LG München I, Beschluss vom 16.11.2023 – 2 Qs 14/23

„Letzte Generation“ als kriminelle Vereinigung

Reference: NSW 2024, 110-120
DOI: 10.61039/29427509-2024-09

A. Beschluss

1. Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Amtsgerichts München vom 16.05.2023 (Gz.: ER V Gs 5965/23) wird als unbegründet verworfen.

2. Der Beschuldigte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

B. Gründe

I. Bei der Generalstaatsanwaltschaft München ist ein Ermittlungsverfahren gegen mehrere Personen anhängig, die sich unter der Bezeichnung „Letzte Generation“ als Klimaaktivisten betätigen. Die Generalstaatsanwaltschaft München stufte die „Letzte Generation“ als kriminelle Vereinigung ein und beantragte beim Amtsgericht München – Ermittlungsrichter – mehrere Beschlüsse, unter anderem einen Durchsuchungsbeschluss gegen den Beschuldigten, den hiesigen Beschwerdeführer.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 26.07.2023 (Bl. 2025) und nach der Entscheidung über den Befangenheitsantrag gegen den Ermittlungsrichter mit Beschluss vom 02.10.2023 unter Bezugnahme auf den Beschluss vom 26.07.2023 nicht abgeholfen. Hinsichtlich

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der näheren Einzelheiten zur Begründung der Nichtabhilfeentscheidung wird auf den Beschluss vom 26.07.2023 Bezug genommen.

II. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die Voraussetzungen für den Erlass eines Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses lagen vor.

1. Voraussetzung für den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses ist zunächst das Vorliegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte dafür, dass eine bestimmte Straftat begangen worden ist. Dem Beschwerdeführer wird durch die Generalstaatsanwaltschaft München unter anderem zur Last gelegt, eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben. Das Vorliegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der letzten Generation um eine kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129 StGB handelt, wurde zutreffend angenommen, selbst der Beschwerdeführer stellt dies in seinem Beschwerdevorbringen nicht in Abrede.

a) Vereinigung im Sinne des § 129 StGB.

aa) Der Begriff der Vereinigung ist in § 129 Abs. 2 StGB legaldefiniert. Danach ist eine Vereinigung ein auf Dauer angelegter, von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängiger organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses.

bb) Diese Voraussetzungen sind bei der „Letzten Generation“ vor dem Hintergrund der bisherigen Ermittlungsergebnisse erfüllt. Die „Letzte Generation“ besteht jedenfalls seit Januar 2022. Nach den Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft haben sich bislang mehrere Hundert Menschen an Aktionen der „Letzten Generation“ beteiligt und es gibt eine Internetseite, Personen, die für Kontakte, beispielsweise zur Presse, zuständig sind und verschiedene Aktionsgruppen, die im Rahmen bzw. unter Beachtung der zentral einsehbaren Vorgaben (Richtlinien) Aktionen durchführen. Diese dienen auch einem gemeinsamen übergeordneten Ziel, namentlich sollen durch Mittel des „zivilen Ungehorsams“ verschiedene Forderungen der Initiative gegenüber der Bunderegierung durchgesetzt werden.

b) Zweck oder Tätigkeit der Vereinigung muss auf die Begehung von Straftaten gerichtet sein, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass

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§ 129 Abs. 1 StGB nicht nur dann anwendbar ist, wenn die Straftaten, die begangen werden sollen, Endziel, Hauptzweck oder ausschließliche Tätigkeit der Vereinigung sind (vgl. zum Ganzen BGH NJW 1995, 340, 343; BGH bei Wagner GA 1967, 103; NJW 1966, 310 – jeweils unter Hinweis auf BGHSt 15, 259, 260; ferner BGHSt 27, 325, 326). Die Begehung von Straftaten ist jedenfalls dann nicht von untergeordneter Bedeutung nach § 129 Abs. 3 Nr. 2 StGB, wenn sie zwar nur einen von mehreren Zwecken (oder eine von mehreren Tätigkeiten) der Vereinigung darstellt, dieser Zweck (diese Tätigkeit) aber wenigstens in dem Sinne wesentlich und damit gleichgeordnet mit den anderen ist, dass durch das strafrechtswidrige Verhalten das Erscheinungsbild der Vereinigung aus der Sicht informierter Dritter mitgeprägt wird (vgl. Lampe ZStW 106 (1994), 683, 706, 707; S/S-Lenckner aaO, Rn. 7; Rudolphi in FS Bruns, 1978, S. 315, 322 – allerdings bezogen auf die „innere Struktur“ der Vereinigung; ferner Scholz in Maunz/Dürig GG, Art. 9 Rn. 124). Vorliegend bestehen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass sich die „Letzte Generation“ zum Ziel gesetzt hat, verschiedene Forderungen gegenüber der Bundesregierung durchzusetzen und sie sich hierbei verschiedener Protestformen bedient, wobei Blockaden von Straßen und Flughäfen medial und auch aufgrund der Beeinträchtigung einer Vielzahl von Verkehrsteilnehmern oder Flugreisenden dem Erscheinungsbild der „Letzten Generation“ ein nicht unwesentliches Gepräge geben. Das Erscheinungsbild der „Letzten Generation“ wird somit durch die infrage kommenden Straftatbestände – wie hier beispielhaft in Betracht zu ziehenden Nötigungen oder (gemeinschädliche) Sachbeschädigungen – wesentlich mitgeprägt. Der Straftatbestand der Nötigung sieht Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vor, der Straftatbestand der Sachbeschädigung Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe, der Straftatbestand der gemeinschädlichen Sachbeschädigung Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.

c) Nach herrschender Meinung hat zudem eine Begrenzung auf Straftaten zu erfolgen, die eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen (vgl. auch BT-Drs. 18/11275, S. 10).

aa) Daraus lässt sich aber keine Beschränkung auf besonders schwere Straftaten ableiten (vgl. Fischer, 70. Aufl., § 129 Rn. 20). Vielmehr ist § 129 Abs. 1 StGB dann anwendbar, wenn die begangenen und/oder geplanten Straftaten der Mitglieder eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit bedeuten, wenn sie somit unter diesem Blickwinkel von

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einigem Gewicht sind (vgl. BT-Drs. 18/11275, S. 10, BGH NJW 1995, 340, BGHSt 31, 202, 207; BGH NJW 1975, 985, 986). Hierbei ist primär nicht auf die gesellschaftliche Bedeutung der Gruppierung als solche abzustellen, sondern auf die Gefahr, die von den nicht völlig ungewichtigen Straftaten ausgeht. Entscheidend ist nicht die abstrakte Strafandrohung allein, sondern eine Gesamtwürdigung der begangenen und/oder geplanten Straftaten unter Einbeziehung aller Umstände, die für das Maß der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit von Bedeutung sein können, namentlich der Tatauswirkungen (vgl. zum Ganzen BeckOK StGB/von Heintschel-Heinegg/Kulhanek, § 129 Rn. 44 m. w. N.). Zur Tatbestandserfüllung bedarf es keines allgemeinen Klimas der Angst, vermittelt durch die Vereinigung oder ihre Straftaten (a. A. Kuhli/Papenfuß KriPoZ 2023, 71 (75)). Es geht nicht darum, ob sich der Einzelne oder eine Vielzahl konkret bedroht fühlen oder gar in Angst leben, sondern entscheidend ist, dass der gesellschaftliche Diskurs durch illegitime Mittel verletzt wird, indem eine Gruppierung versucht, sich – gegebenenfalls moralisch überhöhend – über die rechtsstaatliche Ordnung und die konsentierten Formen der demokratischen Abläufe zu stellen. Straftaten sind kein Mittel der freiheitlichen, demokratischen, rechtsstaatlichen Diskussion. Sie sind Ausdruck krimineller Energie und als solche juristisch nüchtern zu bewerten (Schwarz NJW 2023, 275 Rn. 24). Moralische Argumente können jenseits der Gesetze eine Strafbarkeit weder begründen noch negieren (BeckOK StGB/von Heintschel-Heinegg/Kulhanek, § 129 Rn. 44; vgl. auch Fischer LTO 22.5.2023).

