Seit Anfang August 2024 ist das Verschwindenlassen von Personen gemäß § 234b StGB unter Strafe gestellt. Der vorliegende Beitrag skizziert knapp die völkerrechtlichen Hintergründe der Norm und befasst sich sodann ausführlich mit der dogmatischen Einordnung, den geschützten Rechtsgütern und den Voraussetzungen dieses neuen Tatbestands. Anschließend wird auf die Rechtsfolgen eingegangen sowie auf Fragen der Verjährung und des Strafanwendungsrechts. Es zeigt sich, dass der Tatbestand aufgrund der Komplexität des Phänomens des Verschwindenlassens schwierige Auslegungsfragen aufwirft. Gleichwohl, und auch wenn zu erwarten ist, dass die Norm nur selten zur Anwendung kommen wird, ist sie als kriminalpolitisches Signal zu begrüßen.
A. Einführung
Am 6.6.2024 hat der Bundestag das Gesetz zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts[1] in der vom Rechtsausschuss geänderten Fassung[2]
Der vorliegende Beitrag stellt den neuen Tatbestand des Verschwindenlassens von Personen vor und setzt sich mit den von ihm geschützten Rechtsgütern, seiner Struktur und dogmatischen Einordnung auseinander (unter D.). Ausführlich werden sodann die Tatbestandsvoraussetzungen erörtert und es wird auf komplexe Auslegungsfragen hingewiesen (unter E.). Anschließend wird auf die Rechtsfolgen eingegangen sowie auf Fragen der Verjährung und des Strafanwendungsrechts (unter F.). Zunächst sind jedoch Begriff und Erscheinungsformen des Verschwindenlassens (unter B.) sowie der völkerrechtliche Hintergrund und die Entstehungsgeschichte der Norm (unter C.) näher zu skizzieren.
B. Begriff und Erscheinungsformen des Verschwindenlassens
Der Begriff des (zwangsweisen) Verschwindenlassens von Personen (forced oder enforced disappearance of persons) markiert Sachverhalte, bei denen Menschen andere Personen in ihre Gewalt bringen und diesen Umstand ebenso wie den Aufenthaltsort dieser Personen und deren weiteres Schicksal gegenüber Dritten, auch auf Nachfrage, verschweigen, verheimlichen oder verschleiern.[5] Die unmittelbar betroffenen Personen „verschwinden“ so und sind damit jeglichem Schutz durch Dritte und auch dem Schutz der Rechtsordnung entzogen.[6] In der Regel ist in die Praxis des Verschwindenlassens der Staat unmittelbar oder mittelbar involviert.[7] Häufig, aber nicht zwingend, werden die verschwunden gelassenen Personen im Zustand des schutzlos Ausgeliefertseins
Die Praxis des Verschwindenlassens tritt in zwei Erscheinungsformen auf. Entsprechend werden auch im (straf-)rechtlichen Kontext üblicherweise eine „systematische“ und eine „sporadische“ Begehungsweise unterschieden.[10] Die systematische Begehungsweise erfasst Fälle, in denen die Praxis des Verschwindenlassens massenhaft auftritt und sich typischerweise im Sinne staatlich koordinierter Repression gegen eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe richtet. Diese Praxis wird vor allem unter dem Stichwort der „Desaparecidos“ mit den lateinamerikanischen Militärdiktaturen der 1970er und 1980er Jahre in Verbindung gebracht,[11] wurde aber auch in anderen Kontexten praktiziert, namentlich auf Grundlage des sog. „Nacht-und-Nebel“-Erlasses unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.[12] Diese systematische Praxis wird in der Regel über den völkerrechtlichen Straftatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu erfassen sein. Im Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH-Statut) findet sich das Menschlichkeitsverbrechen des „zwangsweisen Verschwindenlassens von Personen“ in Art. 7 I lit. i), II lit. i), im deutschen (Völkerstraf-)Recht in § 7 I Nr. 7 VStGB.
Die sporadische Begehungsweise des Verschwindenlassens erfasst demgegenüber Einzeltaten, die nicht in einem systematischen Zusammenhang verwirklicht werden. Weil es entsprechend am Merkmal des
C. Völkerrechtlicher Hintergrund und Entstehungsgeschichte der Norm
Die nunmehr erfolgte Schaffung eines selbstständigen Straftatbestandes des Verschwindenlassens war überfällig. Die Regelung dient der Umsetzung des Internationalen Übereinkommens zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen (International Convention for the Protection of All Persons from Enforced Disappearance; im Folgenden CED oder Übereinkommen) vom 20.12.2006.[13] Deutschland hat das Übereinkommen am 26.9.2007 unterzeichnet und am 24.9.2009 ratifiziert.[14] In Kraft trat das Übereinkommen am 23.12.2010.
