Der Aufsatz setzt sich kritisch mit der in § 43 StGB geregelten Ersatzfreiheitsstrafe (EFS) auseinander. Nach einer Darstellung der Geschichte der Geld- und Ersatzfreiheitsstrafe in Deutschland, wird die Möglichkeit einer Abschaffung der EFS diskutiert. Obwohl der Beitrag dabei zu dem Schluss kommt, dass eine gänzliche Abschaffung der EFS vorzugswürdig ist, werden abschließend noch einige Reformideen skizziert, durch die sich zumindest die Zahl der EFS-Gefangenen deutlich verringern ließe.
A. Einleitung
Über eine Abschaffung oder Reform der Ersatzfreiheitsstrafe (EFS) wird seit Jahrzehnten intensiv diskutiert. Obwohl sie vor allem im Schrifttum vielfach kritisch bewertet wird und selbst die meisten ihrer Befürworter in ihr nur eine „leidvolle Notwendigkeit“[1] sehen, hat sie seit den 1990er Jahren einen erheblichen Bedeutungszuwachs erfahren. Derzeit sind etwa 10 % aller inhaftierten Personen in deutschen Gefängnissen EFS-Gefangene,[2] womit Deutschland im europäischen Vergleich mit Abstand Spitzenreiter ist.[3] In keinem anderen Land Europas müssen so viele Menschen wegen einfacher Bagatelltaten eine Haftstrafe verbüßen, nur weil sie zu arm sind, ihre Geldstrafenschulden zu begleichen. Bis Anfang dieses Jahres enthielt § 43 StGB a.F. einen starren Umrechnungsschlüssel, wonach bei Uneinbringlichkeit einer Geldstrafe jeder Tagessatz durch einen Tag Freiheitsstrafe ersetzt werden musste. Fast ein halbes Jahrhundert war dieser Umrechnungsmaßstab in Kraft, ehe der Gesetzgeber ihn unlängst halbiert hat:[4] Am 1.2.2024 ist der neue Umrechnungsschlüssel in Kraft getreten. Seitdem entsprechen zwei Tagessätze einem Tag Freiheitsstrafe (§ 43 S. 2 StGB n.F.). Der nachfolgende Aufsatz nimmt diese Reform zum Anlass, die Notwendigkeit der EFS für unsere Strafrechtsordnung grundsätzlich zu hinterfragen.
B. Überblick über die Geschichte der Geld- und Ersatzfreiheitsstrafe
Die Geldstrafe hat sich in den letzten 200 Jahren zur Hauptsanktion des deutschen Strafrechts entwickelt. Spielte sie noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine vollkommen untergeordnete Rolle, avancierte sie innerhalb weniger Jahrzehnte zur vorherrschenden Strafe zur Ahndung von Bagatellkriminalität. Im Reichsstrafgesetzbuch von 1871 (RStGB) sahen bereits 77 Straftatbestände eine Geldstrafe als mögliche Sanktion vor.[5] In den ersten Jahren nach Inkrafttreten des RStGB setzten zwar noch knapp 80 % aller Verurteilungen Freiheits- und nur 20 % Geldstrafen fest, dieses Verhältnis kehrte sich jedoch innerhalb eines Jahrhunderts um. Seit den 1970er Jahren liegt der Anteil der Geldstrafen an den ausgesprochenen Sanktionen im Erwachsenenstrafrecht in der BRD stabil bei ca. 80 %.[6] Diese Entwicklung ist maßgeblich auf die Kritik an der Verhängung kurzer Freiheitsstrafen zurückzuführen, über deren Schädlichkeit man sich bereits Ende des 19. Jahrhunderts in der Wissenschaft weitgehend einig war.[7] Um jedoch auch bei Vermögenslosigkeit verurteilter Personen nicht auf ein spürbares Strafübel zu verzichten, sah schon die Urfassung des RStGB in § 28 die Umwandlung einer „nicht beizutreibenden Geldstrafe“ in eine Freiheitsstrafe vor. Diese Freiheitsstrafe war damit nicht als Beugemittel, sondern als echte Ersatzstrafe mit Tilgungswirkung konzipiert[8] und war durch einen Richter anzuordnen.[9] Lag und liegt der Wert der Geldstrafe vor allem darin, die als schädlich befundenen, kurzfristigen Freiheitsstrafen zurückzudrängen, erscheint es widersprüchlich, auf die Uneinbringlichkeit einer Geldstrafe zwingend mit eben einer solchen kurzen Freiheitsstrafe zu reagieren.[10] Es verwundert daher nicht, dass sich dieses Konzept von Anfang an grundsätzlicher Kritik ausgesetzt sah. Im Mittelpunkt stand dabei der Vorwurf, dass es sich bei der EFS um eine „Bestrafung der Armen der Armuth halber“[11] und damit um „Klassenjustiz“[12] handle. So war etwa Mittelstädtauf dem Deutschen Juristentag 1891 der Meinung, dass es gerechter sei, absolut unvollstreckbare Geldstrafen einfach unvollstreckt zu lassen: „Wer so arm und elend ist, daß er eine ihm zuerkannte Geldstrafe schlechterdings zu bezahlen oder abzuarbeiten unfähig ist, der ist schwer genug heimgesucht, um den Verzicht auf den Strafvollzug zu rechtfertigen. War sein Delict so geartet, daß der Strafrichter nur eine Geldbuße für angemessen erachtete, so scheint es mir doch befremdlich, daß er nun zur Strafe für seine Armuth an Leib und Freiheit und nicht an Geld und Gut büßen soll.“[13] Als einer der profiliertesten Kritiker kurzer Freiheitsstrafen, lehnte auch v. Lisztdie EFS ab und wollte sie im Wesentlichen durch Strafarbeit ersetzt wissen.[14]
