Braucht das Strafrecht eine „Kritik der Gewalt“?[1]

Reference: NSW 2024, 355-372
DOI: 10.61039/29427509-2024-27

Gewalt ist der Ausgangspunkt des Strafens. Zugleich ist das Strafen selbst die Ausübung staatlicher Gewalt. Das Strafrecht muss sich daher der Auseinandersetzung mit dem Gewaltbegiff immer wieder stellen. Der Beitrag arbeitet unterschiedliche Gewaltbegriffe und Verwendungen multidisziplinär heraus und tritt mit Blick auf das Strafrecht für eine Differenzierung ein: Gewalt als Handlung iSe Tatbestandsmerkmals und phänomenologische Gewalt. Erstere muss eng in den strafrechtlichen Kategorien gehandhabt werden, Zweitere darf nicht reflexartig als Legitimationsgrundlage für Neukriminalisierung herangezogen werden. Wenn Anlass für Neukriminalisierung besteht, so ist die „phänomenologische Gewalt“ in klare Tatbestandsmerkmale zu „übersetzen“, da ansonsten eine dem Bestimmtheitsgrundsatz zuwiderlaufende Instrumentalisierung des Gewaltbegriffs droht.

A. Immer weniger oder immer mehr Gewalt?

Steven Pinker ist mit seinem Werk „Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit“[2] mit der These berühmt geworden, dass Gewalt rückläufig sei; es soll weniger Tötungsdelikte geben, weniger Kriege etc., die Menschheit werde friedlicher.[3]

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Sie scheint beim ersten Zugriff recht eingängig: wir foltern nicht mehr öffentlich auf Marktplätzen, das elterliche Züchtigungsrecht ist zurückgedrängt, Körperstrafen sind abgeschafft – haben wir hier nicht eindeutig einen Rückgang der Gewalt?[4]

Aber doch wird diese These zunehmend kritisch gesehen. So fragt beispielsweise Lee, was es bringe, Gewalt in diesem Sinne zu quantifizieren, wenn eine einzige Atombombe die Kraft hat, die Menschheit zu bedrohen und wir weiterhin solche Waffen entwickeln.[5]

Heute finden – gewissermaßen entgegengesetzt zu Pinker – Diskurse statt, in denen der Begriff „Gewalt“ nicht zurückgedrängt, sondern im Gegenteil immer häufiger gebraucht wird: strukturelle Gewalt, psychische Gewalt, digitale Gewalt, ökologische Gewalt.[6]

Diese auf den ersten Blick scheinbar gegenläufige Entwicklung fordert auch das Strafrecht heraus: Ist der strafrechtliche Gewaltbegriff nun vor diesem Hintergrund zu eng oder zu weit? Brauchen wir in der gewaltsensiblen Gesellschaft die Kriminalisierung weiterer Formen der Gewalt oder ist dies schon wegen des möglichen Rückgangs von Gewalt gerade nicht erforderlich?

Ausgangspunkt der hiesigen Untersuchung soll daher die Frage sein, ob bzw. in welchem Umfang tatsächlich zwei gegenläufige Entwicklungen vorliegen, und welche Stellung dem Strafrecht diesbezüglich zukommt. Insoweit kommt sogar noch eine weitere Dimension hinzu. Gewalt ist nämlich nicht nur ein zentraler Ausgangspunkt des Strafens und der Kriminalisierung. Vielmehr ist auch das Strafen selbst die Ausübung staatlicher Gewalt. Das Strafrecht muss sich daher der Auseinandersetzung mit dem Gewaltbegiff immer wieder stellen.

Ausgehend von der von Walter Benjamin in seinem Beitrag „Zur Kritik der Gewalt“ vorgenommenen Rechts- und Gewaltanalyse und deren

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Kategorisierungen bzw. Differenzierungen soll der Frage nachgegangen werden, ob und inwieweit wir durch das und im Strafrecht selbst eine „Kritik der Gewalt“ brauchen.

Die von Benjamin vorgenommene Unterscheidung nach Mittel und Zweck und seine Konzentration bzgl. der Legitimation auf das Mittel selbst wird zunächst skizziert (B.I.); diese Ausdifferenzierung bietet die Möglichkeit auch in der Rekonstruktion der Begriffsverwendung Schwachstellen und später im Strafrecht Verschleifungen[7] aufzuzeigen. Es werden semantische Bedeutungen und soziologische Perspektiven auf Gewalt erörtert (dazu B.II. und III.), bevor der Gewaltbegriff im Strafrecht behandelt wird (C.), wobei das nationale Recht, jedoch auch die Verwendung im Völkerstrafrecht analysiert wird. Von dort erfolgt die Rückkehr zu einer „strafrechtlichen Kritik der Gewalt“ (D.). Diese interdisziplär angelegte Analyse[8] möchte die Perspektive auf den Gewaltbegriff in einem ersten Schritt weiten und hierdurch im zweiten Schritt zu einer hinreichend bestimmten (und letztlich daher engen) Konturierung des Gewaltbegriffs im Strafrecht beitragen.

Die übergreifende These lautet dabei vorläufig: Gewalt muss in mehrere Begriffsebenen zerlegt werden. Zu differenzieren ist zwischen einer explizit pönalisierten Gewalthandlung und einer z.T. implizit kriminalisierten Gewalt in einem weiteren phänomenologischen Sinne. Eine gewisse Synthese dieser analytischen Trennung wird Anhaltspunkte sowohl für die Kriminalisierungs- wie auch die Auslegungsfrage liefern.

B. Grundlagen

I. Walter Benjamin: das Mittel selbst

Der Begriff der Gewalt nimmt im rechtsphilosophischen Diskurs eine wichtige Rolle ein. Es geht u.a. um nicht weniger als die zentralen Fragen, ob und wie sich eine monopolisierte staatliche Zwangsgewalt überhaupt legitimiert und wie diese Legitimation ggf. mit der notwendigen Unterbindung – befürchteter oder vorgefundener – privater Gewalt zusammen­hängt.[9]

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Auf dieser ganz grundsätzlichen Ebene setzt Walter Benjamins Kritik der Gewalt an. Er geht aber noch einen Schritt weiter zurück:

„…die Frage, ob Gewalt überhaupt, als Prinzip, selbst als Mittel zu gerechten Zwecken legitim sei. Diese Frage bedarf zu ihrer Entscheidung denn doch eines näheren Kriteriums, einer Unterscheidung in der Sphäre des Mittels selbst, ohne Ansehung der Zwecke, denen sie dienen.“[10]