Die Bundesregierung hatte lange die Position vertreten, dass eine Umsetzung des Übereinkommens durch Schaffung eines selbständigen Tatbestands des Verschwindenlassens nicht erforderlich sei, da das inkriminierte Verhalten bereits umfassend über existierende Tatbestände des Strafgesetzbuchs – namentlich §§ 239, 234a, 257, 258 StGB, bestimmte Straftaten im Amt, ggf. Körperverletzungs- und Tötungsdelikte – erfasst werde.[15] Diese Position war vom Vertragsausschuss, der die Umsetzung des Übereinkommens in den Vertragsstaaten überwacht, der Zivilgesellschaft und in der Wissenschaft kritisiert worden: Vor allem werde der spezifische Unrechtsgehalt des Verschwindenlassens so im deutschen Strafrecht nicht abgebildet, da dieser mehr erfasse als die Summe des Unrechts einzelner verwirklichter Straftatbestände.[16] Zudem sprächen auch kriminalpolitische Erwägungen – historische Bezüge zur Praxis des Verschwindenlassens unter dem „Nacht-und-Nebel“-Erlass,
Der Widerstand der Bundesregierung gegen die Schaffung eines solchen Straftatbestandes wurde letztlich aufgegeben. Im Referentenentwurf des „Gesetzes zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts“ vom 17.7.2023 war die Einführung eines Tatbestands des Verschwindenlassens zwar noch nicht vorgesehen.[18] In dem am 3.11.2023 veröffentlichten Regierungsentwurf fand sich dann aber erstmals § 234b StGB-E.[19] Im Rechtsausschuss ist der Entwurfstext nochmals zu der schließlich beschlossenen Fassung geändert worden.[20]
D. Schutzgüter, Deliktsstruktur und dogmatische Einordnung
Der neue Straftatbestand lautet:
§ 234b – Verschwindenlassen von Personen
(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer als Amtsträger oder im Auftrag oder mit Billigung eines Staates
1. eine Person entführt oder sonst ihrer körperlichen Freiheit beraubt, wobei im Weiteren die Auskunft über ihr Schicksal oder ihren Verbleib verweigert wird, oder
2. das Schicksal oder den Verbleib einer Person verschleiert, die von einem Amtsträger oder im Auftrag oder mit Billigung eines Staates entführt oder sonst ihrer körperlichen Freiheit beraubt worden ist, oder die Auskunft darüber verweigert,
und sie dadurch dem Schutz des Gesetzes entzieht.
(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.
I. Schutzgüter
Der Tatbestand weist multiple Rechtsgutsdimensionen auf, das heißt er schützt verschiedene Rechtsgüter unterschiedlicher Träger. Geschützt werden zum einen die Individualrechtsgüter der verschwundenen Person, namentlich deren persönliche Freiheit, die ihr vom Staat gewährten und zu gewährenden (Rechts-)Schutzmöglichkeiten, ihre Menschenwürde sowie ihre seelische und ggf. körperliche Integrität. In Anlehnung an § 234a StGB lässt sich annehmen, dass der Tatbestand nicht eines dieser Schutzgüter alleine, sondern gerade deren Zusammenspiel als Gesamtheit schützt.[22]
Zudem schützt § 234b StGB Rechtsgüter – namentlich die seelische Integrität – dritter Personen, die über das Schicksal der verschwunden Person im Ungewissen bleiben.[23] Dies ergibt sich aus einer völkerrechtskonformen, an der „Mutternorm“ orientierten Auslegung: Art. 24 I des Übereinkommens beinhaltet einen erweiterten Opferbegriff, wonach als Opfer auch alle jene natürlichen Personen erfasst werden, die als unmittelbare Folge eines Verschwindenlassens geschädigt worden sind. Auch in der Rechtsprechung internationaler Menschenrechtsgerichtshöfe ist die
Auf welchen Personenkreis dieser Rechtsgüterschutz erstreckt werden soll, wer also solche „Dritten“ sein können, deren Interessen (mit-)geschützt werden, ist näher zu konkretisieren. Obwohl die Rechtsprechung der Menschenrechtsgerichtshöfe wenig einheitlich ist und gerade in jüngerer Zeit einzelfallbezogene Entscheidungen dominieren, lässt sich ihr ein Fokus auf enge familiäre Beziehungen, insbesondere auf die Eltern der verschwunden Person, entnehmen. Das CED ist seinem Wortlaut nach jedoch weiter zu verstehen und nicht auf Familienangehörige beschränkt.[25] Im deutschen Strafrecht könnte § 373b StPO, der den Begriff des Verletzten im Verfahrensrecht definiert, als Anhaltspunkt für die Eingrenzung des geschützten Personenkreises dienen. Nach dessen Absatz 2 sind für den Fall, dass durch die Tat der Tod der unmittelbar verletzten Person eintritt, folgende Personen als Verletzte gleichgestellt: Ehegatten oder Lebenspartner, in einem gemeinsamen Haushalt lebende Lebensgefährten, Verwandte in gerader Linie, Geschwister und Unterhaltsberechtigte. Die Einbeziehung weiterer enger persönlicher Bindungen über den familiären Zusammenhang hinaus entspricht der Ratio auch des § 234b StGB. Im Fall des Verschwindenlassens sind diese Personen freilich als unmittelbar Verletzte anzusehen. Im Einzelfall, z.B. bzgl. einer Nebenklageberechtigung gemäß § 395 I Nr. 4 StPO, wäre zu prüfen, ob eine Rechtsgutsverletzung tatsächlich vorliegt.
II. Struktur
Was die innere Struktur des Tatbestands angeht, folgt § 234b StGB statt dem menschenrechtlichen Einheitstatbestand des Übereinkommens dem dualistischen Tatbestandstypus, wie er bereits in § 7 I Nr. 7 VStGB verwirklicht ist.[26] Dabei unterscheidet § 234b StGB zwei Tatvarianten:
Mit dieser dualistischen Struktur bildet der Tatbestand das Phänomen des Verschwindenlassens als mehraktiges Geschehen ab. Die Verwirklichung der Teilakte erfolgt typischerweise zeitlich gestreckt und durch verschiedene Personen. Kennzeichnend ist die Begehungsweise in einem kollektiven Zusammenhang, der jedoch in zeitlicher und räumlicher Hinsicht sehr unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Erst indem beide Tatakte – in je beiden Tatvarianten – zu einer rechtlichen Bewertungseinheit verbunden werden und zudem als übergreifender tatbestandlicher Erfolg der Entzug aus dem Schutz des Gesetzes verlangt wird, wird das spezifische Unrecht des Verschwindenlassens adäquat konstituiert.
