Am 21. März 2025 luden Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel (Universität Augsburg – Forschungsstelle Unternehmensstrafrecht) und Prof. Dr. Johannes Kaspar (Universität Augsburg – Forschungsstelle für japanisches Recht)[1] in Kooperation mit dem Institut für Rechtsvergleichung der Meiji-Universität, Tokyo, Rechtswissenschaftlerinnen und Rechtswissenschaftler aus Deutschland und Japan nach Augsburg ein. Im interdisziplinären und rechtsvergleichenden Austausch debattierten die Referentinnen und Referenten aus Deutschland und Japan über Grundfragen und aktuelle Herausforderungen des Korruptionsstrafrechts. Dieser Tagungsbericht beleuchtet ausgewählte Schwerpunkte der Vorträge.
A. Metarechtliche und methodische Grundfragen der Korruption
Nach der Begrüßung durch die gastgebenden Professoren Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel und Prof. Dr. Johannes Kaspar sowie Prof. Dr.
Heinrich Menkhaus (Meiji Universität Tokyo) bildete ein Themenblock zu den metarechtlichen und methodischen Grundfragen der Korruptionsdelikte den Auftakt der Tagung.
I. „Zur Grammatik der Korruptionsdelikte“ von Prof. Dr. Till Zimmermann (Düsseldorf)
Unter dem Vortragsthema „Zur Grammatik der Korruptionsdelikte“[2] eröffnete Zimmermann die Tagung mit einer dogmatischen Untersuchung des Begriffs der Korruption. Zimmermann legte den Fokus seiner Betrachtung auf das Kernunrecht der Korruption – der Bestechlichkeit und der Bestechung. Zimmermann arbeitete heraus, dass es sich bei den Korruptionsdelikten um kupierte Erfolgsdelikte handele. Denn die heutigen Bestechungsdelikte sind regelmäßig vorverlagert. Damit stelle der Erfolg – die inkorrekte Entscheidung – und gerade nicht die Tathandlung als solche das materielle Unrecht dar.
Weiter widmete sich Zimmermann in seinem Vortrag der Frage, wer das Tatopfer eines Korruptionsdelikts sei. Nach Ansicht des Referenten ist hier zwischen dem Untreue-Unrecht im Innenverhältnis, bei der das Opfer der Prinzipal ist (vgl. § 266 StGB), und dem Amtsmissbrauch im Außenverhältnis, bei dem das Opfer der Entscheidungsunterworfene ist (vgl. § 339 StGB), zu differenzieren. Zudem beschäftigte sich Zimmermann im Rahmen seiner Untersuchung mit der Bestimmung der Tathandlung und des Tatmittels der Bestechung sowie insbesondere mit dem Vorteilsbegriff. Im Hinblick auf den Vorteilsbegriff zeigte Zimmermann auf, dass dieser einerseits weit auszulegen sei. Auf der anderen Seite wies er aber auch auf die Notwendigkeit einer klaren begriffsdogmatischen Abgrenzung zum Erpressungs- und Nötigungsbegriff hin. Insbesondere die Ankündigung von bedingtem Unterlassen erfordere eine klare begriffliche Konturierung. Anschließend erörterte Zimmermann die Fallgruppe der nachträglichen Vorteilsgewährung (sog. Belohnungskorruption).
Zimmermann rundete seine begriffsdogmatische Untersuchung mit Ausführungen zur de lege lata nicht strafbaren Proto-Korruption ab, d.h. der Vorteilsgewährung bzw. -annahme für eine korrekte Entscheidung[3]
sowie dem Einflusshandel nach Art. 18 UNCAC.[4] Nach Ansicht des Referenten sei eine Gleichbehandlung der Proto-Korruption mit den strafbewährten Bestechungsdelikten (§§ 331 ff. StGB) aus dogmatischen Gründen zu vermeiden. Vielmehr sei hierfür ein eigener Straftatbestand zu schaffen. Hinsichtlich des Einflusshandels nach der UNCAC stellte Zimmermann klar, dass es sich um ein Jedermannsdelikt handelt, das nicht zwangsläufig eine Vorteilsannahme erfordert. Deswegen sei der Einflusshandel nach der deutschen Strafrechtsdogmatik nicht als Bestechungsdelikt zu verstehen. Zimmermann beendete seinen Vortrag mit der Frage, ob der intendierte Erfolg des Einflusshandels überhaupt den Unrechtsgehalt einer strafbaren Handlung erfüllt.
