Ausländische Steuerhinterziehung als Geldwäschevortat: fehlgeschlagener Reparaturversuch eines Strafsenats – zugleich Anmerkung zu OLG Koblenz v. 7.12.2023 – 1 W 22/23

Reference: NSW 2024, 337-354
DOI: 10.61039/29427509-2024-26

Der Beschluss macht die grundlegenden Mängel der Gesetzgebung zur Geldwäschebekämpfung deutlich. Die internationale Staatengemeinschaft meint, im Strafrecht das zentrale Mittel der Geldwäschebekämpfung gefunden zu haben, und der deutsche Gesetzgeber hat sich in § 261 StGB dem Vortatenmodell verschrieben. Dass zumindest das aktuelle Konzept der strafrechtlichen Geldwäschebekämpfung gescheitert ist, weil es einerseits das System mit unnötigem Beifang verstopft[1] und andererseits oftmals relevante Fälle nicht erfasst,[2] wird ignoriert. Der Gesetzgeber ist der sunk cost fallacy verfallen und Strafgerichte glauben, die Fehler reparieren zu können und müssen. Der Preis für das vermeintlich gerechte Ergebnis sind methodisch zweifelhafte Rechtsanwendung und Verfassungsverstöße.

A. Stand der Diskussion: Hinterziehung ausländischer Steuern als Geldwäschevortat

Seit Jahren wird im österreichischen und schweizerischen Geldwäschereistrafrecht die ausländische Steuerstraftat als Vortat diskutiert. Während man sich in der Schweiz eher für eine Geldwäschetauglichkeit

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von Gegenständen aus ausländischen Steuerstraftaten ausgesprochen hat, herrscht in Österreich die gegenteilige Auffassung vor.[3] Im Zuge der Cum-Ex-Verfahren wurde das Problem auch in Deutschland virulent,[4] nachdem auch die deutsche Justiz die Möglichkeit der Geldwäschetauglichkeit in diesem Kontext erkannt hatte.[5]

Zwei Landgerichte kamen hier nun zu divergierenden Entscheidungen: Das Landgericht Hamburg[6] ließ die Hinterziehung ausländischer Einkommensteuern als Vortaten der Geldwäsche ausreichen, während das Landgericht Koblenz[7] eine entsprechende Anklage nicht zugelassen hat. Es fehle bei Steuerhinterziehungen zum Nachteil des belgischen bzw. dänischen Fiskus an einer tauglichen Vortat i.S.v. § 261 StGB a.F. Die sofortige Beschwerde hiergegen hatte Erfolg. Der 1. Strafsenats des OLG Koblenz hat entschieden, eine Steuererstattung aus einer solchen Tat könne taugliches Tatobjekt des § 261 StGB in der im Tatzeitpunkt der Geldwäschehandlungen (2015) geltenden Fassung[8] sein.

B. Ausgangslage: Hinterziehung dänischer und belgischer Kapitalertragsteuern als Vortaten

Der Senat skizziert zunächst den Sachverhalt; relevant ist hier der Komplex der Hinterziehung dänischer und belgischer Kapitalertragsteuern in Höhe von 1,72 Mrd. € als Geldwäschevortaten. Diese Handlungen sind nach den Feststellungen des Senats nach dänischem Strafrecht als banden- und gewerbsmäßiger Steuerbetrug bzw. nach belgischem Strafrecht als Betrug strafbar und mit Freiheitsstrafe bedroht (Rn. 11). Die daraus erlangten Steuererstattungen seien auf ausländische Konten umgebucht worden, um die Herkunft zu verschleiern. Damit sei eine taugliche Geldwäschehandlung i.S.v. § 261 StGB zu bejahen (Rn. 9).

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C. Geldwäschetauglichkeit rechtswidrig erlangter ausländischer Steuererstattungen

Es folgt – nach prozessualen Vorüberlegungen – die materiell-rechtliche Kernfrage: Können durch ausländische Finanzbehörden zu Unrecht erstattete Kapitalertragsteuern tauglicher Gegenstand einer Geldwäsche gem. § 261 StGB (2008) sein?

I. Keine unmittelbare Anwendbarkeit von § 261 I 2 Nr. 4 StGB (2008)

Eine geldwäschetaugliche Vortat nach § 261 I StGB (2008) lehnt der Senat ab. § 261 I 2 Nr. 4 a), 4 b) StGB sei nicht anwendbar gewesen, weil weder ein gewerbs- oder bandenmäßiger Betrug noch eine Hinterziehung von Umsatzsteuern oder Einfuhr- und Ausfuhrabgaben im Sinne von § 370 VI AO vorlag.

II. § 261 VIII StGB (1998) und ausländische Steuerstraftaten nach dem 1. Strafsenat des OLG Koblenz

Sodann befasst sich das Gericht mit der Anwendung des § 261 VIII StGB (1998).[9] Diese Vorschrift lautete zum Tatzeitpunkt:

„Den in den Absätzen 1, 2 und 5 bezeichneten Gegenständen stehen solche gleich, die aus einer im Ausland begangenen Tat der in Absatz 1 bezeichneten Art herrühren, wenn die Tat auch am Tatort mit Strafe bedroht ist.“

Nach Feststellung der Voraussetzungen der Strafbarkeit nach ausländischem Recht, widmet sich der Senat dem Erfordernis der „beiderseitigen Strafbarkeit“ und kommt zu dem Schluss: Die Hinterziehung ausländischer Kapitalertragsteuern sei eine „im Ausland begangene Tat der in Abs. 1 bezeichneten Art“, sodass die Geldwäschetauglichkeit der zu Unrecht erstatteten ausländischen Abgaben über diese Sondervorschrift begründet werde. Dass die fragliche Handlung nach deutschem Recht keine rechtswidrige Tat im Sinne von § 11 I Nr. 5 StGB darstelle, sei nicht relevant. § 261 VIII StGB (1998) diene gerade dazu diese „Lücke“ zu füllen.