Im Kontext des sich um die Jahrhundertwende immer deutlicher artikulierenden gesellschaftlichen Bewusstseins für die sozialen Ungleichheiten jener Zeit diskutierte die Strafrechtswissenschaft Ideen, wie die Geldsummenstrafe des RStGB unter Berücksichtigung der individuellen wirtschaftlichen Verhältnisse der betroffenen Personen reformiert und die Geldstrafe so nach dem Prinzip der „Opfergleichheit“ ausgestaltet werden könnte.[15] Dabei erörterte man u. a. Möglichkeiten, wie man die Geldstrafe der allgemeinen persönlichen Einkommensteuer entsprechend als Bruchteil des Einkommens und nicht des Vermögens bemessen könnte.[16] Der Gesetzgeber übernahm diese Ideen jedoch nicht. Die wirtschaftlichen Verhältnisse blieben lediglich eines von vielen zu berücksichtigenden Strafzumessungskriterien.[17] Auch während der Weimarer Republik, in der es infolge der Geldstrafengesetze von 1921[18] und 1923[19] zu einer merklichen Ausweitung des Anwendungsbereichs der Geldstrafe kam, blieben sowohl die Zumessungsmechanismen als auch die Anordnungsvoraussetzungen der EFS weitgehend unverändert.[20] Erst das 1975 in Kraft getretene Tagessatzmodell stellte eine grundlegende Neuausrichtung der Geld- und Ersatzfreiheitsstrafe dar: Während sich zuvor aus der verhängten Geldstrafe nicht ableiten ließ, inwieweit sich ihre Höhe aus der Schwere der Schuld und den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der verurteilten Person zusammensetzte, ist das bis heute geltende Tagessatzmodell ungleich transparenter ausgestaltet, da es eine Aufteilung in eine tat- und schuldangemessene Tagesatzzahl und eine der individuellen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entsprechenden Tagessatzhöhe vorsieht.[21] Die Einführung des Tagessatzmodells hatte auch direkte Auswirkungen auf die Ersatzfreiheitstrafe. Bestimmte sich deren Höhe zuvor nach freiem richterlichen Ermessen (vgl. § 29 III StGB a.F.),[22] führte der Gesetzgeber im neugefassten § 43 StGB a.F. einen automatischen Umrechnungsmaßstab ein, wonach bei Uneinbringlichkeit der Geldstrafe jeder Tagessatz durch einen Tag EFS verbüßt werden musste. Eines eigenen richterlichen Ausspruchs über die EFS bedarf es seitdem nicht mehr.[23] Die Stimmen, die sich im Rahmen des Reformprozesses für eine komplette Abschaffung der EFS einsetzten,[24] konnten sich ebenso wenig durchsetzen, wie diejenigen, die sich in Anbetracht der fehlenden Vergleichbarkeit von Geld- und Freiheitstrafe für einen milderen Umrechnungsmaßstab von 2:1 stark machten.[25] Auch dem Vorschlag, die Vollstreckung der EFS von einer besonderen Anordnung des Gerichts abhängig zu machen, folgte man nicht.[26] Die EFS mit ihrem automatischen Umrechnungsschlüssel wurde und wird von vielen bis heute als „Rückgrat der Geldstrafe“ gesehen.[27]
In den Jahrzehnten nach Einführung des Tagessatzmodells und der Anpassung der EFS hieran, hat es jedoch eine Vielzahl von Vorstößen gegeben, den als zu hart empfundenen Umrechnungsschlüssel zu reformieren.[28] Erstaunlicherweise sollte es aber bis zum 22.6.2023 und damit fast 50 Jahre dauern, ehe der Bundestag mit dem „Gesetz zur Überarbeitung des Sanktionenrechts“ eine Abschwächung des Umrechnungsmaßstabs auf 2:1 beschloss.[29] Ein Gegenantrag der Fraktion „Die Linke“, der eine Abschaffung der EFS vorsah, fand wiederum keine Mehrheit.[30] Die am 1.2.2024 in Kraft getretene Umgestaltung der Regelungen zur Geld- und Ersatzfreiheitsstrafe sah neben der Halbierung der EFS auch eine terminologische Klarstellung vor: Der neugefasste § 43 StGB verwendet nunmehr einheitlich den Begriff „Ersatzfreiheitsstrafe“.[31] Um die Vollstreckung der EFS künftig häufiger durch das Ableisten gemeinnütziger Arbeit zu verhindern, ist die verurteilte Person gem. § 459e II 2 StPO ausdrücklich auf die entsprechenden Möglichkeiten hinzuweisen. Weiterhin bedarf es aber weder einer mündlichen Anhörung der betroffenen Personen vor Anordnung der EFS noch einer zwingenden Zuziehung der Gerichtshilfe.[32]
C. Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe
Mit der kürzlich realisierten Halbierung des Umrechnungsmaßstabs ging der Gesetzgeber nach einem halben Jahrhundert Stillstand sicherlich das drängendste Problem der EFS an. Angesichts dieser langen Zeitspanne darf die Reform daher auch als „historisch“ [33] bewertet werden. Im Schrifttum löste das Gesetz dennoch keine große Euphorie aus. Es wird befürchtet, dass auch diese abgemilderte Fassung der EFS deren grundsätzliche Probleme nicht beheben wird.[34] Zwar werden die angeordneten EFS künftig voraussichtlich kürzer (soweit die Reform nicht zu einer schleichenden Verschärfung der Sanktionierungspraxis führen sollte),[35] die Zahl der betroffenen Personen wird sich jedoch allenfalls geringfügig verringern.[36] Die ganz grundsätzlichen Fragen nach Gleichbehandlung und Verhältnismäßigkeit einer wegen Uneinbringlichkeit einer Geldstrafe zwingend zu verbüßenden Strafhaft blieben unbeantwortet. Im nachfolgenden Abschnitt soll daher erörtert werden, ob die seit Jahrzehnten, Glaubenssätzen gleich, vorgebrachten Argumente gegen eine Abschaffung der EFS für sich genommen und angesichts der schädlichen Wirkung von kurzzeitigen EFS tatsächlich überzeugen können.