II. „Eine Kriminologie der Korruption“ von Prof. Dr. Alexander Baur (Göttingen)
Im zweiten Vortrag des grundlagenorientierten Themenblocks beleuchtete Baur die Korruptionsdelikte aus kriminologischer Sicht. Dabei ordnete Baur die Korruption insbesondere den Bereichen der Wirtschaftskriminalität sowie der politischen Kriminalität zu. Nach Ansicht von Baur sei die Strafverfolgung bereits entdeckter Straftaten (Hellfeld) selten mit Problemen verbunden, da die Aufklärungsquote in diesen Fällen in der Regel sehr hoch ist. Das zu lösende Problem der politischen Korruptionsbekämpfung sei nach Ansicht des Referenten vielmehr die Aufdeckung, da sich der überwiegende Teil der begangenen Delikte im Dunkelfeld befindet.
Baur arbeitete heraus, dass die Deliktsverwirklichung anhand mehrerer, sich gegenseitig bedingender kriminologischer Faktoren erklärt werden kann. Den Ausgangspunkt der Deliktsverwirklichung stelle meistens eine durch Erfolgslosigkeit bedingte Stresssituation (Strain) oder ein erfolgsbedingter Unantastbarkeitsglauben (Success) dar. In der Folge könne die Begehung einer Straftat aufgrund der Arbeitsteilung, die insbesondere auf moderne Konzernstrukturen zurückzuführen ist, und den damit einhergehenden schwer erkennbaren individuellen Unrechtsbeiträgen von den am Delikt Beteiligten leicht persönlich gerechtfertigt
werden. Abschließend äußerte Baur Zweifel an der Wirksamkeit allzu umfassender Compliance-Maßnahmen, da Speak-Up-Culture und Zero-Tolerance-Prinzip nur schwer miteinander vereinbar seien.
In der anschließenden Diskussion wurden die Grenzen wirksamer Compliance-Maßnahmen erörtert. Zudem wurde die Frage aufgeworfen, wie das große Dunkelfeld politisch aufgehellt werden kann.
III. „Auslegungsmethodik am Beispiel der Bestechlichkeit und Bestechung von Amtsträgern“ von Prof. Dr. Hirokazu Kawaguchi (Meiji-Universität Tokyo, Japan)
Mit seinem Vortrag zur „Auslegungsmethodik am Beispiel der Bestechlichkeit und Bestechung von Amtsträgern“ gewährte Kawaguchi als erster Referent rechtsvergleichende Einblicke in die Dogmatik des japanisches Korruptionsstrafrechts.
Kawaguchi erörterte zunächst die Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern nach dem deutschen Recht und zog sodann den Vergleich zur japanischen Rechtsordnung. Ausgangspunkt seiner Untersuchung bildete die Maskenaffäre vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie in Deutschland. Kawaguchi zeigteauf, dass das japanische Recht im Gegensatz zum deutschen keine Unterscheidung zwischen der Amtsträgerkorruption (§§ 331 ff. StGB) und der Abgeordnetenkorruption (§§ 108e f. StGB) kennt. Denn im japanischen Recht ist jeder Amtsträger und Abgeordnete ein öffentlich Bediensteter (jap.: Komuin, vgl. § 7 I 1 Jap. StGB), wobei die Korruptionsstrafbarkeit zusammenfassend in §§ 197 ff. Jap. StGB geregelt wird. Ferner arbeitete Kawaguchi heraus, dass der japanische Begriff des „öffentlich Bediensteten“ weiter ausgelegt wird als der deutsche Tatbestandsbegriff des „Amtsträgers“. Kawaguchi schloss seine Betrachtungen mit dem Ergebnis, dass die Maskenaffäre nach dem japanischen Recht aufgrund des weiter zu ziehenden Täterkreises strafbar gewesen wäre. Sodann wandte sich Kawaguchi erneut der deutschen Rechtsordnung zu. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BGH[5] verwies Kawaguchi darauf, dass das Gericht das Vorgehen der Beschuldigten als nicht von § 108e StGB umfasst ansah. Denn nach Ansicht der deutschen höchstrichterlichen Rechtsprechung fehle der Mandatsbezug der Handlungen. Abschließend unterzog
Kawaguchi die Entscheidung des BGH einer kritischen Analyse, indem er auf die in der Literatur vertretenen Meinungen zur missbräuchlichen Einflussnahme in Deutschland Stellung bezog und eher die abweichende Auffassung der Literatur[6] befürwortete.
IV. Vom heuristischen Nutzen des sozialwissenschaftlichen Korruptionsbegriffs von Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel (Augsburg)
Im letzten methodologischen Vortrag bezog Kubiciel interdisziplinär zum schillernden Begriff der Korruption Stellung.