bb) Dies zugrunde gelegt liegen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit vor, zumal nach den zum Zeitpunkt der bei Erlass des Beschlusses vorliegenden Ermittlungsergebnissen neben einer Vielzahl von Straßenblockaden, die im Einzelfall ggf. einer näheren Betrachtung auch unter dem Blickwinkel von Art. 8 GG bedürfen, Mitglieder der „Letzten Generation“ wiederholt unter Zerstörung von Schutzeinrichtungen widerrechtlich auf besonders gegen unberechtigten Zutritt gesicherte Gelände vorgedrungen sein sollen und dort durch Protestaktionen sensible Bereiche der Infrastruktur erheblich beeinträchtigt haben sollen (Störung und Blockaden des Betriebs verschiedener Flughäfen und konzertierte Aktionen, um den Durchfluss verschiedener Ölpipelines zu unterbrechen).

d) Zuletzt liegen auch Anhaltspunkte dafür vor, dass sich der Beschwerdeführer bei der „Letzten Generation“ als Mitglied beteiligt hat. So wird

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dem Beschwerdeführer aufgrund der bisherigen Ermittlungen vorgeworfen, am … selbst in eine Pipeline-Schiebestation in … eingedrungen zu sein, um dort den Öldurchfluss zu stoppen, was sich ohne weiteres in die in diesem Zeitraum erfolgten und der „Letzten Generation“ zugerechneten Versuche einfügt, an mehreren Orten in … (…) die Notabschaltung von Ölpipelines zu manipulieren. Somit besteht der Verdacht, dass der Beschwerdeführer sich aktiv an Handlungen zur Förderung der Tätigkeit der Organisation beteiligt hat und damit als Mitglied handelte.

Insgesamt lagen daher die Voraussetzungen für den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses gemäß § 102 StPO vor. Es bestand der Verdacht, dass der Beschwerdeführer an einer Straftat als Täter beteiligt gewesen ist. Auch war zu vermuten, dass die Durchführung der Durchsuchung zum Auffinden von Beweismitteln führen werde, die Aufschluss über die Tätigkeit des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit der „Letzten Generation“ geben könnten.

2. Soweit der Beschwerdeführer der Auffassung ist, dass der Erlass des Durchsuchungsbeschlusses aufgrund formeller Fehler rechtswidrig erfolgt sei, greift das Beschwerdevorbringen im Ergebnis nicht durch.

a) Soweit der Beschwerdeführer vorträgt, dass kein eigenständiger Prüfvorgang des Ermittlungsrichters in Bezug auf die zu durchsuchenden Räume stattgefunden habe, ist dies nicht nachvollziehbar. …

b) Auch geht das Vorbringen des Beschwerdeführers fehl, dass der Durchsuchungsbeschluss in seiner Gesamtheit nicht erkennen lasse, dass der Ermittlungsrichter die Voraussetzungen für den Erlass eigenständig geprüft hätte.

aa) Der Beschluss verhält sich – wenn auch kurz – zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit. Der Ermittlungsrichter dokumentierte, dass die angeordneten Maßnahmen in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der Tat und zur Stärke des Tatverdachts stünden. Hieraus ist gerade ersichtlich, dass eigenverantwortliche Prüfung durch den Ermittlungsrichter stattgefunden hat. Alleine aus dem Umstand, dass die Ausführungen zur Verhältnismäßigkeitsprüfung in dem Durchsuchungsbeschluss nur kurz und zusammenfassend erfolgt sind, lässt sich per se kein Fehler bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeitsprüfung ableiten.

bb) Auch im Ergebnis zeigt die Verhältnismäßigkeitsprüfung keinen Rechtsfehler auf. Ausweislich … wurde der Beschwerdeführer durch

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eintreffende Polizeibeamte auf dem Firmengelände der … angetroffen, auf das er zuvor eingedrungen war. Gegen den Beschwerdeführer besteht damit der Verdacht der Begehung einer Straftat nach § 129 Abs. 1 und 2 StGB, einem Vergehen, das nach der in § 100a Abs. 2 Nr. 1 d) StPO enthaltenen Regelung per se als schwer einzuordnen ist. Die angeordnete Durchsuchungsmaßnahme war geeignet, die in dem Beschluss genannten Gegenstände und Unterlagen aufzufinden, die Aufschluss über die Struktur, Hinterleute oder Mittäter und über andere Mitglieder der Organisation geben können. Die Maßnahme war auch erforderlich. Es stand nicht zu erwarten, dass mildere Mittel zur Erlangung der in dem Beschluss genannten Gegenstände hätten führen können. Der mit der Durchsuchung verbundene Eingriff stand auch nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und zur Stärke des bestehenden Tatverdachts. Es besteht der Verdacht, dass es sich bei der „Letzten Generation“ um eine kriminelle Vereinigung handelt, wobei in der Gesamtschau aufgrund der dem Beschwerdeführer konkret vorgeworfenen Tathandlung und unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Wertung in § 100a Abs. 2 Nr. 1 d) StPO nicht von einer Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat auszugehen ist.

