In § 238 I Nr. 8 StGB ist die Strafbarkeit von Handlungen vorgesehen, die mit anderen, gesetzlich näher bestimmten Handlungen „vergleichbar“ sind. Diese Regelung ist mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 103 II GG nicht vereinbar, da das verfassungsrechtliche Analogieverbot nicht durch ein einfachgesetzliches Analogiegebot zurückgedrängt werden kann. Die Strafbarkeit „vergleichbarer Handlungen“ ist insb. nicht durch den Verweis auf das Schließen von Strafbarkeitslücken zu rechtfertigen.
A. Ausgangspunkt
In § 238 StGB ist die Nachstellung unter Strafe gestellt.[1] Im Grunddelikt wird danach bestraft, „wer einer anderen Person in einer Weise unbefugt nachstellt, die geeignet ist, deren Lebensgestaltung nicht unerheblich zu beeinträchtigen“, indem näher bestimmte Handlungen („wiederholt“) vorgenommen werden. Diese Handlungen sind in § 238 I StGB aufgezählt. Dazu zählt es etwa, „die räumliche Nähe dieser Person“ aufzusuchen (Nr. 1), zu versuchen, „unter Verwendung von Telekommunika-
tionsmitteln […] Kontakt zu dieser Person herzustellen“ (Nr. 2), „eine Abbildung dieser Person […] der Öffentlichkeit zugänglich“ zu machen (Nr. 6), oder „einen Inhalt […], der geeignet ist, diese Person verächtlich zu machen […], unter Vortäuschung der Urheberschaft der Person“ zu verbreiten (Nr. 7). Die folgenden Überlegungen befassen sich mit Nr. 8, wonach es ebenso strafbar sein soll, „eine mit den Nummern 1 bis 7 vergleichbare Handlung“ vorzunehmen. Dieser „Auffangtatbestand“ hat den Sinn, Strafbarkeitslücken zu schließen, die sich aus der Vielgestaltigkeit des generell als strafwürdig erachteten Phänomens der Nachstellung ergeben.[2]
Diese Schließung von Strafbarkeitslücken ist, so die These des vorliegenden Beitrags, als Übertragung der Bestimmung von Strafbarkeit auf die Strafjustiz mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Strafrecht nicht vereinbar, weil sie gegen das Analogieverbot verstößt.[3] Um diese These zu begründen, wird zunächst an den Gesetzlichkeitsgrundsatz gem. Art. 103 II GG erinnert, wobei dessen Vorgaben ins Verhältnis zu allgemeinen verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Gesetzesrecht gesetzt werden (B). Sodann werden die beiden für die Beurteilung des § 238 I Nr. 8 StGB relevanten Aspekte des Gesetzlichkeitsprinzips, der Bestimmtheitsgrundsatz einerseits und das Analogieverbot andererseits, in ihrer flankierenden Wechselwirkung zueinander in den Blick genommen (C.). Es folgt die Feststellung, daß der Gesetzgeber mit der Anordnung der Strafbarkeit vergleichbarer Handlungen ein Analogiegebot geschaffen hat, mit dem er das verfassungsrechtliche Analogieverbot durchbricht (D.). Diese Durchbrechung läßt sich durch einen Verweis auf die Vermeidung von Strafbarkeitslücken nicht rechtfertigen; das Analogieverbot gilt strikt und abwägungsfest. § 238 I Nr. 8 StGB ist daher verfassungswidrig (E).
B. Der verfassungsrechtliche Rahmen
Zu den rechtsstaatlichen Leitlinien des Strafrechts zählt der in Art. 103 II GG verfassungsrechtlich verankerte und in § 1 StGB wörtlich
wiederholte[4] Grundsatz der Gesetzlichkeit:[5]
„Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde“.
Diesem Gesetzlichkeitsgrundsatz, der sich dem Ausdruck nach in erster Linie an die Strafjustiz wendet („kann nur bestraft werden, wenn“), werden mehrere Teilgrundsätze zugeordnet.[6] Diese Bindungen sind organisationsrechtlich von herausragender Bedeutung, da sie den verfassungsrechtlichen Rahmen der Kompetenzen des einfachen Strafrechtsgesetzgebers einerseits und der Judikative andererseits konturieren.[7]
Die wesentlichen Koordinaten der im Gesetzlichkeitsprinzip des Art. 103 II GG verorteten, an den Gesetzgeber adressierten Gebote werden als Rückwirkungsverbot[8] und als Bestimmtheitsgrundsatz verschlagwortet. Das Rückwirkungsverbot verbietet es dem einfachen Gesetzgeber, eine Handlung mit Wirkung für die Vergangenheit mit Strafe zu bewehren. Ein die rückwirkende Bestrafung anordnendes bzw. ermöglichendes Gesetz wäre verfassungswidrig, und damit auch die Bestrafung einer Tat auf dieser Grundlage. Beide Hoheitsakte, Gesetz und Strafurteil, wären ggf. im Wege der Verfassungsbeschwerde anfechtbar. Das Rückwirkungsverbot des Art. 103 II GG hat daher nicht nur objektiv-rechtliche Bedeutung, sondern auch subjektiv-rechtliche Qualität, als sog. grundrechtsgleiches Recht im Sinne des prozeduralen Grundrechtsbegriffs des Art. 94 I 1 Nr. 4a GG.[9] Gleiches gilt für den Bestimmtheitsgrundsatz, wonach der Straftatbestand „bestimmt“, mithin für denjenigen, den es angeht, so verständlich wie möglich sein muß.[10] Ist das Gesetz unbestimmt, also: nicht bestimmt genug, ist die Bestrafung ebenso
wie das die Bestrafung anordnende bzw. ermöglichende Gesetz verfassungswidrig. In diesem Sinne wird der Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 II GG als „Bestimmtheitsgebot“[11] oder als „Verbot unbestimmter Strafgesetze“[12] verschlagwortet.
Beide Grundsätze, das Rückwirkungsverbot wie der Bestimmtheitsgrundsatz, gelten auch jenseits des Strafrechts und jenseits von Art. 103 II GG ganz allgemein für das Gesetzesrecht der durch das Grundgesetz konstituierten Bundesrepublik Deutschland. Die Verankerung dieser beiden Aspekte des Gesetzlichkeitsprinzips in Art. 103 II GG ist dabei keine bloße Doppelung, keine bloß symbolische Betonung ohnehin geltender rechtsstaatlicher Grundsätze für das Strafrecht. Denn die allgemeinen Grundsätze des Rückwirkungsverbots und des Bestimmtheitsgrundsatzes erstarken im Bereich des Strafrechts gleich zweifach. Zum einen, in objektiv-rechtlicher Hinsicht, in ihrer Grenzziehung: das Rückwirkungsverbot gilt im Allgemeinen graduell,[13] im Strafrecht aber kategorial; und für den Bestimmtheitsgrundsatz wird, als Verbot formuliert, im Strafrecht ein spezifisches Untermaß der Bestimmtheit anzusetzen sein – worauf noch zurückzukommen sein wird.[14] Zum anderen, in subjektiv-rechtlicher Hinsicht, durch die ausdrückliche prozessuale Möglichkeit des Geltendmachens eines Verstoßes im Wege der Verfassungsbeschwerde gem. Art. 94 I Nr. 4a GG, die für allgemeine rechtsstaatliche Grundsätze jedenfalls nicht unmittelbar besteht.[15]
Aus dem Bestimmtheitsgrundsatz, dessen Adressat der Strafrechtsgesetzgeber ist, folgen mit dem Verbot gewohnheitsrechtlicher Strafbegründung[16] und dem Analogieverbot zwei weitere Elemente des Gesetzlichkeitsprinzips.[17] Diese hegen primär die Strafjustiz ein. Das erste verlangt nach einer gesetzgeberisch, nicht gewohnheitsrechtlich vorgegebenen Strafbarkeitsbestimmung, das zweite erklärt eine den geschriebenen Straftatbestand richterrechtlich erweiternde Anwendung[18] von an sich verfassungskonformen, also (im Sinne des Art. 103 II GG) „gesetzlich bestimmten“ Straftatbeständen für verfassungswidrig, wenn und soweit dadurch neue Straftatbestände jenseits der gesetzlichen Regelung geschaffen würden.[19] Es ist dem Richter somit verboten, die Strafbarkeit eines Verhaltens daraus herzuleiten, „dass es einem mit Strafe bedrohten Tun ähnlich und ebenso strafwürdig wie dieses ist“[20]. Das Gewohnheitsrechtsverbot und das Analogieverbot ergänzen das Unbestimmtheitsverbot, indem sie die Bindung der Strafjustiz an die gesetzliche Bestimmung der Strafbarkeit sicherstellen.