I. Unverzichtbares Druckmittel?
Ein Hauptargument für die Beibehaltung der EFS lautet, dass bei deren Wegfall ein wichtiges Druckmittel zur effektiven Durchsetzung der Geldstrafe verloren ginge.[37] So heißt es etwa im Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur „Prüfung alternativer Sanktionsmöglichkeiten“: „Die Erfahrungen der Praxis belegen, dass in einer nicht unerheblichen Anzahl der Fälle die Ersatzfreiheitsstrafe ein taugliches Instrument ist, um die Vollstreckung von Geldstrafen (…) zu realisieren. In einer Vielzahl von Fällen erfolgt sowohl kurz vor als auch noch nach Strafantritt eine Zahlung der Geldstrafe zur Abwendung der Ersatzfreiheitsstrafe.“[38] In der Tat werden nach Androhung oder Anordnung einer EFS in etwa zwei Dritteln aller Fälle die Geldstrafenschulden noch beglichen.[39] So eindrucksvoll diese Zahlen auf den ersten Blick sein mögen, als Bestätigung für die Notwendigkeit der Beibehaltung der EFS taugen sie nicht. Im Gegenteil offenbaren sie, in welch erheblichem Ausmaß die EFS in ihrer derzeitigen Form contra legem als Beugehaft gegen Zahlungsunwillige zweckentfremdet wird.[40] Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut darf die EFS nur bei „uneinbringlichen“ Geldstrafen als deren Surrogat zum Einsatz kommen. Eine Geldstrafe ist dann uneinbringlich, wenn sie trotz wiederholter, ernsthafter (!) Vollstreckungsversuche nicht beigetrieben werden kann oder zu erwarten ist, dass entsprechende Beitreibungsversuche in absehbarer Zeit nicht zum Erfolg führen werden (§ 495c II StPO). Auch wenn die derzeitige Praxis etwas anderes suggeriert, steht dem zahlungsunwilligen Geldstrafenschuldner damit gerade keine Wahlmöglichkeit zwischen „Geld“ und „Haft“ zu.[41] Wenn indes in bis zu zwei Dritteln der Fälle die Geldstrafe nach Androhung oder -ordnung der EFS doch noch gezahlt wird, offenbart dies eine vollkommen verfehlte Vollstreckungspraxis, die mit „administrativer Bequemlichkeit“[42] sehr wohlwollend umschrieben ist. Der gesetzeswidrige Einsatz einer ausschließlich als Ersatzsanktion für Zahlungsunfähige konzipierten EFS als Mittel, die Zahlung Unwilliger zu erzwingen, ist eines liberalen Rechtsstaats unwürdig. Hieran ändert auch dessen empirisch belegte Effektivität nichts. Dass die Strafvollstreckungsbehörden ohne Rückgriff auf die EFS nicht dazu in der Lage sein sollen, Geldstrafen im Wege der Zwangsvollstreckung konsequent beizutreiben, ist überdies kaum nachvollziehbar. Insbesondere in Kombination mit der Möglichkeit, einen Vermögensarrest zur Sicherung einer Geldstrafe anzuordnen (§ 111e II StPO), sollte unser Staat Geldstrafen auch bei den renitentesten Zahlungsverweigerern einziehen können. Im Mittelpunkt künftiger Reformen sollte vor allem die Verbesserung der Praxis der Geldstrafenvollstreckung stehen. Sollte man auch künftig nicht auf das Druckmittel „Gefängnis“ verzichten wollen, böte sich, wie von Eb. Schmidt bereits im Jahr 1967 gefordert,[43] die Einführung einer § 96 OWiG entsprechenden, zeitlich begrenzten, Erzwingungshaft an, die ausschließlich gegen unwillige Zahlungsfähige nach Anhörung gerichtlich angeordnet werden kann und die im Unterschied zur EFS gerade keine Tilgungswirkung entfaltet.[44] Auf die EFS in ihrer bedenklichen Funktion als „Druckmittel“ könnte spätestens dann verzichtet werden.
II. Muss Strafe immer sein?
Für die Beibehaltung der EFS wird ferner angeführt, dass sie zur Erreichung der mit dem Strafrecht verfolgten Ziele unerlässlich sei und der Rechtsgüterschutz ohne sie gefährdet wäre.[45] Eine Bestrafung ohne Auferlegung eines Strafübels sei historisch und begrifflich schwer vorstellbar und letztlich dysfunktional. Ferner sicherten dessen Androhung und Vollzug die Normgeltung.[46] Tröndle befürchtete bei Abschaffung der EFS gar die Etablierung einer „Klassenjustiz neuer Art“: „Ein Staat, der sein Recht zu strafen nicht gegenüber jedermann durchzusetzen vermag, kapituliert nicht nur vor dem Unrecht: Er setzt kriminogene Kräfte frei.“[47]
In der Tat erscheint der Verzicht auf den Vollzug eines Strafübels wegen Mittellosigkeit v.a. aus Gerechtigkeitserwägungen nicht unproblematisch. Armut allein kann selbstverständlich keine Erlaubnis zur Begehung von Straftaten geben. Dies hat auch der U.S. Supreme Court in einer in diesem Kontext gern zitierten Entscheidung aus dem Jahr 1983 unterstrichen: „Poverty in no way immunizes from punishment“.[48] Allerdings hat er in dieser Entscheidung zugleich betont, dass die Verhängung einer EFS regelmäßig dann verfassungswidrig ist, wenn die betroffene Person ohne eigenes Verschulden dazu unfähig ist, die Geldstrafe zu begleichen.[49]
Die Frage, ob und in welchem Umfang auf den Vollzug einer Strafe verzichtet werden kann, hängt entscheidend von der Schwere des begangenen Unrechts und der persönlichen Situation der verurteilten Person ab. Unter Berücksichtigung der nach allgemeinem Verständnis mit Strafe verfolgten Ziele ist daher zu erörtern, ob die EFS in unserem Sanktionensystem tatsächlich eine so tragende Rolle einnimmt, wie von ihren Befürworter:innen behauptet.