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1. „Ausdehnung“ der Strafbarkeit durch § 261 VIII StGB (1998)

Die Vorschrift dehne die Anwendbarkeit des § 261 I StGB auf Gegenstände aus, die aus einer im Ausland begangenen Vortat herrühren, d.h. aus einer Tat, die „eigentlich deutschem Strafrecht nicht unterfällt“, und daher nicht taugliche Vortat sein könne (Rn. 44). Damit werde eine im Ausland begangene „Tat der in Abs. 1 bezeichneten Art“ zur Vortat, wenn sie „auch am Tatort mit Strafe bedroht“ sei. Insoweit mache der Gesetzgeber die Ausdehnung der Geldwäschestrafbarkeit von der beiderseitigen Strafbarkeit der Vortat abhängig: Die Tat müsse einerseits am Tatort nach dem dortigen Recht strafbar sein. Andererseits müsse die Auslandstat den Vortaten des deutschen Vortatenkatalogs entsprechen, d.h. eine rechtswidrige Katalogtat sein, wenn sie im Inland begangen worden wäre (Rn. 45).

Der Wortlaut des § 261 VIII StGB (1998) („stehen gleich“) deutet tatsächlich auf eine Ausdehnung des Strafrechts hin, doch weckt § 11 I Nr. 5 StGB Zweifel hieran. Nach dieser Vorschrift ist „rechtswidrige Tat nur eine solche, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht“. Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts setzt das nicht voraus. So verlangt die h.M. etwa nicht, dass auf die Vortat einer Hehlerei deutsches Strafrecht anwendbar ist: „Dass auch eine Auslandstat grundsätzlich taugliche Vortat einer Hehlerei sein kann, lässt sich daraus ableiten, dass § 259 I StGB den Schutz des Vortatopfers vor einer Perpetuierung der durch die Vortat geschaffenen rechtswidrigen Besitzlage bezweckt.“[10]

Soweit man anerkennt, dass § 261 StGB auch dem Schutz des Rechtsguts der Vortat dient,[11] liegt es eher fern, § 261 VIII StGB (1998) als Ausweitung der Strafvorschrift zu verstehen. Warum sollte die inländische Fortsetzung einer im Ausland begonnenen Beeinträchtigung des durch deutsches Strafrecht geschützten Interesses nicht von § 261 StGB erfasst sein?[12] Der Gesetzgeber hat also mit § 261 VIII StGB (1998) lediglich klargestellt,[13] was für die Vortat des § 259 StGB bereits anerkannt war: Es

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bedarf neben der Erfüllung eines inländischen Straftatbestandes der Strafbarkeit der Vortat im Ausland. Dass der Gesetzesentwurf hier von einer Ausweitung des Strafrechts ausgegangen wäre, ist nicht belegt, beschränkt sich seine Begründung doch auf den Hinweis, mit der Vorschrift sei auch der Fall erfasst, in dem die Vortat im Ausland begangen worden ist.[14]

2. OLG Koblenz: Betrachtung „in abstracto“ angemessen

Der Senat stellt bei der konkreten Anwendung von § 261 VIII StGB (1998) zunächst die Auslandsstrafbarkeit fest, um dann die „beiderseitige Strafbarkeit“ zu erörtern (Rn. 60 ff.). Hier sei eine Betrachtung entweder „in concreto“ oder „in abstracto“ möglich. Unter ersterem versteht das Gericht eine ausschließliche Verlagerung des Tatorts ins Inland, also die Unterstellung, sie sei „im Inland zum Nachteil der ausländischen Rechtsgüter, d.h. hier zum Nachteil des ausländischen Fiskus begangen worden“. Damit wird § 261 VIII StGB (1998) strafanwendungsrechtlich verstanden, wenngleich die Wirkungen auf der Ebene des materiellen Straftatbestandes eintreten, denn Gegenstand der Modifikation ist mittelbar das Tatobjekt des § 261 I StGB.[15]

Der Senat zieht jedoch die „abstrakte“ Interpretation vor, basierend auf der Prämisse, dass die Tat „wäre sie in Deutschland gegenüber den deutschen Steuerbehörden begangen worden, nach deutschem Steuerstrafrecht strafbar wäre“. Gemeint ist wohl die Hypothese, dass die Tat nicht nur gegenüber der deutschen (Finanz-)Behörde[16] als Adressat der Erklärung begangen worden wäre, sondern auch gegen einen durch § 370 AO geschützten Steueranspruch i.S.v. § 3 AO. Damit wird § 261 VIII StGB (1998) als Vorschrift verstanden, die nicht nur den Tatort verlagert, sondern den deutschen Straftatbestand inhaltlich in seinem Taterfolgsobjekt verändert. Das Gesetz erfasse nun als Geldwäschevortaten auch Taten, die nach deutschem Strafrecht nicht strafbar sind. Damit käme § 261 VIII StGB (1998) die Funktion einer unmittelbaren materiellen Erweiterung der Strafbarkeit zu.

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a) Gesetzgebungsgeschichte als Ausdruck des Willens des Gesetzgebers

Der Strafsenat räumt ein, dass sich der ausdrückliche Wille des Gesetzgebers zwar weder dem Wortlaut des § 261 VIII StGB (1998) noch den Gesetzesmaterialien entnehmen lasse, jedoch spreche für ein abstraktes Verständnis der beiderseitigen Strafbarkeit der gesetzgeberische Wille, der sich im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens widerspiegle (Rn. 63 ff.):

Ziel der Einführung des § 261 StGB sei die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität durch die Sanktionierung der Einschleusung von Vermögensgegenständen aus organisierter Kriminalität in den legalen Finanzkreislauf gewesen. Die Ausdehnung des § 261 VIII StGB (1992)[17] auf Auslandstaten diene dazu, eine „Lücke zu schließen“, die durch die primäre Begrenzung des Schutzbereichs der Norm auf das Inland zunächst entstanden sei.[18] Der Gesetzgeber habe die Steuerstraftaten bei der Schaffung des § 261 StGB noch nicht im Blick gehabt, zudem sei der spätere Versuch gescheitert, sie mit dem Verbrechenstatbestand des § 370a AO a.F. zu erfassen.[19] Zum 1.1.2008 seien aber dann bestimmte Steuerstraftaten in den Vortatenkatalog aufgenommen worden; der Gesetzgeber habe sich damit ohne europäische Verpflichtung für eine Geldwäschetauglichkeit von Gegenständen aus Steuerstraftaten entschieden.

