisschrift für Rolf Keller, 2002, 289, 301.
[53] So Seebode JZ 2004, 305, 307; ebenso Geerds in Bockelmann/Kaufmann/Klug (Hrsg.), FS Engisch, 1969, 406, 411; Grünwald ZStW 76 (1964), 1, 14.
[54] Herbertz, Die Ingerenz, 2020, 185; Kuhlen in Dannecker (Hrsg.), FS Otto, 2007, 89, 104 Fn. 121; Paradissis, Unterlassungsstrafbarkeit in sog. Weiterungsfällen, 2015, 108.
[55] BVerfG NJW 2003, 1030.
[56] Herbertz, Die Ingerenz, 2020, 185.
[57] Utz, Die personale Reichweite der strafrechtlichen Geschäftsherrenhaftung, 2016, 37: „Durch enge Anlehnung an bereits anerkannte Pflichtenstellungen […]“.
[58] Offenbar keinen Konflikt mit Art. 103 II GG sieht darin Bosch, in Schönke/Schröder StGB, 30. Aufl. 2019, § 13 Rn. 5/6: „Ganz im Gegenteil gewährleistet gerade die Ableitung von Garantenpflichten im Wege des Analogieschlusses zu bereits anerkannten Pflichtenstellungen die hinreichende Bestimmtheit und Vorhersehbarkeit der Rechtsanwendung.“