A. Sachverhalt
(6) Der Angeklagte und die Lebensgefährtin der Nebenklägerin kannten sich aus der sogenannten Swinger-Szene; spätestens seit 2018 oder 2019 gab es indes keine sexuellen Kontakte mehr zwischen ihnen. Am Vorabend eines Konzertes, das im August 2022 in der Nähe des Wohnorts des Angeklagten stattfand, besuchten die Nebenklägerin und ihre Freundin den Angeklagten und dessen Verlobte, um bei ihnen zu übernachten. Der Austausch sexueller Handlungen war nicht vorgesehen.
(7) Im Laufe des Abends entschloss sich der Angeklagte gleichwohl, der bereits stark angetrunkenen Nebenklägerin und seiner Verlobten heimlich Gamma-Butyrolacton (GBL) zu verabreichen. Er wollte die Frauen dadurch sexuell enthemmen, um dann mit und an ihnen sexuelle Handlungen zu vollziehen und sich durch gegenseitige sexuelle Handlungen der Frauen sexuell zu erregen. Er tropfte das GBL mittels einer Pipette in ein nicht alkoholisches Getränk, das er der Nebenklägerin gab, die es nichtsahnend austrank. Ein weiteres „sehr wahrscheinlich“ ebenfalls mit GBL versetztes Getränk gab er „sehr wahrscheinlich“ seiner ebenso ahnungslosen Verlobten, die es ebenfalls austrank. Dabei erkannte er und nahm billigend in Kauf, dass die Frauen in einen Bewusstseinszustand bis zur Bewusstlosigkeit versetzt werden könnten, in dem sie sich gegen solche Handlungen nicht würden wehren können. Ihm war bewusst, dass die Verabreichung der Tropfen, insbesondere in Verbindung
mit Alkohol, erhebliche gesundheitliche Risiken bis hin zu einer Todesgefahr in sich barg.
(8) Das GBL, das im Körper zu Gamma-Hydroxybuttersäure (GHB; gemeinhin bekannt als „Liquid Ecstasy“ und „K.O.-Tropfen”) umgewandelt wird, zeitigte die vom Angeklagten erwünschte Wirkung. Die ansonsten verschlossene Nebenklägerin begann zunächst im Wohnzimmer mit der Verlobten des Angeklagten ausgelassen zu tanzen. Im weiteren Verlauf zogen sich die Frauen gegenseitig aus, legten sich auf die Couch und küssten sich. Während die Nebenklägerin dieses ihr gänzlich wesensfremde Verhalten an den Tag legte, lag oder stand ihre Lebensgefährtin neben den beiden anderen Frauen. Im weiteren Verlauf trat der Angeklagte hinzu, küsste die Nebenklägerin und streichelte sie zumindest an ihrer mit einem BH bedeckten Brust und über ihrer mit einem Slip bedeckten Vulva. Er erkannte, dass die Nebenklägerin aufgrund der Wirkung des GBL nicht mehr in der Lage war, einen entgegenstehenden Willen zu bilden und zu äußern. Ohne die heimliche Gabe der GBL-Tropfen hätte die Nebenklägerin sich nicht auf den erheblich älteren und ihr erst seit kurzer Zeit bekannten Angeklagten eingelassen.
(9) Nach Beendigung dieser sexuellen Handlungen war die Nebenklägerin zunächst nicht mehr auffindbar. Sie wurde schließlich im Garten des Wohngrundstückes auf der Erde liegend, schlafend, nicht ansprechbar und nur mit einem durchnässten Bademantel bekleidet gefunden. Aufgrund der starken Bewusstseinseintrübung und der Übelkeit bestand das Risiko des Erstickens durch Bewusstlosigkeit und das Rutschen der Zunge in den Schlund oder durch das Aspirieren von Fremdkörpern infolge Erbrechens.
B. Aus den Gründen
(12) b) Es hält aber der materiell-rechtlichen Prüfung nicht stand, dass die Strafkammer das Verabreichen von GBL mittels einer Pipette als ein Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs im Sinne des Qualifikationstatbestands des § 177 Abs. 8 Nr. 1 Alt. 2 StGB gewertet hat.