Diese drei Vorgaben des Gesetzlichkeitsgrundsatzes unterstreichen denselben liberalistischen, demokratischen und gewaltenhemmenden Grundgedanken,[21] wonach der Gesetzgeber, nicht der Strafrichter, dafür zuständig und verantwortlich ist, zu bestimmen, welches Verhalten strafbar sein soll.[22] Dieser Verantwortung zur Festlegung der Voraussetzungen der Strafbarkeit darf sich der Gesetzgeber nach der Wertung des Art. 103 II GG nicht entziehen.[23] Ihm ist die Flucht ins Gewohnheitsrecht,
ins Unbestimmte und ins Richterrecht verboten.[24] Es ist in dieser Hinsicht naheliegend, daß die Vorgaben des Gesetzlichkeitsgrundsatzes sowohl die Judikative als auch die Legislative binden.[25] Das gilt auch für das Analogieverbot.[26] Es umfaßt, wie es Greco formuliert, „ein an den Gesetzgeber gerichtetes Analogiegestattungsverbot“[27], denn es kann dem einfachen Gesetzgeber nicht zukommen, die Judikative von ihren verfassungsrechtlichen Pflichten zu entbinden.[28] § 238 I Nr. 8 StGB erscheint vor diesem Hintergrund als klar verfassungswidrig.[29]
C. Bestimmtheitsgrundsatz und Analogieverbot
Ganz so klar ist dieses Ergebnis jedoch nicht, wie eine nähere Betrachtung des Zusammenhangs von Bestimmtheitsgrundsatz und Analogieverbot erkennen läßt. Da alle gesetzlich geregelten Straftatbestände in ihrer Sprachlichkeit naturgemäß interpretationsbedürftig sind, kommt dem Bestimmtheitsgrundsatz ein durchaus diffuser Grenzbereich zu. Die Subsumtion unter jeden (Straf-)Tatbestand setzt abstrakt-generelle Definitionen voraus, die den gesetzlichen Bestimmungen einzulegen sind. Diese Definitionen werden kraft Auslegung von den zuständigen Gerichten erarbeitet oder zumindest ermittelt[30] und namentlich vom BGH in Leitsätzen festgehalten.[31] Sie etablieren sich durch Repetition in der
Rechtsprechung und Aufnahme in Kommentare und juristische Lehrbücher bis hin zur sog. herrschenden Meinung.[32] Die Bestimmung der tatbestandlichen Voraussetzungen der Strafbarkeit ist daher immer auch Sache der Strafgerichte.[33]
Der an den Gesetzgeber gerichtete Bestimmtheitsgrundsatz kann vor diesem Hintergrund sinnvoll nur als prinzipielles Gebot[34] der Einschränkung der Freiheit der Strafgerichte in der Definition der Tatbestandsmerkmale begriffen werden.[35] Der Auslegungsspielraum bzw. die Definitionsfreiheit fällt desto geringer aus, je bestimmter eine gesetzliche Regelung ist; d.h., je enger der mögliche „Wortsinn des Gesetzestextes“[36] ist. Vollständig gesetzgeberisch zu präformieren ist die Auslegung der Gesetze aber naturgemäß nie. Entscheidend für die Verletzung des Unbestimmtheitsverbots[37] ist es daher, welches Untermaß der Bestimmtheit bzw. Übermaß der Unbestimmtheit anzulegen ist. Im Bereich des Strafrechts bzw. des Art. 103 II GG dürfte dieses Maß, im Einklang mit den allgemeinen Kriterien des Wesentlichkeitsgrundsatzes,[38] besonders hoch (Untermaß der Bestimmtheit) bzw. niedrig (Übermaß der Unbestimmtheit) anzusetzen sein, da die Intensität eines Grundrechtseingriffs durch Strafrecht typischerweise als besonders hoch anzusehen ist.[39]
Das Strafurteil ist nicht nur ein besonders intensives ethisches Unwerturteil,[40] sondern auch mit erheblichen Nachteilen für die grundrechtliche Sphäre des Verurteilten verbunden, was typischerweise mit erheblichen Vorfeldeinschränkungen im Strafverfahren einhergeht.
Der Zweck des Bestimmtheitsgrundsatzes, die Begrenzung der Auslegung durch die Strafgerichte, wäre unterwandert, wenn Analogien unbegrenzt zulässig wären. Jedes Strafgericht könnte dann eine richterrechtliche Ausdehnung der Strafbarkeit jenseits des gesetzgeberisch Bestimmten vornehmen – wenn auch ggf. nur unter Wahrung der in der Juristischen Methodenlehre anerkannten,[41] allerdings im Detail wenig scharf umrissenen Voraussetzungen der Begründetheit von Analogien.[42] Damit könnte sich die Strafjustiz der strikten Bindung an die gesetzliche Bestimmung der Strafbarkeit entziehen. Das Analogieverbot flankiert daher den Bestimmtheitsgrundsatz. Dabei ist das Analogieverbot, anders als der Bestimmtheitsgrundsatz, kategorial zu verstehen: Gegen dieses Verbot wird verstoßen, sobald eine Auslegung in eine Analogie umschlägt.[43] Dieses als striktes Verbot jeder Tatbestandsextension gelesene Analogieverbot[44] hat zur Folge, daß ausdrückliche Analogien in der Strafrechtsjudikatur strafbarkeitsbegründend wohl nicht zu finden sein dürften; auch wenn es freilich immer wieder zu verdeckten Analogiebildungen gekommen ist.[45]
Bei näherem Hinsehen verschwimmt die vermeintlich kategoriale Grenze zwischen Analogie und Auslegung allerdings. Schon die Abgrenzbarkeit ist umstritten,[46] wie die von Rechtsfortbildung und Rechtsanwendung überhaupt.[47] Einer Grenzziehung bedarf grundsätzlich aber nur die zulässige Rechtsfortbildung oder -anwendung von der unzulässigen Rechtsfortbildung oder -anwendung,[48] und diese Unterscheidung kann in unterschiedlichen Zusammenhängen unterschiedlich ausfallen. Sie kann sich an einer Metaabwägung dreier elementarer Rechtszwecke (Rechtssicherheit, Gesetzmäßigkeit und Gerechtigkeit) orientieren.[49] Für das Strafrecht ist die Schwelle zur verbotenen Analogie nach Art. 103 II GG im Sinne der strikten Gesetzesbindung jedenfalls denkbar niedrig anzusetzen. Insoweit ist, mit dem BVerfG,
„‚Analogie‘ nicht im engeren technischen Sinn zu verstehen; ausgeschlossen ist vielmehr jede Rechtsanwendung, die – tatbestandsausweitend – über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht, wobei der mögliche Wortlaut als äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation aus der Sicht des Normadressaten zu bestimmen ist (stRspr […])“.[50]
Ein Verstoß gegen das Analogieverbot liegt demnach vor, wenn die Wortlautgrenze überschritten ist.[51] Das ist der Fall, wenn das Gesagte
überdehnt wird;[52] dem strafrechtlichen Normsatz also eine Norm[53] zugedacht wird, die sich nicht mehr (ohne weiteres) mit dem Normsatz in Einklang bringen läßt.