In Benjamins Analyse kann Gewalt immer nur Mittel sein, und sollte auch unabhängig vom Zweck, zu dem sie eingesetzt wird, kritisiert werden, sie muss also als Mittel selbst „sittlich“ sein. Er kontrastiert hierzu das naturrechtliche Denken, das Gewalt in gewisser Weise als gegeben voraussetzt und sie in Abhängigkeit der Zwecke als legitim oder illegitim ansieht; diesem lastet er das Ausschalten seiner noch kritischeren Fragestellung an.[11] Die von ihm ausstrukturierte Antinomie, die sich ergeben kann, wenn Zweck und Mittel je für sich untersucht werden, führt dazu, dass divergierende Ergebnisse eintreten können: zB berechtigtes Mittel, ungerechtfertigter Zweck oder umgekehrt.[12] Eine vergleichbare, differenzierende Analyse gibt das Strafrecht in § 240 II StGB auf, wenngleich mit anderer Schlussfolgerung; hier findet sich quasi eine erste Brücke ins Konkrete, ins Strafrecht, auf die später zurückzukommen sein wird. Mit Blick auf die hiesige Fragestellung (ob und inwieweit wir durch das und im Strafrecht selbst eine „Kritik der Gewalt“ brauchen) soll von Walter Benjamins „Kritik der Gewalt“ zweierlei[13] in die folgende Analyse mitgenommen werden:

1. Es ist zentral, Gewalt als Mittel selbst in den Fokus zu nehmen (Ebene der Straftatbestände).
2. Wenn Staatsgewalt iSv Strafgewalt zum Einsatz kommt, muss sich diese einer Kritik iSe Begrenzung aussetzen („Ob“ und „Wie“ von Neukriminalisierungen).

II. Sprachliche/semantische Befunde

Um, an Benjamin anknüpfend, an den Begriff der Gewalt an sich

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heranzukommen, sollen einige semantische Überlegungen angestellt werden: „Gewalt“, was auf den indogermanischen Stamm „val“, im Sinne von „Macht haben“, „beherrschen“ zurückgeht,[14] war lange ein wertneutraler Begriff.[15] Er entsprach primär dem lateinischen „potestas“ iSv. legitimer Herrschaft,[16]war also eher positiv besetzt.

Erst später trat eine „negative“ semantische Dimension im Sinne unrechter, destruktiver „vis“ daneben.[17]Anders als im Deutschen finden wir in den romanischen Sprachen für diese vis-Dimension von Gewalt eigene Worte,[18] etwa im Italienischen „violenza“, im Spanischen „violencia“[19] oder eben „violence“. Daneben tritt in diesen Sprachen dann „power“ und „force“ für „Macht“ und „Kraft“[20], die beiden letzten Begriffe existieren also ähnlich im Deutschen, anders hingegen ist es mit der vis-Dimension: hier fehlt im Deutschen das Äquivalent zu „violence“, sprich: hier fehlt ein „eigenes Wort“.

Die Herausforderung, die wir aus der sprachlichen Kurzanalyse mitnehmen, ist daher einerseits die große Weite, die große Inklusionskraft des deutschen Begriffs „Gewalt“, die andererseits zugleich jedoch eine kritische Kraft in sich birgt, indem potestas – neben vis – zugleich Analysegegenstand ist, zugleich als Gewalt erscheint. Auch die potestas an sich, die möglicherweise legitime staatliche Zwangsgewalt, muss mit Benjamin also erst einmal herausgefordert werden.

III. Soziologische Perspektive

Mit der Unterscheidung von vis und potestas bewegen wir uns noch in einem sehr klassischen juristisch-philosophischen Diskussionskontext. Ein eher „moderner“ soziologischer Zugang zeigt jedoch, dass die Zuordnung zu Gewalt als Begriff und Kontext heute noch deutlich

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mehrschichtiger und zugleich „diffuser“ ist.[21] Er reicht etwa von physischen und psychischen Verletzungen über „ungehobeltes“ Verhalten im Straßenverkehr oder im Sport bis hin zu gesellschaftlicher Diskriminierung.[22] Will man sich der Gewalt auf dieser Weise annähern, so kann man es gut mit Trutz von Trotha halten: „Eine genuine Soziologie der Gewalt muss […] beginnen […] mit einer Phänomenologie der Gewalt“.[23]

Ausgangspunkt sind auch in der Soziologie oft Ansätze, die auf ein physisches (violentia, violence) Element fokussieren und damit von der interaktiven sozialen Handlung unter Personen ausgehen. So setzt bspw. Reemtsma am Körper an, und unterscheidet lozierende Gewalt (also die Ortsveränderung), raptive Gewalt (an sich reißen, u.a. sexualisierte Gewalt) und autotelische Gewalt (Zerstören).[24]

Es finden sich aber wichtige Kategorisierungen von Gewalt, die darüber hinausgehen, und neben physischer auch psychische, institutionelle, strukturelle sowie kulturelle oder auch symbolische Gewalt anerkennen. Hervorheben möchte ich in diesem Kontext den von Galtung geprägten Begriff der strukturellen Gewalt, die er bezeichnet „as the cause of the difference between the potential and the actual, between what could have been and what is“.[25] Bereits dieser Zustand an sich, quasi die Abweichung der Strukturen von den Idealbedingungen, wird als Gewalt qualifiziert, nicht erst das, was aus dem Zustand vielleicht folgt. Der Gewaltbegriff Galtungs wurde freilich auch stark kritisiert, für seine Weite und seine Unschärfe.[26] Dennoch hat er den nicht zu unterschätzenden Verdienst, dass er für Gewalt nicht mehr nur auf Personen (die Mikro-Ebene) abstellt, weglenkt vom Kampf „Mann-gegen-Mann“[27], sondern auch machtkritische Perspektiven auf Misstände auf der Meso- und Makro-Ebene eröffnet.

In dieser Hinsicht wichtig war auch der von Bourdieu geprägte Begriff der symbolischen Gewalt: die in Begriffen, Sprache und

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Symbolsystemen unausgesprochene, auch unbewusste Reproduktion und Verdeckung von Herrschaftsverhältnissen.[28] In diese Richtung zielt auch eine poststrukturalistische Auseinandersetzung mit Gewalt. So weist uns etwa eine sprachliche Kritik des binären und letztlich kontingenten Klassifikationsschemas von legitimer und illegitimer Gewalt auch auf die Gewalt des Rechts (Derrida)[29] hin, dessen Unterscheidung zwischen Ordnung und Unordnung eine vorstrukturierte Entscheidung ist, die bestimmte Verhaltensweisen und Strukturformen exkludiert und abwertet, andere hingegen privilegiert.[30]

Insgesamt kann man sagen: Gewalt wird zunehmend als Oberbegriff für bestimmte Schädigungen gebraucht, wobei die soziologische Perspektive nicht bei der Person verharrt, sondern hin zur Struktur, zum Symbol, zum Diskursiven, zum Reflexiven geht; dies spiegelt sich im gesellschaftlichen Diskurs wieder. In diesem Zusammenhang lässt sich ein ideologischer Kampf um die gesellschaftliche Deutungshoheit von Gewalt beobachten, der eben auch mit den Mitteln des Strafrechts – sowohl auf der Ebene der Anwendung des geltenden Rechts, als auch in Debatten um Neukriminalisierung – geführt wird.