III. Dogmatische Einordnung
Der Tatbestand ist als mehraktiges Dauerdeliktkonzipiert. Unterscheiden lassen sich zwei Zustände mit jeweils eigener Dauerkomponente. Zum einen beschreibt der Freiheitsentzug per se einen dauerhaften Zustand: Dieser Zustand beginnt mit der Aufhebung der Fortbewegungsfreiheit und endet erst, wenn diese Einschränkung nicht länger besteht, z.B. wenn das Opfer wieder in Freiheit gelangt oder auch wenn es verstirbt. Zum anderen lässt sich annehmen, dass eine zeitliche Dauerkomponente auch in der Verschleierung des Schicksals oder Verbleibs der betroffenen Person bzw. der entsprechenden Auskunftsverweigerung liegt. Hier wird ein Zustand der Unkenntnis geschaffen bzw. aufrecht erhalten und – ähnlich wie beim Tatbestand des Bankrotts gemäß § 283 StGB vom Bundesgerichtshof für das Verheimlichen angenommen – es bestehen Benachrichtigungspflichten und eine Gefährdungslage fort.[27] Beendet ist dieser Zustand erst mit der Auskunftserteilung und „Entschleierung“ des Verbleibs bzw. Schicksals der betroffenen Person, das heißt mit der wahrheitsgemäßen Information über den letzten Aufenthaltsort und Zustand der betroffenen Person.[28] In der praktischen Anwendung stellen sich hier freilich schwierige Abgrenzungsfragen, vor allem, wenn die Informationen nicht (mehr) überprüfbar sind. Anders als bei der Freiheitsentziehungsvariante ist der Tod des Opfers bei der Verschleierungs- und Auskunftsverweigerungsvariante für den Beendigungszeitpunkt jedoch nicht relevant.
Weiter ist der Tatbestand teilweise als Sonderdelikt zu qualifizieren, wenngleich es sich nicht um ein reines Amtsträgerdelikt handelt. In beiden Tatvarianten können neben Amtsträgern (§ 11 I Nr. 2 StGB) auch „Privatpersonen“, die „im Auftrag oder mit Billigung eines Staates“ handeln, Täter sein. Bei Nr. 1 muss die Tathandlung der Freiheitsberaubung durch einen derart qualifizierten Täter begangen werden. Dem Wortlaut nach ist dies hingegen keine Voraussetzung des sich zeitlich anschließenden objektiven Merkmals der Auskunftsverweigerung. Tatsächlich wird es sich aber auch hier typischerweise um einen Amtsträger oder eine entsprechend qualifizierte Privatperson handeln. Bei Tatvariante Nr. 2 ist diese Täterqualifikation dagegen schon dem Gesetzeswortlaut nach gedoppelt: Sowohl der Täter der Verschleierung bzw.
Schließlich handelt es sich bei der Tat vom Deliktstypus um ein Anschlussdelikt, sofern die Verschleierungs- bzw. Auskunftsverweigerungsvariante (Nr. 2) an eine rechtswidrige Freiheitsberaubung anknüpft. In diesem Fall wird der schon durch die Freiheitsberaubung begründete Rechtsgutseingriff durch die Verschleierung bzw. Auskunftsverweigerung weiter vertieft und zudem um eine zusätzliche Rechtsgutsdimension erweitert. Allerdings ist die Rechtswidrigkeit der Freiheitsberaubung tatbestandlich nicht zwingend vorausgesetzt. Ist der Freiheitsentzug rechtmäßig, ist § 234b I Nr. 2 StGB kein Anschlussdelikt. Der Rechtsgutsangriff und das spezifische Unrecht sind in diesem Fall anders gelagert als in den Konstellationen einer rechtswidrigen Freiheitsberaubung.
E. Tatbestand
Im Folgenden werden zunächst die Tatbestandsvoraussetzungen der beiden Tatvarianten näher erläutert. Sodann wird auf übergreifende Tatbestandsmerkmale und -voraussetzungen und Überlegungen zur Rechtswidrigkeit eingegangen.
I. Freiheitsentziehungstatbestand (Abs. 1 Nr. 1)
Tathandlungen der ersten Tatvariante des Verschwindenlassens sind das Entführen einer Person oder das sonstige Berauben der körperlichen Freiheit einer Person. Das Merkmal Entführen greift die Tathandlung des § 239a StGB, dem Tatbestand des erpresserischen Menschenraubs, auf und meint das Verbringen einer Person an einen Ort, an dem ihre Verteidigungsmöglichkeiten in einem Maße eingeschränkt sind, dass sie dem ungehemmten Einfluss des Täters ausgesetzt ist; erforderlich ist mithin eine Ortsveränderung.[30]
Täter des Freiheitsentziehungstatbestands kann nur ein Amtsträger i.S.d. § 11 I Nr. 2 StGB sein oder eine Person, die im Auftrag oder mit Billigung eines Staates handelt. Ein zumindest indirekter Staatsbezug muss also in jedem Fall gegeben sein. Wie das Handeln „im Auftrag“ insbesondere aber „mit Billigung“ eines Staates zu verstehen ist, ist unklar. Hier stellt sich die praktisch durchaus bedeutsame Frage, ob jedenfalls wiederholte Entführungen durch Mitglieder nicht-staatlicher Gruppierungen, beispielsweise Drogenkartelle, bereits dann mit Billigung des Staates erfolgen, wenn staatliche Behörden sich nicht um Ermittlung und Aufklärung des Sachverhalts bemühen, es sich sozusagen um eine konkludente „Billigung durch Unterlassen“ handelt. Für eine solch weite Auslegung sprechen gute Gründe: Geht man davon aus, dass der Gesetzgeber eine möglichst lückenlose Umsetzung des Übereinkommens angestrebt hat, so ist bei einer völkerrechtskonformen Auslegung der Text des Übereinkommens in Bezug zu nehmen. Hier wird in Art. 2 unter anderem die „Ermächtigung, Unterstützung oder Duldung“ des Staates vorausgesetzt. In allen diesen Fällen verletzt der Staat seine Schutzpflichten, der konkrete Täter braucht eine Behelligung durch staatliche Behörden nicht zu
An die Freiheitsberaubung muss sich als zweiter Akt die Verweigerung der Auskunft über das Schicksal oder den Verbleib der entführten oder freiheitsentzogenen Person anschließen. Dabei muss die Auskunftsverweigerung nicht notwendigerweise durch den Täter des ersten Aktes verwirklicht werden. Sie muss als echtes Tatbestandsmerkmal aber objektiv vorliegen und bereits zum Zeitpunkt der Tathandlung der ersten Tatvariante, also der Entführung oder Freiheitsberaubung, vom Vorsatz des Täters umfasst sein.[36] Während der Staatsbezug beim Tatakt der Freiheitsberaubung ausdrücklich normiert ist, wird er bei der Auskunftsverweigerung in Nr. 1 nicht genannt. Dem Wortlaut nach kann die Auskunft mithin von jeder Privatperson verweigert werden.
