Der Topos der Würde durchzieht schon seit Längerem die Diskussion um den rechtlichen Status von Tieren. Für eine besondere Konjunktur hat die Verankerung einer „Würde der Kreatur“ in Art. 120 II 2 der schweizerischen Bundesverfassung und ihre internationale Rezeption gesorgt. Generell wird die Tierwürde dabei als ein separater Ansatz neben der Dichotomie zwischen klassischem Tierschutz und progressiven Tierrechten angesehen, ohne dass sein Inhalt besonders klar wäre.[1] Die Überlegungen hierzu bewegen sich meist auf einer rechtsphilosophischen Ebene, ohne auf konkrete Implikationen für das geltende Recht einzugehen. Mit ihrer an der Münchner juristischen Fakultät betreuten Dissertation „Die Würde des Tiers“ setzt Sophie Kargruber hier an und leistet nicht nur einen wertvollen Beitrag zur Konturierung eines allgemeinen Würdekonzepts, sondern leitet daraus auch konkrete Regelungsvorschläge für den strafrechtlichen Schutz von Tieren ab. Dadurch schlägt sie auf beeindruckende Weise eine Brücke zwischen dem hochabstrakten Würdetopos und der praktischen Anwendung auf Tiere im Einzelfall.
Rein äußerlich gliedert sich die Arbeit in vier Kapitel, wobei sich zeigen wird, dass sich ihre innere Struktur aus dem Ineinandergreifen mehrerer Untersuchungsebenen ergibt. Das erste Kapitel nimmt die Würde des
Menschen als Ausgangspunkt, um sie auf eine allgemeine, von einem konkreten Träger losgelöste Würde zurückzuführen. Zur Konkretisierung der Menschenwürde greift Kargruber auf den außerrechtlichen, insbesondere moralischen Gehalt des Begriffs zurück und überträgt ihn sodann in die rechtliche Dogmatik. Hierin liegt bereits eine zweite, methodische Ebene, die die gesamte Arbeit durchzieht und deren Kniff darin besteht, einen moralischen Normenbestand heranzuziehen und daraus rechtliche Normen abzuleiten. Diese Methode verortet Kargruber in der Rechtsethik (Fn. 64). Dabei ist sie sich der Gefahr bewusst, mit außerrechtlichen Befunden auch die ihnen zugrundliegenden Vorverständnisse und Prämissen zu übernehmen. Diese Gefahr dadurch gebannt zu sehen, dass außerrechtliche Deutungen nicht „befolgt“, sondern nur „berücksichtigt“ werden (S. 35 f.), überzeugt nicht vollends, geht mit dieser Berücksichtigung einzelner Deutungen und ihrer Gewichtung (S. 38) doch weiterhin eine Wertung einher. Der Ertrag des Rückgriffs auf außerrechtliche Hintergründe besteht in vier Elementen der rechtlichen Menschenwürde, die Kargruber im Anschluss von der Zuschreibung zum Menschen loslöst, um aus ihnen vier Elemente einer allgemeinen Würde zu destillieren: Aus der Moral ergebe sich als Kern der Würde, dass jedem Würdeträger ein Selbstzweck und damit eine Subjektstellung zukomme, die es verbiete ihn zu instrumentalisieren; zweitens schütze die Würde die Ausübung dieses Selbstzwecks nach den eigenen Bedürfnissen; und drittens gehe mit der Würde ein (moralischer bzw. rechtlicher) Status als „Teil der Gemeinschaft der Subjekte“ einher, der die direkte Berücksichtigung der Interessen sowie subjektive Rechte des Würdeträgers zur Folge habe. Aus der christlichen Theologie ergebe sich darüber hinaus die Universalität der Würde, die hierarchische Abstufungen verbiete und die Würde zu einem objektiven Wert mache. Der absolute Charakter der grundgesetzlichen Menschenwürde sei als spezifische historische Reaktion auf das NS-Unrecht hingegen kein zwingendes Element der moralischen Menschenwürde (S. 54) oder der allgemeinen Würde (S. 74 f.). Bei diesen Würdeelementen handelt es sich um eine weitere, materielle Ebene der Untersuchung, die im Laufe der Arbeit immer wieder in Erscheinung tritt und in deren Ausbuchstabierung ein wesentlicher Verdienst der Arbeit liegt. Etwas künstlich erscheint lediglich die Trennung von Selbstzweck des Würdeträgers und Ausübung dieses Selbstzwecks, für die einerseits bereits minimale Handlungsmöglichkeiten
genügen sollen und die andererseits erst bei einem (kaum vorstellbaren) vollständigen Entzug verletzt sein soll (S. 59).