Der Begriff ist in Deutschland nicht legaldefiniert und hat daher keinen rechtlichen Gehalt. Auch auf europarechtlicher Ebene bleibt die Begriffsbedeutung ungenau: Korruption wird in Art. 83 I AEUV als Kriminalitätsbereich benannt, ohne diesen zu definieren. Kubiciel konnte zunächst aufzeigen, dass der Begriff der Korruption eine pejorative Konnotation habe, woraus eine gewisse Labelling-Funktion erwachse: Ein Phänomen werde, oft auf unklarer normativer Grundlage, zugleich beschrieben und bewertet. Wolle man von dem – sehr weiten – Begriff rationalen Gebrauch machen, käme der Begriffsbestimmung eine große Bedeutung zu, zumal man dann auch dem Gesetzgeber Maßstäbe an die Hand geben könnte, welches Verhalten er als Korruptionsunrecht kriminalisieren könne und welches nicht. Anschließend stellte er die am weitesten verbreiteten Korruptionsbegriffe vor.
Auch bei der dogmatischen Arbeit käme diesen vorrechtlichen Begriffen Bedeutung zu. Kubiciel führte hierzu aus, dass eine Verhaltensweise, die von keiner der weiten sozialwissenschaftlichen Definitionen umfasst werde, schwerlich unter die enger gefassten Tatbestandsbeschreibungen des StGB fallen könne. Kubiciel demonstrierte dies am Beispiel erkaufter Affiliationen und Zitationen ausländischer Universitäten.[7] Dabei manipulierte eine Universität ihre Platzierung in Hochschulrankings durch einen Affiliationenhandel, bei dem sie renommierten Wissenschaftlern Geld zahlte, um als offizielle Angehörige der Universität zu erscheinen. Anhand dieses Beispiels arbeitete Kubiciel heraus, dass selbst
bei einem solchen außergewöhnlichen Fall in der medialen Berichterstattung nicht von einer korrupten Handlung der Wissenschaftler gesprochen wurde, weil diese Handlungen nicht mit dem sozialwissenschaftlichen Korruptionsbegriff in Einklang gebracht werden können. Abschließend kritisierte Kubiciel die in diesem Kontext einzige Verurteilung eines deutschen Wissenschaftlers wegen Vorteilsannahme. Nach Ansicht des Referenten wurde das Tatbestandsmerkmal der Dienstausübung unzulässig ausgeweitet und ferner in Art. 14 I 1 GG eingegriffen, da Publikationen geistiges Eigentum des Wissenschaftlers darstellen und daher grundrechtlichen Schutz genießen. Die Diskussion widmete sich überwiegend der Methode der Rechtsfindung im besprochenen Urteil.
B. „Aktuelle Fragen im Rechtsvergleich“
Der zweite Teil der Tagung widmete sich aktuellen Fragen der Korruptionsdelikte aus rechtsvergleichender Perspektive.
I. „Geschichte der rechtlichen Grundlagen der Politikfinanzierung in Japan“ von Prof. Dr. Heinrich Menkhaus (Meiji-Universität Tokyo, Japan)
Den zweiten Themenblock eröffnete Menkhaus mit einem historischen Überblick zu den Skandalen der Politikfinanzierung in Japan. Hierauf aufbauend widmete sich der Referent der Untersuchung der Politikfinanzierung nach dem geltenden japanischen Recht.
Menkhaus erörterte zunächst die verfassungsrechtlichen Vorgaben. Er zeigte auf, dass die japanische Verfassung zwar die finanzielle Rechtstellung des Mandatsträgers umfassend regelt (bspw. Art. 49 oder 51 Jap. Verfassung), jedoch keinen Begriff der politischen Partei kennt. Der verfassungsrechtliche Schutz der politischen Partei wird vielmehr als durch die Freiheit der Versammlung und die Bildung von Vereinigungen (Art. 21 I Jap. Verfassung) umfasst angesehen. Menkhaus zeigte weiter auf, dass das japanische Recht grundsätzlich keine speziellen juristischen Vorgaben über die staatliche Parteiensubventionierung enthält. Ferner wies Menkhaus darauf hin, dass der Begriff der Fraktion in Japan weder verfassungsrechtlich noch einfachgesetzlich legaldefiniert ist, obgleich deren tatsächliche Existenz im japanischen Parlament unbestritten ist. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Vorgaben zur finanziellen Rechtsstellung von Mandatsträgern verwies Menkhaus auf das
Problem der Abgrenzung von Geldern für politische Aktivitäten und Geldern für die Bestreitung des Lebensunterhalts sowie der Umwidmung von Mandatsträgergelder für die Bestreitung des Lebensunterhalts. Als weitere Probleme der Parteifinanzierung nannte Menkhaus den Unterfall der Wahlbewerber sowie darüber hinaus die Finanzierung durch nicht-staatliche Akteure.