1. Schuldausgleich
Die meisten Anlasstaten, für die heute eine EFS angeordnet wird, sind der Bagatellkriminalität zuzuordnen: Neben der Beförderungserschleichung als typischster Fallgruppe werden die meisten EFS zudem wegen kleinerer BtM-Vergehen und geringfügiger Eigentumsdelikte, wie Ladendiebstählen, angeordnet.[50] Für viele dieser klassischen EFS-Delikte werden aus guten Gründen seit Jahrzehnten Entkriminalisierungsforderungen erhoben. Dass der Strafgesetzgeber diesen bislang nur teilweise entsprochen hat, ändert nichts daran, dass es sich überwiegend um Taten handelt, deren sozialer Unwertgehalt äußerst gering ist und die häufig nur deshalb nicht aus Opportunitätsgründen eingestellt werden können, weil es sich um Wiederholungstaten handelt.[51] Zudem hat der Gesetzgeber bereits heute eine Reihe von Regelungen implementiert, die die vermeintlich zwingende Verknüpfung von gerichtlicher Tat- und Schuldfeststellung mit der Verhängung eines spürbaren Strafübels auflösen: Die Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59 StGB), das Absehen von Strafe (§ 60 StGB) sowie die Möglichkeit der Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56 StGB) zeigen deutlich, dass auf den sozialethischen Tadel der Verurteilung eben nicht in allen Fällen zwingend ein direktes Strafübel in Form eines Freiheits- oder Eigentumsentzugs folgen muss. Eine komplette oder zumindest teilweise Abschaffung der EFS für absolute Bagatelltaten wäre daher unter dem Aspekt des Schuldausgleichs unbedenklich und ließe sich gut in die bestehende Rechtsfolgensystematik des StGB einfügen.[52]
2. Spezialprävention
Um die Folgen einer Abschaffung der EFS aus spezialpräventiver Sicht bewerten zu können, ist zunächst der Blick auf die Menschen zu richten, die typischerweise von EFS betroffen sind. Wie Studien belegen, handelt es sich dabei zumeist um Personen, die marginalisiert und sozio-ökonomisch stark benachteiligt sind: Die Lebenswirklichkeit der meisten EFS-Gefangenen ist geprägt von Verschuldung, Arbeitslosigkeit und Isolation. In vielen Fällen kommen Wohnungslosigkeit, Substanzabhängigkeit und psychische Erkrankungen hinzu.[53] Etwa 15-22 % aller zur Vollstreckung einer EFS-Inhaftierten werden zudem als suizidgefährdet eingestuft.[54]
Vor diesem Hintergrund würde eine Abschaffung der EFS unter spezialpräventiven Gesichtspunkten wohl kaum negative Auswirkungen haben. Da die Taten der EFS-Gefangenen zumeist in direktem Zusammenhang mit ihren prekären Lebensumständen (insbesondere bei Suchterkrankungen) stehen, dürfte von der Vollstreckung der EFS in der Regel kein individueller Abschreckungseffekt ausgehen, der die Begehung weiterer, vergleichbarer Taten in der Zukunft verhindern kann.[55] Aufgrund der seit langem bekannten, negativen Folgen kurzer Freiheitsstrafen, kommt es im Gegenteil häufig zu einer weiteren Verschlechterung der Lebenssituation der Betroffenen: Zu dem typischen „Inhaftierungsschock“ der Anfangszeit treten häufig Deprivation, Stigmatisierung und Sorgen um die sozialen Beziehungen außerhalb der Haftanstalt hinzu.[56] Ein wirksamer „Behandlungsvollzug“ wird angesichts der Kürze des Freiheitsentzugs für unmöglich gehalten, zugleich aber der Kontakt zu den Mithäftlingen als schädlich erachtet.[57] Selbst die Gesetzesbegründung zur aktuellen Reform der EFS kommt daher zu dem Schluss, „dass die Vollstreckung der Ersatzfreiheitstrafe zumeist (…) keine resozialisierende Wirkung entfaltet.“[58] Aus spezialpräventiver Sicht verbleibt damit lediglich der Sicherungsaspekt, also der auf die Inhaftierungszeit begrenzte Schutz der Gesellschaft vor der verurteilten Person. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Tatgerichte ursprünglich aufgrund der Bagatellhaftigkeit der jeweiligen Taten lediglich zur Zahlung von Geldstrafen verurteilt und damit selbst eine solche Sicherung überhaupt nicht für notwendig erachtet haben. Hieran ändert auch das Unvermögen, die Geldstrafe begleichen zu können, nichts.
3. Generalprävention
Damit ist abschließend zu erörtern, welche Folgen ein Verzicht auf die Vollstreckung einer EFS im Hinblick auf die mit staatlicher Strafe verfolgten generalpräventiven Ziele hätte.
Hinsichtlich der von der Bestrafung ausgehenden abschreckenden Wirkung für die Allgemeinheit (negative Generalprävention) ist zunächst festzustellen, dass eine Abkehr von der EFS auf das Gros der Bevölkerung überhaupt keine Auswirkung hätte. Gegen die allermeisten Mitglieder der Gesellschaft würden die verhängten Geldstrafen auch weiterhin tatsächlich vollstreckt werden können und sich die Wirkung des tatgerichtlich vorgesehenen Strafübels in aller Regel auch entfalten. Eine Beeinträchtigung der Abschreckungswirkung wäre damit allenfalls theoretisch bei den oben skizzierten randständigen Personengruppen denkbar, die aufgrund ihrer Armut davon ausgehen könnten, bei einer Verurteilung zu einer Geldstrafe faktisch „unbestraft“ zu bleiben. Dagegen spricht jedoch zum einen, dass es bei keinem Strafverfahren eine Garantie dafür gibt, „nur“ zu einer Geldstrafe verurteilt zu werden, so dass eine entsprechende Hoffnung äußerst spekulativ wäre.[59] Zum anderen dürften die meisten Vergehen dieser Tätergruppen ohnehin hauptsächlich auf deren problematische Lebensumstände zurückzuführen sein.
Ungleich schwieriger sind dagegen die Auswirkungen des Ausbleibens eines spürbaren Strafübels bei uneinbringlichen Geldstrafen auf die positive Generalprävention zu bewerten. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass es sich dabei zwar um eine straftheoretisch bedeutsame, zugleich aber auch sehr abstrakte Kategorie handelt. Darüber, wann die „Normgeltung“ bzw. „der Rechtsfrieden“ derart erschüttert sind, dass (und wenn ja, welche) Maßnahmen zu deren Wiederherstellung zu ergreifen sind, entscheiden letztlich kriminalpolitische Überzeugungen. Persönlich halte ich eine komplette Abschaffung der EFS auch im Hinblick auf die positive Generalprävention für gut vertretbar. Entscheidend für die Wahrung der Normgeltung und die Wiederherstellung des Rechtsfriedens ist zunächst, dass es nach Aufklärung des Sachverhalts zu einer rechtskräftigen Verurteilung gekommen ist. Zwar folgt hierauf typischerweise auch ein spürbares Strafübel, wie oben dargestellt, sieht unsere Rechtsordnung aber bereits heute eine Reihe von Abweichungen von dieser Regel vor, ohne dass hierdurch Schäden für die Normgeltung bzw. den Rechtsfrieden zu beobachten wären. Hinzu kommt, dass der Umstand, dass es trotz des geltenden Tagessatzmodells überhaupt so häufig zu „uneinbringlichen“ Geldstrafen kommt, regelmäßig der Justiz selbst zuzurechnen ist. Seit langem wird zurecht kritisiert, dass die Geldstrafen im unteren Bereich häufig deutlich zu hoch ausfallen.[60] Hauptgrund dafür dürfte sein, dass die meisten Geldstrafen in kürzester Zeit im Strafbefehlsverfahren festgesetzt werden, wobei die Tagessatzhöhen ohne nähere Informationen zu den finanziellen Hintergründen der angeschuldigten Personen von den Staatsanwaltschaften geschätzt werden.[61] Durch eine sorgfältigere Ermittlung der tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse und entsprechend niedrigeren Tagessätzen ließe sich die Zahl uneinbringlicher Geldstrafen deutlich verringern.[62] Zwar kann die Justiz dies angesichts ihrer dünnen Personaldecke möglicherweise nicht leisten, das rechtfertigt jedoch nicht, den Betroffenen zunächst eine „subjektiv unmögliche Leistung“[63] aufzuerlegen und sie bei deren Nichterfüllung wegen geringfügigster Straftaten zu inhaftieren. Dies gilt umso mehr, wenn man berücksichtigt, dass die Anordnung einer Haftstrafe vom selben Gericht, das die Geldstrafe zu hoch angesetzt hat, ja gerade nicht als tat- und schuldangemessen bewertet wurde.