Aus der Aufnahme der Steuerdelikte in den Vortatenkatalog schließt der Senat also auf die Eignung auch ausländischer Steuerstraftaten als Geldwäschevortaten (Rn. 66 ff.) und verweist auf die Erläuterungen zum Gesetzesentwurf vom 1.10.1997 zur Neufassung von § 261 VIII StGB[20]:

„Diese Gründe für eine Beschränkung der Inlandsvortaten in Absatz 1 gelten nach Sinn und Zweck der Regelung auch im Hinblick auf Auslandstaten gemäß § 261 VIII. Diese Vorschrift stellt lediglich sicher, daß auch aus Auslandstaten herrührende Gegenstände Objekt einer im Inland begangenen Geldwäsche sein können und trägt damit

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 insbesondere der internationalen Verflechtung der Finanzmärkte Rechnung.“[21]

Dieser Passus zeige, dass der Gesetzgeber die Aufnahme der Steuerhinterziehung in den Vortatenkatalog bewusst nicht zum Anlass für eine Anpassung des § 261 VIII StGB (1998) genommen habe. Es sei nicht davon auszugehen, dass man einerseits die internationalen Verflechtungen der Finanzmärkte im Blick gehabt habe, andererseits aber „stillschweigend“ Steuerstraftaten zum Nachteil ausländischer Staaten nicht als geldwäschetauglich erfassen und die Einschleusung der daraus stammenden Vermögensgegenstände in den deutschen Finanz- und Wirtschaftskreislauf straflos stellen wollte. Wäre ein solches – mit der Zielsetzung von § 261 StGB nicht zu vereinbarendes – Ergebnis gewollt gewesen, so hätte der Gesetzgeber dies doch zumindest in der „Gesetzesbegründung“ erläutert.

Diese Ausführungen sind im Ergebnis kriminalpolitisch plausibel, die Argumentation begegnet jedoch Bedenken, weil die Gesetzesmaterialien die Schlüsse des Senats nicht tragen:

Das Gericht zieht seine Folgerungen aus einem Zusammenhang zwischen der Reform des § 261 VIII StGB (1992) durch das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität vom 4.5.1998[22] einerseits und der Aufnahme spezifischer Steuerdelikte in den Vortatenkatalog durch das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung vom 20.12.2007[23] andererseits. Doch war bei keinem dieser Gesetzesvorhaben die Erfassung ausländischer Steuerstraftaten Gegenstand der Beratungsdokumentation; die Gesetzesvorhaben betrafen andere und jeweils verschiedene Aspekte der Geldwäsche. Zudem spricht nichts dafür, dass mit der Formulierung „Verflechtungen der Finanzmärkte“ in den Materialien des Gesetzes von 1998 die Steuerkriminalität gemeint war, die – abgesehen vom Schmuggel und der Hinterziehung von Verbrauchsteuern – weder Gegenstand des Gesetzesvorhabens noch Katalogtat gewesen ist. Zum 1.1.2008 wurde der

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Vortatenkatalog ergänzt, ohne dass die Begründung des Entwurfs – oder zu § 370a AO[24] – sich zur Hinterziehung ausländischer Abgaben geäußert hätte.[25]

Soweit der Senat mit den Materialien zur Änderung des § 261 VIII StGB im Jahr 1998 argumentiert,[26] wäre ein vollständiges Zitat geboten gewesen, heißt es doch dort weiter:

„Dabei sollte jedoch nicht auf das Erfordernis verzichtet werden, daß auch hier nur eine dem Absatz 1 entsprechende Katalogtat taugliche Vortat einer Geldwäsche sein kann. Dieses bereits aus der geltenden Fassung abzuleitende Ergebnis wird durch die Neufassung des Absatzes 8 klargestellt, nachdem zwei Gerichtsentscheidungen und auch ein Teil der Literatur (…) zu einem – durch den bisherigen Wortlaut nicht zwingend ausgeschlossenen – anderen Ergebnis gelangt sind.“

Das führt zu einem anderen Blick auf diese Reform: Die Neufassung stellte klar, dass die ausländische Vortat einer Katalogtat des § 261 I StGB (bis 2021) entsprechen musste. Bis dahin war umstritten,[27] ob jede im Ausland strafbare Tat unabhängig von der Eigenschaft des deutschen Pendant als Katalogtat geldwäschetaugliche Gegenstände hervorbringen konnte. In der Rechtsprechung war das bejaht worden, sodass eine (einfache) Untreue in der Schweiz[28] Vortat zur Geldwäsche sein konnte, nicht aber die inländische Untreue.[29] § 261 VIII StGB (1998) sollte in der neuen Form also nicht die beiderseitige Strafbarkeit ausweiten, sondern – im Gegenteil – die geldwäschetauglichen ausländischen Vortaten auf deutschen Katalogtaten entsprechende Taten beschränken.

b) Fehlender Anwendungsbereich § 261 VIII StGB (1997) bei konkreter Auslegung

Für die abstrakte Interpretation spreche – so der Strafsenat – ferner die Existenz des § 370 VII AO. Soweit das deutsche oder das von § 370 VI AO erfasste ausländische Steueraufkommen verletzt sei, liege nach § 370 VII AO bereits eine Tat nach § 11 I Nr. 5 StGB vor, die Vortat zur Geldwäsche sein könne. Eines Rückgriffs auf § 261 VIII StGB (1998)

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bedürfe es dann nicht, sodass der Vorschrift ein eigener Anwendungsbereich im Steuerstrafrecht fehle.

Das ist zutreffend: § 370 VII AO begründet in Ausnahmefällen, in denen ein ausländischer Steueranspruch durch § 370 AO geschützt ist, die Anwendung des Weltrechtsprinzips.[30] Damit können diese Steuerstraftaten auch dann durch deutsche Strafverfolgungsorgane verfolgt werden, wenn sie von Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit im Ausland begangen worden sind.[31] Des § 261 VIII StGB (1998) bedurfte es in diesen Fällen nie. Unklar bleibt, warum dies ein Argument für die „abstrakte Auslegung“ sein soll.[32]

c) Bestätigung der abstrakten Auslegung durch spätere Gesetzgebung

Der Senat stützt sich weiter auf die der Tatbegehung zeitlich nachfolgende Entstehungsgeschichte des § 261 StGB im Jahr 2021. Er verweist auf die Empfehlung und den Bericht des Rechtsausschusses vom 10.2.2021 zum Gesetz zur Verbesserung der strafrechtlichen Bekämpfung der Geldwäsche.[33] Mit diesem Gesetz wurde § 261 VIII (1998) in § 261 IX Nr. 1 StGB (2021) überführt und umgestaltet. Die Vorschrift lautet seitdem:

„Einem Gegenstand im Sinne des Absatzes 1 stehen Gegenstände, die aus einer im Ausland begangenen Tat herrühren, gleich, wenn die Tat nach deutschem Strafrecht eine rechtswidrige Tat wäre und (…) am Tatort mit Strafe bedroht ist…“

Im Bericht des Rechtsausschusses[34] heißt es hierzu:

„Durch die Änderungen zu Doppelbuchstabe ee soll, ohne inhaltliche Änderungen, stärker zum Ausdruck gebracht werden, dass § 261 Absatz 9 StGB nur in den Fällen anwendbar ist, in denen die im Ausland begangene Vortat nicht schon eine rechtswidrige Tat nach § 11 Absatz 1 Nummer 5 StGB ist. Gilt das deutsche Strafrecht bezogen auf die Vortat und handelt es sich um eine rechtswidrige Tat, bedarf es der Gleichstellungsregelung des Absatzes 9 nicht. Ist auf die im Ausland begangene Tat deutsches Strafrecht nicht anwendbar, bedarf es für die Gleichstellung, dass eine entsprechende Vortat bei hypothetischer Anwendung des deutschen Strafrechts und erforderlichenfalls auch

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sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts eine rechtswidrige Tat nach § 11 Absatz 1 Nummer 5 StGB wäre. Weiterhin gilt Absatz 9 auch für den Fall, dass auf die im Ausland begangene Vortat deutsches Strafrecht anwendbar ist, aber nur bei sinngemäßer Umstellung des Auslandssachverhalts eine rechtswidrige Tat vorliegen würde.“

Mit dieser Begründung habe der „Gesetzgeber deutlich gemacht, am Prinzip der beiderseitigen Strafbarkeit grundsätzlich festhalten zu wollen, wobei diese nach dem – nunmehr ausdrücklich artikulierten Willen des Gesetzgebers ‚in abstracto‘ zu beurteilen“ sei. Die Gesetzesmaterialien ließen keinen Zweifel daran, dass zur Beurteilung, ob eine Auslandstat eine rechtswidrige Tat i.S.v. § 11 I Nr. 5 StGB wäre, nicht nur die hypothetische Anwendung deutschen Strafrechts gewollt sei, sondern erforderlichenfalls auch eine „sinngemäße Umstellung des Sachverhalts“ zu erfolgen habe. Für Fälle ausländischer Steuerhinterziehung verlange dies den Sachverhalt so zu beurteilen, als wäre das ausländische Steuerdelikt in Deutschland gegenüber dem deutschen Fiskus begangen worden (Rn. 69).

Diese Ausführungen sind bemerkenswert: Zunächst wird aus den Materialien einer Gesetzesänderung im Jahr 2021 auf den gesetzgeberischen Willen geschlossen, der einer Vorschrift aus dem Jahr 2008 für das Jahr 2015 (Tatzeitpunkt) zugrunde gelegen haben soll.

Des Weiteren löst das Gericht den Widerspruch in der Erläuterung des Rechtsausschusses nicht auf: Die Feststellung, § 261 IX StGB (2021) sei nur in den Fällen anwendbar, „in denen die im Ausland begangene Vortat nicht schon eine rechtswidrige Tat nach § 11 Absatz 1 Nummer 5 StGB ist“, verwechselt materielle Vortat und Strafrechtsgeltung. Andernfalls brächte eine im Ausland begangene Tat, die trotzdem eine rechtswidrige Tat i.S.v. § 11 I Nr. 5 StGB darstellt – ein Diebstahl eines Dänen zum Nachteil eines Belgiers in Brüssel – keinen geldwäschetauglichen Gegenstand i.S.v. § 261 IX Nr. 1 StGB (2021) hervor. Das ist wohl nicht gemeint. Richtig dürfte vielmehr sein, dass § 261 IX StGB (2021) eingreift, wenn eine rechtswidrige Tat i.S.v. § 11 I Nr. 5 StGB vorliegt, auf die deutsches Strafrecht nach §§ 3 ff. StGB keine Anwendung findet.

Zudem hätte das Gericht auch in diesem Zusammenhang das Gesetzgebungsverfahren gänzlich in den Blick nehmen sollen, heißt es doch in der ursprünglichen Entwurfsbegründung dieses Gesetzes:

„Voraussetzung hierfür ist, entsprechend der derzeitigen Rechtslage, dass die im Ausland begangene Tat, wäre auf sie das deutsche

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 Strafrecht anwendbar, strafbar wäre. Dabei kommt es darauf an, dass eine vergleichbare Inlandstat die Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllen würde (vergleiche Schönke/Schröder/Hecker, 30. Aufl. 2019 Rn. 8 [sic!], StGB § 261 Rn. 8). Daneben muss zusätzlich (ebenfalls weiterhin) die Auslandstat auch am Tatort mit Strafe bedroht sein (Nummer 1).“[35]

Die entsprechende Fundstelle bei Hecker lautet:

„Nach Abs. 8 ist eine Auslandstat geldwäscherelevante Vortat, wenn sie auch am Tatort mit Strafe bedroht ist und einer Katalogtat iSd Abs. 1 entspricht. Letzteres ist der Fall, wenn sie als Inlandstat die Voraussetzungen des Abs. 1 erfüllen würde (Zöller Roxin-FS-II 1045, 1051). Der neue Wortlaut der Norm stellt klar, dass nicht jede beliebige Auslandstat taugliche Vortat des § 261 sein kann (BT-Drs. 13/8651 S. 12, Fischer 17, Gentzik aaO 88 ff., Hecker Heinz-FS 718). Die Bezeichnung und rechtliche Einordnung der Auslandstat durch das Tatortrecht (zB als Verbrechen, Vergehen, Qualifikation) ist für die Entsprechungsklausel des Abs. 8 nicht maßgeblich (Altenhain NK 45, SSW-Jahn 26, Neuheuser MK 42). Insoweit kommt es nur darauf an, dass die nach inländischem Recht den Voraussetzungen des Abs. 1 genügende Vortat am Tatort unter Strafe steht.“

Hier ist also von einer „sinngemäßen Umstellung des Sachverhalts“ keine Rede, vielmehr geht es allein um das Strafanwendungsrecht, um die Lösung des Tatortproblems.