(13) aa) GBL-Tropfen stellen für sich genommen kein Werkzeug dar. Eine solche Auslegung lässt sich mit dem Wortlaut der Norm nicht in Einklang bringen (vgl. zur Bedeutung der Wortlautgrenze BVerfG, Beschluss vom 9. Februar 2022 – 2 BvL 1/20, BVerfGE Band 160, 284, NJW 2022, 1160 Rn. 96 ff.); auf die Frage der konkreten Dosierung oder der Gefährlichkeit
des Mittels kann es daher nicht maßgeblich ankommen (in diesem Sinne aber möglicherweise BGH, Beschlüsse vom 6. März 2018 – 2 StR 65/18, NStZ-RR 2018, 141; vom 15. Juli 1998 – 1 StR 309/98). Insoweit gilt:
(14) (1) Bei einem Werkzeug handelt es sich nach allgemeinem Sprachge-brauch um einen für bestimmte Zwecke geformten Gegenstand, mit dessen Hilfe etwas bearbeitet wird (Duden Band 10, Das Bedeutungswörterbuch, 5. Aufl., Stichwort „Werkzeug“ unter 1.a, S. 1121). Unter einem Gegenstand versteht man gemeinhin nur feste Körper. Da Flüssigkeiten, wie hier die GBL-Tropfen, aber auch Gase keine feste Form haben, sind sie keine Gegenstände und ihnen kann damit auch keine Werkzeugqualität zukommen. GBL-Tropfen können mithin ohne eine Verletzung der sich aus Art. 103 Abs. 2 GG ergebenden Wortlautgrenze nicht als Werkzeug im Sinne der strafrechtlichen Vorschriften bewertet werden (vgl. zu alldem MüKo-StGB/Hardtung, 4. Aufl., § 224 Rn. 15 mwN; ebenso LK/Grünewald, StGB, 13. Aufl., § 224 Rn. 20).
(15) (2) Dies wird von systematischen Erwägungen gestützt. Das Merkmal des gefährlichen Werkzeugs wird auch in anderen insoweit wortlautgleichen Qualifikationstatbeständen genutzt; für denjenigen des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden, dass ein Mittel, das erst nach einem Stoffwechselprozess im Körper sedierend oder narkotisierend wirkt, kein (gefährliches) Werkzeug ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. März 2018 – 2 StR 65/18 Rn. 4; vom 27. Januar 2009 – 4 StR 473/08 Rn. 2; aA LK/Hörnle, StGB, 13. Aufl., § 177 Rn. 305; wohl auch – indes nicht tragend – BGH, Beschluss vom 20. April 2017 – 2 StR 79/17, StV 2019, 93, 94). Es sind keine Gründe ersichtlich, weshalb für § 177 Abs. 8 Nr. 1 Alt. 2 StGB etwas anderes gelten sollte, zumal ein Gleichlauf dem Willen des Gesetzgebers entspricht, der den Begriff des gefährlichen Werkzeugs in § 177 StGB nicht anders verstanden haben wollte als in dem – wiederum an § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB angelehnten – Qualifikationstatbestand des § 250 StGB (vgl. BT-Drucks. 13/9064, S. 13, 18).
(16) bb) Dass der Angeklagte die GBL-Tropfen mittels eines Gegenstandes, hier einer Pipette, in ein für die Nebenklägerin bestimmtes Getränk träufelte, führt nicht zu einer anderen Beurteilung.