II. „Neue Wege im Korruptionsstrafrecht? Ein Blick auf die geplante EU-Richtlinie“ von Prof. Dr. Victoria Ibold (Halle)
Ibold beleuchtete die sanktionsrechtlichen Dimensionen der geplanten Korruptionsrichtlinie[8] der Europäischen Union. Ibold legte die in der europäischen Gesetzgebung[9] zu beobachtende Tendenz, Unternehmen für Rechtsverstöße ihrer Mitarbeiter stärker zu sanktionieren, als Prämisse ihrem Vortrag zu Grunde. Nach ihrer Ansicht ziele die europäische Gesetzgebung darauf ab, eine Eindämmung verschiedener Aspekte von Makrokriminalität zu erreichen, indem nicht nur das Individuum, sondern zunehmend auch Unternehmen zum Sanktionsadressat werden. Vor diesem Hintergrund warf Ibold die Frage auf, ob dieser Fokus auch neue Wege im europäischen Korruptionsstrafrecht eröffne.
Im ersten Teil ihres Vortrages skizzierte Ibold die Techniken europäischer Unternehmenssanktionierung und differenzierte zwischen einem Regulierungsansatz auf der Ebene der Sanktionsvoraussetzungen und der Sanktionsfolgen. Ibold legte dar, dass im deutschen Recht die hohen Sanktionsvoraussetzungen dazu führen, dass sich die Unternehmen leichter entlasten können, da § 30 OWiG als zentrale Sanktionsvoraussetzung ein strafbares oder ordnungswidriges Verhalten einer Individualperson erfordert. Im Gegensatz dazu verwies Ibold auf das europäische Kartellrecht, das auf eine kollektive Verantwortung des Unternehmens zielt und überdies geringe Nachweisanforderungen stellt. Ibold betonte, dass die Übertragung der kartellrechtlichen Sanktionsvoraussetzungen auch in der Rechtsprechung des EuGH „Deutsche Wohnen“[10] wegen Verstößen gegen die DS-GVO zu beobachten sei. Auf der Ebene der Sanktionsfolgen zeigte Ibold ebenfalls eine zunehmende Durchsetzung der aus
dem Kartellrecht kommenden sog. umsatzbezogenen Geldbußen auf. Diese eröffnen nach ihrer Ansicht die Möglichkeit der Berücksichtigung von Konzernstrukturen und erleichtern aufgrund von Schätzungsmöglichkeiten zudem die Sanktionierung.
Anschließend beleuchtete Ibold die in der geplanten Korruptionsrichtlinie vorgesehenen Techniken der Unternehmenssanktionierung. Sie arbeite heraus, dass der derzeitige Entwurf eine Änderung der Sanktionsvoraussetzungen nicht vorsieht, sondern vielmehr einen unternehmensbezogenen Ansatz auf der Rechtsfolgenseite enthält. Im letzten Teil ihres Vortrages hinterfragte Ibold die Wirksamkeit der vorgesehenen Techniken. Ibold äußerte Zweifel am Ansatz, Unternehmen durch hohe Geldbußen wirksam zu normgemäßem Verhalten zu veranlassen. Dies begründete sie damit, dass sich die Grundannahme einer rationalen ökonomischen Analyse (sog. homo oeconomicus) keinesfalls stets mit den empirischen Erkenntnissen decke. Vielmehr weisen die empirischen Erkenntnisse darauf hin, dass die Sanktionswahrscheinlichkeit der entscheidende Faktor der Verhaltenssteuerung ist. Nach Ansicht der Referentin folgt hieraus, dass der Ansatzpunkt primär auf der Korruptionsprävention liege. Dies erfordere jedoch einen Regulierungsansatz auf der Ebene der Sanktionsvoraussetzungen. Ibold beendete ihre Darstellung mit dem Ausblick, dass die geplante Korruptionsrichtlinie neue Forschungsfelder für die Strafrechtswissenschaft eröffne, weil die Frage der Wirksamkeit unternehmensbezogener Geldbußen noch eine empirische Untersuchung erfordert.