Die These, eine „abstrakte“ Lesart allein entspreche dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, vermag daher nicht zu überzeugen. Das gilt zwangsläufig auch für die Feststellung des Senats, die Gegenauffassung[36] sei mit dem „ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers nicht vereinbar“ (Rn. 70). Gegen die Auffassung des Senats spricht auch, dass der Gesetzeswortlaut nach der Empfehlung des Rechtsausschusses zwar durch den Einschub „wenn die Tat nach deutschem Strafrecht eine rechtswidrige Tat wäre“ geändert wurde, aber keine deutliche Klarstellung erfolgte z.B. durch eine Formulierung wie in § 3 IRG (vgl. e)).

d) Berufung des Senats auf die Literatur

Fehl geht auch die Berufung des Senats auf die Kommentierung von Fischer[37]. Die dortige Feststellung „Fälle, in denen das Waschen von im Ausland erlangten Ersparnissen ausländischer Steuern nach § 261 StGB

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 verfolgt wurden, sind hier nicht bekannt“, sagt nichts darüber, ob Fischer diese Fälle für strafbar hielt. Es ist eine Tatsachenfeststellung, keine rechtliche Bewertung. Selbst wenn Fischer die Strafbarkeit der Geldwäsche bei der Hinterziehung ausländischer Steuern für selbstverständlich gehalten haben sollte, führt das hier nicht weiter, weil sich diese Aussage auch auf § 370 VI AO beziehen kann, der bestimmte ausländische Steueransprüche zweifellos erfasst.

Schließlich ist zu konstatieren, dass die weiteren Fundstellen aus der Literatur, die der Senat für seine Auffassung in Anspruch nimmt, eine Änderung der Rechtslage durch die Neufassung der Regelung in § 261 IX Nr. 1 StGB durch das Gesetz vom 9.3.2021 betonen und damit keine Aussage zum ursprünglichen gesetzgeberischen Willen enthalten oder sich zu dieser Frage schlicht nicht äußern.[38]

e) Rekurs auf das Rechtshilferecht (§ 3 IRG)

Auch die rechtshilferechtliche Argumentation des Senats (Rn. 72 ff.) stärkt die Position des Gerichts nicht: Die „abstrakte“ Beurteilungsweise entspreche dem Verständnis von doppelter Strafbarkeit im Rechtshilferecht. Insofern verweist der Beschluss auf § 3 I IRG:

„Die Auslieferung ist nur zulässig, wenn die Tat auch nach deutschem Recht eine rechtswidrige Tat ist, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht, oder wenn sie bei sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts auch nach deutschem Recht eine solche Tat wäre.“

Hier werde ebenfalls die abstrakte Betrachtungsweise zugrunde gelegt; der Vollstreckungsstaat habe nur zu prüfen, „ob dann, wenn die betreffende Straftat im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaates begangen worden wäre, ein ähnliches, vom nationalen Recht dieses Staates geschütztes Interesse als verletzt gegolten hätte“. Es sei „der Sachverhalt dahin umzustellen (…), dass sich die Tat auf die Hinterziehung deutscher Steuern bezieht“ (Rn. 72). Daher komme eine Auslieferung für das Steuerstrafrecht auch dann in Betracht, wenn sich die Tat nur gegen einen ausländischen Steueranspruch richtet.

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Die Beschreibung des Rechtshilferechts ist zutreffend, rechtfertigt aber die daraus gezogenen Schlussfolgerungen nicht: Das Argument, es sei nicht einsichtig, die beiderseitige Strafbarkeit in der Rechtshilfe abstrakt zu beurteilen, bei § 261 VIII StGB aber ohne jegliche Begründung davon abzuweichen (Rn. 73), wird weder den Unterschieden in Sinn und Zweck der Rechtsgebiete noch dem Wortlaut des § 261 VIII StGB (1998) gerecht.

Das Rechtshilferecht dient der internationalen Zusammenarbeit zwischen Staaten zur grenzüberschreitenden Strafverfolgung und soll dem ersuchenden Staat ermöglichen, die im eigenen Recht begründete Strafverfolgung auch über die Grenzen hinaus umzusetzen. Um aber nicht mit innerstaatlichen Verfassungsgrundsätzen oder dem ordre public in Konflikt zu geraten, werden die Rechtslagen unter der Prämisse der Tatbegehung im und gegen den Vollstreckungsstaat verglichen. Mit der Begründung eigener materieller Strafbarkeit durch Integration fremder Strafvorschriften in den Straftatbestand des nationalen Rechts ist das nicht vergleichbar. Es liegt keineswegs fern, eine unterschiedliche Auslegung der „beiderseitigen Strafbarkeit“ anzunehmen, wenn die Ziele der auszulegenden Vorschriften so unterschiedlich sind wie hier.

Das sich aufdrängende Argument[39] des so unterschiedlichen Wortlauts der beiden Vorschriften – in § 3 IRG steht die „[sinngemäße] Umstellung des Sachverhalts“ im Gesetz, in § 261 VIII StGB (1998) sowie in § 261 IX Nr. 1 StGB (2021) dagegen nicht – meint der Senat mit dem Hinweis entkräften zu können, die „Gesetzesbegründung“ bestätige „anschaulich“, dass die Umstellung des Sachverhalts gewollt gewesen sei und sich aus dem Fehlen eines entsprechenden Hinweises im Gesetzeswortlaut nicht das Gegenteil schließen lasse (Rn. 73).

Das überzeugt nicht: Zum Ersten handelt es sich bei dem Bericht des Rechtsausschusses nicht um eine „Gesetzesbegründung“, die den Willen des Gesetzgebers zum Ausdruck bringt. Der Rechtsausschuss ist nicht Gesetzgeber, sondern ein parlamentarisches Gremium, das der Vorbereitung von Gesetzesvorschlägen zur Abstimmung im Deutschen Bundestag dient. Auch wenn aus den Gesetzgebungsmaterialien Indizien für den historischen gesetzgeberischen Willen abgeleitet werden können und sie damit eine wichtige Quelle für die Gesetzesexegese sind, geben sie nicht unmittelbar den Willen des Gesetzgebers wieder oder

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rechtfertigen ohne Weiteres eine Auslegung entgegen der Gesetzessystematik oder gar dem Gesetzeswortlaut.