3. Soweit der Beschwerdeführer in seinem Schriftsatz vom 03.08.2023 geltend gemacht hat, dass der Beschluss des Ermittlungsrichters vom 31.07.2023 (gemeint wohl 26.07.2023), mit dem der Ermittlungsrichter der Beschwerde gegen die Durchsuchungsbeschlüsse nicht abgeholfen habe, wegen eines Verstoßes gegen § 29 StPO offensichtlich fehlerhaft sei, da der Ermittlungsrichter das Ablehnungsgesuch vom 30.06.2023 bewusst ignoriert habe, ist das Vorbringen aufgrund des am 02.10.2023 – nach der Entscheidung über den Befangenheitsantrag – erlassenen Beschlusses des Ermittlungsrichters, mit dem er der Beschwerde nicht abgeholfen hat, überholt.

4. Anhaltspunkte, aus denen sich die Rechtswidrigkeit der Beschlagnahme der bei der Durchsuchung aufgefundenen Gegenstände ergeben würden, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

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C. Würdigung von Mark A. Zöller

Dass strafrechtliche Beschwerdeentscheidungen über den lokalen Kontext hinaus mit Spannung erwartet werden, zählt nicht gerade zum juristischen Alltag. Der vorstehend publizierte Beschluss der 2. Großen Strafkammer des LG München I vom 16.11.2023[1] bildet insoweit eine Ausnahme, als schon die Ausgangsentscheidung des AG München vom 16.05.2023[2] bundesweit für ein intensives Echo, nicht nur in der Fachwelt[3], sondern auch in der allgemeinen Medienberichterstattung[4] gesorgt hatte. Die bei der Generalstaatsanwaltschaft München angesiedelte „Bayerische Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus“ führt aktuell ein Ermittlungsverfahren gegen mehrere Personen, die sich als Klimaaktivisten innerhalb der sog. Letzten Generation betätigen. Auf behördlichen Antrag hin erließ der zuständige Ermittlungsrichter beim AG München mehrere Beschlüsse, insbesondere Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse, die in insgesamt sieben Bundesländern vollstreckt wurden. Darin wird die „Letzte Generation“ als kriminelle Vereinigung i.S. von § 129 StGB eingestuft.

Nachdem das AG München der hiergegen gerichteten Beschwerde nicht abgeholfen hatte, wurde diese mit der Entscheidung des LG München I als unbegründet verworfen. Damit steht aber gerade nicht fest, dass es sich bei der Letzten Generation um eine kriminelle Vereinigung handelt.[5] Entscheidungsgegenstand war ausschließlich die Frage, ob der zuständige Ermittlungsrichter im Mai 2023 rechtmäßig gehandelt hat. Konkret ging es vor allem darum, ob zu diesem Zeitpunkt im Hinblick auf den Beschwerdeführer ein Anfangsverdacht wegen der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung bejaht werden durfte. Zwar sind die Anforderungen, die an das Bestehen eines strafprozessualen Anfangsverdachts i.S. von § 152 II StPO zu stellen sind, nicht allzu hoch.[6]

Insofern genügt es

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bereits, wenn nach kriminalistischer Erfahrung Anhaltspunkte vorliegen, die es nur als möglich erscheinen lassen, dass eine verfolgbare Straftat begangen wurde.[7] Sowohl ein Recht als auch eine Pflicht zum Einschreiten besteht für die Strafverfolgungsbehörden aber nur, wenn sich der Anfangsverdacht auf eine Straftat, also eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Handlung richtet.[8]