III. „Das Verbot und die Verfolgung der Auslandsbestechung in Japan und Deutschland: Abriss und Herausforderungen“ von Prof. Kazushige Doi, LLM. Marburg – (Frankfurt am Main); (Kitakyushu)
Doi referierte über die japanischen und deutschen Regelungen der Auslandsbestechung und die damit verbundenen dogmatischen und praktischen Schwierigkeiten. Doi leitete seinen Vortrag mit dem Befund ein, dass die Unterbindung der Auslandsbestechung zu einem globalen Anliegen avanciert ist, das sowohl auf völkerrechtlicher als auch auf nationaler Ebene eine zunehmende Institutionalisierung erfahren hat. Ausgangspunkt bildete die Annahme des OECD-Übereinkommens über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr im Jahr 1997. Vor dem Hintergrund internationaler
Vorgaben skizzierte Doi zunächst die Rechtslage in Japan und zog einen Vergleich zu den deutschen Regelungen.
Doi zeigte auf, dass in Japan, anders als in Deutschland, wo die Vorgaben inzwischen in § 335a StGB umgesetzt worden sind,[11] die Auslandsbestechung in einem Sondergesetz (§ 18 I Jap. Unfair-Wettbewerb-Gesetz) geregelt ist. Doi erklärte, dass nach Ansicht des japanischen Gesetzgebers die gewählte Ausgestaltung dem Ziel des OECD-Übereinkommens entspreche, den Schutz der Fairness des internationalen Wettbewerbs gerade unabhängig vom nationalen Verbot der Auslandsbestechung in Japan zu gewähren. Anders als im inländischen Korruptionsstrafrecht gehe es nicht um das Vertrauen in die Lauterkeit des öffentlichen Dienstes im Ausland. Dabei betonte Doi, dass nach japanischer Auffassung bei der Auslandsbestechung ausschließlich die Geberseite relevant sei. Die Ahndung der Bestechlichkeit ausländischer Bediensteter liege demnach im Zuständigkeitsbereich des betroffenen Landes. Der japanischen Rechtslage stellte Doi die deutsche Regelung in § 335a StGB gegenüber. Der Referent hob hervor, dass das deutsche Strafgesetzbuch das umfassendste Kriminalisierungsmodell der Auslandskorruption enthält und im Gegensatz zu Japan eine Gleichstellungsklausel für ausländische und internationale Bedienstete (§§ 331 ff. StGB) bezweckt. Auch unterscheide sich der Schutzzweck der Norm von dem japanischen Ansatz, da das deutsche Verbot der Auslandsbestechung dem Schutz der Lauterkeit des öffentlichen Dienstes eines ausländischen Staates dient, und daher zwangsläufig einen internationalen Geltungsanspruch in Kauf nimmt. Doi verwies in diesem Zusammenhang auf die in der Rechtswissenschaft geführten Diskussionen im Hinblick auf die Legitimation der Norm (u.a. Kubiciel[12] und Zimmermann[13]) sowie deren Effektivität (u.a. Weigend[14] und Kuhlen[15]). Doi rundete seine Ausführungen mit einem Ausblick auf die japanische Rechtslage ab. Er ging auf die Herausforderungen der
Ermittlungsarbeit bei grenzüberschreitenden Delikten ein und betonte, dass nach seiner Ansicht die japanische Einführung der Kronzeugenregelung im Jahr 2018 die Verfolgung der Auslandsbestechung weiter erhöhen wird.
IV. „Beschleunigungszahlungen“ von Prof. Dr. Matthias Wachter (Freiburg)
Wachter stellte in seinem Vortrag Überlegungen zu den Fast Lanes an Flughäfen und die in ihnen liegende Verwirklichung diverser Korruptionsdelikte an.
Unter Beschleunigungszahlung ist ein schnellerer Ablauf eines Verwaltungsverfahrens gegen Geldzahlung zu verstehen.[16] Diese erfüllen nach Ansicht von Wachter regelmäßig die Straftatbestände der Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung (§§ 331 ff.). Darüber hinaus sei für die Komplementärtatbestände der Bestechlichkeit und Bestechung (§§ 334 f.) eine differenziertere Betrachtung erforderlich. Hier scheide eine Dienstpflichtverletzung jedenfalls dann aus, wenn die Reihenfolge der zu bearbeitenden Sachverhalte gleich bleibt und der Amtsträger seine Arbeit lediglich zügiger gestaltet.