II. Verschleierungs- und Auskunftsverweigerungstatbestand (Abs. 1 Nr. 2)
Tathandlungen der zweiten Tatvariante sind das Verschleiern des Schicksals oder des Verbleibs einer Person und die Verweigerung der Auskunft darüber.
1. Verschleiern
Welche Tathandlungen in der zweiten Tatvariante aufgenommen werden sollen, war im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens umstritten. In dem ursprünglichen Referentenentwurf war zunächst nur das Verschleiern normiert. Im Regierungsentwurf heißt es hierzu: „Eine Verschleierung setzt ähnlich wie bei § 261 Absatz 2 StGB voraus, dass der Täter unzutreffende oder irreführende Angaben macht, die darauf abzielen, den Verbleib oder das Schicksal des Opfers zu verbergen“.[37] In Anlehnung an den Geldwäschetatbestand wird man hierunter also „konkret
Entsprechend wurde in der Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss kritisiert, dass die Tatvariante mit der Fokussierung auf die Tathandlung des Verschleierns zu eng sei und sowohl hinter dem Übereinkommen als auch hinter dem Menschlichkeitsverbrechen des Verschwindenlassens im Völkerstrafgesetzbuch zurückbleibe, weshalb Deckungslücken in der Umsetzung entstünden.[39]
2. Auskunftsverweigerung
Der Rechtsausschuss ist dieser Auffassung gefolgt. Zur umfassenden Umsetzung des Übereinkommens, in dessen Art. 2 auch die Weigerung, die Freiheitsberaubung anzuerkennen, als Tathandlung genannt ist, müsse die Tatvariante daher um die Handlungsvariante der Verweigerung der Auskunft über das Schicksal oder den Verbleib der freiheitsentzogenen Person erweitert werden.[40]
Fraglich ist, wie die Auskunftsverweigerung zu verstehen ist, insbesondere, ob ein vorheriges Ersuchen um Auskunft oder eine Nachfrage erforderlich ist. Die Formulierung „Verweigerung“ mag prima vista eine solche aktive Intervention von außen nahelegen. Der Sache nach war dies auch seinerzeit bei der Formulierung des Menschlichkeitsverbrechens des Verschwindenlassens in § 7 I Nr. 7 VStGB so gesehen worden, weshalb – in der bis 2024 geltenden Gesetzesfassung – die Auskunftsverweigerung dem Wortlaut nach explizit „auf Nachfrage“ erfolgen musste.[41] Dieses Nachfrageerfordernis wurde mit der vorliegenden
Jedenfalls unter die Auskunftsverweigerung fallen wird die Abgabe einer unrichtigen oder unvollständigen Auskunft.[44] Genauso wird eine Weigerung anzunehmen sein, wenn der Täter angibt, nichts sagen zu können oder nur sein präsentes Wissen mitteilt, obwohl ihm (weitere) Nachforschungen zumutbar sind bzw. er zu solchen verpflichtet ist.
3. Unterlassen
Offen bleibt, ob das bloße Unterlassen einer Benachrichtigung auch unter die Tathandlung der Auskunftsverweigerung fällt. Dies wird man allenfalls in Fällen annehmen können, in denen eine Benachrichtigungspflicht und damit ein verrechtliches Interesse an einer Information vorliegt und diese Benachrichtigungspflicht auch gerade dem Täter obliegt, so dass von einer Garantenstellung ausgegangen werden kann. Derartige Pflichten sind, in Ausprägung von Art. 104 IV GG, einfachgesetzlich normiert, z.B. in § 114c StPO oder § 339 FamFG sowie auch bei nicht-richterlichen Entscheidungen nach den Polizeigesetzen der Länder.[45] Art. 104 IV GG verankert Benachrichtigungspflichten als subjektives Recht der Festgenommenen, deren Zweck es gerade ist, das spurlose
III. Übergreifende Voraussetzung
1. Erfolg: Entzug aus dem Schutz des Gesetzes
§ 234b StGB verlangt für beide Tatvarianten, dass der Täter die Person, die ihrer Freiheit beraubt und deren Schicksal oder Verbleib verschleiert bzw. hierüber die Auskunft verweigert wurde, „dadurch dem Schutz des Gesetzes entzieht“. Hierbei handelt es sich um einen tatbestandlichen Erfolg, der entsprechend vom Vorsatz umfasst sein muss.[48] Dieser tatbestandliche Erfolg tritt neben den in den beiden Varianten jeweils bereits vorgesehenen Erfolg (Entzug der Freiheit bzw. Unkenntnis von Aufenthalt und Schicksal der verschwundenen Person).