Da die Letzte Generation ohne Zweifel eine „Vereinigung“ gemäß § 129 II StGB darstellt,[9] fokussiert sich die Betrachtung auf die Frage, ob diese auch als „kriminell“ einzustufen ist. Dazu müssten ihr Zweck oder ihre Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet sein, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind. Zumindest nach eigenen Angaben verfolgen die unter ihrem Dach zusammengeschlossenen Aktivisten allerdings nicht das Ziel, Straftaten zu begehen. Vielmehr wollen sie durch Mittel des zivilen Ungehorsams Maßnahmen der Regierungen zur Einhaltung des Übereinkommens von Paris und des 1,5-Grad-Ziels erzwingen. Konkret wird ein gerechter Ausstieg aus Öl, Gas und Kohle bis zum Jahr 2030 gefordert. Für den Fall, dass sich die Bundesregierung nicht zutraut, diese Herausforderung anzugehen, soll sie einen Gesellschaftsrat einberufen, der entsprechende Maßnahmen erarbeitet.[10]

Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, nehmen die Aktivisten allerdings auch die Verwirklichung von Straftatbeständen in Kauf, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von zwei Jahren und mehr bedroht sind. Dazu zählen neben den in den vergangenen Monaten medial omnipräsenten Nötigungshandlungen (§ 240 I StGB) durch Festkleben auf Straßen auch weitere Delikte wie Widerstandshandlungen (§§ 113, 114 StGB) oder Sachbeschädigungen (§§ 303, 304 StGB). Insofern ist anerkannt, dass die Ausrichtung einer Vereinigung auf die Straftatenbegehung weder ihr Endziel noch der Hauptzweck sein muss.[11] Sie soll aber zumindest

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mitprägenden Charakter haben und darf nicht von lediglich untergeordneter Bedeutung sein.[12] Es entlastet die Letzte Generation damit nicht, dass die Durchführung für sich genommen strafbarer Protestaktion dieser Gruppierung nur als Mittel zur Erreichung eines übergeordneten und sozial wie rechtlich anerkennenswerten Zwecks (Klimaschutz) eingesetzt wird.[13] Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die Begehung von Straftaten nicht das einzige Mittel zur Zielerreichung darstellt. Schließlich ist zu beobachten, dass sich die Aktivisten gerade unter dem zunehmenden Strafverfolgungsdruck verstärkt legalen Protestformen zugewandt haben. Dennoch ist dem LG München I zuzugestehen, dass jedenfalls das öffentliche Erscheinungsbild der Gruppierung vor allem durch die zahlreichen Straßenblockaden „wesentlich mitgeprägt“ sein dürfte, die jedenfalls beim Festkleben der Aktivisten auf dem Straßenbelag nach dem vorherrschenden (vergeistigten) Gewaltbegriff[14] die Tatbestandsvoraussetzungen des Nötigungstatbestandes (§ 240 I StGB) erfüllen. Damit lässt sich eine Ausrichtung auf die Begehung von Straftaten i.S. von § 129 I StGB für sich genommen bejahen.

Nach überwiegender Auffassung,[15] die sich auch auf den Willen des Gesetzgebers berufen kann,[16] fallen allerdings nur solche Vereinigungen unter den Tatbestand des § 129 StGB, die eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen. Mit dieser ungeschriebenen Voraussetzung wird zutreffend dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen. Schließlich bewirkt die Einstufung als kriminelle Vereinigung eine deutliche Vorverlagerung der Strafbarkeit, sodass keine Verdachtsmomente für konkret geplante Einzeltaten mehr dargelegt werden müssen. Zudem fungiert § 129 StGB auch als „Türöffner“ für weitere grundrechtsintensive Ermittlungsmaßnahmen wie die Telekommunikationsüberwachung (§ 100a StPO) oder die Online-Durchsuchung (§ 100b StPO).[17]