Daran anschließend ist nun zu fragen, welchen Stellenwert diese weitere soziologische Begriffsbildung für das Strafrecht, auf das nun im Folgenden genauer eingegangen wird, haben kann. Denn das Strafgesetz selbst kann seiner grundlegenden Struktur nach nur Handlungen[31]pönalisieren, keine Strukturen, und auch Symbole nur, soweit sie sich in Handlungen materialisieren. Inwieweit finden sich aber ggf. mittelbar Anhaltspunkte für unterschiedliche Gewaltbegriffe im geltenden Recht?

C. Strafrechtliche Dimensionen von Gewalt

I. Nationales Recht

Um hier die Diskussion zwischen den Disziplinen etwas weiterzuführen, bietet es sich an, zunächst in einer Art „Meta-Blick“ auf das StGB zwei

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Gewaltformen zu unterscheiden: die explizit im StGB geregelte Gewalt, und die im StGB implizit aufgegriffene phänomenologische Gewalt.

1. Explizite Gewalt, insbesondere als Tathandlung

Unter „explizite Gewalt“ werden zunächst solche Tatbestände gefasst, in denen Gewalt explizit im Wortlaut vorkommt. Eine systematische Textanalyse zeigt dann, dass dies 39, also immerhin 12% aller Strafnormen, sind.[32] Darunter sind etwa Nötigung (§ 240 StGB), Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB), Raub (§ 249 StGB) und Erpressung (§ 253 StGB), Vergewaltigung (§ 177 V StGB), aber auch Hochverrat (§ 81 StGB), Wahlbehinderung (§ 107 StGB), Wählernötigung (§ 108 StGB) oder Landfriedensbruch (§ 125 StGB). Dabei wird Gewalt in einer Subgruppe dieser Tatbestände – wie beim Prototyp der Nötigung – als Tathandlung verwendet.[33] Gewalt wird hier als Mittel zur Verletzung bzw. Schädigung unterschiedlicher Rechtsgüter pönalisiert. Andere Delikte erwähnen zwar explizit die Gewalt, diese ist jedoch nicht als Tathandlung in diesem Sinne zu verstehen.[34]

Bei einer Systematisierung iSe einer Kategorisierung dieser Tatbestände fällt zweierlei auf: Gewalt ist nie Qualifikationsmerkmal einer Erfolgsqualifikation, sondern lediglich Qualifikationsmerkmal einer Handlungsqualifikation. Weiter zeigt sich: Gewalt als Handlung kommt nie beim Fahrlässigkeitsdelikt vor. Umgekehrt gesagt: Die explizite

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Gewalthandlung hat immer ein doloses Element, obwohl es sich um ein objektives Tatbestandsmerkmal handelt.

Betrachtet man die Rechtsgüter, die von den Delikten geschützt werden, bei denen Gewalt explizit im Tatbestand vorkommt, so wird deutlich, dass diese relativ breit gestreut sind. Recht zentral sind Ausprägungen der persönlichen Freiheit, aber auch Rechtsgüter aus den Eigentums- und Vermögensdelikten sind häufiger vertreten.

2. Implizite phänomenologische Gewalt, auch als Erfolg

Kommen wir zur impliziten Gewalt: Darunter sind hier solche Delikte gefasst, die in einem phänomenologischen Sinne Gewalt voraussetzen, ohne dass das Gesetz diese Gewalt als explizites Tatbestandsmerkmal oder gar als Handlung verwendet. Die Körperverletzung bildet gewissermaßen den phänomenologischen Kern der Gewalt, denn zweifelsohne stufen wir z.B. einen Faustschlag begrifflich als Gewaltstraftat ein, Tatbestandsvoraussetzung ist aber die körperliche Misshandlung oder Gesundheitsschädigung. Die Grenzen sind hier freilich äußerst fließend, was mit dem vagen phänomenologischen Begriff der Gewalt zusammenhängt. Ist auch die Beleidigung als „gewaltsame“ Symbolik „Gewalt“straftat in diesem weiteren Sinne? Pönalisiert die Nachstellung gem. § 239 StGB Gewalt im Sinne einer psychischen Gewalt, die zudem wohl nicht selten auf struktureller(n) (wohl auch patriarchalen) Gewalt(ursachen) beruht?

Schaut man von da aus mit einem eher „weiten Blick“ ins StGB, fokussiert also nicht auf das körperliche Element, so könnte man zumindest weitere 67 Strafnormen zählen (dies entspricht 21% aller Strafnormen; insgesamt, zusammen mit den expliziten und impliziten Gewalt-Delikten, also einem Drittel aller Normen).[35]

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Diese Zählung ist jedoch nicht so entscheidend, es ist sehr gut denkbar, hier auch im Einzelnen andere Grenzen zu ziehen[36]. Wichtiger ist vielmehr ein analytischer Befund, der sich gleichsam aufdrängt: Implizit pönalisierte Gewalt im phänomenologischen Sinne kann als solche nur abhängig von der Rechtsgutsverletzung bzw. einer bestimmten Schädigung definiert werden. In strafrechtlichen Kategorien ausgedrückt kann die implizite, kriminalisierte phänomenologische Gewalt also nur im Zusammenspiel von Handlung und Erfolg rekonstruiert werden.

Dies wird unterstrichen durch eine systematisierende Analyse der Rechtsgüter bei den Tatbeständen „impliziter“ Gewalt: Hier zeigt sich, dass eine stärkere Individualisierung vorherrscht, wir offenbar noch von diesen typischerweise von Gewalt betroffenen Einzelrechtsgütern her denken –die Grenzziehung („was ist implizite Gewalt?“) fällt deutlich leichter. Hier stehen nämlich die Körperlichkeit, das Leben, aber auch das Eigentum (wenn man von Gewalt gegen Sachen sprechen möchte) im Vordergrund. Es scheint so, dass unser Denken im ersten Zugriff eben an diese tradierten, auch besser greifbaren Rechtsgüter anknüpft; umso weiter wir uns davon entfernen, desto schwieriger fällt die Entscheidung.