(17) (1) Für § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB, an den die Vorschrift des § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB angelehnt ist, gilt:
(18) Eine Körperverletzung wird „mittels“ einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeugs begangen, wenn sie unmittelbar durch ein von außen auf den Körper des Tatopfers einwirkendes potentiell gefährliches Tatmittel verursacht wird (st. Rspr.; vgl. zuletzt etwa BGH, Urteil vom 14. Juni 2018 – 3 StR 585/17, BGHSt 63, 138, 153; Beschluss vom 15. August 2023 – 4 StR 514/22 Rn. 17; jeweils mwN). Ein Gegenstand ist danach gefährlich, wenn er nach Art seiner konkreten Anwendung im Einzelfall geeignet ist, unmittelbar eine erhebliche Verletzung herbeizuführen. Dies kann beim Einsatz von Flüssigkeiten, Gasen oder auch Strahlen der Fall sein, wenn sie durch einen Gegenstand auf den Körper gerichtet und mit diesem in Verbindung gebracht werden. Voraussetzung ist indes, dass durch den Gegenstand unmittelbar von außen auf den Körper eingewirkt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juni 2012 – 3 StR 186/12, NStZ-RR 2012, 308; Urteil vom 27. Januar 2011 – 4 StR 487/10, NStZ-RR 2011, 275, 276; MüKo-StGB/Hardtung, 4. Aufl., § 224 Rn. 15; LK/Grünewald, StGB, 13. Aufl., § 224 Rn. 20; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, StGB, 30. Aufl., § 224 Rn. 6 mwN).
(19) Daran fehlt es hier. Denn der Angeklagte verwendete die Pipette lediglich als Dosierungshilfe und brachte mit ihr die Tropfen weder unmittelbar dem Körper der Nebenklägerin bei, noch hatte dieses – für sich genommen in der konkreten Verwendungsart ungefährliche – Instrument (insoweit möglicherweise weitergehend zur besonderen Form der Verabreichung eines Narkosemittels per Infusion: BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2018 – 1 StR 418/18, NStZ 2019, 273) selbst Kontakt zum Körper der Nebenklägerin. Die Pipette war hier lediglich ein Mittel, um die GBL-Tropfen mit dem Körper der Nebenklägerin mittelbar in Verbindung zu bringen, die ihre gesundheitsschädliche Wirkung – nach Konsum des Getränks über einen Stoffwechselprozess – erst noch entfalten mussten. Sie war daher nicht geeignet, unmittelbar und von außen einwirkend eine Körperverletzung zu verursachen; ihr haftete die erforderliche potentielle Gefährlichkeit nicht an. Die Pipette war danach kein gefährliches Werkzeug, sondern lediglich Mittel der Beibringung eines gesundheitsgefährdenden Stoffes; Handlungen unter Verwendung solcher Art Tatmittel unterfallen aber § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB (vgl. LK/Grünewald, StGB, 13. Aufl., § 224 Rn. 11 mwN). Für die Tasse als bloßes Trinkgefäß, aus der die Nebenklägerin den mit GBL versetzten Apfelsaft selbständig trank, gilt erst recht nichts anderes.
(20) Dies steht im Einklang mit früherer Rechtsprechung zu der Einordnung von ätzender Säure, die dem Opfer ins Gesicht gegossen wird, als gefährliches Werkzeug (vgl. BGH, Urteile vom 21. November 1950 – 4 StR 20/50, BGHSt 1, 1; vom 22. Dezember 1993 – 3 StR 419/93), die der Gesetzgeber bei der Überführung und Erweiterung des Tatbestandes der Vergiftung (§ 229 StGB aF) in § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB durch das 6. Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 26. Januar 1998 (BGBl. I 1998 S. 164) übernommen hat (vgl. BT-Drucks. 13/9064, S. 18), und der entsprechenden rechtlichen Bewertung eines Pfeffersprayeinsatzes (BGH, Urteil vom 12. Januar 2012 – 4 StR 499/11). Denn anders als bei der Beibringung der Tropfen vermittelt über ein Getränk können die mit einem Gegenstand von außen auf den Körper gebrachten Stoffe unmittelbar zu erheblichen Köperverletzungen führen.