Nach der Gesetzesbegründung soll dieses Merkmal „regelmäßig“ erfüllt sein.[49] Eine Ausnahme bestehe nur dann, wenn es sich um eine sehr kurzfristige Beraubung der körperlichen Freiheit oder Auskunftsverweigerung handelt oder wenn dem Opfer selbst Zugang zu Rechtsbehelfen oder einem Rechtsbeistand gewährt wird.[50] So verstanden wäre das Merkmal des Entzugs aus dem Schutz des Gesetzes als tatbestandlicher Erfolg wenig voraussetzungsvoll und damit ein nur geringes Korrektiv. Angesichts der großen Bandbreite des vom Tatbestand erfassten Verhaltens, z.B. bei der sonstigen Freiheitsberaubung, und den geringen subjektiven Voraussetzungen, die Eventualvorsatz ausreichen lassen, scheint es jedoch sinnvoll, den tatbestandlichen Erfolg aufzuwerten und als echte Erheblichkeitsschwelle anzusehen. Ausgefiltert werden
2. Rechtswidrigkeit der Freiheitsberaubung
Fraglich ist, wie mit Konstellationen umzugehen ist, in denen die Freiheitsberaubung gerechtfertigt ist, beispielsweise auf Grundlage amtlicher Befugnisse. Hier ist zwischen den beiden Tatvarianten zu unterscheiden.
In Tatvariante Nr. 1 kann der Freiheitsentzug gerechtfertigt sein, sich aber gleichwohl eine Verschleierung oder Auskunftsverweigerung anschließen und diese auch vom (Eventual-)Vorsatz des Täters des (gerechtfertigten) Freiheitsentzugs erfasst sein. Wenngleich hier über einen Erlaubnissatz Handlungs- und Erfolgsunrecht der Freiheitsberaubung beseitigt sind, bleibt über den auf die Auskunftsverweigerung bezogenen Vorsatz ein „Restunrecht“ des Verschwindenlassens bestehen. Ob dieses Restunrecht allerdings für eine Strafbarkeit des Täters der Freiheitsentziehungsvariante im Sinne der Nr. 1 ausreicht, selbst bei Annahme eines minder schweren Falls nach § 234b II StGB, ist zweifelhaft.[51]
Anders bei Tatvariante Nr. 2: Auch hier stellt sich die Frage, wie die Konstellation zu bewerten ist, in der die Freiheitsberaubung durch einen Erlaubnissatz gerechtfertigt ist. Bereits der Grundgedanke der Norm, der auf den umfassenden Schutz der Betroffenen abzielt, legt nahe, dass auch nach innerstaatlichem Recht rechtmäßige Freiheitsentziehungen Ausgangspunkt einer Strafbarkeit in der Verschleierungs- bzw. Auskunftsverweigerungsvariante sein können. Das spezifische Unrecht der „Spurlosigkeit“ des Verbleibs der freiheitsentzogenen Person kann auch dann verwirklicht sein, wenn der Freiheitsentzug selbst gerechtfertigt ist. Diese Wertung lässt sich auch der Ratio von Art. 104 IV GG und dessen einfachgesetzlichen Ausprägungen entnehmen.
Dass der Tatbestand des Verschwindenlassens auch bei rechtmäßigem Freiheitsentzug vorliegen kann, wurde auch im parlamentarischen Verfahren klargestellt.[52]
F. Rechtsfolgen, Verjährung, Geltungsbereich
I. Rechtsfolgen
Der nach § 234b StGB vorgesehene Strafrahmen – ein Jahr bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe, in minder schweren Fällen drei Monate bis zu fünf Jahren – ist breit, erscheint aber sowohl im Blick auf die Vorgaben des Übereinkommens als auch im Kontext der Binnensystematik des deutschen Rechtsfolgensystemsangemessen.
Das CED-Übereinkommen schreibt keine bestimmte Strafhöhe und keinen bestimmten Strafrahmen vor, verpflichtet die Vertragsstaaten jedoch dazu, „angemessene Strafen“ vorzusehen, die die „außerordentliche Schwere“ des Verschwindenlassens berücksichtigen. „Angemessen“ im Sinne einer solchen sog. Suppression Convention[53] bedeutet, dass die vorgesehene Strafe bzw. der vorgesehene Strafrahmen sich mit Blick auf die Schwere des verwirklichten Unrechts bruchlos in das staatliche Rechtsfolgensystem einfügt. Maßstab für die Frage der Angemessenheit ist also nicht ein objektiv feststellbares Strafmaßquantum, sondern die individuelle Architektur der betreffenden innerstaatlichen Rechtsfolgenordnung.
Für die Einordnung in das deutsche Rechtsfolgensystem sind vor allem zwei Eckpunkte relevant, die auch in der Gesetzesbegründung aufgegriffen werden. Ein erster Ansatz bildet angesichts eines ähnlichen Tatbildes das Verbrechen der Verschleppung gemäß § 234a StGB, das ebenfalls einen Strafrahmen von einem bis 15 Jahren Freiheitsstrafe aufweist. In der Gesetzesbegründung werden beide Straftaten ihrem Unrechtsgehalt nach gleichgestellt.[54] Dies erscheint vertretbar, auch wenn es sich bei § 234a StGB um ein konkretes Gefährdungsdelikt handelt, bei § 234b StGB hingegen um ein Verletzungsdelikt. Ein zweiter Ansatzpunkt ist das Menschlichkeitsverbrechen des Verschwindenlassens nach § 7 I Nr. 7 VStGB, mit einem Strafrahmen von fünf bis 15 Jahren Freiheitsstrafe. Die im Vergleich dazu abgesenkte Strafrahmenuntergrenze bei § 234b StGB trägt dem Umstand Rechnung, dass die Einbindung der Tat in den systematischen Kontext, wie er bei den Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Erfolgsqualifikationen mit erhöhtem Strafrahmen, wie sie etwa § 239 StGB kennt (z.B. Verursachung des Todes des Opfers), sind bei § 234b StGB nicht vorgesehen. Ob der Verzicht auf Erfolgsqualifikationen tatsächlich sachgerecht ist, erscheint zweifelhaft, allerdings erlaubt der breite Strafrahmen in der Praxis eine angemessene Bestrafung.