Ein Unterschied zur expliziten Gewalt(handlung) zeigt sich auch bei der Dichotomie Vorsatz vs. Fahrlässigkeit: Denn bei der impliziten Gewalt entscheidet der Vorsatz nicht zwingend über das Vorliegen der Gewalt, sondern ggf. nur über deren Intensität. Deutlich wird dies an einem leicht zugänglichen Beispiel: Es gibt etwa auch eine fahrlässige

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Körperverletzung, die man phänomenologisch ganz unschwer als körperliche Gewalt bezeichnen kann.

II. Völkerstrafrecht

Vor dem Versuch, eine Art Synthese zwischen der expliziten und impliziten Ebene vorzunehmen, lohnt es sich, noch einen kurzen Seitenblick ins Völkerstrafrecht zu machen.

Das Völkerstrafrecht ist insofern besonders interessant, als es die Phänomenologie der Gewalt in gewisser Weise komplettiert, indem es uns nämlich daran erinnert, dass auch staatliche Akte „Gewalt“ in einem strafrechtlich relevanten Sinne sein können. Das Völkerstrafrecht richtet sich seiner historischen Wurzel nach primär gerade gegen die – auch von Walter Benjamin in den Blick genommene – Staatsgewalt.[37] Es werden hier Akte scheinbar legitimer potestas als das entlarvt, was sie auch sein können: strafbare Handlungen.[38]

Zugleich kann hier die semantische Analyse wieder aufgegriffen werden. Denn im Gegensatz zum StGB kommen im Völkerstrafrecht verschiedene Gewaltbegriffe[39] mit jeweils unterschiedlich gelagerten Bedeutungsgehalten zum Einsatz. Für Gewalt im Sinne von Herrschaftsgewalt werden vor allem „power“ und „capacity“ eingesetzt.[40] Körperliche Gewaltanwendungen werden vor allem als „violence“ und „force“ bezeichnet,[41] wobei „force“ daneben oft auch für die vis compulsiva verwendet wird. Eine Parallele zur expliziten Gewalthandlung im nationalen Strafrecht ergibt sich insoweit als „violence“ und „force“ ein doloses Element voraussetzen.[42] Sie sind also, wie die explizite Gewalthandlung im StGB, nicht mit Fahrlässigkeit kombinierbar,[43] was freilich auch der auf

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den Vorsatz ausgerichteten Natur des Völkerstrafrechts an sich entspricht.[44]

Nicht immer lässt sich dabei das geschützte Rechtsgut der Norm unmittelbar konkretisieren. Gerade im Völkerstrafrecht beziehen sich Gewaltbegriffe oft (auch) auf das Kontextelement[45] der Verbrechen. Das geschützte Rechtsgut ist dann nur in der Zusammenschau der jeweiligen Einzeltat mit dem Kontextelement bestimmbar.[46]

Daneben werden Formulierungen verwendet, die eine körperliche Gewaltanwendung umschreiben, ohne jedoch einen klaren Gewaltbegriff zu beinhalten.[47] Diese Tatbestände setzen ihrerseits zwar phänomenologisch körperliche Gewalt voraus oder umfassen diese zumindest, ohne dies jedoch explizit zum Tatbestandsmerkmal zu erheben.

Dass mit der größeren Begriffsvielfalt – plastisch in der folgenden Abbildung ablesbar – im Völkerstrafrecht aber die rechtlichen Streitfragen um die Gewalt geklärt sind, lässt sich freilich nicht behaupten. So finden etwa Diskussionen um den konkreten Bedeutungsgehalt von „violence“ und „force“ statt, in denen jeweils nicht nur körperliche Gewaltanwendung i.e.S. als erfasst angesehen wird, sondern neben zwangsbegründenden Umständen insbesondere auch auf die Gleichwertigkeit psychischer Gewalt hingewiesen wird.[48]

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Abbildung 1: Häufigkeit der „Gewalt“begriffe im Völkerstrafrecht

D. Neuer Anlauf: Kritik der Gewalt im Strafrecht

Vor diesem Hintergrund soll zum Ausgangspunkt und zur Frage, ob und inwieweit wir durch das und im Strafrecht selbst eine „Kritik der Gewalt“ brauchen, zurückgekehrt werden.

I. Rechtsanwendungsebene („im Strafrecht“)

Begonnen werden soll diese Synthese zwischen phänomenologischer impliziter und expliziter Gewalt auf der Rechtsanwendungsebene, am Beispiel der Gewalt im Tatbestand der Nötigung.

Auf den ersten Blick könnte man fragen, ob nicht eigentlich ein psychischer, vergeistigter Gewaltbegriff[49] eher dem in Bezug auf phänomenologische Gewalt in sympathischer Weise[50] sensiblen Zeitgeist entspricht? Dieser vergeistigte Gewaltbegriff findet seinen Grund gerade „in dem Bestreben, die Willensfreiheit in wirksamer Weise auch gegenüber solchen strafwürdigen Einwirkungen zu schützen, die zwar sublimer, aber ähnlich wirksam wie körperlicher Kraftaufwand sind“.[51]

Ggf. drängt die oben gemachte Unterscheidung aber auch in eine ganz umgekehrte Richtung, indem sich die Frage aufdrängt: Wie weit darf sich

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in einem Strafrecht, das sich auf die Bestimmtheit und Konturiertheit seiner Begriffe verlassen können muss, Gewalt als Handlung eigentlich vom phänomenologischen Kern der Gewalt als Körperverletzung entfernen?

Die damit angesprochene Diskussion um ein physisches Element der Gewalt[52] hat sich interessanterweise nicht unerheblich anhand der Frage entwickelt, in welchem Umfang ziviler Ungehorsam als Protest gegen die Staatsgewalt „Gewalt“ darstellt.[53] In diesem Zusammenhang hat das BVerfG in seiner zweiten Sitzblockadenentscheidung den vergeistigen Gewaltbegriff ausdrücklich für verfassungswidrig erklärt.[54] Es hat zu Recht hervorgehoben, dass sich dieser von der strafrechtlichen Codierung von Gewalt als Handlung eigentlich entfernt.[55] Vergeistigte Gewalt ist nämlich rein vom Erfolg her gedacht, wobei es auch nicht um einen körperbezogenen Erfolg, sondern allein um die Zwangswirkung, die Beeinträchtigung der Willensentschließungsfreiheit geht. Das BVerfG wendete sich gegen diese Entgrenzung bekanntlich mit einem Argument, das man heute als Ausprägung des sog. Verschleifungsverbotes deuten würde. „Da die Ausübung von Zwang auf den Willen Dritter bereits im Begriff der Nötigung enthalten ist und die Benennung bestimmter Nötigungsmittel in § 240 II StGB die Funktion hat, innerhalb der Gesamtheit denkbarer Nötigungen die strafwürdigen einzugrenzen, kann die Gewalt nicht mit dem Zwang zusammenfallen, sondern muß über diesen hinausgehen“.[56] Man könnte dies noch etwas schärfer und weitergehender formulieren: wenn Gewalt Handlung ist, muss die Grenzziehung eben auch strikt handlungsbezogen erfolgen.