(21) (2) Es handelt sich bei der Variante „Begehung mittels eines gefährlichen Werkzeugs“ in § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB auch nicht um den „Oberbegriff“ zur Variante der Begehung durch „Beibringung von Gift oder anderen gesundheits-schädlichen Stoffen“ in § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB mit der Folge, dass ein gesundheitsschädlicher Stoff stets auch ein gefährliches Werkzeug wäre; § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist nicht lex specialis zu § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB (Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, StGB, 30. Aufl., § 224 Rn. 6; Krüger/Maurer, JA 2018, 321, 323; aA für den Fall, dass Flüssigkeiten, Gase oder gar Strahlen mit einem Gegenstand auf den Körper gerichtet und mit diesem in Verbindung gebracht werden LK/Grünewald, StGB, 13. Aufl., § 224 Rn. 20; BeckOK StGB/Eschelbach, 62. Ed., § 224 Rn. 29).
(22) Spezialität als besondere Form der Gesetzeskonkurrenz liegt vor, wenn ein Strafgesetz alle Merkmale einer anderen Strafvorschrift aufweist und sich nur dadurch von dieser unterscheidet, dass es wenigstens noch ein weiteres Merkmal enthält, das den infrage kommenden Sachverhalt unter einem genaueren Gesichtspunkt erfasst, also spezieller ist (st. Rspr.; vgl. zuletzt etwa BGH, Urteil vom 10. November 2022 – 5 StR 283/22, NJW 2023, 1973, 1976 mwN).
(23) Dies ist im Verhältnis von § 224 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB schon mit Blick auf den aufgezeigten Wortlaut nicht der Fall. Aber auch ungeachtet des Umstands, dass Gift oder ein anderer gesundheitsgefährdender Stoff für sich genommen keine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug darstellen, gibt es auch kein weiteres, den Sachverhalt genauer erfassendes Merkmal in § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB, das in Nr. 2 nicht
enthalten ist; vielmehr stehen sich einerseits die „Beibringung“ in § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB und andererseits die Begehung der Körperverletzung „mittels“ der Waffe oder dem gefährlichen Werkzeug in § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB gegenüber, ohne dass das eine im anderen enthalten wäre.
(24) Gegen ein Spezialitätsverhältnis spricht zudem, dass der Gesetzgeber durch das 6. StrRG zwar den in § 229 StGB aF geregelten Tatbestand der Vergiftung abschaffen und dieses Unrecht (unter anderen Voraussetzungen) in § 224 Abs. 1 StGB integrieren wollte, die Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen als weiterer Qualifikationstatbestand aber hinzukommen sollte (vgl. BT-Drucks. 13/9064, S. 15 f.). Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich kein Anhalt, dass die neu in § 224 Abs. 1 StGB eingeführte Variante lediglich ein Unterfall der Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs sein sollte. Es folgt hieraus vielmehr nur, dass der Gesetzgeber trotz Abschaffung des Vergiftungstatbestands in § 229 StGB aF dem erhöhten Unrechtsgehalt einer Giftbeibringung durch eine Verschärfung des § 223 StGB-E Rechnung tragen wollte (BT-Drucks. 13/8587, S. 35 f.). Es wäre systematisch im Hinblick auf die Regelungstechnik jedenfalls unüblich (vgl. allerdings BGH, Beschluss vom 20. Februar 2018 – 3 StR 612/17, NStZ-RR 2018, 140; Urteil vom 5. März 2003 – 2 StR 494/02, NStZ 2003, 604 zum Verhältnis von § 249 und §§ 253, 255 StGB), die „Auffangvariante“ des gefährlichen Werkzeugs in § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu regeln, zugleich dieser den „Spezialfall“ in § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB aber voranzustellen. Schließlich spricht auch der Rechtszustand vor der Reform nicht für ein Spezialitätsverhältnis, da es sich bei § 223a StGB aF und § 229 StGB aF um zwei unterschiedliche Strafvorschriften handelte.
(25) (3) Für die Auslegung des Merkmals des gefährlichen Werkzeugs in § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB kann nichts anderes gelten.