Wenn man aus § 3 IRG trotz der anderen Zielrichtung des Rechtshilferechts etwas für das Problem der Auslandsvortaten herleiten kann, dann Folgendes: § 261 VIII StGB (1998) erlaubt keine Umstellung des Sachverhalts, weil der Wortlaut des Gesetzes dies – anders als in § 3 IRG – nicht vorsieht.

f) OLG Koblenz: Kein Wertungswiderspruch durch Auslegung „in abstracto“

Der Kritik, die „abstrakte“ Auslegung führe zu einem Wertungswiderspruch, weil sie eine im Inland begangene Tat gegen den fremden Steueranspruch nach dem Gesetzeswortlaut („die aus einer im Ausland begangenen Tat herrühren“) nicht erfasst,[40] tritt der Senat entgegen (Rn. 74): Eine Tat könne mehreren Strafrechtsordnungen unterliegen, und – ähnliche Regeln wie §§ 3 ff. StGB im ausländischen Strafrecht unterstellt – die Tat gegen den ausländischen Fiskus sei nach ausländischem Recht auch immer Auslandstat i.S.d. § 261 VIII StGB a.F.[41]

Dieser Einwand basiert wiederum auf einer zutreffenden Prämisse, die Folgerung ist allerdings kaum zwingend, weil es für die Bewertung nach § 261 VIII StGB (1998) nicht darauf ankam, ob es sich nach ausländischem Recht um eine Auslandstat handelte, sondern nach deutschem Strafrecht. Es war also irrelevant, ob der andere Staat die Tat als Auslandstat-, Inlandstat oder als beides einstuft. Eine Tat, die nach deutschem Strafanwendungsrecht im Inland begangen worden ist, ist nach den §§ 3 ff. StGB keine Auslandstat i.S.d. § 261 VIII StGB (1998). Die Friktion könnte man nur vermeiden, wenn man § 261 VIII StGB (1998) auch auf Fälle einer inländischen Begehung gegen einen ausländischen Fiskus anwendete, weil sie nach deutschem Verständnis durch den Handlungsort (Adressat der Steuererklärung im Ausland) auch Auslandsfälle sind.

g) Bewertung der Argumente des Senats

In der Gesamtbewertung überzeugt das kriminalpolitische Anliegen des Gerichts, nicht aber seine Argumentation. Die Entscheidung verdeutlicht vielmehr, dass weder der Wortlaut noch die Genese des § 261 VIII StGB

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(1998) eine Anwendung auf Delikte gegen ausländische Steueransprüche außerhalb des § 370 VI AO tragen.

III. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine Anwendung des § 261 VIII StGB (1998) auf Delikte gegen ausländische Steueransprüche

Hieraus darf noch nicht die Ablehnung der materiell-rechtlichen Lösung geschlossen werden, beweisen doch unzureichende Argumente für eine These noch nicht ihre Unrichtigkeit. Zudem steht das Anliegen des Senats im Einklang mit dem Interesse an einer effektiven Bekämpfung der Steuerkriminalität in Europa mit den Mitteln des Geldwäschestrafrechts.[42] Allerdings werden in der Kritik der Argumente des 1. Strafsenats des OLG Koblenz bereits Gründe erkennbar, die der von ihm vertretenen Lösung entgegenstehen.

1. Verletzung des Gesetzlichkeitsprinzips (Art. 103 II und Art. 104 I GG)

Der „abstrakte Ansatz“ führt zu einer materiellen Ausweitung des Straftatbestandes durch Austausch des Tatobjekts. Das ist verfassungsrechtlich nicht grundsätzlich unzulässig; allerdings kann eine solche Erweiterung der Strafbarkeit nach Art. 103 II GG nur durch Gesetz erfolgen. Gesetz in diesem Sinne sind nur Rechtsvorschriften des deutschen Gesetzgebers und unmittelbar anwendbare Rechtsakte der Europäischen Union, auf die durch nationales Recht hinreichend klar Bezug genommen wird.[43]

Nach der Rechtsauffassung des Senats soll § 261 StGB (2008) auch auf solche Handlungen anwendbar sein, die nach deutschem oder europäischem Recht weder verboten noch mit Strafe bedroht waren. Damit wird § 261 VIII StGB (1998) durch den Austausch des Tatobjekts von einer ursprünglich die Strafbarkeit beschränkenden in eine die Strafbarkeit ausdehnende Vorschrift umfunktioniert. Der deutsche Gesetzgeber soll es ferner einem ausländischen Gesetzgeber überlassen haben, die Strafbarkeit nach § 261 I StGB (2008) i.V.m. § 261 VIII StGB (1998) zu bestimmen. Das ist mit Art. 103 II GG und Art. 104 I GG unvereinbar, weil damit das Gesetzlichkeitsprinzip in seiner kompetenzwahrenden Funktion verletzt wird. Der deutsche parlamentarische Gesetzgeber hat selbst die

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Entscheidung darüber zu treffen, welche Handlungen mit Strafe bedroht werden.[44]

Dem steht nicht entgegen, dass eine Fremdrechtsanwendung auch zur Begründung von Strafbarkeit nichts Ungewöhnliches ist, wie etwa die Anwendung des Fremdheitsbegriffes in § 242 StGB auf ausländische Eigentumsrechte. Zum einen schützt das Strafrecht insoweit das auch vom deutschen Verfassungsrecht anerkannte Grundrecht auf Eigentum, zum anderen wird das ausländische Zivilrecht zur Konkretisierung des Eigentumsrechts über ein normatives Tatbestandsmerkmal in das deutsche Strafrecht integriert. Damit sind die wesentlichen Umrisse des geschützten Tatobjekts sowie des Unrechts durch Gesetz bestimmt, mögen auch die Einzelheiten des Eigentumserwerbs etc. dem ausländischen Recht überlassen sein.[45] Das ist bei § 261 VIII StGB (1998) – so wie ihn der Senat versteht – anders, weil die deutsche Strafbarkeit unmittelbar durch das ausländische Strafrecht bestimmt wird, indem es das Tatobjekt definiert.

Auch aus dem Strafanwendungsrecht ergibt sich nichts anderes. Zwar ist die Bezugnahme auf ausländisches Recht typisch für das Strafanwendungsrecht z.B. bei § 7 StGB, doch handelt es sich insofern – ebenso wie bei § 261 VIII StGB (1998) nach der strafanwendungsrechtlichen „konkreten“ Interpretation – um Beschränkungen des Tatobjekts durch das Erfordernis der Tatortstrafbarkeit. Für solche Freiheitserweiterungen ist keine gesetzliche Grundlage erforderlich, weil Art. 103 II GG nur strafbegründende und strafschärfende Überschreitungen des Gesetzeswortlauts, Rückwirkungen etc. verbietet. Eine Einschränkung der Strafbarkeit kann auf das Strafrecht eines anderen Staates gestützt werden, solange dadurch nicht ein Strafgesetz entsteht, deren Wirkung für den potenziellen Täter nicht mehr vorhersehbar ist.