Ob freilich der durch die sog. Zweite-Reihe-Rechtsprechung des BGH[57] heute erreichte Stand diesem ursprünglich scharf formulierten verfassungsrechtlichen Verschleifungsverbot wirklich standhält, muss durchaus bezweifelt werden.[58] Die Rechtsprechung, die es als entscheidend

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ansieht, dass Demonstrierende zwar – der physischen Möglichkeit nach betrachtet – einfach überfahren werden könnten, nicht aber die erste aufgestaute Reihe von Fahrzeugen,[59] setzt wieder an der falschen Stelle an, nämlich immer noch an der Stärke der Zwangswirkung, der Willensbeeinträchtigung, also auf der Erfolgsseite.

Nimmt man demgegenüber den handlungsbezogenen Kern der Gewalt ernst, so kann die Zweite-Reihe-Rechtsprechung auch nicht über die Dogmatik der mittelbaren Täterschaft gerechtfertigt werden: Vielmehr liegt es nahe, dass dem täterseitigen Handlungselement der Gewalt ein Momentum der Eigenhändigkeit innewohnt, das den Regeln der mittelbaren Täterschaft insoweit vorgeht.[60] Die zweite Sitzblockadenentscheidung des BVerfG deutete denn auch eigentlich in Richtung des sog. klassischen Gewaltbegriffs, in dem sie darauf verwiesen hat, dass sich „mit dem Mittel der Gewalt im Unterschied zur Drohung von Anfang an die Vorstellung einer körperlichen Kraftentfaltung auf Seiten des Täters“[61] verbinde. Heute müssen wir dieses spezielle Handlungserfordernis der körperlichen Kraftentfaltung in einer zunehmend technisierten Welt freilich moderner begreifen: es kann auch durch einschlägige Techniken perpetuiert werden (Revolver, Drohne etc.), aber handlungsbezogen und wohl auch körperbezogen müsste es bleiben.

Bei sezierender Analyse des Nötigungstatbestands zeigt sich nämlich, dass die Frage der Willensbeugung an sich gar keine Frage der Gewalt, sondern vielmehr des Nötigungserfolgs, bzw. jedenfalls die Brücke[62] zu diesem markiert. Das willensbeugende bzw. zwingende Element geht im Abnötigen auf, und dieses Abnötigen manifestiert sich dann weiter in der abgenötigten Handlung, Duldung oder Unterlassung, das ist die Manifestation der Willensbeugung bzw. Willensausschließung: In diesem Sinne wäre auch der Streit um vis absoluta und vis compulsiva[63] an sich bei diesem Merkmal, dem Abnötigen, und nicht bei der Frage der Gewalt zu führen, dies ist mE eine davon zu trennende Frage.

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II. Kriminalisierungsebene („durch das Strafrecht“)

Auf der Kriminalisierungsebene ist die Frage zu stellen: Wie soll das Strafrecht mit einem möglicherweise expansiven soziologisch-phänomenologischen Gewaltverständnis umgehen?

Insbesondere ein strukturelles Gewaltverständnis, das vielen modernen gesellschaftlichen Debatten zugrunde liegt, ist in gewisser Hinsicht zunächst unvereinbar mit strafrechtlichen Kriminalisierungskategorien. Zwar wird in diesen Debatten durchaus vom Erfolg her gedacht, phänomenologische Gewalt ist ja als bestimmte Form der Schädigung definiert, was auch der Grammatik etwa der Rechtsgutslehre oder dem sog. harm principle[64] etc. entspricht. Aber Bezugspunkt ist nicht ohne Weiteres ein strafrechtliches Verständnis des Erfolges im Sinne einer Rechtsgutverletzung oder -gefährdung, sondern man geht häufig schlicht von einem unerwünschten Zustand oder gesellschaftlichem Problem aus. Von diesem Endpunkt ausgehend werden „rückwärts“ die Handlungen, die zu diesem geführt haben, als „Gewalt“ bezeichnet. Das läuft einer direkten Fruchtbarmachung für das Tatstrafrecht insofern zuwider, als dieses eben zwingend zuerst an die individuelle Handlungsweise anknüpfen und von dort zum schädigenden Erfolg gelangen muss. Deswegen ist im Strafrecht de lege lata phänomenologische Gewalt immer spezifiziert als eine bestimmte Handlung verbunden mit einem bestimmten Erfolg. Dies darf sich freilich auch bei Fragen nach Neukriminalisierungen nicht ändern.

Die Analyse zeigt also gewissermaßen ein Kommunikationsproblem auf, das daraus resultiert, dass man sich beiderseits des gleichen Instrumentariums bedient, des Begriffs „Gewalt“, der in beiden Sphären jedoch vollständig anders codiert ist. Sich einer Kriminalisierung zu verweigern, bedeutet dabei nicht zwingend mangelnde Sensibilität gegenüber den gesellschaftlichen Problemen, sondern ist bisweilen schlicht positiv Ausdruck eines „humanen Umgangs mit Abweichung“[65] in Anlehnung an Hassemer, bzw. eben einer Zurückdrängung punitiver strafender Staatsgewalt.

