Die „Bekämpfung“ von „hate speech“ in einer wehrhaften Demokratie – Regulierung durch das NetzDG und den DSA

  III.        Democracy Becomes Militant

„Democracy Becomes Militant [sic!]“.

[21] Für Loewenstein lag die Antwort auf eine politische Technik, totalitäre Macht durch Ausnutzung demokratischer Strukturen zu erlangen, nicht in einer von Passivität geprägten „tolerant confidence of democratic ideology that in the long run truth is stronger than falsehood“.[22] Vielmehr entwickelte er – entgegen der noch zu Zeiten der Weimarer Republik herrschenden Auffassung eines demokratischen Relativismus[23] – die Idee einer „militant democracy“,[24] die der Ausnutzung demokratischer Strukturen etwas entgegen zu setzen vermag. Diese Idee wurde bei der Konzeption des Grundgesetzes übernommen[25] und prägt unter dem Begriff der wehrhaften, der streitbaren Demokratie die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.[26]

Blickt man in die Begründungen der Gesetze, die in den letzten Jahren zur „Bekämpfung“ von hate speech auf den Weg gebracht wurden, wird diese in der Tat nicht nur unter Opferschutzgesichtspunkten, sondern auch als Risiko für die demokratische Verfasstheit gesehen. Zudem lesen sich die Gesetzesbegründungen als Ausdruck des Selbstverständnisses, dass die Bundesrepublik Deutschland als wehrhafte Demokratie verfasst ist. Hate speech berge eine „große Gefahr für das friedliche Zusammenleben einer freien, offenen und demokratischen Gesellschaft“,

[27] sie berühre „wesentliche[n] Grundpfeiler der demokratischen pluralistischen Gesellschaft […], die der Staat mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen hat.“[28] Eine „effektive Strafverfolgung“ sei dabei zentral.[29] Und so hat der nationale Gesetzgeber in den letzten Jahren die zahlreichen Straftatbestände

[21] Loewenstein, APSR 31 (1937), 417, 430.

[22] „tolerantem Vertrauen demokratischer Ideologie darauf, dass die Wahrheit auf Dauer stärker ist als die Lüge“, Loewenstein, APSR 31 (1937), 417, 424.

[23] Radbruch, in: Kaufmann (Hrsg.), Gustav Radbruch, Gesamtausgabe Bd. 12, Heidelberg, 1992, S. 97: „Dieser Relativismus, der die verschiedenen Parteiauffassungen vom Allgemeinwohl nicht als beweisbar richtige oder unrichtige Feststellungen, sondern als unbeweisbare und unwiderlegbare Stellungnahmen betrachtet, ist die Grundlage demokratischen Denkens.“ Ebenso Kelsen, in: Jestaedt/Lepsius (Hrsg.), Verteidigung der Demokratie, Tübingen, 2006, S. 237: Bleibt sie [die Demokratie; Anm. der Verf.] sich selbst treu, muß sie auch eine auf Vernichtung der Demokratie gerichtete Bewegung dulden […]. Siehe zu einem Überblick mit umfangreichen Nachweisen zudem Papier/Durner, AöR 128 (2003), 340, 343 ff.

[24] Loewenstein, APSR 31 (1937), 417; Loewenstein, APSR 31 (1937), 638 – jeweils passim. Eine ähnliche Idee entwickelte etwas später unter dem Begriff der „streitbaren Demokratie“ der ebenfalls ins Exil geflüchtete Soziologe Karl Mannheim, Mannheim, Diagnose unserer Zeit: Gedanken eines Soziologen, Zürich, 1951, S. 13 ff. (zitiert als: Mannheim, 1951, S.) (ursprünglich erschienen 1943 unter dem Titel „Diagnosis of our Time“, dort ist – wie bei Loewenstein – von der „militant democracy“ die Rede).

[25] Dazu gehört v.a. die Entscheidung für eine wertgebundene Demokratie; Art. 79 Abs. 3 GG entzieht die in Art. 1 und 20 GG niedergelegten verfassungsrechtlichen Grundstrukturen jeder politischen Disposition; zu weiteren verfassungsrechtlichen Elementen siehe die Übersicht bei Papier/Durner, AöR 128 (2003), 340, 347 ff.

[26] Der Schutz der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ als Ausdruck des Gedankens der wehrhaften Demokratie erlaubt in den Grenzen des Grundgesetzes Einschränkungen einzelner Grundrechte; zum Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung BVerfGE 2, 1 (11 ff.); BVerfGE 5, 85, 112, 140 ff.

[27] BT-Dr. 18/12356, 1.

[28] BT-Dr. 19/17741, S. 1.

[29] BT-Dr. 19/17741, S. 2; siehe daneben auch die Ausführungen von Loewenstein, wonach eine konsequente Anwendung des Strafrechts ein Baustein einer wehrhaften Demokratie sei, und zwar nicht nur bei gewaltsamem Widerstand oder Umsturzversuchen, sondern auch gegen „slander and libel“ – gegen Verleumdung und üble Nachrede; Loewenstein, APSR 31 (1937), 638, 645, 653.