Möchte man das Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtsordnung stärken, sollte man sich vorrangig darum bemühen, die Zahl der Fälle, bei denen die Vollstreckung von Geldstrafen an der fehlenden Leistungsfähigkeit der verurteilten Personen scheitert, möglichst gering zu halten. Sollte es dann in den verbleibenden Extremfällen zu einem Strafausfall wegen einer „Geldstrafenuntauglichkeit“ kommen, dürfte dieser in Anbetracht der schwierigen Lage, in der sich die betroffenen Personen zwangsläufig befinden müssen, gesellschaftlich gut zu verkraften sein.
III. Zwischenergebnis
Der Bedarf einer EFS ließe sich durch eine sorgfältigere, d.h. einer streng an der tatsächlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der straffällig gewordenen Personen orientierten Festsetzung der Geldstrafen und deren konsequenterer Vollstreckung erheblich verringern. Vermutlich würde bereits die Abschaffung der EFS selbst zu einer größeren Gewissenhaftigkeit bei der Verurteilung zu und der Vollstreckung von Geldstrafen führen, da aus Strafvollstreckungsperspektive ein vollständiger Strafausfall gravierender wäre als die derzeit mögliche Anordnung einer Ersatzsanktion. Ohne die Ausweichmöglichkeit „EFS“ würde sich die Zahl uneinbringlicher Geldstrafen damit wahrscheinlich von selbst deutlich reduzieren. Jedenfalls bei Einführung einer § 96 OWiG entsprechenden Erzwingungshaft für Zahlungsunwillige, bedürfte es der EFS auch als „Druckmittel“ nicht mehr.
Dem begrenzten Nutzen der EFS stehen ihre große Schädlichkeit und Unverhältnismäßigkeit gegenüber. Geld- und Freiheitsstrafen sind grundlegend verschiedene Sanktionsformen. Der Wert der Geldstrafe liegt gerade darin, keine Freiheitsstrafe zu sein.[64] Die fehlende Kommensurabilität zwischen Geld- und Freiheitsstrafe ist seit jeher der zentrale Kritikpunkt an der EFS.[65] Im Vergleich zur Geldstrafe, die die verurteilte Person lediglich in ihrer Konsumfreiheit einschränken soll und nach h.M. nicht einmal von ihr persönlich zu entrichten ist,[66] greift ein staatlich angeordneter Freiheitsentzug erheblich tiefer in die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Personen ein.[67] Die EFS ist gegenüber der Sanktion, die sie ersetzen soll, stets mit einem erheblichen „Zusatzübel“[68] verbunden.[69] Erschwerend kommt dabei hinzu, dass die allgemeinen, bei Freiheitsstrafen geltenden Regelungen bei der EFS gerade nicht anwendbar sind: Es sind dabei weder die besonderen Voraussetzungen von § 47 StGB („Kurze Freiheitsstrafe nur in Ausnahmefällen“) zu beachten, noch finden die für primäre Freiheitsstrafen geschaffenen Bewährungsregeln auf die EFS Anwendung, da sie als originäre Geldstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt werden darf (§ 56 StGB) und eine Strafrestaussetzung gem. § 57 StGB eine Mindestverbüßungsdauer von zwei Monaten voraussetzt.[70] Dies führt zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass gegenüber Menschen, die so leichte Straftaten begangen haben, für die ursprünglich lediglich Geldstrafen als tat- und schuldangemessen erachtet wurden, allein deshalb eine besonders rigorose Form der Freiheitsstrafe angeordnet wird, weil sie zu arm waren, ihre Geldstrafenschulden selbst zu begleichen, und sie nicht das Glück hatten, von Freunden, Familienangehörigen oder gemeinnützigen Initiativen (wie etwa dem „Freiheitsfonds“) „freigekauft“ zu werden. Nach geltender Rechtslage führt damit allein die Zahlungsunfähigkeit der verurteilten Person zu einer im Verhältnis zur ursprünglichen Tatschuld unangemessenen Bestrafung.[71] Die kürzlich in Kraft getretene Halbierung des Umrechnungsmaßstabs hat dies nur graduell abgemildert. Dass eine moderne Strafrechtsordnung sehr gut auf eine sozial derart ungerechte Ersatzsanktionierung verzichten kann, beweist nicht zuletzt der Blick ins europäische Ausland. In den meisten unserer Nachbarländer wurde die Ersatzfreiheitsstrafe bereits vor Jahrzehnten abgeschafft. Zum Teil ersatzlos, zum Teil zugunsten milderer Ersatzsanktionen, wie gemeinnütziger Arbeit oder Hausarrest. Andere Länder wie z. B. Schweden haben zumindest den Anwendungsbereich der EFS so weit begrenzt, dass sie keine nennenswerte Rolle für die dortige Sanktionierungspraxis mehr spielt.[72]
D. Hilfsweise: Ausgestaltung der Ersatzfreiheitsstrafe als Ultima Ratio
Auch wenn die aus meiner Sicht besseren Argumente für eine gänzliche Abschaffung der EFS sprechen, ist angesichts des aktuellen kriminalpolitischen Klimas in absehbarer Zeit nicht mit einer so tiefgreifenden Umgestaltung des deutschen Sanktionenrechts zu rechnen. Zum Schluss möchte ich daher noch einige (nicht abschließend zu verstehende) Reformüberlegungen skizzieren, die die EFS weitgehend zurückdrängen und so die Zahl an EFS-Gefangenen merklich verringern könnten.
I. Beschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs der Ersatzfreiheitsstrafe
Anstelle einer kompletten Abschaffung der EFS könnte zunächst ihr sachlicher Anwendungsbereich deutlich beschränkt werden. Ausgeschlossen werden könnten beispielsweise alle Straftatbestände, die eine Strafandrohung von maximal einem Jahr Freiheitsstrafe oder Geldstrafe vorsehen, wozu u. a. der Hausfriedensbruch (§ 123 I StGB) oder das „Schwarzfahren“ (§ 265a I StGB) zählen.[73] Alternativ könnte man auch an die konkrete Strafzumessung des Ausgangsurteils anknüpfen und die Anordnung einer Ersatzfreiheitsstrafe gesetzlich erst ab einer Verurteilung zu 60 oder mehr Tagessätzen zulassen.[74] Faktisch ließe sich die EFS natürlich auch durch eine Entkriminalisierung klassischer Bagatellstraftaten zurückdrängen.[75]
II. Gerichtliche Ersatzstrafenzumessung
Das größte Problem der EFS besteht darin, dass sie derzeit bei Uneinbringlichkeit der Geldstrafe schlicht auf Anordnung der Staatsanwaltschaft nach dem starren gesetzlichen Umrechnungsschlüssel von aktuell 2:1 vollzogen wird. Auch wenn dies wegen der gesetzlichen Festlegung der Umrechnung in § 43 S. 2 StGB nach h.M. keinen Verstoß gegen Art. 104 II 1 GG darstellt,[76] hier also von Verfassungs wegen weder eine Tenorierung der EFS im Ausgangsurteil noch eine erneute gerichtliche Entscheidung über die Inhaftierung erforderlich ist, erscheint es angesichts der Schwere dieser Sanktionsumwandlung jedoch dringend angezeigt, diesen Automatismus abzustellen.[77] Die Entscheidung über die Folgen der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe sollte zurück in die Hände des Tatgerichts gelegt werden, das eine Haftstrafe ursprünglich nicht für notwendig erachtet hatte. Dabei sollte an die Stelle des vorgegebenen Umrechnungsschlüssels eine eigenständige Ersatzstrafenzumessung treten, der zwingend eine persönliche Anhörung der betroffenen Person vorausgehen muss.[78] Letzteres ist insbesondere vor dem Hintergrund, dass die meisten Geldstrafen im schriftlichen Strafbefehlsverfahren festgesetzt werden, unbedingt geboten.
Bei der Ersatzstrafenzumessung sollte der in § 43 S. 2 StGB aktuell geltende Umrechnungsschlüssel von 2:1 nur noch das zulässige Höchstmaß darstellen. Unterhalb dieser Grenze sollte das Gericht eine Ersatzfreiheitsstrafe festzulegen haben, die der Schwere der Tatschuld und den persönlichen Verhältnissen der betroffenen Person angemessen ist. Zu überlegen wäre auch, ob § 60 StGB (Absehen von Strafe) auf besonders gravierende Fälle uneinbringlicher Geldstrafen erweitert werden könnte. Dabei könnte der Gedanke leitend sein, dass es Konstellationen gibt, in denen die Durchsetzung staatlichen Strafzwangs wegen geringfügiger Straftaten angesichts der besonders prekären Lebensumstände der verurteilten Person unverhältnismäßig ist.
III. Zwingende Strafaussetzung zur Bewährung
Jedenfalls sollte die Vollstreckung von EFS künftig zwingend zur Bewährung ausgesetzt werden.[79] Dies hätte gleich mehrere Vorteile: Zunächst ließe sich dadurch das Ziel erreichen, die unliebsame EFS in den meisten Fällen abzuwenden, ohne ganz auf ein Strafübel zu verzichten. Die derzeit vorgesehene Abwendungsmöglichkeit durch Ableistung gemeinnütziger Arbeit ist aus vielfacher Sicht problematisch: Gem. Art. 293 EGStGB wurde es den Ländern überlassen, ob und wenn ja, welche Möglichkeiten sie zur Ableistung gemeinnütziger Arbeit anbieten. Dies hat zu einer unübersichtlichen, uneinheitlichen und letztlich ungerechten Rechtslage geführt.[80] Hinzu kommt, dass das Angebot „freiwilliger“ Arbeit zur Abwendung einer Inhaftierung vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Verbots von Zwangsarbeit nicht unbedenklich ist. Schließlich erscheint es aus Gerechtigkeitsgesichtspunkten fragwürdig, dass die EFS gerade gegen die Personen vollstreckt werden soll, die aus körperlichen und/oder psychischen Gründen nicht dazu in der Lage sind, sie durch die Erbringung gemeinnütziger Arbeit abzuwenden.[81]
Die Aussetzung der EFS zur Bewährung würde dagegen allen Verurteilten grundsätzlich die gleiche Chance auf Vermeidung eines Strafvollzugs geben. Über die §§ 56b/c StGB könnte das Gericht auch Auflagen und Weisungen erteilen. Hierüber könnte den Betroffenen zwar u. a. auch auferlegt werden, gemeinnützige Arbeit zu erbringen (§ 56b II 1 Nr. 3 StGB). Möglich wäre dies aber nur, soweit es für die verurteilte Person keine unzumutbare Anforderung darstellt. Hierdurch wäre sichergestellt, dass besonders vulnerable Personen nicht mit der nächsten, unmöglich von ihnen zu erbringenden Leistung konfrontiert wären.