Überlegenswert erscheint zudem, hinsichtlich des Strafrahmens zwischen den beiden Tatvarianten zu differenzieren. Prima facie scheint der Unrechtsgehalt der Nr. 1 mit der täterschaftlichen Freiheitsberaubung schwerer zu wiegen als derjenige der Verschleierung bzw. Auskunftsverweigerung nach Nr. 2. Mit dieser Überlegung käme bei der zweiten Tatvariante eine Absenkung der Strafrahmenuntergrenze in Betracht, was der Tat allerdings den Charakter als Verbrechen nähme. Andererseits lässt sich argumentieren, dass es gerade die Informationsverschleierung bzw. -unterdrückung ist, die die Angehörigen der freiheitsentzogenen Person in Unkenntnis über deren Verbleib und Schicksal setzt, und damit diese Individualrechtsgutsdimension primär von der zweite Tatvariante strafrechtlich abgebildet wird.
II. Verjährung
Gemäß § 78 III Nr. 2 StGB beträgt die Frist der Verfolgungsverjährung des Tatbestands des Verschwindenlassens von Personen 20 Jahre. Die Frist beginnt gemäß § 78a 1 StGB, „sobald die Tat beendet ist“. Das heißt für den Freiheitsberaubungstatbestand: Erst wenn die entführte Person wieder frei (oder tot) ist, beginnt die Verjährungsfrist zu laufen. Für den Verschleierungs- bzw. Auskunftsverweigerungstatbestand gilt: Erst wenn der rechtswidrige Zustand beendet ist und tatsächliche Informationen vom Aufenthalt bzw. Schicksal der verschwundenen Person bekannt werden, beginnt die Verjährungsfrist zu laufen. Ob und wann die Vortat verjährt (etwa bei Verjährungsbeginn mit dem Tod des Opfers) bzw. ob deren Verfolgung bereits verjährt ist, hat auf die Verjährung der Verschleierungstat keinen Einfluss.
III. Geltungsbereich
Nach den Grundsätzen des Strafanwendungsrechts gilt das deutsche Strafrecht für das „Verschwindenlassen von Personen“, wenn die Tat im
Handelt es sich nach diesen Maßgaben nicht um eine Inlands-, sondern um eine Auslandstat, gilt deutsches Strafrecht nach den allgemeinen Regeln nur, wenn die Tat auch am ausländischen Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt und auch die weiteren Voraussetzungen vorliegen (§ 7 StGB). Danach muss entweder der Täter deutscher Staatsangehöriger sein oder ein Ausländer, der sich in Deutschland befindet und nicht ausgeliefert werden kann, oder aber die Tat muss „gegen einen Deutschen begangen“ sein. Im Lichte des erweiterten Opferbegriffs wird anzunehmen sein, dass auch die deutsche Staatsangehörigkeit eines Angehörigen oder einer sonst persönlich nahestehenden Person i.S.d. § 373b II StPO geltungsbereichsbegründend ist.
Hingegen hat der Gesetzgeber ausdrücklich davon abgesehen, den Tatbestand des Verschwindenlassens – wie bei § 234a StGB[55] – in § 5 StGB aufzunehmen und das nicht durch das Erfordernis der identischen Tatortnorm eingeschränkte aktive Staatsangehörigkeits-/Domizilprinzip vorzusehen.[56] Allerdings ist über § 6 Nr. 9 StGB eine Umsetzung aller Vorgaben des Übereinkommens sichergestellt.[57]
G. Fazit
Die Schaffung eines selbstständigen Tatbestandes des Verschwindenlassens von Personen ist aus völker- wie aus kriminalpolitischer Sicht zu begrüßen. Auch wenn nicht zu erwarten ist, dass die Norm einen größeren Anwendungsbereich haben wird, sendet sie doch ein rechtspolitisch wichtiges Signal.
In den Einzelheiten zeigen sich die Schwierigkeiten der Rechtssetzung an der Schnittstelle von Transnationalem Strafrecht, Völkerstrafrecht, allgemeinen Lehren des deutschen Strafrechts und Verfassungsrecht. Hierbei gilt: Maßgeblich für eine gelungene Implementierung völkervertraglicher Pönalisierungspflichten ist die Deckungsgenauigkeit der
Insgesamt ist § 234b StGB danach im Wesentlichen als gelungen zu betrachten. Insbesondere die Umsetzung im dualistischen Tatbestandsmodell, wie es bereits im völkerstrafrechtlichen Kontext in § 7 I Nr. 7 VStGB zu finden ist, überzeugt. Gleichwohl wirft § 234b StGB eine Reihe von Auslegungs- und Anwendungsfragen auf, deren abschließende Klärung durch Rechtsprechung und Wissenschaft noch aussteht.
Grundlage des vorliegenden Beitrages ist ein Gutachten, welches die Verfasserin und der Verfasser im November 2023 im Auftrag des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR) erstattet haben. Das Gutachten ist abrufbar unter https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/publikationen/de-tail/ein-tatbestand-des-gewaltsamen-verschwindenlassens-im-deutschen-strafrecht-1.
Der vorliegende Beitrag knüpft an Jeßberger/Geneuss, KriPoZ 2024, 95 ff. an.
Alle zitierten Internetseiten wurden zuletzt am 15.9.2024 aufgerufen.
Die Verfasserin und der Verfasser danken Dr. Nella Sayatz, Dr. Inga Schuchmann und Sophie Konrad für ihre Anmerkungen zu einer früheren Fassung des Textes.