2. Verletzung des Bestimmtheitsgrundsatzes (Art. 103 II GG)

Durch die vom Strafsenat verlangte „sinngemäße Umstellung des Sachverhalts“ kann sich allerdings gerade ein solcher Mangel an Vorhersehbarkeit der Strafe ergeben. Denn zum einen macht dieser „abstrakte Ansatz“ die Strafbarkeit von einer Verletzung dänischen oder belgischen Steuerrechts abhängig, die für den potenziellen Täter möglicherweise

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schwer zu erkennen ist. Zum anderen sind die Kriterien für eine „sinngemäße Umstellung des Sachverhalts“ unklar.

Wie weit soll die Umstellung reichen? Für den Fall der belgischen oder dänischen Einkommensteuer mag noch nachvollziehbar sein, was gemeint sein könnte. Bedenklich wird die Situation jedoch, wenn andere Staaten die Steuerpflicht nicht an den gewöhnlichen Aufenthalt oder die Einkünfteerzielung, sondern an die Staatsangehörigkeit knüpfen. Wie ist mit unterschiedlichen Regeln in Doppelbesteuerungsabkommen umzugehen? Ist eine Geldwäschetauglichkeit auch gegeben, wenn der Täter nach deutschem Steuerrecht in einer vergleichbaren Lage nicht steuerpflichtig gewesen wäre? Was gilt für Steuern, die das deutsche Abgabensystem nicht kennt oder nicht erhebt wie die Vermögensteuer oder bestimmte Luxussteuern?

D. Keine Erfassung ausländischer Steuerstraftaten nach § 261 IX Nr. 1 StGB

Mit der Neufassung zum 18.3.2021 gilt § 261 IX 1 StGB: „Einem Gegenstand im Sinne des Absatzes 1 stehen Gegenstände, die aus einer im Ausland begangenen Tat herrühren, gleich, wenn die Tat nach deutschem Strafrecht eine rechtswidrige Tat wäre und 1. am Tatort mit Strafe bedroht ist…“ Neu ist insofern die Formulierung „wenn die Tat nach deutschem Strafrecht eine rechtswidrige Tat wäre“. Diese Änderung soll es rechtfertigen,[46] auch Hinterziehungen ausländischer Steuern jenseits von § 370 VI AO als Vortaten der deutschen Geldwäsche zu bewerten.

Der aktuelle Wortlaut des § 261 IX StGB (2021) weist tatsächlich in diese Richtung. Er deutet an, dass es sich um Taten handelt, die die Voraussetzungen des § 11 I Nr. 5 StGB nicht erfüllen. Eindeutig ist das aber nicht, weil die Formulierung die Bedingungen offenlässt, unter denen die Tat eine rechtswidrige Tat wäre. Bedenkt man zudem die Formulierung des § 261 VIII StGB (1998), der nicht exakt zwischen Tatbestand und Strafrechtsgeltung unterschieden hat, so bleiben Zweifel. Der Konjunktiv in der Vorschrift könnte sich auch lediglich auf den Tatort beziehen, zumal das Gesetz trotz der Überlegungen im Rechtsausschuss keinen Hinweis auf eine Auswechslung des Tatobjekts enthält. Hier tritt der Unterschied

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zwischen im Gesetzgebungsverfahren gemeint und im Gesetz umgesetzt zutage.

Doch selbst wenn die aktuelle Vorschrift wie vom Senat und einem Teil der Literatur[47] verstanden werden sollte, bleiben verfassungsrechtliche Bedenken. Selbst wenn der Gesetzgeber die „sinngemäße Umstellung des Sachverhalts“ ins Gesetz aufgenommen hätte, stellte diese Öffnung des Straftatbestandes für Analogien einen Verstoß gegen Art. 103 II GG dar. Daher bleibt nur eine Reduktion des Anwendungsbereichs von § 261 IX Nr. 1 StGB (2021) auf die „konkrete Lösung“. Und dies hat zur Folge, dass Straftaten gegen ausländische Abgabenansprüche als Vortaten der Geldwäsche untauglich bleiben. Die gegenteilige Auffassung hätte letztlich auch ein systemsprengendes Potenzial. Sie führte dazu, dass der erklärte Zweck des Geldwäschestrafrechts, kriminell erlangtes Vermögen aufzudecken und zu isolieren, auf nicht kriminell erlangtes Vermögen erweitert würde. Damit verlöre § 261 StGB nicht nur tatbestandlich jeden Rest von Kontur, sondern auch kriminalpolitisch.

Im Ergebnis zeigt sich an diesem Beispiel deutlich, dass das Strafrecht mit seinen hohen verfassungsrechtlichen Hürden nicht das zentrale Instrument zur Bekämpfung internationaler Geldwäsche sein kann. Der Weg muss über das Gefahrenabwehrrecht führen.


Der Verfasser ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht an der Universität Mannheim. Kontakt: wirtschaftsstrafrecht@uni-mannheim.de.

[1] Jahn in Deutscher Bundestag, Protokoll Nr. 19/117, S. 10.

[2] Vgl. nur Fischer, StGB, 71. Aufl. 2024, § 261 Rn. 6 ff.

[3] Vgl. Tsakalis, Die Verflechtung zwischen Geldwäsche und Steuerhinterziehung, 2022, S. 269 ff. m.N.

[4] Vgl. Reichling wistra 2023, 188; vgl. aber bereits Bülte in Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance Handbuch, 2015, § 29 Rn. 40; Dierlamm, in FS Mehle, 2009, S. 177, 181 f.

[5] Vgl. Bülte in Joecks/Jäger/Randt (Hrsg.), Steuerstrafrecht, 9. Aufl. 2023, Anhang IV § 261 StGB Rn. 88; Reichling wistra 2023, 188, 189; Wulf SAM 2021, 58, 60.

[6] LG Hamburg Beschl. v. 23.11.2022 – 608 KLS 1/21.