(26) Die von der Strafkammer angestellten teleologischen Erwägungen, nach der angesichts vergleichbarer Gefährlichkeit die Gleichbehandlung der Verwendung von sedierend wirkenden Substanzen und beispielsweise „Holzknüppeln“ geboten sei, negieren die aufgezeigten Ergebnisse der grammatikalischen, historischen und systematischen Auslegung; allein auf Gerechtigkeitserwägungen gestützt kann insbesondere nicht die Wortlautgrenze und damit letztlich der Bestimmtheitsgrundsatz nach Art. 103 Abs. 2 GG außer Acht gelassen werden (in diesem Sinne auch
MüKo-StGB/Hardtung, 4. Aufl., § 224 Rn. 18). Soweit sich das Landgericht mit dem Vergleich zu Holzknüppeln auf das oben erwähnte Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21. November 1950 (4 StR 20/50, BGHSt 1, 1) bezogen haben sollte, in dem diese ebenfalls genannt werden, hätte es verkannt, dass der damalige Angeklagte dem Raubopfer Salzsäure aus einem Topf unmittelbar ins Gesicht schüttete und damit den Tatbestand der Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs erfüllte.
(27) Ungeachtet dessen bedürfte es der von der Strafkammer vorgenommenen Auslegung des Werkzeugbegriffs auch nicht, um zu einer schuldangemessenen Ahndung von Fällen der Verabreichung sedierender Substanzen im Rahmen des § 177 StGB zu kommen. Denn es ist dem Tatgericht unbenommen, solche Taten, in denen der Täter – wie hier – ein sehr gefährliches und in seiner konkreten Wirkungsweise, gerade in Kombination mit erheblichen Mengen Alkohol, kaum zu kontrollierendes Mittel im Sinne des § 177 Abs. 7 Nr. 2 StGB bei sich führt und sogar für die Tatbegehung einsetzt, bei der Strafzumessung entsprechend zu würdigen. Der Gesetzgeber hat bei den Strafobergrenzen in den Strafrahmen des § 177 Abs. 7 und 8 StGB keinen Unterschied gemacht (§ 38 Abs. 2 StGB).
(28) c) Obschon der Angeklagte nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen durch das Verwenden des K.O.-Mittels zugleich § 177 Abs. 7 Nr. 2 StGB in Tateinheit mit § 224 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3 und Nr. 5 StGB verwirklichte (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 24. Mai 2016 – 5 StR 163/16 Rn. 3), sieht sich der Senat daran gehindert, den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO selbst abzuändern. Denn nach den Feststellungen liegt es jedenfalls nicht fern, dass der Angeklagte auch die Qualifikation des § 177 Abs. 8 Nr. 2b StGB (Herbeiführung einer konkreten Todesgefahr für das Opfer) verwirklichte.
(29) Zwar hat das Landgericht in der Beweiswürdigung ausgeführt, dass es nur von einer „jedenfalls“ abstrakten Lebensgefahr ausgegangen ist. Dies steht aber in einem Spannungsverhältnis zu den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zur Auffindesituation. Danach bestand bei der Nebenklägerin „aufgrund der starken Bewusstseinseintrübung und der Übelkeit das Risiko des Erstickens durch Bewusstlosigkeit wie das Rutschen der Zunge in den Schlund oder durch das Aspirieren von Fremdkörpern infolge Erbrechens“. Es erscheint danach nicht ausgeschlossen, dass dieses Risiko im zweiten Rechtsgang als eine konkrete Todesgefahr bewertet werden kann. Dies gilt auch in subjektiver Hinsicht: Denn nach den Feststellungen war dem Angeklagten bewusst, dass die
Verabreichung der Tropfen, insbesondere in Verbindung mit Alkohol, erhebliche gesundheitliche Risiken bis hin zu einer Todesgefahr in sich barg. Das Verböserungsverbot steht einem Austausch des Qualifikationsmerkmals – gegebenenfalls nach entsprechenden Hinweisen (§ 265 Abs. 1 StPO) – nicht entgegen (BGH, Beschluss vom 1. Dezember 2020 – 4 StR 519/19 Rn. 7 mwN).
[…]
C. Würdigung von Anja Schmidt
Der 5. Strafsenat des BGH hat in seinem Beschluss vom 8.10.2024 entschieden, dass K.-o.-Mittel nicht unter den Begriff des gefährlichen Werkzeugs in § 177 VIII Nr. 1 StGB fallen. Der ausführlich begründete Beschluss beruht auf einer Auslegung des Wortlautes des § 177 VIII Nr. 1 StGB im systematischen Zusammenhang mit §§ 250 II Nr. 1 sowie 224 I Nr. 1 und 2 StGB.