Im zweiten Kapitel leitet Kargruber aus dem zuvor aus der Würde des Menschen gewonnenen Konzept der allgemeinen Würde eine Würde des Tiers ab, so dass sich ein gedanklicher Schritt „ums Eck“ ergibt. Gewissermaßen als Katalysator für den gedanklichen Übertragungsschritt auf das Tier dient ein Gleichheitsargument aufgrund der vergleichbaren Empfindungsfähigkeit von Mensch und Tier. Auch diese dynamische Ebene begegnet in der Arbeit noch öfter, wenn es darum geht, gedankliche Übertragungen auszulösen. Nachdem im ersten Kapitel noch – etwas künstlich – die Spezieszugehörigkeit als vermeintlich einziges Kriterium eingeführt wurde, das die Würde aller Menschen begründen könne (S. 45 ff.), wird nun die ethische Relevanz des Kriteriums in Anbetracht seiner Beliebigkeit widerlegt (S. 79 ff.). Als Ersatzkriterium macht Kargruber die Empfindungsfähigkeit aus, wobei sie darunter die subjektive Erfahrung von Lust, Schmerz und Leid versteht und die lediglich indizienhafte Feststellbarkeit von Empfindungen erläutert (S. 85 ff.). Ethisch relevant für die Zuschreibung von Würde sei die Empfindungsfähigkeit, weil Empfindungen der Selbsterhaltung dienten und daher die „wesentlich treibenden Kräfte der Lebensgestaltung“ seien (S. 93). Diese Argumentation, die den Dreh- und Angelpunkt für die weiteren Würde-Übertragungen bildet, sehe ich Einwänden ausgesetzt. Zum einen dienen nicht nur Empfindungen der Selbsterhaltung, so dass sich die Frage stellt, warum gerade sie das entscheidende Kriterium sein sollen. Zum anderen könnte eine auf die Empfindungsfähigkeit gestützte Tierwürde gerade nicht vor Beeinträchtigungen schützen, die sich ohne negative Empfindungen vollziehen. Hierin läge aus meiner Sicht aber der entscheidende Mehrwert eines Würdeschutzes gegenüber dem geltenden pathozentrischen Tierschutzrecht, das etwa eine Tötung bei Ausschaltung der Empfindungsfähigkeit durch Betäubung als weniger gravierenden Eingriff ansieht. Folgt man der Argumentation anhand der vergleichbaren Empfindungsfähigkeit, ergibt sich aus dem Zusammenspiel der verschiedenen Untersuchungsebenen eine Tierwürde in der Moral, auf die sich die einzelnen, oben dargestellten Elemente der allgemeinen Würde anwenden lassen. Ein absoluter Schutz sei jedoch aufgrund ihrer besonderen historischen Rolle der Menschenwürde vorbehalten, so dass die Tierwürde in einer Abwägung mit der Menschenwürde zurücktreten
müsste, in anderen Abwägungsfällen aber als prinzipiell gleichwertig einzubeziehen sei (S. 109 f.).
Kapitel 3 spielt erneut auf der Ebene der Übertragung von der Moral ins Recht, diesmal der soeben moralisch begründeten Tierwürde in eine rechtlich verankerte Tierwürde. Als Katalysator für die Übertragung tritt das obige Gleichheitsargument nun als „rechtsethische Forderung“ auf (S. 115). Eine Verwässerung der Menschenwürde verneint Kargruber, da die Tierwürde nicht unmittelbar aus der Menschenwürde abgleitet sei und ihr lediglich ein relativer Schutz zukomme. Ob nicht infolge der Begriffsähnlichkeit und der indirekten Ableitung eine immerhin faktische Herabsetzung der Menschenwürde droht, wird nicht thematisiert, obwohl es sich hierbei um einen beliebten Einwand gegen Tierrechte handelt.[2] Indem in der Arbeit immer wieder von der Würde als dem „Schutz des Höchstbesonderen“ die Rede ist, fragt sich durchaus, ob nicht eine Ausdehnung dieses Status die Besonderheit jedes einzelnen Trägers mindert. Umgekehrt könnte man an dieser Stelle anzweifeln, ob das Konzept der Würde nicht selbst derart anthropozentrisch und aristokratisch geprägt ist,[3] dass es dem Anliegen eines inklusiven, ethisch fundierten Schutzes widerspricht. Diesen Gedankenstrang schneidet sich die Arbeit leider schon ganz zu Beginn ab, wenn sie das Begriffsverständnis von Würde im Sinne von Ansehen oder sozialer Stellung von vornherein ausklammert (S. 27). Der weitere Verlauf des dritten Kapitels widmet sich der Ausgestaltung eines subjektiven Rechts der Tierwürde. Der für die Bejahung der Rechtsfähigkeit von Tieren gezogene Vergleich mit juristischen Personen hinkt freilich etwas, da hinter ihnen stets menschliche Interessen stehen, mögen sie noch so „eigenständig“ oder „komplex“ ausgestaltet sein (S. 145). Mit der Übertragung der Tierwürde ins Recht werden nun abermals die allgemeinen Würdeelemente mittransportiert und an dieser Stelle in einzelne subjektive Grundrechte des Tiers ausdifferenziert (S. 154 ff.), die in der Verhältnismäßigkeitsprüfung anhand von Fallgruppen operationalisiert und von Vertretern oder Prozessstandschaftern durchgesetzt werden sollen. Das damit entzündete Feuerwerk an minutiös vorbereiteten Erkenntnissen gipfelt im Regelungsvorschlag
für einen Art. 20b GG (S. 163), der auf durchdachte und elegante Weise alle aufgezeigten Aspekte vereint.