Natürlich ist umgekehrt aber nicht jede phänomenologische Verwendung des Gewaltbegriffs in diesem Sinne problematisch für eine

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Neukriminalisierung. Erwähnt sei an dieser Stelle einer der aktuell meistdiskutiertesten Kandidaten phänomenologischer Gewalt, der (bei uns) noch nicht vollständig kriminalisiert ist: die ökologische Gewalt[66]. Auch hier zeigt sich im Ausgangspunkt, dass der Begriff der Gewalt soziologisch vom Erfolg her bejaht wird: der Schaden, der verursacht wurde, ist in der ökologischen Sphäre (Umwelt) bzw. dann vermittelt auch am Menschen selbst festzustellen, und daraus wird auf die Handlung geschlossen – „das muss Gewalt sein!“. So bezeichnen Studien der sog. green criminology Wirtschaftsumweltstraftaten als „corporate violence“[67]. Diese hätten mehr Tote zur Folge als die übrige Gewaltkriminalität. Tombs & Whyte werteten aus, dass infolge wirtschaftsbedingter Luftverschmutzungen etwa 800.000 Menschen pro Jahr vorzeitig sterben.[68] Das Problem bleibt aber die Handlung; sie ist – vor dem Hintergrund der globlisierten Verantwortungsdiffusion – schwer zu greifen: Wer hat was genau getan, wer hat inwiefern auf unerlaubt gefährliche Weise zur Schädigung (ggf. auch nur kumulativ) beigetragen. In einem vielleicht ganz neu zu konzipierenden Klimastrafrecht[69] müsste es dann darum gehen, nicht auf den (rechts-)politisch womöglich hilfreichen, im strafgesetzlichen Kontext aber nicht unmittelbar zielführenden Begriff der (ökologischen) „Gewalt“ zu setzen, sondern die pönalisierten Handlungen anhand ihrer konkreten Schädlichkeit für hinreichend präzise definierte Rechtsgüter klar zu benennen.

E. Fazit

Man sollte also juristisch bei einem restriktiven Verständnis von Gewalt als Handlung bleiben. Orientiert man sich daran, ergibt sich daraus auf der Rechtsanwendungsebene ein Nebenprodukt, das Walter Benjamin, dem Pionier der handlungsbezogenen Problematisierung der Gewalt, an sich gefallen hätte: Ziviler Widerstand gegen Staatsgewalt ist nicht

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zwingend Gewalt im strafrechtlichen Sinne, wenn man konsequent das Element der Willensbeugung von der Gewalt als Handlung trennt[70]. Für die Frage, wann Gewalt im phänomenologischen Sinne zu kriminalisieren ist, kann die Bezeichnung als Gewalt zwar (rechts-)politisch wirksam sein, sie darf aber nicht deshalb reflexartig bejaht werden, sondern muss sich den strengen Legitimationsanforderungen des Strafrechts als schärfstem Schwert des Staates, das immer nur letztes Mittel sein darf, stellen. Wird sie bejaht, so muss die phänomenologische Gewalt anhand gängiger Kriminalisierungskriterien hinreichend bestimmt in Straftatbestände „übersetzt“ werden.


Die Verfasserin ist Inhaberin des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminologie und Rechtssoziologie an der Universität Leipzig.

Die Autorin dankt ihren wiss. Mit. Hauke Bock, Dr. Felix Butz, Tim Festerling, Anouk Nicklas und Katharina Siepmann herzlich für Unterstützung bei der Recherche und kritisches Feedback.

[1] Titel in Anlehnung an den Aufsatz Walter Benjamins, Zur Kritik der Gewalt, in: Benjamin, Zur Kritik der Gewalt und andere Aufsätze, 1. Aufl. 1965, im Weiteren zitiert nach 16. Aufl., 2023.

[2] Pinker, The better angels of our nature: why violence has declined, 2011, in deutscher Übersetzung von Vogel, 2011.

[3] „Violence has declined over long stretches of time.“, ebd., XXI; anschließend an Eisner British Journal of Criminology 41 (2001), 618 ff.; Elias, Über den Prozess der Zivilisation, 2 Bde., 1939.

[4] Zustimmend etwa Ziemann, Rez. Pinker, The better angels of our nature: why violence has declined, H-Soz-Kult, 30.3.2012, online unter: https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-16894.

[5] Lee, Violence. An Interdisciplinary Approach to Causes, Consequences, and Cures, 2019, 13.

[6] Siehe etwa Lindemann, Die ökologische Gewalt fordert längst Opfer, Zeit Online, 11.11.2022, online unter: https://www.zeit.de/kultur/2022-11/klimawandel-oekologische-gewalt-aktivismus-klimaschutz/komplettansicht; Horstmann, Unwriting Nature. Zur Kritik der ökologischen Gewalt, 2023; Galtung Journal of Peace Research6 (1969), 168 (s. dazu auch unten unter B. III.); Çelebi in Bartsch u.a. (Hrsg.), Gender & Crime: Geschlechteraspekte in Kriminologie und Strafrechtswissenschaft, 2022, 55 ff.; Meier in Beisel u.a. (Hrsg.), Die Kriminalwissenschaften als Teil der Humanwissenschaften, 2023, 847 ff.

[7] Dazu insbesondere unter D.I.

[8] Im Sinne eines Arbeitens, das am Konzept der „gesamten Strafrechtswissenschaften“ orientiert ist.

[9] Siehe zu einer ideengeschichtlichen Übersicht und weiteren Nachweisen etwa Kalthöner, Die Gewalt des Rechts. Analyse und Kritik nach Benjamin und Menke, 2021, 18 ff.

[10] Benjamin, Zur Kritik der Gewalt, in: Benjamin (Hrsg.), Zur Kritik der Gewalt und andere Aufsätze, im Weiteren zitiert nach 16. Aufl., 2023, 29 f.

[11] Vgl. ebd. 30 f.

[12] Vgl. ebd. 31.

[13] Freilich wäre es lohnenswert, Walter Benjamins „Kritik der Gewalt“ noch unter anderen Aspekten mit Blick auf das Strafrecht heranzuziehen.

[14] Faber/lIting/Meier in Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 3, 1982, 817, 923.

[15] Vgl. Bonacker/Imbusch in Imbusch/Zoll (Hrsg.), Friedens- und Konfliktforschung. Eine Einführung, 2006, 82 f.

[16] Faber/lIting/Meier in Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 3, 1982, 817, 924.

[17] Bloch, Legitimierte Gewalt, 2011, 50; Imbusch in Heitmeyer/Hagan (Hrsg.), Internationales Handbuch der Gewaltforschung, 2002, 30.

[18] Bonacker/Imbusch in Imbusch/Zoll (Hrsg.), Friedens- und Konfliktforschung. Eine Einführung, 2006, 82.

[19] ‚Violenza‘ in Lavacchi/Martínez (Hrsg.), Dizionario. Spagnolo – Italiano. Italiano – Spagnolo, 2000, 561.

[20] ‚Gewalt‘ in Jones (Hrsg.), The Oxford-Harrap Standard German – English Dictionary, Bd. 2, 1977, 85.

[21] Dazu Heitmeyer/Hagan in Heitmeyer/Hagan (Hrsg.), Internationales Handbuch der Gewaltforschung, 2002, 15.

[22] Imbusch in Heitmeyer/Hagan (Hrsg.), International Handbook of Violence Research, 2003, 13.

[23] Trotha in Trotha (Hrsg.) Soziologie der Gewalt, 1997, 19 f.