I. Argumentation des BGH
1. Kern der Argumentation ist das Gebot gesetzlicher Bestimmtheit nach Art. 103 II GG. Es verstoße gegen die Wortlautgrenze der Auslegung, wenn nicht feste Substanzen unter den Begriff des Werkzeugs gefasst werden.[1]
Dass Werkzeuge feste Objekte sind, entspricht dem allgemeinen Sprachgebrauch, der durch den Duden dokumentiert wird. Demnach ist ein Werkzeug ein Gegenstand, der für bestimmte (handwerkliche) Zwecke geformt wird, um etwas herstellen oder bearbeiten zu können.[2] Ein Gegenstand ist dem Duden zufolge ein „[kleiner, fester] Körper“.[3] Zwar lässt sich das Wort Werkzeug auch in einem übertragenen Sinn als Mittel verstehen, um einen bestimmten Zweck zu erreichen,[4] allerdings werden solche Mittel dann eben nur in einem übertragenen Sinn als Werkzeug bezeichnet.
2. Zudem stützt sich der BGH auf die systematische Erwägung, dass der Begriff des gefährlichen Werkzeugs in § 250 II Nr. 1 StGB durch den BGH
bislang für narkotisierende oder sedierend wirkende Mittel ebenso ausgelegt worden sei.[5] In den beiden in Bezug genommenen Entscheidungen hatten der 2. und 4. Strafsenat des BGH diese Frage für § 250 II Nr. 1 StGB jedoch offengelassen, weil jedenfalls die Dosierung oder Zusammensetzung der K.-o.-Mittel nicht für eine gefährliche Wirkung gereicht habe.[6] Zutreffend führt der 5. Strafsenat jedoch aus,[7] dass der Gesetzgeber davon ausging, dass die Qualifikation in § 250 II StGB der in § 177 VIII StGB entspricht.[8]
3. Das Wortlautargument allein würde nicht dagegensprechen, in Tablettenform verabreichte betäubende Substanzen unter den Werkzeugbegriff zu fassen. Der BGH argumentiert jedoch überzeugend, dass es – wie bei der Abgrenzung zwischen gesundheitsgefährdendem Stoff und gefährlichem Werkzeug bei §§ 224 I Nr. 1 und 2 StGB – darauf ankommt, ob der Stoff, bspw. Pfefferspray, mittels eines Gegenstandes unmittelbar auf den Körper aufgebracht wird oder ob er so in den Körper verbracht wird, dass er dort aufgrund von Stoffwechselprozessen seine schädliche Wirkung entfalten kann.[9] Betäubende Substanzen wie K.-o.-Mittel werden unabhängig von ihrer Form über Stoffwechselprozesse im Körper wirksam, so dass sie auch bei der Verabreichung in fester Form nicht unter den Begriff des gefährlichen Werkzeugs fallen.
K.-o.-Tropfen oder andere flüssige oder gasförmige Substanzen sind demnach kein gefährliches Werkzeug gem. § 177 VIII Nr. 1 und auch §§ 177 VII Nr. 1, 224 I Nr. 2, 250 I Nr. 1a), II Nr. 2 StGB.[10]
II. Gesetzgeberischer Handlungsbedarf
Die Entscheidung des BGH überzeugt zwar, legt aber gesetzgeberischen Handlungsbedarf offen.
1. Die heimliche Gabe von betäubenden Substanzen fällt unter den Gewaltbegriff des § 177 V Nr. 1 StGB. Zudem greift § 177 VII Nr. 2 StGB, weil
K.-o.-Mittel sonstige Mittel sind, die ein Täter bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden. Allerdings gilt dann nur der Mindeststrafrahmen von drei Jahren Freiheitsstrafe des § 177 VII StGB, nicht aber die Mindestfreiheitsstrafe von fünf Jahren in § 177 VIII StGB.