Für die Einordnung des § 238 I Nr. 8 StGB ist das an dieser Stelle zentrale Problem des Determinierens des Überschreitens der Wortlautgrenze wie ihrer methodologischen Bestimmung sowie methodischen Bestimmbarkeit allerdings nicht entscheidend. Denn der Gesetzgeber hat der Strafjustiz mit dieser Vorschrift ausdrücklich aufgegeben, analogieartige Extensionen der Strafbarkeit jenseits der ausdrücklichen Regelungen vorzunehmen: Die Strafjustiz hat solche Handlungen als strafbar zu erkennen, die gerade nicht schon in den Nrn. 1-7 geregelt sind, aber ebenso wie diese strafbar sein soll(t)en, wenn und soweit diese Handlungen den gesetzlich bestimmten „ihrer Bedeutung nach entsprechen“[54] – womit planwidrige Strafbarkeitslücken bei vergleichbarer Strafwürdigkeit vermieden werden sollen. Der Strafjustiz ist daher eine analoge Anwendung der Nrn. 1-7 aufgegeben. Im Befolgen dieser Vorgabe übe, so scheint es dem Gesetzgeber vorzuschweben, der Rechtsanwender jedoch gerade keine analoge Erweiterung des Straftatbestandes im Sinne des Analogieverbotes aus. Es handele sich lediglich „um eine verfassungsrechtlich zulässige, gesetzlich angeordnete innertatbestandliche Analogie“[55].
Es bleibt unklar, inwiefern sich eine innertatbestandliche (zulässige) Analogie von einer außertatbestandlichen (unzulässigen) wesentlich unterscheidet[56] bzw. warum eine gesetzlich angeordnete (innertatbestandliche) Analogie verfassungsrechtlich zulässig sein soll, wenn die Verfassung der Judikative Analogien schon in einem weiten Sinne der
extensiven Auslegung verbietet. Angenommen wird mit dem häufig aufgegriffenen Hinweis auf eine bloß innertatbestandliche Analogie im Ergebnis aber wohl, daß die Strafbarkeit vergleichbarer Handlungen gesetzlich angeordnet sei – weswegen schon keine richterrechtlich zu schließende Regelungslücke vorliegen könne, mithin auch keine richterrechtliche Analogie i.S.d. Analogieverbots. Der Richter habe nach dieser Logik nur, wie in jeder anderen Strafbarkeitsbestimmung auch, qua Auslegung des Strafbarkeitslückenschließungsgebots aus Nr. 8 im Lichte der Nrn. 1-7 zu definieren, was vergleichbare Handlungen sind. Nach diesem Verständnis wäre die „vergleichbare Handlung“ wie ein (reguläres) gesetzliches Tatbestandsmerkmal zu behandeln. Dies hätte zur Konsequenz, daß es allein als Frage der hinreichenden Bestimmtheit des § 238 I Nr. 8 StGB erscheinen muß, ob die Voraussetzungen des Art. 103 II GG gewahrt sind.
Dieser Lesart scheint sich die Literatur weithin angeschlossen zu haben. So wird die Vorschrift zwar verbreitet als verfassungsrechtlich problematisch angesehen, was aber eher selten am Analogieverbot festgemacht, sondern vor allem „im Lichte des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes“[57] erörtert wird.[58] Die Annahme, die vom Gesetzgeber vorausgesehene und ungewollte Strafbarkeitslücke werde gesetzlich geschlossen, indem die Lückenschließung gesetzlich dem Richter übertragen wird, verkennt jedoch das von Greco schon klar hervorgehobene,[59] eigentliche Problem: Wenn die Strafbarkeit „vergleichbarer Handlungen“ vorgesehen wird, ist nicht nur der Tatbestand bedenklich unbestimmt, sondern strafbarkeitsbegründende Kompetenz auf die Judikative übertragen, der nur strafbarkeitsfeststellende Kompetenz zukommt. Damit ist das verfassungsrechtliche Analogieverbot einfachrechtlich umgangen.
D. Umgehung des Analogieverbots
Das verbreitete Übersehen der Umgehung des Analogieverbots dürfte in einer Reduktion auf die Bestimmtheitsfrage in der Prüfung gesetzgeberischen Handelns seine Ursache finden.[60] Der Gesetzgeber könne, so ist bisweilen zu lesen, das Analogieverbot selbst nicht verletzen.[61] Die Bestimmtheitsfrage ist jedoch mit dem Analogieverbot eng verwoben. Eine Reduktion der an den Gesetzgeber gerichteten Vorgaben auf den Bestimmtheitsgrundsatz wird dem oben geschilderten Miteinander von Bestimmtheitsgrundsatz und Analogieverbot nicht gerecht.
Ihr flankierendes Verhältnis zeigt sich darin, daß ein Analogieverbot gerade dann besonders bedeutsam ist, wenn der Bestimmtheitsgrundsatz beachtet wird – wenn also eine gesetzliche Strafbarkeitsbestimmung bestimmt genug ist, daß ein als gleichermaßen strafwürdig erachtetes, vergleichbares Verhalten nicht darunter subsumiert werden könnte.[62] Umgekehrt wäre ein Analogieverbot wenig ergiebig, wenn die Tatbestandsmerkmale so unbestimmt blieben, daß jedes als strafwürdig erachtete Verhalten darunter subsumiert werden könnte. In extremer Form wird dieser Zusammenhang besonders deutlich: Wenn das Strafgesetzbuch auf eine einzige, freilich zu unbestimmte Regel reduziert würde, nach der jedes strafwürdige Verhalten zu bestrafen ist („Jedes strafwürdige Verhalten ist strafbar.“), so wäre eine Gesetzesanalogie[63] gänzlich entbehrlich, ein Analogieverbot also sinnlos.[64] Umgekehrt wäre der Bestimmtheitsgrundsatz sinnlos, wenn ein allgemeines Analogiegebot im
Allgemeinen Teil verankert würde („Ist eine Tat einer gesetzlich bestimmten Handlung vergleichbar, so ist sie wie diese zu bestrafen.“). Vor diesem Hintergrund war es in gewisser Weise ein (insofern performativ widersprüchliches) Unterstreichen der zu überwindenden Gesetzesbindung, wenn im NS-Strafrecht gleich eine Kombination aus gewollter Unbestimmtheit bzw. Ausdehnungsgebot und Analogiegebot verankert worden ist.[65] Daher verlangt das Gesetzlichkeitsprinzip des Art. 103 II GG beides, sowohl die Bestimmtheit der Straftatbestände als auch das Unterlassen ihrer analogen Anwendung; und mit beidem wird, wie bereits festgestellt, die gesetzgeberische Verantwortung für die Festlegung strafbaren Verhaltens unterstrichen, der er sich eben weder durch eine Flucht ins Unbestimmte noch in ein (allgemeines oder spezielles) Analogiegebot entziehen darf:
„Der Gesetzgeber und nicht der Richter ist zur Entscheidung über die Strafbarkeit berufen“[66].