Hierauf aufbauend zeigte Wachter auf, dass Fast-Lanes lediglich einen Sonderfall der Beschleunigungszahlungen darstellen. Nach Auffassung des Referenten wirft die Strafbarkeit der Fast-Lane-Nutzung nach den Korruptionstatbeständen jedoch zwei Fragen auf: Einerseits sei die Amtsträgereigenschaft der Vorteilsannehmenden und die räumliche Trennung zwischen der Warteschlangenorganisation und der Sicherheitskontrolle in den Blick zu nehmen; andererseits die Pflichtwidrigkeit der Verwaltungspraxis des Überspringens der Warteschlange. Wachter unterstrich seine Ansicht dadurch, dass zwischen der Warteschlange vor dem Sicherheitskontrollbereich und der Sicherheitskontrolle keine normative Einheit bestehe. Zusätzlich sei zwischen den funktionalen Zwecken der Kontrolle zu unterscheiden: dem Zweck des Schutzes der Flugsicherheit (§ 1 LuftSiG) und dem Zweck der Warteschlangenorganisation, der der allgemeinen Ordnung am Flughafen dient und damit in den Aufgabenbereich des Flughafenbetreibers fällt (§ 8 I 1 Nr. 1 LuftSiG). Anhand der Unterscheidung der verschiedenen Zwecke konnte Wachter
aufzeigen, dass ein pflichtwidriges Verwaltungshandeln abzulehnen sei, weil sich die Sicherheitskontrollen durchführenden Amtsträger am Prioritätsprinzip orientieren. Denn die Sicherheitskontrolle am Flughafen prüft die Passagiere in der Reihenfolge, in der die Wartenden auf sie zukommen. Eine Änderung der Warteschlange durch die Fast Lane ist dann bereits ohne Beitrag der Amtsträger vorgenommen.
In der anschließenden Diskussion verteidigte Zimmermann, der die Fallgruppe erstmals in das Blickfeld der deutschen Rechtswissenschaft gerückt hatte,[17] die seiner Ansicht nach vorliegende Strafbarkeit. Diese begründet er durch die Annahme einer faktischen räumlichen Trennung zwischen Warteschlagenorganisation und Sicherheitskontrolle. Über das Bestehen einer – nach Wachter – normativen oder – nach Zimmermann – faktisch räumlichen Abgrenzung zwischen der Warteschlange und der Sicherheitskontrolle und der damit einhergehenden Straflosigkeit oder Strafbarkeit konnte in der Debatte kein Konsens erzielt werden.
V. „Die praktische Anwendung des Ermessensspielraums der Staatsanwaltschaft in Korruptionsfällen“ von Prof. Dr. Mutsumi Kurosawa (Meiji-Universität Tokyo, Japan)
Kurosawa legte unter dem Vortragsthema „Die praktische Anwendung des Ermessensspielraums der Staatsanwaltschaft in Korruptionsfällen“ die strafprozessualen Unterschiede zwischen der japanischen und deutschen Strafverfolgung dar.
Kurosawa hob zunächst die strafprozessualen Gemeinsamkeiten der beiden Rechtsordnungen hervor. Erzeigte auf, dass auch nach der japanischen Strafprozessordnung die Anklageerhebung dem Offizialprinzip unterliegt und das Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft zugewiesen ist (§ 247 Jap. StPO). Das Opportunitätsprinzip (vgl. § 248 Jap. StPO) findet im japanischen Strafprozessrecht Anwendung. Kurosawa differenzierte jedoch hinsichtlich des Legalitätsprinzips, welches im Gegensatz zum deutschen Strafprozessrecht in Japan nicht vorgeschrieben ist. Stattdessen wird das Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft durch die Möglichkeit der Antragstellung auf Einleitung eines Strafverfahrens bei Amtsdelikten sowie durch einen Untersuchungsausschuss zur Kontrolle
staatsanwaltschaftlichen Handelns reguliert. Kurosawa konstatiert daraus einen erheblichen Ermessensspielraum der japanischen Staatsanwaltschaft, der erhebliche Unterschiede in der Praxis der Anklageerhebung zur Folge hat. Darüber hinaus beanstandete Kurosawa, dass die Divergenz in der Anklageerhebung zudem durch die ständige japanische höchstrichterliche Rechtsprechung verfestigt werde. Nach Ansicht des Referenten begünstige dies insbesondere im Kontext der Korruptionsfälle Absprachen im Hintergrund.
Abschließend unterzog Kurosawa die Wirksamkeit der Kontrolle des staatsanwaltschaftlichen Ermessenspielraumes durch den Untersuchungsausschuss für staatsanwaltschaftliches Handeln einer Kritik. Der Referent bemängelte, dass die Entscheidungen des Untersuchungsausschusses über die Ungeeignetheit der Anklageerhebung keiner Kontrolle unterliegen und verwies auf Kritik von Seiten der Strafverteidiger und Stimmen aus der Wissenschaft. Kurosawa beendete seinen Vortrag mit dem Appell, die Kontrollbefugnisse des Untersuchungsausschusses für staatsanwaltschaftliches Handeln zu reformieren.