[24] Reemtsma in Rehberg (Hrsg.), Die Natur der Gesellschaft, 2008, 12 ff.

[25] Galtung Journal of Peace Research6 (1969), 168.

[26] Siehe zu einer Übersicht und zu weiteren Nachweisen etwa Endress in Staudigl (Hrsg.), Gesichter der Gewalt, 2014, 92 ff.

[27] Endress in Staudigl (Hrsg.), Gesichter der Gewalt, 2014, 100.

[28] Grundlegend Bourdieu, Sozialer Sinn, 1987; weitere Nachweise für die Anwendung des Konzepts durch Bourdieu auf unterschiedliche soziale Felder bei Moebius/Wetterer Österreichische Zeitschrift für Soziologie, 36 (2011), 1.

[29] Derrida, Gesetzeskraft. Der ‚mystische Grund der Autorität‘, 1991.

[30] Staudigl in Staudigl (Hrsg.), Gesichter der Gewalt, 2014, 18.

[31] Zur aktuellen Diskussion um das Erfordernis einer Handlung Roxin/Greco, Strafrecht AT I, 5. Aufl. 2020, § 8 Rn. 43c ff.

[32] Bei 320 Straftatbeständen im StGB (Stand: 18.6.24).

[33] Delikte mit einer Gewalthandlung: § 81 Hochverrat gegen den Bund, § 82 Hochverrat gegen ein Land, § 89a Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, § 89b Aufnahme von Beziehungen zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, § 105 Nötigung von Verfassungsorganen, § 106 Nötigung des Bundespräsidenten und von Mitgliedern eines Verfassungsorgans, § 107 Wahlbehinderung, § 108 Wählernötigung, § 113 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, § 115 Widerstand gegen oder tätlicher Angriff auf Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen, § 121 Gefangenenmeuterei, § 129a Bildung terroristischer Vereinigungen, § 177 Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung, § 232 Menschenhandel, § 232a Zwangsprostitution, § 232b Zwangsarbeit, § 234 Menschenraub, § 234a Verschleppung, § 235 Entziehung Minderjähriger, § 237 Zwangsheirat, § 240 Nötigung, § 244 Diebstahl mit Waffen; Bandendiebstahl; Wohnungseinbruchdiebstahl, § 249 Raub, § 250 Schwerer Raub, § 252 Räuberischer Diebstahl, § 253 Erpressung, § 255 Räuberische Erpressung, § 316c Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr, § 343 Aussageerpressung.

[34] Delikte mit expliziter Gewalt, ohne Tatmittel zu sein: § 89a Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, § 89b Aufnahme von Beziehungen zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, § 89c Terrorismusfinanzierung, § 91 Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, § 124 Schwerer Hausfriedensbruch, § 125 Landfriedensbruch, § 125a Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs, § 130 Volksverhetzung § 131 Gewaltdarstellung, § 184a Verbreitung gewalt- oder tierpornographischer Inhalte, § 225 Mißhandlung von Schutzbefohlenen, § 241a Politische Verdächtigung.

[35] Delikte mit impliziter Gewalt: § 80a Aufstacheln zum Verbrechen der Aggression, § 83 Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens, § 87 Agententätigkeit zu Sabotagezwecken, § 100 Friedensgefährdende Beziehungen, § 102 Angriff gegen Organe und Vertreter ausländischer Staaten, § 104 Verletzung von Flaggen und Hoheitszeichen ausländischer Staaten, § 109 Wehrpflichtentziehung durch Verstümmelung, § 109e Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln, § 114 Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte, § 126 Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten, § 129b Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland; Einziehung, § 174 Sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen, § 174a Sexueller Mißbrauch von Gefangenen, behördlich Verwahrten oder Kranken und Hilfsbedürftigen in Einrichtungen, § 174b Sexueller Mißbrauch unter Ausnutzung einer Amtsstellung, § 174c Sexueller Mißbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses, § 176 Sexueller Missbrauch von Kindern , § 176c Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern, § 176d Sexueller Missbrauch von Kindern mit Todesfolge, § 178 Sexueller Übergriff, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung mit Todesfolge, § 181a Zuhälterei, § 182 Sexueller Mißbrauch von Jugendlichen, § 184i Sexuelle Belästigung, § 185 Beleidigung, § 211 Mord, § 212 Totschlag, § 216 Tötung auf Verlangen, § 218 Schwangerschaftsabbruch, § 221 Aussetzung, § 222 Fahrlässige Tötung, § 223 Körperverletzung, § 224 Gefährliche Körperverletzung, § 226 Schwere Körperverletzung, § 226a Verstümmelung weiblicher Genitalien, § 227 Körperverletzung mit Todesfolge, § 229 Fahrlässige Körperverletzung, § 231 Beteiligung an einer Schlägerei, § 233a Ausbeutung unter Ausnutzung einer Freiheitsberaubung, § 238 Nachstellung, § 239 Freiheitsberaubung, § 239a Erpresserischer Menschenraub, § 239b Geiselnahme, § 251 Raub mit Todesfolge, § 303 Sachbeschädigung, § 304 Gemeinschädliche Sachbeschädigung, § 305 Zerstörung von Bauwerken, § 305a Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel, § 306 Brandstiftung, § 306a Schwere Brandstiftung, § 306b Besonders schwere Brandstiftung, § 306c Brandstiftung mit Todesfolge, § 306d Fahrlässige Brandstiftung, § 307 Herbeiführen einer Explosion durch Kernenergie, § 308 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, § 309 Mißbrauch ionisierender Strahlen, § 313 Herbeiführen einer Überschwemmung, § 315 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr, § 315b Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr, § 315d Verbotene Kraftfahrzeugrennen, § 316a Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, § 316b Störung öffentlicher Betriebe, § 317 Störung von Telekommunikationsanlagen, § 318 Beschädigung wichtiger Anlagen, § 324 Gewässerverunreinigung, § 324a Bodenverunreinigung, § 325 Luftverunreinigung, § 330 Besonders schwerer Fall einer Umweltstraftat, § 340 Körperverletzung im Amt.

[36] Denkbar wäre – entgegengesetzt – auch eine engere Fassung, orientiert bspw. an der Einordnung der Polizeilichen Kriminalstatistik (Summenschlüssel 892000 in der PKS), die nur schwere Formen körperlicher Gewalt erfasst.

[37] Vgl. nur Werle ZStW 109 (1997), 808, 828 f.

[38] Zur „Impunidad“ s. nur Ambos Neue Kriminalpolitik, 3/1997, 9, 9.

[39] Power, force, violence, capacity, coercion, control.