Tatsächlich hat das StGB wohl kaum weniger unbestimmte Tatbestandsmerkmale als jedes andere Gesetz aufzuweisen.[67] Entscheidend im Sinne des Art. 103 II GG ist aber auch nur das Überschreiten der Schwelle eines Untermaßes an Bestimmtheit bzw. eines Übermaßes an Unbestimmtheit. Diese Schwelle bleibt aber ihrem Wesen gemäß unscharf.[68] Die Schwelle zur dem Richter verbotenen Analogie erscheint dagegen, im Strafrecht anders als im Zivilrecht,[69] als klar, soweit sie am Überschreiten der
Wortlautgrenze orientiert wird. Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, daß der Gesetzgeber in § 238 I StGB nicht den (einfacheren) Weg geringerer Bestimmtheit gegangen ist – etwa, indem die Nachstellung ähnlich wie die Beleidigung (§ 185 StGB: „Die Beleidigung wird […] bestraft.“) gänzlich ohne nähere Tatbestandsausformungen für strafbar erklärt worden wäre.[70] Stattdessen ist es unternommen worden, dem Bestimmtheitsgrundsatz einerseits, der Vielgestaltigkeit des zu pönalisierenden Phänomens andererseits, Rechnung zu tragen. Deswegen sind einerseits zunächst vier und später sieben (in sich differenzierte) Varianten der Nachstellungshandlung in den Tatbestand aufgenommen worden – die andererseits um die Klausel der Strafbarkeit vergleichbarer Handlungen ergänzt wurden.
Doch mit dieser Klausel gibt der Gesetzgeber der Strafjustiz auf, gerade das zu tun, was die Verfassung ihr verbietet: Alle (Nachstellungs-)Handlungen, die zwar nicht in den Nrn. 1-7 beschrieben sind, diesen aber (hinreichend) gleichen, sind wie gesetzlich als strafbar bestimmte Handlungen einzuordnen („wird bestraft“). Das verfassungsrechtliche Analogieverbot ist damit durch ein einfachrechtliches Analogiegebot für die Nachstellungshandlung aufgehoben. Damit verpflichtet der Gesetzgeber die Judikative unverblümt zum Verstoß gegen die Verfassung.
E. Das Analogieverbot: Regel unter Ausnahmevorbehalt?
Diese einfachrechtliche Aufhebung des Analogieverbots im Fall des § 238 I Nr. 8 StGB wäre nur dann nicht schlechthin verfassungswidrig, wenn es verfassungsrechtlich akzeptable Gründe gäbe, die diese Aufhebung rechtfertigen könnten. Die vom Gesetzgeber vorgebrachten Gründe einer Annahme der gleichen Strafwürdigkeit vergleichbaren Verhaltens und der Schwierigkeiten einer abschließenden gesetzlichen Bestimmung dieses Verhaltens im Fall der Nachstellung sind nicht akzeptabel, denn beide Gründe ließen sich mehr oder minder für jeden Straftatbestand anführen – das Analogieverbot wäre damit vollkommen entleert, mithin gegenstandslos.[71] Das rechtsstaatliche Strafrecht bleibt jedoch, mit Kühl,
eine fragmentarische Ordnung,[72] eine umfassende Strafbarkeit jedes strafwürdigen Verhaltens ist nicht angestrebt.
Der Verfassungswidrigkeit des § 238 I Nr. 8 StGB ließe sich allerdings entgegenhalten, daß die vom Gesetzgeber gewählte Variante einer restriktiv zu handhabenden, durch den Verweis auf die Vergleichbarkeit zu den Nrn. 1-7 zudem umzäunten Analogie einer Flucht des Gesetzgebers in die vollkommene tatbestandliche Unbestimmtheit („Die Nachstellung wird […] bestraft.“) im Lichte der Anliegen des Gesetzlichkeitsgrundsatzes insgesamt klar vorzugswürdig sei.[73] Es handele sich, so ließe sich argumentieren, um das mildere Mittel, das „bessere Gesetz“.[74]
Die Verfassungsmäßigkeit eines besseren Gesetzes in diesem Sinne, einschließlich der damit einhergehenden Analogieklausel, würde voraussetzen, daß neben dem Bestimmtheitsgrundsatz auch das Analogieverbot eine abzuwägende Komponente in einer Gesamtponderation des Gesetzlichkeitsgrundsatzes wäre. Demnach wäre das Analogieverbot als ein weiteres prinzipielles Element des Gesetzlichkeitsgrundsatzes im Sinne der Prinzipientheorie zu rekonstruieren – welches im Zusammenspiel mit einer möglichst weitgehenden Bestimmtheit der Straftatbestände (nur) verlangen würde, möglichst wenig Analogien zuzulassen. Ein derartiges Prinzip der Analogievermeidung mag zwar im gesetzeszentrierten Recht jenseits des Strafrechts durchaus anzuerkennen sein; etwa im Sinne eines (gerade nicht unbedingten) Vorrangs des Gesagten vor dem Gewollten oder dem Gesollten im Zivilrecht. Für das Analogieverbot als Element des Gesetzlichkeitsgrundsatzes im Strafrecht wäre eine derartige Prinzipienkonstruktion jedoch nicht adäquat. Das strafrechtliche Analogieverbot gilt kategorial bzw. strikt; es läßt sich, im Vokabular der Prinzipientheorie, nur als Regel konstruieren.
Ist das Analogieverbot eine Regel, so stellt sich gleichwohl die Frage, ob es Gründe geben kann, die das Analogieverbot, besser: die Gründe für das Analogieverbot, überwiegen könnten. Rechtstheoretisch wäre das für ein regelförmiges Verbot nichts Ungewöhnliches; zum Wesen von Regeln gehört die Eigenschaft, Ausnahmen haben zu können (sog.
Defeasibility).[75] Das gilt auch für Verbote. Derartige Ausnahmen setzten aber voraus, daß das Analogieverbot durch Abwägungen auf der Ebene der Gründe zurückgedrängt werden kann. Grundsätzlich ist dies, wieder nach Maßgabe der Prinzipientheorie, für alle Regeln möglich – es sei denn, sie sind rechtlich abwägungsfest. Eine rechtliche Abwägungsfestigkeit kann strukturell nur höchstrangigem Verfassungsrecht zuerkannt werden.[76] Soweit es eine Ebene höherrangigen Rechts gibt, wäre auf dieser höherrangigen Ebene eine Abwägung der dort verankerten Rechtsprinzipien möglich, die Gründe für und wider das Analogieverbot enthalten könnten. Daher kann nur höchstrangiges Verfassungsrecht strukturell rechtlich abwägungsfest sein. Höchstrangig ist Verfassungsrecht nach dem Grundgesetz, wenn es der (verfassungstheoretisch durchaus problematischen)[77] Ewigkeitsgarantie des Art. 79 III GG unterfällt. Für die Grundsätze aus Art. 103 II GG müßte also eine Höchstrangigkeit in diesem Sinne angenommen werden können, um die darin enthaltenen Regeln und insb. das Analogieverbot als strukturell abwägungsfest auszuzeichnen. Soweit der Gesetzlichkeitsgrundsatz hingegen Prinzipien enthält, wie es für den Bestimmtheitsgrundsatz anzunehmen ist,[78] bleiben diese freilich auch als höchstrangige Prinzipien abwägungsfähig.[79]
Wenn der regelförmige Grundsatz des Analogieverbots im Strafrecht als rechtsstaatliche Grundentscheidung der Gesetzesbindung zugeordnet wird, und zwar als essentielles Element, und die Gesetzesbindung als Teil der „in den Art. 1 und 20 niedergelegten Grundsätze“ i.S.v. Art. 79 III GG angesehen wird, und eine Zurückdrängung dieses essentiellen, regelförmigen Elements als Berührung i.S.v. Art. 79 III GG verstanden wird, dann ist eine Abwägungsfestigkeit dieser Regel verfassungsrechtlich höchstrangig verankert. Daß es sich bei dem Analogieverbot um einen essentiellen Grundsatz rechtsstaatlichen Strafens handelt, ist unstreitig. Ebenso unstreitig ist das Gesetzlichkeitsprinzip in Art. 20 III GG verankert; und es zählt unstreitig zu denjenigen Grundsätzen, die von Art. 79 III GG umfaßt sind, und es wäre durch eine Ausnahme
unzweifelhaft berührt. Daher ist festzuhalten: Die Abwägungsfestigkeit des Analogieverbots im Strafrecht ist unter dem Grundgesetz verfassungsrechtlich geschützt.[80]
Demnach kann es keine verfassungsrechtlich zulässigen Gründe höheren Ranges geben, aus denen das regelförmige Analogieverbot zurückgedrängt werden könnte. Eine Durchbrechung des Analogieverbots durch ein partielles einfachgesetzliches Analogiegebot kann daher auch nicht ausnahmsweise verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Dies gilt ungemindert, wenn nur so eine höhere Bestimmtheit der Strafbarkeit der Nachstellung[81] oder eine Sicherstellung der Strafbarkeit aller Nachstellungshandlungen[82] erreicht werden könnte. § 238 I Nr. 8 StGB ist daher verfassungswidrig.
Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Verfassungstheorie und Rechtsphilosophie an der Universität Bayreuth. Kontakt: oer4@uni-bayreuth.de
[1] Eingeführt durch das Gesetz zur Strafbarkeit beharrlicher Nachstellungen v. 22.3.2007, BGBl. I, 354; geändert durch das Gesetz zur Verbesserung des Schutzes gegen Nachstellungen v. 1.3.2017, BGBl. I, 386; zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs – effektivere Bekämpfung von Nachstellungen und bessere Erfassung des Cyberstalkings […] v. 10.8.2021, BGBl. I, 3513.
[2] Vgl. den Bericht des Rechtsausschusses BT-Drs. 16/3641 v. 29.11.2006, S. 14: „Ein Auffangtatbestand ist im Bereich des Stalking erforderlich, weil vielfältige, häufig wechselnde und immer neue Angriffsformen, die durch konkret umschriebene Handlungsalternativen nicht abschließend erfasst werden können, für dieses Delikt typisch sind“.
[3] In diese Richtung schon Greco GA 2012, 452, 461 f., 466.
[4] Seit 1975; zu vorherigen Fassungen vgl. nur Roxin/Greco, Strafrecht. Allgemeiner Teil, Bd. I, 5. Aufl. 2020, § 5 Rn. 12 ff.
[5] Zur Diskussion um die „staatstheoretischen und strafrechtlichen Wurzeln“ Roxin/Greco (Fn. 4), § 5 Rn. 18 ff.; Jäger, in Systematischer Kommentar StGB, Bd. I, 10. Aufl. 2025, § 1 Rn. 2.
[6] Zur einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG im Überblick Heinrich in v. Ooyen/Möllers (Hrsg.), Handbuch Bundesverfassungsgericht im politischen System, 3. Aufl. 2025, 1481, 1482-1488.
[7] Vgl. BVerfGE 105, 135, 153; 126, 170, 199; 160, 284 Rn. 96: „Für die Strafgerichte konkretisiert der Satz ‚nulla poena sine lege‘ den Grundsatz der Gewaltenteilung aus Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG“.
[8] Zur heute kaum noch erhobenen Annahme, daß das Rückwirkungsverbot angesichts der eigenen Regelung in § 2 I StGB nicht im mit § 1 StGB wortgleichen Art. 103 II GG enthalten sein könne, vgl. nur – mit überzeugender ablehnender Positionierung – Roxin/Greco (Fn. 4), § 5 Rn. 5 f.; zum entstehungsgeschichtlichen Hintergrund Rn. 15.
[9] Vgl. BVerfGE 85, 69, 72; Kment, in Jarass/Pieroth GG, 18. Aufl. 2024, Art. 103 Rn. 62 – mit dem Hinweis: „obwohl er [gem.: Art. 103 II GG] systematisch eine Schranken-Schranke (‚Gesetzesvorbehalt‘) darstellt“.
[10] Zum sich hierin spiegelnden Verständlichkeitsprinzip als allgemeinem Rechtsgrundsatz vgl. Bäcker in Kischel/Kube (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, 2024, § 48 Rn. 1.
[11] Etwa Jäger (Fn. 5), § 1 Rn. 13.
[12] Roxin/Greco (Fn. 4), § 5 Rn. 7.
[13] Für die Abwägungsfähigkeit des allgemeinen Rückwirkungsverbots sprechen die Differenzierung des BVerfG in eine echte und eine unechte Rückwirkung, wobei letztere grundsätzlich verfassungsgemäß, erstere grundsätzlich verfassungswidrig sein soll – soweit nicht jeweils überwiegende Gründe das gegenteilige Ergebnis (herrschend als Ausnahmen von der Regelmäßigkeit rekonstruiert) verlangen. Zu einer entsprechenden Rekonstruktion des allgemeinen Rückwirkungsverbots als Abwägungsgegenstand vgl. Bäcker NVwZ 2017, 1414, 1419.
[14] Das BVerfG verknüpft Art. 103 II GG darüber hinaus mit einer Erhöhung seiner verfassungsgerichtlichen Kontrolldichte, vgl. BVerfGE 126, 170, 199: „Bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung, ob die Strafgerichte diesen aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Vorgaben gerecht geworden sind, ist das Bundesverfassungsgericht nicht auf eine Vertretbarkeitskontrolle beschränkt. Der in Art. 103 Abs. 2 GG zum Ausdruck kommende strenge Gesetzesvorbehalt erhöht die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte“.
[15] Mittelbar subjektiv-rechtliche Qualität erlangen die allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätze nach der Rechtsprechung des BVerfG freilich durch die Ausweitung des Art. 2 I GG als allgemeine Handlungsfreiheit sowie der Ausdehnung des dortigen Schrankenvorbehalts der „verfassungsmäßigen Ordnung“ auf „alle formell und materiell verfassungsgemäßen Gesetze“ – vgl.
BVerfGE 6, 32, 41 – Elfes (Abs. 25): „Verfahrensrechtlich bedeutet das: Jedermann kann im Wege der Verfassungsbeschwerde geltend machen, ein seine Handlungsfreiheit beschränkendes Gesetz gehöre nicht zur verfassungsmäßigen Ordnung, weil es (formell oder inhaltlich) gegen einzelne Verfassungsbestimmungen oder allgemeine Verfassungsgrundsätze verstoße; deshalb werde sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt“.
[16] Und Strafschärfung, vgl. nur Heinrich (Fn. 6), 1482 f.
[17] Vgl. BVerfGE 126, 170, 197: „Aus dem Erfordernis gesetzlicher Bestimmtheit folgt anerkanntermaßen ein Verbot analoger oder gewohnheitsrechtlicher Strafbegründung“.
[18] Vgl. Jäger (Fn. 5), § 1 Rn. 46: „Anwendung eines Rechtssatzes auf einen von ihm nicht erfassten, aber rechtsähnlichen Sachverhalt“.
[19] Es ließe sich einwenden, daß eine Analogie keine Normkreation, sondern bloß eine Normextension zur Folge habe. Formal dargestellt: Aus der Norm N1: T1 v T2 v T3 à OR wird N1’: T1 v T2 v T3 v T4 à OR (wobei T4 den bisherigen Merkmalen T1 bis T3 hinreichend ähnlich sein muß). Entgegnen läßt sich dem, daß die Norm N2: T4 à OR gesetzt wird, i.S. einer Kreation, auch wenn der Grund für die Geltung von N2 aus der Ähnlichkeit zu N1 abgeleitet wird. Im Ergebnis ist diese Unterscheidung ohne Belang, da auch im Wege der bloßen Extension T4 als neuer Straftatbestand geschaffen wird. – Überdies wird das Vorliegen von Analogien i.S.v. Art. 103 II GG weit verstanden. Eine extensive Auslegung wäre danach schon eine Analogie i.S.d. Analogieverbots; vgl. noch unten (Fn. 50).
[20] Roxin in Hilgendorf (Hrsg.), Das Gesetzlichkeitsprinzip im Strafrecht, 2013, 113, 119.