VI. „Statement aus Sicht der Staatsanwaltschaft“ von StAin Ambika Zeeb (Gruppenleiterin Staatsanwaltschaft München I)
Nach den theoretischen Ausführungen der vorangegangenen Vorträge erweiterte Zeeb die Betrachtung der Korruptionsdelikte um eine praktische Perspektive. Dabei ging sie auf ihre Erfahrungen aus der Ermittlungspraxis in Wirtschaftsgroßverfahren der Staatsanwaltschaft München I ein und lieferte den Tagungsteilnehmerinnen und Tagungsteilnehmern wertvolle Einblicke aus der Praxis.
Unter Verweis auf das Legalitätsprinzip (§ 152 StPO) führte Zeeb aus, dass der Staatsanwaltschaft bei Anklageerhebungen grundsätzlich kein Ermessensspielraum zusteht. Die Referentin führte aus, dass in Wirtschaftsstrafsachen die Ermittlungsverfahren häufig auf Strafantrag der Unternehmen im Rahmen von Compliance-Maßnahmen selbst eingeleitet werden. Auch betonte Zeeb, dass die betroffenen Unternehmen in diesen Verfahren die für die Sachverhaltsaufklärung wesentlichen internen Informationen liefern, was eine enge Zusammenarbeit zwischen den Vertreterinnen und Vertretern der Wirtschaft und der Staatsanwaltschaft ermöglicht. Zeeb wies darauf hin, dass die seltenen Fälle der Opportunitätseinstellung (§§ 153 ff. StPO) aufgrund sog. Insider-Wissens
gleichwohl ihre Grenzen unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung finden. Die praktische Handhabung der Einstellung aus Opportunitätsgründen ist äußerst restriktiv und kommt insbesondere nur in Fällen von Großkonglomeraten zum Tragen, bei denen ohne interne Unternehmensinformationen kein Erfolg des Verfahrens zu erwarten wäre.
Zeeb schloß ihre Ausführungen mit dem Verweis, dass nur eine geringe Anzahl der Verfahren mit Strafbefehlen (§§ 407 ff. StPO) abgeschlossen werden.
VII. „Statement aus Sicht der Unternehmenspraxis“ von Janine Greiling (Compliance Expert, BMW Group, München)
Den Abschluss der Tagung bildete der Vortrag von Greiling, die mit ihren Berichten aus der Unternehmenspraxis das Blickfeld der Untersuchungen auf die praktische Umsetzung der gesetzgeberischen Vorgaben in einem international agierenden Konzern richtete.
Greiling stellte das Compliance Management System (CMS) der BMW Group vor, das sich in mehrere einzelne Compliance-Programme gliedert. Zur Frage der Korruptionsprävention vertiefte Greiling ihre Ausführungen und ging insbesondere auf die globalen Herausforderungen an international regulatorischen Vorgaben der Korruptionsbekämpfung ein. Im Fall der BMW Group veranschaulichte Greiling, dass das weitgehend einheitliche Geschäftsmodell der BMW Group ein eher geringeres Korruptionsrisiko birgt, da relevante Prozesse und finanzielle Freigaben weit überwiegend einer zentralen Steuerung unterliegen. Nach den Ausführungen der Referentin folgen hieraus sog. „groupweite Anforderungen“, die zwar lokale Abweichungen ermöglichen, jedoch insgesamt zu einer Sicherung eines Mindeststandard führen.
Abschließend diskutierte Greiling internationale und politische Herausforderungen, die sich insbesondere vor dem Hintergrund des vorübergehenden Einfrierens des FCPA (Foreign Corrupt Practices Act)[18] durch die Executive Order vom 10.2.2025 ergeben. Greiling führte aus, dass die neuesten globalen Entwicklungen zwar derzeit keine Veränderung des CMS-Programms zur Folge gehabt hätten. Gleichwohl resümierte sie,
dass für das Unternehmen die gegenwärtigen globalen Ereignisse Anlass für eine weitere Beobachtung gäben.
C. Ausblick
Der deutsch-japanische Austausch über Grundfragen und aktuelle Probleme des Korruptionsstrafrechts beflügelte nicht nur den wissenschaftlichen Diskurs, sondern führte auch zu einer Intensivierung des Ausbaus der wissenschaftlichen Beziehungen zwischen der Universität Augsburg und der Meiji-Universität, Tokyo. Weitere rechtsvergleichende Tagungen sind sowohl in Augsburg als auch in Japan geplant.
