Die „Bekämpfung“ von „hate speech“ in einer wehrhaften Demokratie – Regulierung durch das NetzDG und den DSA

Betreiber.

[67] Diese sind überwiegend weiter ausgestaltet, erlauben also Löschungen von Inhalten, die nicht strafbar sind.[68]

Die These, dass Löschungen auf Grund eigener AGB Ausweichbewegungen im Hinblick auf die engen Vorgaben des NetzDG sind, erscheint plausibel. Dafür spricht, dass die in der erwähnten Studie in den Blick genommenen Betreiber bei Beschwerden stets zunächst nach ihren eigenen Maßstäben und erst dann nach dem NetzDG prüfen,

[69] dass die weit überwiegende Anzahl der Löschungen innerhalb der engen Frist von 24 Stunden für „offensichtlich rechtswidrige Inhalte“ stattfindet und nicht innerhalb der für Zweifelsfälle vorgesehenen längeren Frist von sieben Tagen;[70] und zuletzt ist zu beachten, dass eine „Flucht in die AGB“ auch kein rechtswidriges Verhalten ist; der BGH sieht die Anbieter eines sozialen Netzwerks als grundsätzlich berechtigt an, den Nutzern in AGB die Einhaltung „objektiver, überprüfbarer Kommunikationsstandards vorzugeben, die über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehen.“[71]

C.   Ausblick

Loewenstein beschrieb 1937 auch das grundsätzliche Dilemma, das mit einem Streben nach einer wehrhaften Demokratie verbunden ist. Welches sind die legitimen Mittel, die ein demokratischer Staat totalitären Bewegungen entgegensetzen kann, ohne selbst totalitäre Züge aufzuweisen?

[72] Konkret in Bezug auf Hasskriminalität: „[…] the border-line between unlawful slander and justified criticism as lawful exercise of political rights is exceedingly dim.“[73] Eine Demokratie unterscheidet sich von totalitären Strukturen schließlich dadurch, dass sie gesellschaftlichen Zusammenhalt gerade nicht mit Rechtszwang durchsetzt.[74]

Wann wird also eine Demokratie too militant – zu wehrhaft, indem sie unliebsame Meinungen unverhältnismäßig einschränkt? Wie ist damit umzugehen, dass das NetzDG augenscheinlich mittelbar dazu führt, dass die Meinungsfreiheit unverhältnismäßig beeinträchtigt wird?

Auch im digitalen Raum muss Rechtsvollzug möglich sein. Regulierung darf Rechtskontrolle sein, sie soll dazu beitragen, dass rechtswidrige Äußerungen gelöscht und sanktioniert werden. Und dafür werden die Betreiber Sozialer Medien berechtigterweise in die Verantwortung genommen, weil sie die Plattform für Hassrede bieten. Gerade die massenhaft vorgenommenen proaktiven Löschungen auf Grund automatisierter Filter überschreiten aber die Grenze zur Gesinnungskontrolle, indem lediglich unliebsame oder unbequeme Ansichten und Meinungen unterdrückt werden. Auch wenn dies mittelbar auf Vorgaben des Gesetzgebers zurückgeht, sollte aber an der Verantwortung der Betreiber Sozialer Medien festgehalten werden und diese dürfen ihre Verantwortung nicht auf die Technik abwälzen. Der DSA bietet nun eine neue Möglichkeit, demokratische Strukturen wehrhaft zu machen, ohne die Grenze zur Gesinnungskontrolle zu überschreiten.


[67] Nachweis Liesching/Funke, 2021, S. 127 ff.

[68] Liesching/Funke, 2021, S. 123 ff.; Schwartmann/Mühlenbeck, ZRP 2020, 170.

[69] Liesching/Funke, 2021, S. 121, 126 ff.

[70] Liesching/Funke, 2021, S. 131 ff.

[71] BGH NJW 2021, 3179, 3188; BGH ZUM-RD 2021, 612, 625.

[72] „Democracy stands for fundamental rights, for fair play for all opinions, for free speech, assembly, press. How could it address itself to curtailing these without destroying the very basis of its existence and justification?“ (Die Demokratie steht für Grundrechte, für Fairness gegenüber allen Meinungen, für Rede-, Versammlungs- und Pressefreiheit. Wie sollte sie diese einschränken, ohne die Grundlage ihres Bestehens und ihrer Rechtfertigung zu zerstören?) Loewenstein, APSR 31 (1937), 417, 430 f.

[73] „[…] die Grenze zwischen rechtswidriger Verleumdung und berechtigter Kritik als rechtmäßiger Ausübung politischer Rechte ist äußerst dünn“, Loewenstein, APSR 31 (1937), 638, 653.

[74] Vgl. zu diesem Gedanken Mannheim, 1951, S.  17 f.; Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, 1991, Frankfurt am Main, S. 112 f.