[21] Zu den staatstheoretischen Wurzeln etwas näher Roxin/Greco (Fn. 4), § 5 Rn. 18 ff.
[22] Es ist daher nicht fernliegend, den Gesetzlichkeitsgrundsatz als den einen Kerngedanken des Art. 103 II GG zu verstehen („gesetzlich bestimmt“), dem mit dem Rückwirkungsverbot ein zweiter („bevor“) an die Seite gestellt ist.
[23] Vgl. BVerfGE 126, 170, 197: „Der Gesetzgeber hat zu entscheiden, ob und in welchem Umfang er ein bestimmtes Rechtsgut, dessen Schutz ihm wesentlich und notwendig erscheint, gerade mit den Mitteln des Strafrechts verteidigen will. Den Gerichten ist es verwehrt, seine Entscheidung zu korrigieren“.
[24] Eine allgemeine Flucht ins Unbestimmte beklagte schon Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln, 1933, für das Strafrecht und die Kritik daran insb. S. 32-38.
[25] Zur Bindung der Judikative an den Bestimmtheitsgrundsatz vgl. insb. BVerfGE 126, 170, 197 ff.
[26] Vgl. Roxin/Greco (Fn. 4), § 5 Rn. 44a ff.
[27] Greco (Fn. 3), 460; ähnlich schon Ransiek in Sieber/Dannecker/Kindhäuser/Vogel/Walter (Hrsg.), FS Tiedemann, 2008, 171, 183: „Es geht um das Verbot, dem Rechtsanwender durch Gesetz analoge Gesetzesanwendung zu gestatten“.
[28] Ähnlich Ransiek (Fn. 27), 184: Es könne nicht sein, „dass der Gesetzgeber durch ein einfaches Gesetz die Bindung des Rechtsanwenders an das Gesetz und das Verbot analoger Rechtsanwendung aufhebt: Es bedürfte dazu der Verfassungsänderung“; s.a. Greco (Fn. 3), 460: es sei dem Gesetzgeber „nicht gestattet […], den Richter von der Einhaltung dieses Verbots zu dispensieren“.
[29] So etwa Hirsch in Paeffgen/Böse/Kindhäuser/Stübinger/Verrel/Zaczyk (Hrsg.), FS Puppe, 2011, 105, 115.
[30] Diese Definitionsbedürftigkeit erstarkt mit zunehmender tatbestandlicher Unbestimmtheit zu einem immer drängenderen Präzisierungsgebot, vgl. BVerfGE 126, 170, 198: „Andererseits ist die Rechtsprechung gehalten, verbleibende Unklarheiten über den Anwendungsbereich einer Norm durch Präzisierung und Konkretisierung im Wege der Auslegung nach Möglichkeit auszuräumen (Präzisierungsgebot). Besondere Bedeutung hat diese Pflicht bei solchen Tatbeständen, die der Gesetzgeber im Rahmen des Zulässigen durch Verwendung von Generalklauseln verhältnismäßig weit und unscharf gefasst hat“.
[31] Zum Umgang mit derartigen Leitsätzen und dem Hinweis darauf, daß deren bloße Anführung oder Wiedergabe die Subsumtion des gesetzlichen Tatbestandes verdränge, vgl. Cirener in Bäcker (Hrsg.), Methoden des Rechts, 2025, 155, 160. – Zum Problem auch schon Roxin/Greco (Fn. 4), § 5 Rn. 35g.
[32] Wobei von einem erheblichen Einfluß der akademischen Diskussion auf die Festsetzung gerichtlicher Definitionen ausgegangen werden kann; was sich bisweilen deutlicher, bisweilen undeutlicher zeigt.
[33] Vgl. Roxin/Greco (Fn. 4), § 5 Rn. 28: „In Wahrheit wird also der Inhalt einer Strafvorschrift immer erst durch die richterliche Auslegung im Sinne zweifelsausschließender Deutlichkeit ‚bestimmt‘“.
[34] Vgl. BVerfGE 105, 135, 155 f.: „Je schwerer die angedrohte Strafe ist, umso dringender ist der Gesetzgeber verpflichtet, dem Richter Leitlinien an die Hand zu geben, die die Sanktion vorhersehbar machen, die bei Verwirklichung des Straftatbestands droht, und den Bürger über die zu erwartende Strafrechtsfolge ins Bild zu setzen“. – Im Sinne eines Optimierungsgebots schon Lenckner JuS 1968, 304, 305: „Soviel Rechtssicherheit und soviel materielle Gerechtigkeit wie möglich“; ihm folgend Wassermann, in AK GG, Bd. 2, 2. Aufl. 1989, Art. 103 GG Rn. 52; s.a. Schmitz, in Münchener Kommentar StGB, Bd. 1, 5. Aufl. 2024, § 1 Rn. 45: „Dem Bestimmtheitsgebot ist vielmehr nur dann genügt, wenn die Tatbestandsmerkmale soweit wie möglich bestimmt sind, der Gesetzgeber also eine bestmögliche Präzision erreicht“.
[35] In diesem Sinne ist der Bestimmtheitsgrundsatz die andere Seite der Medaille des Gebotes enger oder restriktiver Auslegung von Strafbarkeitsbestimmungen, wie es in anderen Rechtskreisen vorkommt, worin sich auch seine strukturelle Nähe zum Analogieverbot zeigt; vgl. Roxin/Greco (Fn. 4), § 5 Rn. 28a.
[36] Roxin/Greco (Fn. 4), § 5 Rn. 28.
[37] Der Bestimmtheitsgrundsatz ist, deontologisch betrachtet, ohne inhaltlichen Unterschied als Gebot wie als Verbot darstellbar. Es ist die (hinreichende) Bestimmtheit ebenso geboten (Bestimmtheitsgebot: Ob) wie die (übermäßige) Unbestimmtheit verboten ist (Unbestimmtheitsverbot: F¬b).
[38] Vgl. BVerfGE 105, 135, 155 f.
[39] Dabei könnte das Untermaß je nach Intensität der Strafandrohung steigen oder fallen. Für die Bestimmtheit des mit lebenslanger Strafe bewehrten Mordtatbestandes wären demnach höhere Standards zu setzen als etwa für die Nachstellung, die (im Grunddelikt) mit einem Strafrahmen bis zu drei Jahren bewehrt ist; vgl. oben (Fn. 34). – Komplizierter wird diese Zuschreibung allerdings, wenn die Gründe für die Strafrahmenbemessung bzw. das (abstrakte) Gewicht der in Rede stehenden, zu schützenden Rechtsgüter in die Gleichung einbezogen werden können oder müssen. Hier werden gewichtigere Gründe für das Verbot bzw. die Sanktionierung des Mordes gegenüber denen der Nachstellung anzuerkennen sein – was im Ergebnis auf in etwa gleiche Anforderungen der Bestimmtheit hinauslaufen könnte. Eine genauere Untersuchung dieser Zusammenhänge erscheint lohnenswert.
[40] Vgl. BVerfGE 96, 245, 249: „Die Kriminalstrafe stellt die am stärksten eingreifende staatliche Sanktion für begangenes Unrecht dar. Jede Strafnorm enthält ein mit staatlicher Autorität versehenes, sozial-ethisches Unwerturteil über die von ihr pönalisierte Handlungsweise, das durch den Straftatbestand und die Strafandrohung näher umschrieben wird“.
[41] Die hierin aufscheinende, eigentümliche normative Wirkung der anerkannten Regeln und Formen der Methodenlehre entstammt für die juristische Interpretation von Gesetzestexten letztlich dem Postulat der Gesetzesbindung. Die Begründung ihrer Normativität führt von da aus ins Grundsätzliche; vgl. nur Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 1978, S. 307: „Sie sind Formen, denen sich die juristische Argumentation zu bedienen hat, wenn sie den in ihr erhobenen Anspruch auf Richtigkeit, der […] insbesondere auch auf die Bindung an das Gesetz bezogen ist, erfüllen will“.