[7] LG Koblenz Beschl. v. 21.11.2022 – 4 Kls 2050 Js 40313/18, NZWiSt 2023, 350 m.Anm. Rolletschke; zur hier relevanten Frage vgl. Schwerdtfeger jurisPR-StrafR 6/2023, Anm. 1.

[8] Das ist mit Blick auf die letzte in diesem Zusammenhang relevante Änderung die Fassung vom 1.1.2008 durch das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung vom 21.12.2007, BGBl. I, S. 3198 ff. Die späteren Änderungen vor dem 9.3.2021 haben hier keine Bedeutung, weil erst zu diesem Zeitpunkt § 261 VIII StGB in § 261 IX StGB überführt wurde.

[9] Die letzte hier relevante Änderung des § 261 VIII StGB vor dem Gesetz vom 9.3.2021 erfolgte mit dem Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität vom 4.5.1998, BGBl. I 1998, 845 ff.

[10] Hecker in FS Heintz, 2012, S. 714, 720.

[11] BGH Urt. v. 19.12.2012 – VIII ZR 302/11 NJW 2013, 1158; vgl. auch Fischer (Fn. 2), § 261 Rn. 2; El-Ghazi, in Herzog, GwG, 5. Aufl. 2023, § 261 StGB Rn. 39.

[12] Vgl. allerdings zu § 257 StGB Cramer,in Münchner Kommentar StGB, 4. Aufl. 2021, § 257 Rn. 7 Fn. 16 m.w.N.

[13] Von einer Klarstellung sprechen auch Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, § 261 Rn. 27 und Jahn, in Satzger/Schluckebier/Werner,StGB, 6. Aufl. 2024, § 261 Rn. 5.

[14] BT-Drs. 12/989, S. 28.

[15] Vgl. Reichling wistra 2023, 188, 192.

[16] § 370 I Nr. 1 AO lässt eine Erklärung gegenüber irgendeiner Behörde ausreichen.

[17] Die Ursprungsfassung des § 261 VIII StGB im OrgKG v. 15.7.1992 (BGBl. I 1302 ff.) lautete: „Den in den Absätzen 1, 2 und 5 bezeichneten Gegenständen stehen solche gleich, die aus außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes begangenen Taten herrühren, wenn die Taten auch am Tatort mit Strafe bedroht sind.“

[18] Der Senat verweist hier auf Höreth, Die Bekämpfung der Geldwäsche, 1996, S. 203, die aber die „Lücke“ unter der Prämisse konstatiert, § 261 StGB schütze allein die staatliche Strafrechtspflege.

[19] Zu dieser Vorschrift nur Schneider, Die gewerbs- oder bandenmäßige Steuerhinterziehung (§ 370a AO) – ein Schreckensinstrument des Gesetzgebers?, 2006, passim.

[20] Nun lautete die Vorschrift: „Den in den Absätzen 1, 2 und 5 bezeichneten Gegenständen stehen solche gleich, die aus einer im Ausland begangenen Tat der in Absatz 1 bezeichneten Art herrühren, wenn die Tat auch am Tatort mit Strafe bedroht ist.“

[21] BT-Drs. 13/8651, S. 12.

[22] BGBl. I 1998, S. 845 ff.

[23] BGBl. I 2007, S. 3198 ff.; BT-Drs. 16/5846.

[24] BT-Drs. 14/7471, S. 9.

[25] BT-Drs. 16/5846, S. 76.

[26] BT-Drs. 13/8651, S. 12.

[27] Vgl. hierzu Carl/Klos NStZ 1995, 167 f.

[28] Vgl. AG Essen, Urt. v. 12.1.1994 – 37 Ls 122/93, ZIP 1994, 699 m.Anm. Fülbier.

[29] So auch LG Stuttgart, Beschl. v. 7.4.1994 – 14 Qs 10/94, NJW 1995, 670 f.

[30] Vgl. Grötsch in Joecks/Jäger/Randt (Fn. 5), § 370 AO Rn. 64. 

[31] Vgl. BGH Beschl. v. 8.11.2000 – 5 StR 440/00 wistra 2001, 62; krit. Schmitz/Wulf wistra 2001, 361 ff.

[32] Insofern ebenfalls krit. Fleckenstein wistra 2023, 2258, 2259.

[33] BGBl. I 2021, 327 ff.

[34] BT-Drs. 19/26602, S. 8.

[35] BT-Drs. 19/24180, S. 35.

[36] Bülte in Joecks/Jäger/Randt (Fn. 5), Rn. 88; Reichling wistra 2023, 188, 192.

[37] Fischer, Strafgesetzbuch, 67. Aufl. 2020, § 261 Rn. 27.

[38] Böhme/Busch wistra 2021, 169, 171; Radermacher AO-StB 2022, 91, 91 f.; Tsakalis (Fn. 3), S. 388; bei Nestler Jura 2022, 1154, 1155 kann man die Fn. 16 im Sinne des Senats lesen, kaum aber den ersten Absatz auf Seite 1156; vgl. hierzu Altenhain,in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Saliger (Hrsg.), StGB, 6. Aufl. 2023, § 261 Rn. 21.

[39] Zumindest für LG Koblenz Beschl. v. 21.11.2022 – 4 Kls 2050 Js 40313/18 NZWiSt 2023, 350; Reichling wistra 2023, 186, 192; Schwertfeger jurisPR-StrafR 6/2023 Anm. 1.

[40] So Bülte in Joecks/Jäger/Randt (Fn. 5), Rn. 48; Reichling wistra 2023, 188, 192.

[41] So auch NK-StGB/Altenhain, 6. Aufl. 2023, § 261 Rn. 21; Fleckenstein wistra 2023, 258, 259 f.

[42] Krit. Tsakalis (Fn. 3), S. 271.

[43] Eingehend Dannecker/Schuhr, in Leipziger Kommentar StGB, Bd. 1, 13. Aufl. 2020, § 1 Rn. 118 ff.

[44] Vgl. nur BVerfG Beschl. v. 21.9.2016 – 2 BvL 2/15, BVerfGE 143, 38, 60 ff.; Beschl. v. 11.3.2020 – 2 BvL 5/17, BVerfGE 153, 310, 337 ff.

[45] Vgl. nur Dannecker/Schuhr (Fn. 43), § 1 Rn. 149.

[46] So u.a. Tsakalis (Fn. 3), S. 389.

[47] Böhme/Busch wistra 2021, 169, 171; Radermacher AO-StB 2022, 91; Tsakalis (Fn. 3), S. 389.