Die „Bekämpfung“ von „hate speech“ in einer wehrhaften Demokratie – Regulierung durch das NetzDG und den DSA

westlichen Demokratien und einer Zunahme von hate speech

[12] sowie einer verstärkten Polarisierung im eben beschriebenen Sinne nach.[13] Diese Polarisierung findet statt in sog. „echo chambers“,[14] in welchen ähnliche Aussagen und Meinungen verstärkt und andersartige verdrängt werden.[15] Die Algorithmen der sozialen Medien können auch so gestaltet sein, dass die den Nutzern gezeigten Aussagen und Meinungen in „echo chambers“ immer „extremer“, immer polarisierter werden.[16]

Mit hate speech wird zudem ein silencing oder chilling effect verbunden;

[17] Menschen würden darauf verzichten, sich auf eine bestimmte Art und Weise im Netz zu äußern oder sich überhaupt zu äußern. Die Annahme, dass Meinungsäußerungen aus Furcht vor den im Vergleich zur analogen Welt viel massiver geäußerten sowie breiter und langfristiger wahrnehmbaren Reaktionen bestimmter Gruppen im Netz unterlassen werden, ist plausibel.[18]

Dies alles mag dazu führen – und das ist die Befürchtung, die im Raum steht –, dass die polarisierenden Kräfte im öffentlichen Diskurs und in der öffentlichen Meinung an Dominanz gewinnen. Es geht in diesem Konflikt dann nicht mehr „nur“ um Rechte einzelner oder einzelner Gruppen, sondern auch darum, dass eine einseitige Dominanz der öffentlichen Meinung durch polarisierende Kräfte ein Risiko für die demokratische Verfasstheit der Gesellschaft als solches darstellt.

[19] Dieses Risiko mag im zeitlichen Vergleich mit der Weimarer Republik heute geringer sein: Demokratische Strukturen sind gefestigter und die ökonomischen Verhältnisse besser. Dennoch ist weltweit wieder eine politische Blockbildung im Gange und bestimmte autoritär regierte Staaten stehen im Verdacht zu versuchen, mit den Mitteln auch der digitalen Hassrede demokratische Strukturen in der westlichen Welt zu unterwandern.[20]

[12] Vgl. die Übersichtsstudie von Castaño-Pulgarín/Suárez-Betancur/Vega/López, Aggression and Violent Behavior 58 (2021), 101608.

[13] Schaub/Morisi, European Journal of Political Research 59 (2020), 752: Zusammenhang zwischen Internetnutzung als Quelle für politische Informationen und der Wahl populistischer Parteien; Allcott/Braghieri/Eichmeyer/Gentzkow, American Economic Review 110 (2020), 629, 631: Deaktivierung von Facebook reduzierte die Polarisierung bzgl. politischer Themen in signifikanter Weise; Bryson, International Journal of Sociology and Social Policy 40 (2020), 99: Verfügbarkeit von politischer Information online erhöhte die Polarisierung signifikant; siehe zudem die Metastudie Lorenz-Spreen/Oswald/Lewandowsky/Hertwig, Digital Media and Democracy: A Systematic Review of Causal and Correlational Evidence Worldwide, 14. April, 2022, S. 11 f. (zitiert als: Spreen/Oswald/Lewandowsky/Hertwig, 2022, S.) mit umfangreichen w.N.

[14] Dieser Begriff wurde erstmals verwendet von Sunstein, Echo chambers, Princeton, N.J, 2001.

[15] So v.a. bei Facebook und Twitter: Cinelli/Francisci Morales/Galeazzi/Quattrociocchi/Starnini, Proc Natl Acad Sci USA 118 (2021). Siehe zudem wiederum die Metastudie Lorenz-Spreen/Oswald/Lewandowsky/Hertwig, 2022, S. 12 f.

[16] So z.B. bei Facebook: Kitchens/Johnson/Gray, MIS Quarterly 44 (2020), 1619.

[17] Recommendation CM/Rec(2022)16[1] of the Committee of Ministers to member States on combating hate speech, 20.5.2022, 1; BT-Dr. 19/17741, S. 1; ähnl. Ceffinato, JuS 2020, 495, 497.

[18] Siehe die im Auftrag der Universität Leipzig erstellte Bevölkerungsumfrage; darin äußerten 42% der Befragten, aufgrund von Hassreden vorsichtiger bei eigenen Beiträgen im Internet zu sein, Universität Leipzig, Hate Speech, 2020, Hamburg. Zudem Geschke/Klaßen/Quent/Richter, in: Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft, #Hass im Netz, 2019, S. 28 f. sowie die Interviewstudie von Heuser/Witting, in: Hoven (Hrsg.), Das Phänomen „Digitaler Hass“, Baden-Baden, 2023, S. 62.

[19] Recommendation CM/Rec(2022)16[1] of the Committee of Ministers to member States on combating hate speech, 20.5.2022, 1; Ceffinato, ZStW 132 (2020), 544, 549; Lambrecht, in: Hoven (Hrsg.), Das Phänomen „Digitaler Hass“, Baden-Baden, 2023, S. 10. Siehe zudem die Nachweise in Fn. 27, 28.

[20] Siehe z.B. die Recherchen der Süddeutschen Zeitung im Rahmen der „Vulkan Files“: Cadenbach/Heubl/Kampf/Mascolo/Much/Muth/Sablowski/Weinmann/Wiegand/Ralf, Süddeutsche Zeitung 30.3.2023 Übersichtsartig mit weiteren Verweisen hauptsächlich auf journalistische Recherchen zudem Wehner, Osteuropa 67 (2017), 3, passim.