E. Schluss
Der gesetzeswidrige Einsatz der EFS als Druckmittel gegen Zahlungsunwillige ist aus rechtsstaatlicher Sicht bedenklich und ihre rigorose Vollstreckung aus sozialstaatlicher Sicht problematisch. Es ist nicht nachvollziehbar, dass allein wegen der Zahlungsunfähigkeit der betroffenen Personen ein nachweislich resozialisierungsfeindlicher, kurzfristiger Strafvollzug wegen Bagatelltaten vollstreckt werden muss und die geltende Rechtslage keine Möglichkeit einer Aussetzung der EFS-Vollstreckung zur Bewährung vorsieht. Angesichts des auch aus straftheoretischer Sicht überschaubaren Nutzens der EFS darf die aktuelle Reform nur ein erster Schritt zu ihrer Zurückdrängung gewesen sein. Soweit man sich nicht zu ihrer vorzugswürdigen kompletten Abschaffung entschließen kann, sollte jedenfalls ihre Vollstreckung künftig zwingend zur Bewährung ausgesetzt werden müssen. Dies dürfte der einfachste, gerechteste und wirksamste Weg sein, die Zahl der EFS-Gefangenen deutlich zu reduzieren.
Der Verfasser ist Habilitand am Lehrstuhl für Deutsches, Europäisches und Internationales Straf- und Strafprozessrecht, Medizin- und Wirtschaftsstrafrecht an der Universität Augsburg (Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel). Kontakt: sven.grossmann@jura.uni-augsburg.de.
[1] So etwa Tröndle ZStW 86 (1974), 545, 571.
[2] Albrecht, in Nomos Kommentar zum StGB, 6. Aufl. 2023, § 43 Rn. 1 mwN.
[3] Dünkel NK 2022, 253 ff.; Treig/Pruin Forum Strafvollzug 2018, 10, 13.
[4] BGBl. 2023 I Nr. 203 vom 2.8.2023.
[5] Wilde, Armut und Strafe, 2016, S. 40 Fn. 18.
[6] Wilde, Armut und Strafe, S. 39 f.
[7] Vgl. etwa v. Liszt ZStW 9 (1889), 737, 743; Wilde, Armut und Strafe, S. 41 mwN.
[8] Wilde, Armut und Strafe, S. 43.
[9] Vgl. Schwarze, Commentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 1872, S. 114; Oppenhoff, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 1873, S. 55.
[10] So auch Eb. Schmidt NJW 1967, 1929, 1938.
[11] Felisch, Verhandlungen des 23. Deutschen Juristentages, Band I, 1895, S. 300.
[12] Merkel, Verhandlungen des 23. Deutschen Juristentages, Band II, 1895, S. 387.
[13] Mittelstädt, Gutachten zum 21. Deutschen Juristentag, Band II, 1891, S. 67.
[14] v. Liszt ZStW 9 (1889), 737, 780.
[15] Vgl. hierzu umfassend v. Selle, Gerechte Geldstrafe, 1996, S. 59 ff. (mwN auf S. 60 Fn. 127); Wilde, Armut und Strafe, S. 44 ff.
[16] v. Selle, Gerechte Geldstrafe, S. 62 ff. mwN.
[17] v. Selle, Gerechte Geldstrafe, S. 68; bereits Stenglein GS 47 (1892), 264, 270 ff.
[18] Gesetz vom 21.12.1921 (RGBl. S. 1604).
[19] Gesetz vom 27.4.1923 (RGBl. I S. 254).
[20] v. Selle, Gerechte Geldstrafe, S. 68 f. Fn. 169.
[21] Vgl. hierzu BT-Drs. 5/4095. S. 20.
[22] Vgl. Ebermayer/Lobe/Rosenberg, Reichs-Strafgesetzbuch nach seinen Abänderungen durch die neueste Gesetzgebung, 1933, § 29 RStGB Rn. 9.
[23] Vgl. Tröndle, in Leipziger Kommentar StGB, 10. Aufl. 1985, § 43 Rn. 3.
[24] Eb. Schmidt NJW 1967, 1929, 1938; Peters in Tagungsberichte der Strafvollzugskommission 1967, S. 60 sowie ebd. auf S. 146.
[25] Vgl. hierzu Grube, in Leipziger Kommentar StGB, 13. Aufl. 2020, § 43 Rn. 6 mwN; krit. auch bereits Tröndle ZStW 86 (1974), 545, 575 ff.
[26] Hierzu Tröndle ZStW 86 (1974), 545, 565 mwN.
[27] So etwa Tröndle MDR 1972, 466; ders. ZStW 86 (1974), 545, 571; Tiedemann JZ 1980, 489, 492; LK/StGB-Grube, § 43 Rn. 1 mwN; vgl. auch Kubiciel, Stellungnahme vom 3. April 2019 zu BT-Drs. 19/1689, S. 3 mwN.
[28] Vgl. den Überblick bei BT-Drs. 20/5913, S. 35 f. mwN.
[29] BGBl. 2023 I Nr. 203 vom 02.08.2023.
[30] BT-Drs. 20/4420; vgl. zuvor bereits BT-Drs. 19/1689.
[31] Baur NStZ 2024, 74, 75.
[32] Krit. Baur NStZ 2024, 74, 76; Kaspar GA 2023, 421, 424; Radtke, in Münchener Kommentar StGB, 4. Aufl. 2020, § 43 Rn. 9.
[33] So Bundesjustizminister Buschmann, zit. nach Baur NStZ 2024, 74 Fn. 3.
[34] Vgl. Wilde KriPoZ 2022, 318; Dünkel NK 2022, 253; Kaspar GA 2023, 421; Baur NStZ 2024, 74.
[35] So auch Baur NStZ 2024, 74.
[36] Hierauf zurecht hinweisend Kaspar StV 7/2023, Editorial.
[37] Vgl. RefE, S. 10; Tröndle ZStW 86 (1974), 545, 557 ff.; Meier StV 2022, 759, 762; Kudlich/Göken ZRP 2022, 177, 178; MüKo/StGB-Radtke, § 43 Rn. 2; NK/StGB-Albrecht, § 43 Rn. 2.
[38] Vgl. Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe, S. 124.
[39] NK/StGB-Albrecht, § 43 Rn. 2; Dünkel NK 2022, 253, 261 mwN.
[40] So bereits Seebode in Feuerhelm/Schwind/Bock (Hrsg.), Festschrift für Alexander Böhm, 1999, S. 534; weitere Nachweise bei v. Selle, Gerechte Geldstrafe, S. 98 Fn. 35.
[41] v. Heintschel-Heinegg, in BeckOK-StGB, 61. Ed. 1.5.2024, § 43 Rn. 3; Bußmann in Matt/Renzikowski, StGB, 2. Aufl. 2020, § 43 Rn. 2; Fischer, StGB, 71. Aufl. 2024, § 43 Rn. 3; NK/StGB-Albrecht, § 43 Rn. 5 und 7; Wolters, in Systematischer Kommentar zum StGB, 10. Aufl. 2024, § 43 Rn. 6.