[42] Zur Differenz von Zulässigkeit und Begründetheit von Analogien vgl. Bäcker Der Staat 60 (2021), 7, 25 f.
[43] Vgl. Roxin/Greco (Fn. 4), § 5 Rn. 26: „Das Analogieverbot stellt die Aufgabe, die zulässige gesetzestreue Auslegung von der verbotenen rechtsschöpferischen Analogie abzugrenzen“. Für Bsp. Rn. 29.
[44] Einschränkend und für die Zulässigkeit von (unechten) Analogien (auf der Grundlage des eindeutig Gewollten) Ransiek (Fn. 27), 185; weil so „die bereits vom Gesetzgeber getroffene kriminalpolitische Entscheidung auf im Gesetz nicht genannte […] Konstellationen“ durch den Richter weitergeführt werden könne.
[45] Darunter fallen Auslegungen, die das Gesagte überschreiten, und dies anhand des Gewollten oder, grundsätzlich bedenklicher, anhand des Gesollten begründen. Zu Beispielen vgl. Roxin/Greco (Fn. 4), § 5 Rn. 34: „nicht wenige Fälle, in denen sich die Rspr. ausdrücklich oder stillschweigend über die Wortlautgrenze hinweggesetzt hat“. – Auch in der Rechtsprechung des BVerfG läßt sich das Phänomen verdeckter Analogien vielfach entdecken, vgl. Bäcker (Fn. 42), 19 ff. Über die Motivation des BVerfG, Analogien zum Verfassungsrecht nur verdeckt anzunehmen, kann nur spekuliert werden; es dürfte aber wenigstens in manchen Fällen darum gehen, der problematischen, da potentiell legitimitätsverringernden Diskussion um die Selbstentgrenzung des BVerfG als Letztinterpreten der Verfassung zu entgehen.
[46] Vgl. nur Kaufmann, Analogie und Natur der Sache, 1965, S. 3: „Eingeständnis einer völligen Undurchführbarkeit einer praktikablen Abgrenzung“.
[47] Das zugestandene Vorliegen von Zweifelsfällen in der Abgrenzung von Rechtsauslegung und Rechtsfortbildung stellt allerdings nicht deren Abgrenzbarkeit in Frage; vgl. Bäcker (Fn. 42), 12; Roxin/Greco (Fn. 4), § 5 Rn. 37.
[48] Vgl. Borowski in Darák/Kube/Molnár-Gábor/Reimer (Hrsg.), Rechtsprechung im Dialog der Gerichte, 2020, 39, 59: „Die These der Einheit der juristischen Interpretation relativiert […] zu einem großen Teil die Bedeutung der Unterscheidung von Auslegung und Rechtsfortbildung“.
[49] Vgl. Bäcker (Fn. 42), 33 ff. Ultimativ kommt es daher auf rechts- bzw. verfassungstheoretische Vorverständnisse an.
[50] BVerfGE 126, 170, 197; s.a. BVerfGE 160, 284 Rn. 99.
[51] Eingehend zur Wortlautgrenze und ihrer grundsätzlichen Anerkennung in der Rspr. Roxin/Greco (Fn. 4), § 5 Rn. 26 ff., mit Beispielen aus der (nicht widerspruchsfreien) Rechtsprechung, Rn. 33 ff. („gelegentliche ‚Ausrutscher‘“) und einer Diskussion von Gegenpositionen, Rn. 36 ff. – Aus jüngerer Zeit etwa BGH NJW 2024, 3735 Abs. 14: „GBL-Tropfen können mithin ohne eine Verletzung der sich aus Art. 103 II GG ergebenden Wortlautgrenze nicht als Werkzeug im Sinne der strafrechtlichen Vorschriften bewertet werden“.
[52] Vgl. für eine adressatenbezogene Sichtweise BVerfGE 87, 209, 224: „Unter diesem Aspekt ist für die Bestimmtheit einer Strafvorschrift in erster Linie der für den Adressaten erkennbare und verstehbare Wortlaut des gesetzlichen Tatbestandes maßgebend, der die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation darstellt“.
[53] Zum hier aufscheinenden semantischen Normbegriff vgl. nur Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 42 ff.
[54] Bericht des Rechtsausschusses v. 29.11.2006, BT-Drs. 16/3641, S. 14: Erfaßt werden sollen Handlungen, die den gesetzlich bestimmten „ihrer Bedeutung nach entsprechen, also sowohl quantitativ als auch qualitativ eine vergleichbare Schwere aufweisen und in ihrem Handlungs- und Erfolgsunwert diesen gleichkommen“.
[55] BT-Drs. 16/3641, S. 14.
[56] Siehe aber Eisele, in Tübinger Kommentar StGB, 31. Aufl. 2025, § 238 Rn. 30: „Eine solche liegt […] vor, wenn sich der Analogieschluss lediglich auf gesetzlich ausgestaltete Beispiele eines Oberbegriffs bezieht und er auch innerhalb dieses Oberbegriffs erfolgt“. Entscheidendes Merkmal des § 238 I StGB sei das „beharrliche Nachstellen“, die Nrn. 1-7 nur „Regelbeispiele“. – Nach diesem (fraglichen) Verständnis müßte Nr. 8 entweder vollkommen entbehrlich hins. der Strafbarkeitsbegründung sein, oder eben doch auch als „innertatbestandliche Analogie“ strafbarkeitsbegründende Kompetenz übertragen, dann aber dem Analogieverbot unterliegen.
[57] Monographisch Zacharias, Der Unrechtstatbestand der Nachstellung (§ 238 StGB) im Lichte des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes, 2015, insb. 312-333; Karl, Der Tatbestand der Nachstellung, 2012, insb. S. 188-200. – Für eine hinreichende Bestimmtheit etwa Gericke, in Münchener Kommentar StGB, Bd. 4, 5. Aufl. 2025, § 238 Rn. 40 ff.; Schluckebier/Werner, in Satzger/Schluckebier/Werner StGB, 6. Aufl. 2024, § 238 Rn. 20.
[58] Auch die kritischen Stellungnahmen im Gesetzgebungsverfahren blieben auf den Bestimmtheitsgrundsatz beschränkt, vgl. BT-Drs. 15/5410, S. 9; BT-Drs. 16/3641, S. 7, 11.
[59] Vgl. Greco (Fn. 3), 460 ff.
[60] Vgl. Roxin/Greco (Fn. 4), § 5 Rn. 44b.
[61] Vgl. Vogel/Brodowski, in Leipziger Kommentar StGB, Bd. 13, 13. Aufl. 2022, § 243 Rn. 5: „Gesetzgebung kann das an den Rechtsanwender adressierte Analogieverbot nicht verletzen“; König, in Leipziger Kommentar StGB, Bd. 17, 13. Aufl. 2021, § 315 Rn. 41: „Bereits im Ansatz verfehlt ist es namentlich, dem Gesetzgeber einen Verstoß gegen das Analogieverbot vorwerfen zu wollen“; s.a. Pohlreich, in Bonner Kommentar GG, 191. Akt., 2018, Art. 103 Abs. 2 Rn. 75: „Soweit im Schrifttum vereinzelt aus Art. 103 Abs. 2 GG ein an die Gesetzgebung gerichtetes Analogiegestattungsverbot hergeleitet wird, dürfte dies keine Bindungen begründen, die über das an die Gesetzgebung adressierte Bestimmtheitsgebot hinausgehen“.