Die Verfasserinnen und Verfassser des Tagungsberichtes sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Lehrstuhl von Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel in Augsburg. Kontaktperson: Frau Ass. iur. Alina Preiß, B.A., alina.preiss@jura.uni-augsburg.de.
Ein besonderer Dank für die wertvolle Unterstützung bei der Abfassung dieses Beitrags gebührt Herrn Prof. Michael Kubiciel und Frau Prof. Victoria Ibold.
Da es sich bei diesem Beitrag um einen Tagungsbericht handelt, wurde von einem Peer-Review-Verfahren abgesehen.
[1] Kaspar/Schön, Einführung in das japanische Recht, 2. Aufl. 2024.
[2] Siehe Zimmermann GA 2024, 301 (Teil 1); 365 (Teil 2).
[3] Zimmermann versteht unter dem Begriff der Proto-Korruption ein Unrecht, das in dem Sich-Begeben in eine Verstrickungssituation, welche die spätere Vornahme von Fehlentscheidungen zugunsten des Vorteilsgebers begünstigt, zu sehen ist, vgl. Zimmermann, Das Unrecht der Korruption, Eine strafrechtliche Theorie, 2018, S. 504.
[4] United Nations Convention Against Corruption (zuletzt aufgerufen am 5.5.2025). Dazu Llamazon, in: Rose/Kubiciel/Landwehr, The United Nations Convention Against Corruption, Oxford 2019, Art. 18 Rn. 1 ff.
[5] BGH Beschluss v. 05.07.2022 – StB 7-9/22 = BGHSt 67, 107.
[6] Kubiciel/Hoven NK 2014, 239; Kubiciel, Verfassungsblog v. 19.11.2021 (zuletzt aufgerufen am 10.6.2025). A.A.: Saliger in Festschrift für Dannecker, 2023, 339 ff.
[7] Siehe Bhattacharjee, Saudi Universities Offer Cash in Exchange for Academic Prestige, Science 2011, 1344 (https://www.science.org/doi/10.1126/science.334.6061.1344#tab-citations [zuletzt aufgerufen am 29.5.2025]).
[8] Über die Richtlinie zur Korruptionsbekämpfung beraten derzeit Rat und Kommission im Trilogverfahren (Stand Juni 2025). Dazu ausführlich Busch, in: Kubiciel (Hrsg.), Unternehmensanktionen und Korruptionsstrafrecht zwischen Diversifizierung und Systemanspruch, im Erscheinen.
[9] Ibold verwies insb. auf die DS-GVO, den DSA, den DMA, die KI-VO sowie den Data-Act.
[10] EuGH Urteil v. 05.12.2023 – C 807/21 „Deutsche Wohnen“.
[11] Siehe aber auch Art. 2 Gesetz zu dem Übereinkommen vom 17. Dezember 1997 über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr (Gesetz zur Bekämpfung internationaler Bestechung – IntBestG). Dazu umfassend Hoven, Auslandsbestechung, 2018; Spörl, Das Verbot der Auslandsbestechung, 2019.
[12] Kubiciel, Das Verbot der Auslandsbestechung: Bedeutungswandel und Legitimationsfragen, in: ders./Hoven (Hrsg.), Das Verbot der Auslandsbestechung, 2016, S. 13 ff., 45 ff.
[13] Zimmermann,Das Unrecht der Korruption, Eine strafrechtliche Theorie, 2018, S. 690 ff.
[14] Weigend, Strafrechtsanwendungsrecht bei Auslandskorruption, in: Kubiciel/Hoven (Hrsg.), Das Verbot der Auslandsbestechung, 2016, S. 109 ff.
[15] Kuhlen, Die Auslandsbestechung im deutschen Strafrecht, in: ders. u.a. (Hrsg.), Korruption im Strafrecht, S. 27 ff.
[16] Vgl. zum Strafbarkeitsphänomen der Beschleunigungskorruption anhand des hier diskutierten Falles Zimmermann/Stolz JZ 2024, 233. Siehe ferner Kubiciel ZIS 2015, 473 ff.
[17] Zimmermann/Stolz, Korruption als Statussymbol, LTO v. 30.4.2024 (zuletzt aufgerufen am 10.6.2025).
[18] 15 U.S.C. § 78dd-1 et seq. Dazu Kubiciel/Spörl, Verfassungsblog v. 19.2.2025 (zuletzt aufgerufen am 10.6.2025).