Zur Konkretisierung der Tierwürde zeigt Kargruber im vierten Kapitel schließlich, welche Änderungen sich aus den Würdeelementen und ihrer verfassungsmäßigen Verankerung für das Strafrecht ergeben würden. Hierzu arbeitet sie zunächst heraus, inwiefern die Rechtslage de lege lata hinter einem Würdeschutz zurückbleibt: Insbesondere seien allein Wirbeltiere geschützt, keine besonderen Täterkreise berücksichtigt, es fehle eine Fahrlässigkeits- und eine Versuchsstrafbarkeit. Nur zu einem gewissen Grad könne die Verfolgung als Ordnungswidrigkeit eine Auffangfunktion erfüllen. Ein indirekter Schutz über Straftatbestände, die in erster Linie menschliche Interessen schützen, widerspreche dem aus seiner Würde abgeleiteten Selbstzweck des Tiers und bei Straftaten zum Schutz eines Tiers hänge eine Rechtfertigung wegen Nothilfe von der „Rechtsträgerschaft“ des Tiers ab (S. 194). De lege ferenda könne die Verankerung der Tierwürde zu einem strafrechtlichen Mindestschutz führen, weil sie den zur Legitimation von Strafnormen eingesetzten Rechtsgutsbegriff erweitere und die grundlegende Bedeutung der Würde den besonders eingriffsintensiven Schutz durch Strafnormen rechtfertige. Darüber hinaus müsse die Tierwürde auch zu einem strafrechtlichen Mindestschutz im Sinne einer Pönalisierungspflicht führen, die sich zum einen aus der Verletzlichkeit der Tierwürde und zum anderen wiederum aus dem Gleichheitsargument im Hinblick auf den strafrechtlichen Mindestschutz der Menschenwürde ergebe. Vor diesem Hintergrund entwirft Kargruber vier neue Straftatbestände in §§ 207 bis 210 StGB, die die oben aufgezeigten Lücken des geltenden Strafrechts schließen (S. 232 f.). Etwas unglücklich ist hier die offensichtlich falsche Wiedergabe des Wortlauts von § 207. Eine korrekte Wiedergabe findet sich jedoch auf S. 275 der Arbeit. Inhaltlich stellt sich die Frage, wie stark sich das entworfene strafrechtliche Schutzniveau tatsächlich von der geltenden Rechtslage unterscheidet. Insbesondere fällt auf, dass die vormals (S. 122) kritisierte Möglichkeit, Beeinträchtigungen mit einem „vernünftigen Grund“ zu rechtfertigen, beibehalten wird. Zwar soll er nun im Lichte der Tierwürde ausgelegt werden. Wenn jedoch als Beispiel auf „rein ökonomische Erwägungen“ verwiesen wird, die danach „nicht mehr wie bisher“ zur Rechtfertigung dienen sollen (S. 239, ähnlich bereits S. 158 f.),
entspricht dies bereits der jetzigen Auslegung des Bundesverwaltungsgerichts.[4]
Insgesamt besticht die Arbeit durch ihre vielschichtige und nuancierte Argumentation, die keine Mühen scheut, um ein konsistentes und gut ausgeleuchtetes Gedankengebäude zu errichten. Auf diese Weise trägt sie maßgeblich dazu bei, die Tierwürde-Diskussion, die sich zunehmend im Kreis zu drehen schien, neu zu beleben. Kleinere Lücken und Unsauberkeiten tun diesem Verdienst keinen Abbruch. Die vorgeschlagene Einführung einer Fahrlässigkeits- und einer Versuchsstrafbarkeit war bereits Gegenstand der jüngst geplanten Reform des Tierschutzgesetzes,[5] die auf den letzten Metern allein am Bruch der Regierungskoalition gescheitert ist. Nicht nur allen im Tierrecht wissenschaftlich und praktisch Tätigen, sondern auch dem Gesetzgeber ist daher die Lektüre der hier besprochenen Arbeit wärmstens zu empfehlen.
Der Verfasser ist Wissenschaftlicher Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Hamburg. Kontakt: aiwanger@mpipriv.de.
[1] Siehe etwa Kurki Journal of Animal Law, Ethics and One Health 2024, 9; Bernet Kempers Liverpool Law Review 41 (2020), 173.
[2] Siehe etwa Cupp Pace Environmental Law Review 33 (2016), 517, 523.
[3] Vgl. hierzu Waldron, Dignity, Rank and Rights, 2012; Fasel, More Equal Than Others, 2024, S. 51 ff. m.w.N.
[4] BVerwG NJW 2019, 3096.
[5] BT-Drs. 20/12719, S. 21, 76.