[62] Vgl. BVerfGE 126, 170, 197: „Dies gilt auch dann, wenn infolge des Bestimmtheitsgebots besonders gelagerte Einzelfälle aus dem Anwendungsbereich eines Strafgesetzes herausfallen, obwohl sie ähnlich strafwürdig erscheinen mögen wie das pönalisierte Verhalten“.
[63] Freilich wären begründete Fallanalogien, die ohnehin elementarer Bestandteil der Rechtsanwendung zumal im Strafrecht sind, vgl. nur Hassemer, Tatbestand und Typus, 1968, umso mehr zu fordern, um eine gewisse Rechtssicherheit noch beizubehalten. Dem läßt sich der allgemeine Grundsatz einer umgekehrten Proportionalität entnehmen, wonach in der Anwendung des Strafrechts desto mehr Wert auf begründete Fallanalogien zu legen ist, gerade durch niedere Instanzen, je weniger bestimmt der Tatbestand ist.
[64] Ähnlich Ransiek (Fn. 27), 174: „Dürfte ein Tatbestand lauten ‚jeder Schurke wird bestraft‘, wäre […] das Analogieverbot ohne sinnvollen Anwendungsbereich“.
[65] Vgl. § 2 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs der Reichsregierung v. 28.6.1935, RGBl. I, 839-843: „Bestraft wird, wer eine Tat begeht, die das Gesetz für strafbar erklärt oder die nach dem Grundgedanken eines Strafgesetzes und nach gesundem Volksempfinden Bestrafung verdient. Findet auf die Tat kein bestimmtes Strafgesetz unmittelbar Anwendung, so wird die Tat nach dem Gesetz bestraft, dessen Grundgedanke auf sie am besten zutrifft“. – Hins. des Analogiegebots in S. 2 war selbst die zeitgenössische Kommentarliteratur eher zurückhaltend; vgl. Niethammer, in Freiesleben/Kirchner/Niethammer StGB, 1936, § 2 S. 24: „Vermag der Richter die durch die Verhandlung nachgewiesene Tat auch bei ausdehnender Auslegung nicht in den Tatbestand eines Strafgesetzes einzuordnen, drängt ihn aber das eigene Rechtsgefühl dazu, die Tat trotzdem für strafwürdig zu erachten, so muß er sorgfältig prüfen, ob die beiden im § 2 bestimmten Voraussetzungen erfüllt sind. Nur wenn er diese Frage in beiden Beziehungen bejahen kann, darf er einen Schuldspruch fällen“. Mit den beiden Beziehungen war das gesunde Volksempfinden und der in einem Gesetz verkörperte, tragende Rechtsgedanke gemeint.
[66] BVerfGE 126, 170, 197.
[67] Dazu nur Roxin/Greco (Fn. 4), § 5 Rn. 68; mit dem Hinweis auf einschlägige Rspr. des BVerfG, angesichts der „sich der Gesetzgeber bei der Verwendung von Generalklauseln kaum noch Hemmungen aufzuerlegen“ brauche.
[68] Zur Formulierung einer Grenze vgl. Roxin/Greco (Fn. 4), § 5 Rn. 75: „Danach ist eine Strafvorschrift dann noch hinreichend bestimmt, wenn und soweit sich ihr ein klarer gesetzgeberischer Schutzzweck entnehmen lässt und der Wortlaut einer beliebigen Ausdehnung der Interpretation immerhin noch Grenzen setzt“. – Freilich ist es wenig weiterführend, wenn die Grenze der Bestimmtheit durch den Verweis auf Grenzen der Interpretation bestimmt werden sollen.
[69] Vgl. Perron in Hilgendorf (Hrsg.), Das Gesetzlichkeitsprinzip im Strafrecht, 2013, 211, 216 ff.
[70] Zu den dann gegebenen Problemen „gewollter Unbestimmtheit“ vgl. Roxin/Greco (Fn. 4), § 5 Rn. 78a.
[71] Vgl. Roxin/Greco (Fn. 4), § 5 Rn. 38: „Die darin liegende Ignorierung eines Verfassungsgebots kann nicht akzeptiert werden“.
[72] Vgl. Kühl in Schneider/Kahlo/Klesczewski/Schumann (Hrsg.), FS Seebode, 2008, 61, 70.
[73] So, mit dem Blick auf §§ 315 I Nr. 4, 315b I Nr. 3 StGB, Ransiek (Fn. 27), 184: „Der Tatbestand wird dadurch genauer, die Bindung des Rechtsanwenders größer, nicht kleiner. Auch hier streitet der Sinn des Analogieverbotes für die Zulässigkeit“.
[74] Für das Argument des besseren Gesetzes im Kontext des Bestimmtheitsgrundsatzes vgl. Roxin/Greco (Fn. 4), § 5 Rn. 75a.
[75] Zum Begriff der Defeasibility vgl. Bäcker RPhZ 2022, 81, 84 f.
[76] Vgl. für eine entsprechende Rekonstruktion der Menschenwürdegarantie als abwägungsfähiges Prinzip, welches durch eine (unabwägbare) Unantastbarkeitsregel wenigstens partiell der Abwägung rechtlich entzogen ist, Bäcker Der Staat 55 (2016), 433, 451 ff.
[77] Vgl. Bäcker ARSP 111 (2025), 226, 242 ff.
[78] Vgl. oben (Fn. 34).
[79] Wenn auch ggf. nur mit Prinzipien gleicher Rangstufe; auch könnte ein Untermaß der Bestimmtheit auch statisch angenommen werden.
[80] So schon Bäcker (Fn. 42), 33, allerdings noch mit diffuserer Begründung.
[81] Was für sich genommen schon fragwürdig ist. Eine höhere Bestimmtheit käme § 238 I StGB jedenfalls ebenso und sogar in noch höherem Maße zu, wenn Nr. 8 entfiele. Dies hätte freilich zur Konsequenz, daß fürderhin erkannte Strafbarkeitslücken durch eine entsprechende, gesetzlich bestimmte Erweiterung des § 238 I StGB zu schließen wären.
[82] Ob die Aufnahme der Strafbarkeit vergleichbarer Handlungen kriminalpolitisch je sinnvoll war, darf mit der Zunahme der Handlungsbeschreibungen in den Varianten des § 238 I StGB zunehmend bezweifelt werden (im ersten Entwurf von 2006 war zunächst von zwei Handlungsvarianten ausgegangen worden, der „andere, ebenso schwerwiegende Handlungen“ in einer Nr. 3 an die Seite gestellt werden sollten, vgl. BT-Drs. 16/1030 v. 23.3.2006, S. 5, 7). Zur Verzichtbarkeit schon Kühl (Fn. 72), 70; zu Zweifeln an der „Erforderlichkeit“ der Regelung im Sinne des grundrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Krehl, in Leipziger Kommentar StGB, Bd. VII/Teil II, 12. Aufl. 2015, § 238 Rn. 16. – Bislang ist jedenfalls noch keine Verurteilung wegen Nachstellung allein aufgrund § 238 I Nr. 8 StGB bzw. § 238 I Nr. 5 a.F. zu finden, worin sich eine denkbar geringe praktische Bedeutung spiegelt; vielzitiert dazu Schöch NStZ 2013, 221, 222: „totes Recht“. Für eine Verurteilung aufgrund § 238 I Nr. 2, 4 und 5 StGB aF s. immerhin LG Dortmund, Urt. v. 22.11.2012 (44 KLs 33/12, BeckRS 2013, 17326), wonach „herabsetzende […] und beleidigende […] ‚gefälschte […]‘ Facebook-Profile […] andere vergleichbare Handlung[en]“ darstellen sollen; nachfolgend BGH NJW 2013, 3383, 3384, wonach es angesichts der Verurteilung wegen § 238 I Nr. 2 und 4 StGB „dahinstehen“ könne, „ob die Tatbestandsvariante der ‚anderen vergleichbaren Handlung‘ ebenfalls verwirklicht ist“, Abs. 34.