Der 5. Strafsenat führt aus, dass dennoch eine schuldangemessene Bestrafung möglich sei, weil die Strafrahmenobergrenzen bei § 177 VII und VIII StGB gleich sind.[11] Allerdings bleibt es dabei, dass der Gesetzgeber nur die Verwendung von Waffen oder gefährlichen Werkzeugen und eben nicht die von sonstigen Mitteln gegenüber deren Beisichführen als unrechts- und schulderhöhend einstuft, obwohl ihre Verwendung genauso gefährlich sein kann wie die von gefährlichen Werkzeugen. Dies gilt insbesondere für betäubende Mittel, die zur Ermöglichung sexueller Übergriffe eingesetzt werden. Bspw. kann bei der Gabe von GHB Bewusstlosigkeit mit der Gefahr einer Atemdepression bis hin zu einem tiefen Koma eintreten, Alkohol wirkt verstärkend.[12]
2. Auch § 177 VIII Nr. 2b) StGB, auf den der 5. Strafsenat für den konkreten Fall verweist, weil die Umstände auf eine konkrete Todesgefahr deuten,[13] genügt nicht, um alle relevanten Fälle aufzufangen. Denn diese Qualifikationsalternative setzt eine konkrete Todesgefahr für die betroffene Person voraus.[14] Diese wird aber nicht in jedem Einzelfall objektiv und subjektiv nachzuweisen sein. Bei der Verwendung von Waffen oder gefährlichen Werkzeugen genügt es hingegen, wenn sie ihre gefährliche Wirkung entfalten können, wobei die Gefahr erheblicher Verletzungen, also auch eine konkrete Gefahr für die Gesundheit, ausreicht.[15]
3. Hinzu kommt die naheliegende Vermutung, dass das Thema von erheblicher praktischer Relevanz ist. Das zeigt nicht nur der öffentlich gewordene Fall Pelicot aus Frankreich. Es dürfte auch ein erhebliches
Dunkelfeld geben: Die STRG_F-Recherche zu „Vergewaltigernetzwerken auf Telegram“ hat Telegramgruppen aufgedeckt, in denen sich mehrere hundert bis zehntausende Männer, zu denen auch deutsche Nutzer gehören, darüber austauschen, wie sie Frauen betäuben und sexuelle Übergriffe bis hin zu Vergewaltigungen an ihnen begehen können; teilweise werden Liveaufnahmen von solchen Übergriffen an bewusstlosen Frauen in diesen Gruppen geteilt und Anweisungen oder Anregungen zum konkreten Vorgehen von anderen Chatteilnehmern ausgeführt.[16] Außerdem dürften viele Fälle unentdeckt bleiben, weil für Betroffene schwer zu erkennen ist, ob sie K.-o.-Mittel verabreicht bekommen haben und was ihnen während der Bewusstlosigkeit widerfahren ist. K.-o.-Mittel sind in den Körpersubstanzen nicht lange nachweisbar und es werden teils Stoffe verwendet, die noch nicht als solche gelten, nach denen also bei der labortechnischen Analyse typischerweise nicht gesucht wird.[17]
III. Gesetzesentwurf des Bundesrates
Eine gesetzgeberische Gleichstellung mit gefährlichen Werkzeugen hinsichtlich der Verwendung betäubender Substanzen bei einem sexuellen Übergriff ist damit angezeigt. Der Bundesrat hat einen entsprechenden Gesetzesentwurf in den Bundestag eingebracht.[18] Demnach soll angelehnt an § 224 I Nr. 1 StGB nach § 177 VIII Nr. 2 und § 250 II Nr. 2 StGB-E bestraft werden, wer „zur Ausführung der Tat dem Opfer Gift oder andere gesundheitsschädliche Stoffe beibringt“. Angesichts des Zusammenwirkens mehrerer Personen in Bezug auf die Ausführung konkreter Taten sollte zudem geprüft werden, ob die Qualifikation einer bandenmäßigen Begehung parallel zu § 250 I Nr. 2 StGB eingeführt werden sollte.[19]
PD Dr. Anja Schmidt, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Kontakt: anja.schmidt@jura.uni-halle.de.