Julia Geneuss ist Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Potsdam, Kontakt: julia.geneuss.1@uni-potsdam.de; Florian Jeßberger ist Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Juristische Zeitgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin, Kontakt: florian.jessberger@hu-berlin.de.
[1] BT-Drs. 20/9471, 20/10015, 20/10131 Nr. 1.21. Zuvor hatte der Bundestag einen Änderungsantrag der Unionsfraktion (BT-Drs. 20/11668) zum Gesetzentwurf abgelehnt.
[3] BGBl. 2024 I Nr. 255 v. 2.8.2024.
[4] Hierzu Epik/Jeßberger JZ 2024, 801 ff. sowie Raube KriPoZ 2024, 278 ff.
[5] Instruktiv hierzu und zum Folgenden Grammer, Der Tatbestand des Verschwindenlassens einer Person, 2005 sowie Cornelius, Vom spurlosen Verschwindenlassen zur Benachrichtigungspflicht bei Festnahmen, 2006.
[6] Grammer, S. 24 („‚Parallelwelt‘ der Repression“).
[7] Grammer, S. 36 ff.
[8] Grammer, S. 25 ff.
[9] Vgl. von Braun/Diehl ZIS 2011, 214 ff. sowie Grammer, S. 43.
[10] Hierzu und zum Folgenden Grammer, S. 13 ff.
[11] Ausführlich Grammer, S. 9 ff. m.w.N.
[12] Cornelius, S. 85 ff.
[13] Ausführlicher zur Verrechtlichung der Praxis des Verschwindenlassens in Völkerrecht und Völkerstrafrecht Jeßberger/Geneuss KriPoZ 2024, 95 ff.
[14] Zustimmungsgesetz BGBl. 2009 II, S. 932.
[15] Ausführlicher hierzu Jeßberger/Geneuss KriPoZ 2024, 95 ff., 100 f.
[16] Vgl. nur von Braun/Diehl ZIS 2011, 214 ff.; ECCHR, Contribution to the Report on Additional Information Submitted by the Federal Republic of Germany on 3 July 2020, 6.2.2023. Die Position des Vertragsausschusses zusammenfassend Jeßberger/Geneuss KriPoZ 2024, 95 ff., 99.
[17] Diese Vorreiterrolle wird auch in der Denkschrift zum Zustimmungsgesetz zum Übereinkommen betont, BT-Drs. 16/12592, S. 31: „Die Bundesrepublik Deutschland will durch die Ratifikation der von ihr gemeinsam mit den anderen europäischen Staaten beanspruchten Vorreiterrolle im Rahmen des Menschenrechtsschutzes gerecht werden. Damit die Bundesrepublik Deutschland glaubhaft den Schutz vor dem Verschwindenlassen von Personen von anderen Staaten einfordern kann, muss sie selbst die internationalen Vorgaben erfüllen“.
[18] Vgl. Referentenentwurf des BMJ vom 17.7.2023. Nähere Informationen zum gesamten Verfahren finden sich auf der Website des Bundesministeriums der Justiz: https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/2023_Fortentwicklung_Voelkerstrafrecht.html.
[19] Regierungsentwurf BR-Drs. 568/23; BT-Drs. 20/9471.
[20] Rechtsausschuss BT-Drs. 20/11661.
[21] Art. 2 CED lautet: „Im Sinne dieses Übereinkommens bedeutet „Verschwindenlassen“ die Festnahme, den Entzug der Freiheit, die Entführung oder jede andere Form der Freiheitsberaubung durch Bedienstete des Staates oder durch Personen oder Personengruppen, die mit Ermächtigung, Unterstützung oder Duldung des Staates handeln, gefolgt von der Weigerung, diese Freiheitsberaubung anzuerkennen, oder der Verschleierung des Schicksals oder des Verbleibs der verschwundenen Person, wodurch sie dem Schutz des Gesetzes entzogen wird“.
[22] Zu § 234a StGB Sonnen, in Nomos-Kommentar StGB, 6. Aufl. 2023, § 234a Rn. 3; Eisele, in Schönke/Schröder StGB, 30. Aufl. 2019, § 234a Rn. 1.
[23] So auch für den schweizerischen Straftatbestand des Verschwindenlassens (Art. 185bis CH-StGB), Schweizer Eidgenossenschaft, Bericht der Schweiz zur nationalen Umsetzung des Internationalen Übereinkommens von 2006 zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen, 19.12.2018, Rn. 140. Vgl. auch Valerius, in BeckOK StGB, 62. Ed. 3.8.2024, § 234b Rn. 1.
[24] Zur Opfereigenschaft von Angehörigen in der Rechtsprechung internationaler Menschenrechtsgerichtshöfe instruktiv Schniederjahn, Das Verschwindenlassen von Personen in der Rechtsprechung internationaler Menschenrechtsgerichtshöfe, 2017, S. 146 ff.
[25] So verstanden auch von von Braun/Diehl ZIS 2011, 214 ff., 220.
[26] Zu den Tatbestandstypen ausführlich Jeßberger/Geneuss KriPoZ 2024, 95 ff., 97 ff. In den völkerrechtlichen Instrumenten lassen sich zwei Typen von Tatbeständen des Verschwindenlassens unterscheiden, die jeweils eine eigene Struktur aufweisen: Der hier sog. menschenrechtliche Einheitstatbestand, der insbesondere im Übereinkommen und ähnlich auch in der Interamerikanischen Konvention über den Schutz aller Personen vor dem zwangsweisen Verschwindenlassen (Inter-American Convention on the Forced Disappearance of Persons) geregelt ist, begreift das Verschwindenlassen als zwar mehraktiges, aber doch einheitliches Gesamtgeschehen und ordnet die Merkmale des Tatbestandes entsprechend. Demgegenüber unterscheidet der hier sog. (völkerstrafrechtlich-)dualistische Tatbestand des Verschwindenlassens, der dem IStGH-Statut und hier insbesondere den sog. Verbrechenselementen zugrunde liegt, zwei, zwar aufeinander bezogene, aber doch jeweils selbstständige Tatbestandsvarianten. Im Zuge der Schaffung des Völkerstrafgesetzbuchs wurde dieser dualistisch strukturierte Tatbestand des Menschlichkeitsverbrechens des Verschwindenlassens im Völkerstrafgesetzbuch übernommen.