[42] So NK/StGB-Albrecht, § 43 Rn. 5.
[43] Eb. Schmidt NJW 1967, 1929, 1938; vgl. ferner Grebing ZStW 88 (1976), 1049, 1112; Seebode in FS-Böhm, S. 534.
[44] So bspw. auch in Frankreich, vgl. NK/StGB-Albrecht, § 43 Rn. 3; Seebode in FS-Böhm, S. 521; zum französischen Recht bereits RGSt 45, 332, 333 ff.
[45] BeckOK/StGB-v. Heintschel-Heinegg, § 43 Rn. 1 u. 8; MüKo/StGB-Radtke, § 43 Rn. 2; LK/StGB-Grube, § 43 Rn. 1.
[46] So Kubiciel, Stellungnahme vom 3. April 2019 zu BT-Drs. 19/1689, S. 2 mwN.
[47] Tröndle MDR 1972, 461, 467; vgl. auch ders. ZStW 86 (1974), 545, 569.
[48] Bearden v. Georgia, 461 US. 660 (1983), 669.
[49] Bearden v. Georgia, 461 US. 660 (1983), 672 f.; vgl. bereits Williams v. Illinois, 399 U. S. 235 (1970) und Tate v. Short, 401 U.S. 395 (1971).
[50] Bartsch in Bartsch/Hoven/Limperg/Maelicke/Merckle (Hrsg.), Resozialisierung, Opferschutz, Restorative Justice, 2023, S. 19 f. mwN; Dünkel NK 2022, 253, 259 mwN.
[51] Hierauf zurecht hinweisend Kaspar GA 2023, 421, 435.
[52] So i. Erg. auch Kaspar GA 2023, 421, 437.
[53] Vgl. etwa Lobitz/Wirth Forum Strafvollzug 2018, 16; Nachweise zu weiteren Untersuchungen finden sich im Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe, S. 34 ff.; ferner bei Treig/Pruin Forum Strafvollzug 2018, 10, 13 f. und bei Bögelein NK 2022, 205, 209 f.
[54] Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe, S. 36; Lobitz/ Wirth Forum Strafvollzug 2018, 17.
[55] Hierzu Kaspar GA 2023, 421, 438.
[56] Bögelein Forum Strafvollzug 2018, 19, 21; Treig/Pruin Forum Strafvollzug 2018, 10, 13 f.; Bartsch in Resozialisierung, Opferschutz, Restorative Justice, S. 20 f.; BT-Drs. 20/5913, S. 39.
[57] v. Selle, Gerechte Geldstrafe, S. 95 f.; Seebode in FS-Böhm, S. 529; s.a. bereits Eb. Schmidt NJW 1967, 1929, 1933 f.
[58] BT-Drs. 20/5913, S. 13.
[59] So auch Kaspar GA 2023, 421, 438 f.
[60] Vgl. hierzu etwa Li in Li/Ruppert (Hrsg.), Die Rechtsfolgen der Tat, 2023, S. 85 ff.
[61] Meier StV 2022, 759 f.; Wilde KriPoZ 2022, 318, 322 ff.; Dünkel NK 2022, 253 259 f.; v. Selle, Gerechte Geldstrafe, S. 122 ff.
[62] Hierzu Meier StV 2022, 759, 760 f.; Wilde KriPoZ 2022, 318, 322 f.; Seebode in FS-Böhm, S. 532 f.
[63] Meier, Strafrechtliche Sanktionen, 5. Aufl. 2019, S. 70; Köhler GA 1987, 145, 161.
[64] v. Selle, Gerechte Geldstrafe, S. 96.
[65] So etwa bereits Eb. Schmidt NJW 1967, 1929, 1938.
[66] Zur Anwendbarkeit von § 258 II StGB bei Begleichung von Geldstrafen durch Dritte Jahn, in Satzger/Schluckebier/Werner (Hrsg.), StGB, 6. Aufl. 2024, § 258 Rn. 44 mwN.
[67] Bereits RGSt 2, 205, 206; vgl. ferner BGH NJW 1977, 815.
[68] Tröndle ZStW 86 (1974), 545, 576.
[69] Vgl. etwa Seebode in FS-Böhm, S. 525; Meier StV 2022, 759, 761 f.; Bögelein Forum Strafvollzug 2018, 19; so auch früher bereits etwa Tröndle MDR 1972, 461, 467; Eb. Schmidt NJW 1967, 1929, 1938; Grebing ZStW 88 (1976), 1049, 1109 ff.
[70] Vgl. Meier StV 2022, 759, 761 f.; Wilde KriPoZ 2022, 318, 319.
[71] Köhler GA 1987, 145, 161; Fischer, StGB, § 43 Rn. 4.
[72] Vgl. NK/StGB-Albrecht, § 43 Rn. 3; Dünkel NK 2022, 253, 255 f.; Treig/Pruin Forum Strafvollzug 2018, 10, 13.
[73] In diese Richtung wohl auch Treig/Pruin Forum Strafvollzug 2018, 10, 14.
[74] Ähnlich etwa Dünkel NK 2022, 253, 262.
[75] Kaspar GA 2023, 421, 426 f.; Dünkel NK 2022, 253, 259; Treig/Pruin Forum Strafvollzug 2018, 10, 14.
[76] MüKo/StGB-Radtke, § 43 Rn. 10; SK/StGB-Wolters, § 43 Rn. 3; a.A. wohl Seebode in FS-Böhm, S. 526.
[77] S.a. Seebode in FS-Böhm, S. 550.
[78] So i. Erg. auch Meier StV 2022, 759, 763 f.; zust. Kaspar GA 2023, 421, 429.
[79] So auch Seebode in FS-Böhm, S. 550 f.; NK/StGB-Albrecht, § 43 Rn. 7; Schatz ZRP 2002, 438; Grebing ZStW 88 (1976), 1049, 1114 f.; vgl. auch Tröndle ZStW 86 (1974), 545, 565.
[80] Hierzu Kaspar GA 2023, 421, 423 f. und 430 f.
[81] Ebenfalls krit. Seebode in FS-Böhm, S. 540 f.; Köhler GA 1987, 145, 159 ff.; v. Selle, Gerechte Geldstrafe, S. 108 ff.