[1] BGH, 8.10.2024, 5 StR 382/24, Rn. 13 f.
[2] https://www.duden.de/rechtschreibung/Werkzeug, zuletzt abgerufen am 10.10.2025.
[3] https://www.duden.de/rechtschreibung/Gegenstand, zuletzt abgerufen am 10.10.2025.
[4] Dahingehend Lichtenthäler FD-StrafR 2024, 824459.
[5] BGH, 8.10.2024, 5 StR 382/24, Rn. 15.
[6] BGH NStZ-RR 2018, 141, 141; NStZ 2009, 505, 506.
[7] BGH, 8.10.2024, 5 StR 382/24, Rn. 15.
[8] BT-Drs. 13/9064, S. 13.
[9] BGH, 8.10.2024, 5 StR 382/24, Rn. 19 f.
[10] Ebenso Jahn JuS 2025, 276, 279; Jäger JA 2025, 79, 81; Müller jM 2025, 88, 89; vgl. zu § 224 I Nr. 2 StGB OLG Dresden NStZ-RR 2009, 337, 337 f.; Hardtung, in Münchener Kommentar StGB, Bd. 4, 5. Aufl. 2025, § 224 Rn. 15; Paeffgen/Böse/Eidam, in Nomos Kommentar StGB, 6. Aufl. 2023, § 224 Rn. 14; Sternberg-Lieben, in Tübinger Kommentar StGB, 31. Aufl. 2025, § 224 Rn. 14; Eckstein NStZ 2008, 125, 126.
[11] BGH, 8.10.2024, 5 StR 382/24, Rn. 27; zustimmend Jäger JA 2025, 79, 82.
[12] Vgl. Loddo/Beike/Rothschild Forens Psychiatr Psychol Kriminol, 2009, 287, 288.
[13] BGH, 8.10.2024, 5 StR 382/24, Rn. 29; kritisch dazu Müller jM 2025, 88, 89.
[14] Vgl. BGH NJW 2001, 836, 837; Renzikowski, in Münchener Kommentar StGB, Bd. 3, 5. Aufl. 2025, § 177 Rn. 180; Eisele, in Tübinger Kommentar StGB, 31. Aufl. 2025, § 177 Rn. 121; Eschelbach, in Matt/Renzikowski StGB, 2. Aufl. 2020, § 177 Rn. 158; Heger, in Lackner/Kühl/Heger StGB, 31. Aufl. 2025, § 177 Rn. 26. Dies gilt auch für § 250 II Nr. 3 b) StGB, vgl. dazu TK/StGB-Eisele, § 250 Rn. 34; Sander, in Münchener Kommentar StGB, Bd. 4, 5. Aufl. 2025, § 250 Rn. 67; Matt/Renzikowski-Eschelbach, § 250 Rn. 43.
[15] Vgl. TK/StGB-Eisele, § 177 Rn. 117; Schumann, in Nomos Kommentar StGB, 6. Aufl. 2023, § 177 Rn. 57; Matt/Renzikowski-Eschelbach, § 177 Rn. 154; vgl. auch MüKo/StGB-Renzikowski, § 177 Rn. 177.
[16] Abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=GLrzyOLJUtk; vgl. zu einem deutschen Fall Beer/Ströh, Frauen betäubt und gefilmt, v. 10.7.2025, abrufbar unter: https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/panorama/archiv/2025/frauen-betaeubt-und-gefilmt-das-netzwerk-der-vergewaltiger,vergewaltiger-netzwerk-100.html, zuletzt abgerufen am 10.10.2025.
[17] Vgl. Loddo/Beike/Rothschild Forens Psychiatr Psychol Kriminol, 2009, 287, 292.
[18] BT-Drs. 21/551.
[19] Eine gemeinschaftliche Begehung gem. § 177 VI Nr. 2 StGB dürfte mangels aktiven Zusammenwirkens unmittelbar am Tatort nicht vorliegen, vgl. MüKo/StGB-Renzikowski, § 177 Rn. 163.