[40] Vgl. Römisches Statut des IStGH, Artikel 27 (Irrelevance of official capacity); IStGH, Elements of Crimes, Artikel 8 (2) (b) (x)-1 (War crime of mutilation).

[41] Vgl. Römisches Statut des IStGH, Artikel 8bis (Crime of aggression); Römisches Statut des IStGH, Artikel 8 (War crimes).

[42] Vgl. Römisches Statut des IStGH, Artikel 30 (Mental element).

[43] Vgl. IStGH, The Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, ICC-01/04-01/06, Pre-Trial Chamber I, Decision on the Confirmation of Charges, 29.1.2007, Rn. 355 Fn. 438; IStGH, The Prosecutor v. Jean-Pierre Bemba, Pre-Trial Chamber II, Decision Pursuant to Article 61(7)(a) and (b) of the Rome Statute on the Charges of the Prosecutor Against Jean-Pierre Bemba Gombo, 15.6.2009, Rn. 360, 363.

[44] Vgl. Römisches Statut des IStGH, Artikel 30 (Mental element); IStGH, The Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, ICC-01/04-01/06, Pre-Trial Chamber I, Decision on the Confirmation of Charges, 29.01.2007, Rn. 356; IStGH, The Prosecutor v. Jean-Pierre Bemba, Pre-Trial Chamber II, Decision Pursuant to Article 61(7)(a) and (b) of the Rome Statute on the Charges of the Prosecutor Against Jean-Pierre Bemba Gombo, 15.6.2009, Rn. 353; zur Erfassung von dolus eventualis s. Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl. 2020, Rn. 559 ff., zu Strafbarkeitserweiterungen s. ebd. Rn. 563 ff. sowie Ambos, Allgemeiner Teil des Völkerstrafrechts, 2. Aufl. 2002, S. 368 f.

[45] Vgl. hierzu die Behandlung der unterschiedlichen Ausformungen des Kontextelements völkerstrafrechtlicher Verbrechen bei Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl. 2020, Rn. 118 ff.

[46] So schützt das Einzelverbrechen “sexual violence” nur im Rahmen eines Kriegsverbrechens nach Art. 8 des Römischen Statuts primär die sexuelle Selbstbestimmung, während dieselbe Handlung im Rahmen des Genozids nach Art. 6 primär die Existenz einer bestimmten Gruppe und im Rahmen der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach Art. 7 primär die Menschheit als solche schützt (Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, 10. Aufl., 2022, § 16 Rn. 7, 32, 57).

[47] Dies sind: causing harm, causing / inflicting suffering, causing / inflicting injury, inflicting pain, (armed) attack, assault, mutilation, aggression, atrocity.

[48] Vgl. hierzu ICTY, The Prosecutor v. Blagojevik/Jokic, Trial Chamber I, Judgement, 17.1.2005, Rn. 596; ICTY, The Prosecutor v. Furundzija, IT-95-17/1-T, Trial Chamber, Jugdement, 10.12.1998, Rn. 180 m.w.N.; EGMR, CASE OF VOLODINA v. RUSSIA (Application no. 41261/17), Judgement, 9.7.2019, Rn. 74.

[49] BGHSt 23, 46, 53 f.; BGHSt 37, 350, 353.

[50] Freilich umstritten; aA wohl – jedenfalls für die Folgen – Rostalski, Die vulnerable Gesellschaft, 2024.

[51] BVerfGE 92, 1, 15

[52] Statt vieler Sinn, in Münchener Kommentar StGB, Bd. 3, 4. Aufl. 2021, § 240 Rn. 31 ff. mwN.

[53] Magnus NStZ 2012, 538, 540 f.; MüKo/StGB-Sinn, § 240 Rn. 139 ff.

[54] BVerfGE 92, 1.

[55] BVerfGE 92, 1, 17.

[56] BVerfGE 92, 1, 17.

[57] BGHSt 41, 182, 185 f.; s.a. BVerfGE 104, 92, 101 ff.

[58] Krit. ggü der Zweite-Reihe-Rechtsprechung s. exemplarisch etwa Zöller GA 2004, 155; Herzberg GA 1996, 557; Lesch StV 1996, 152. Vgl. zur aktuellen Diskussion um den Gewaltbegriff auch einige Beiträge im Rahmen der lebendigen Current Debate „Kleben und Haften“ auf dem Verfassungsblog, so u.a. von Groß, Lund, Lengauer (österreichische Perspektive), abrufbar unter https://verfassungsblog.de/category/debates/kleben-und-haften-ziviler-ungehorsam-in-der-klimakrise/.

[59] BGH NJW 1995, 2643, 2643 f.

[60] Freilich ist eine mittelbare Täterschaft auch nach den hiesigen Ausführungen bei der Nötigung möglich, aber mit der Anforderung, dass dann der Vordermann eben die Gewalt als Handlung verwirklichen muss, nicht ausreichend ist nach der hier vertretenen Auffassung die Konstellation der Zweiten-Reihe-Rechtsprechung.

[61] BVerfGE 92, 1, Rn. 59.

[62] Also zwischen Handlung und Erfolg.

[63] S. z.B. Heger in Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl. 2023, StGB § 240 Rn. 5; MüKo/StGB-Sinn, § 240 Rn. 29 f. mwN.

[64] S. insb. Feinberg, Harm to others, 1987.

[65] Hassemer, Einführung in die Grundlagen des Strafrechts, 2. Auflage 1990, 326.

[66] Dazu aus soziologischer Sicht Lindemann, Die ökologische Gewalt fordert längst Opfer, Zeit Online 11.11.2022, online unter: https://www.zeit.de/kultur/2022-11/klimawandel-oekologische-gewalt-aktivismus-klimaschutz/komplettansicht; grundlegend auch Horstmann, Unwriting Nature. Zur Kritik der ökologischen Gewalt, 2023; Galtung Journal of Peace Research,6 (1969), 168. Zu Überlegungen betreffend (Neu-)Kriminalisierung s. nur die Beiträge im Band von Satzger/von Maltitz (Hrsg.), Klimastrafrecht, 2024.

[67] Forti/Visconti in Rorie (Hrsg.), The Handbook of White-Collar Crime, 2019, 70, dazu Werkmeister KrimOJ 2021, 293, 296.

[68] Tombs/Whyte, The Corporate Criminal, 2015, 47 f.

[69] S. dazu exemplarisch die Beiträge im Band von Satzger/von Maltitz (Hrsg.), Klimastrafrecht, 2024; s. auch Heger, NK 2024, 22 ff.; Coester-Kauhl, Strafbarkeit klimaschädlicher Verhaltensweisen, Diss. 2023 (im Druck).

[70] S.o. unter IV.1.