[27] Zum Bankrott vgl. BGHSt 61, 180 ff., Rn. 23.
[28] Zum Beendigungszeitpunkt instruktiv auch Grammer, S. 220 ff.
[29] Diese Doppelung ergibt sich nicht ohne Weiteres aus dem Übereinkommen. Jedenfalls dem Wortlaut nach wäre ein Verschwindenlassen danach auch anzunehmen, wenn die von einem Amtsträger vorgenommene Freiheitsentziehung im Anschluss von einem Nicht-Amtsträger bzw. einer Privatperson ohne Staatsbezug verschleiert wird.
[30] Eidam, in Matt/Renzikowski StGB, 2. Aufl. 2020, StGB § 239a Rn. 7.
[31] Matt/Renzikowski/Eidam, StGB § 239 Rn. 10. Regierungsentwurf BT-Drs. 20/9471, S. 35.
[32] MüKoStGB/Wieck-Noodt, § 239 Rn. 27.
[33] Zu Umgehungsverhalten Grammer, S. 188.
[34] Grammer, S. 203 ff.
[35] So für den schweizerischen Straftatbestand des Verschwindenlassens (Art. 185bis CH-StGB), Schweizer Eidgenossenschaft, Bericht der Schweiz zur nationalen Umsetzung des Internationalen Übereinkommens von 2006 zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen, 19.12.2018, Rn. 27.
[36] Regierungsentwurf BT-Drs. 20/9471, S. 35.
[37] Regierungsentwurf BT-Drs. 20/9471, S. 36.
[38] Krause, in Leipziger Kommentar StGB, 13. Aufl. 2022, § 261 Rn. 22; Schönke/Schröder/Hecker, § 261 Rn 14; MüKo-StGB/Neuheuser, § 261 Rn 74, stellt ausdrücklich fest, dass, „[a]nders als beim Verbergen […] nicht die Existenz des Vermögenswertes an sich geleugnet“ werde.
[39] Vgl. das Gutachten der Sachverständigen Geneuss, abrufbar unter https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw23-de-fortentwicklung-voelkerstrafrecht-1005822.
[40] BT-Drs. 20/11661.
[41] Bei Schaffung des Völkerstrafgesetzbuchs im Jahr 2002 wurde das Nachfrageerfordernis vom Gesetzgeber eingefügt, um den deutschen Straftatbestand zu konkretisieren. In der Gesetzesbegründung heißt es, dass eine Weigerung ohne eine vorherige Nachfrage nicht denkbar sei, BT-Drs. 14/8524, S. 22.
[42] Regierungsentwurf BT-Drs. 20/9471, S. 16, 29.
[43] Regierungsentwurf BT-Drs. 20/9471, S. 29.
[44] Vgl. auch BeckOK-StGB/Valerius, § 234b Rn. 13 (Auskunft als in den wesentlichen Umständen vollständige und wahrheitsgemäße Information).
[45] Das Unterlassen der Benachrichtigung, d.h. die Verletzung einer Benachrichtigungspflicht, führt freilich nicht zwingend zur Rechtswidrigkeit der Freiheitentziehung selbst; vgl. Gusy, in von Mangoldt/Klein/Starck GG, 7. Aufl. 2018, Art. 104 Rn. 72.
[46] Vgl. nur Mehde, in Dürig/Herzog/Scholz GG, 101. EL Mai 2023, Art. 104 Rn. 165, 167, 174; Degenhart in Sachs GG, 9. Aufl. 2021, Art. 104 Rn. 25.
[47] Vgl. BT-Drs. 20/11668.
[48] In § 7 I Nr. 7 VStGB ist die Entziehung aus dem Schutz des Gesetzes nicht als objektives Tatbestandsmerkmal, sondern als Absichtserfordernis formuliert („in der Absicht, ihn nicht nur kurzzeitig dem Schutz des Gesetzes zu entziehen“). Dies entspricht der völkerstrafrechtlichen Mutternorm des Art. 7 I lit. i, II lit. i IStGH Statut.
[49] Regierungsentwurf BT-Drs. 20/9471, S. 35.
[50] Regierungsentwurf BT-Drs. 20/9471, S. 35.
[51] So aber wohl BeckOK-StGB/Valerius, § 234b Rn. 10.
[52] Rechtsausschuss BT-Drs. 20/11661, S. 17 („Gegenstand der Verschleierung oder Auskunftsverweigerung kann auch eine für sich genommen nicht rechtswidrige Freiheitsentziehung sein“).
[53] Zu dem aus dem Transnationalen Strafrecht herrührenden Begriff der Suppression Conventions vgl. nur Boister, Transnational Criminal Law, 2. Aufl. 2018.
[54] Regierungsentwurf BT-Drs. 20/9471, S. 34.
[55] § 5 Nr. 6 a) StGB bestimmt für § 234a StGB die Geltung des deutschen Strafrechts bei ausländischem Tatort und ausländischem Täter unabhängig vom Recht des Tatorts, „wenn die Tat sich gegen eine Person richtet, die zur Zeit der Tat Deutsche ist und ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat“.
[56] Regierungsentwurf BT-Drs. 20/9471, S. 35.
[57] Regierungsentwurf BT-Drs. 20/9471, S. 36.