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Das unbestimmte Schutzgut der öffentlichen Sicherheit[18] wird typischerweise als „Zustand relativer Freiheit aller Bürger von Gefahren für Leben, Gesundheit und Sachgüter durch rechtswidrige Angriffe sowie das Vertrauen der Bevölkerung auf dieser Existenz dieser relativen Freiheit“[19] beschrieben. Um eine Verletzung festzustellen, soll nach der Rechtsprechung eine umfassende Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung sämtlicher Umstände des Einzelfalls anzustellen sein.[20] Dabei komme es über das tatbestandliche Unrecht der Bezugstaten der Vereinigung hinaus auch auf die sonstigen, für die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bedeutsamen Begleitumstände an.[21] Nach Ansicht des LG München I soll es dabei nicht um ein allgemeines Unsicherheitsgefühl, sondern darum gehen, dass der gesellschaftliche Diskurs durch illegitime Mittel verletzt wird, indem eine Gruppierung versucht, sich – gegebenenfalls moralisch überhöhend – über die rechtsstaatliche Ordnung und die konsentierten Formen der demokratischen Abläufe zu stellen. Damit wird das Erfordernis des Rechtsgutsbezugs unzulässigerweise durch die eigene moralische Ablehnung der von der Letzten Generation eingesetzten Mittel ersetzt. Zudem führt ein mehrheitlich missbilligter Rückgriff auf illegitime Mittel im gesellschaftlichen Diskurs nicht zwangsläufig zu Gefahren für Rechtsgüter des Einzelnen und Vertrauensverlust. Blickt man stattdessen auf die konkreten Begleitumstände der von den Aktivisten begangenen Taten, so sind diese typischerweise Ausdruck eines „gewaltfreien Widerstandes“. Die Aktivisten setzen sich im Regelfall gerade nicht aktiv gegen etwaige Festnahmen oder sonstige Maßnahmen durch Polizeibeamte zur Wehr. Auch wenn schon dieser passive Widerstand per se strafbar sein mag, führt er doch nicht dazu, dass die Bevölkerung den Eindruck erlangen könnte, ihre Individualrechtsgüter könnten von staatlicher Seite nicht mehr geschützt werden. Im Übrigen richten sich die Aktionen der Letzten Generation typischerweise nicht unmittelbar gegen Individualrechtsgüter. Vielmehr finden Blockaden oder Schmierereien meist im öffentlichen Raum, auf Straßen oder in Museen, statt, und werden dort meist zeitnah aufgelöst bzw. beseitigt. Dass man als Bürger nur mittelbar und mit geringer Intensität betroffen ist, etwa eine Zeit lang im Stau steht oder ein Bau- oder Kunstwerk

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nicht in seiner Ursprungsgestalt bewundern kann, begründet damit keine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit.

Im Übrigen entfällt eine Strafbarkeit nach § 129 StGB ohnehin mit Blick auf den Ausschlussgrund des § 129 III Nr. 2 StGB. Dieser trägt der Tatsache Rechnung, dass in den hier bezeichneten Fällen die Gefahr einer in der Vereinigungsstruktur angelegten Eigendynamik nicht besteht.[22] Praktische Bedeutung hat diese Vorschrift vor allem bei Vereinigungen, die politische Ziele verfolgen.[23] Dass die Straftatbegehung für die Letzte Generation nur eine „Tätigkeit“ von untergeordneter Bedeutung ist, wird sich zwar nur schwerlich behaupten lassen. Allerdings stellt der Wortlaut des § 129 III Nr. 2 StGB auch auf den „Zweck“ der Vereinigung ab. Ein Ausschluss der Strafbarkeit ist insofern selbst dann zu bejahen, wenn Straftaten häufiger begangen werden, diese jedoch eher geringfügiger Natur sind und nur einen nebensächlichen Zweck aufweisen.[24] Trotz aller damit verbundenen Ärgernisse sind Farbschmierereien oder Sitzblockaden der Letzen Generation regelmäßig eindeutig der Bagatellkriminalität zuzurechnen. Ihre Begehung schafft vor allem Aufmerksamkeit für ihre eigentlichen Forderungen und Ziele und dient im Vergleich hierzu somit einem bloßen Nebenzweck. Auf das äußere Erscheinungsbild für sog. informierte Dritte kann es somit richtigerweise im Kontext von § 129 III Nr. 2 StGB nicht ankommen.[25] Schließlich muss der subjektive Eindruck für Außenstehende nicht mit dem objektiven Gefährdungspotenzial einer Vereinigung übereinstimmen.


Der Verfasser ist Inhaber des Lehrstuhls für Deutsches, Europäisches und Internationales Strafrecht und Strafprozessrecht, Wirtschaftsstrafrecht und das Recht der Digitalisierung sowie Geschäftsführer des Instituts für Digitalisierung und das Recht der Inneren Sicherheit (IDRIS) an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

[1] Az.: 2 Qs 14/23.

[2] Az.: ER V Gs 5965/23.

[3] S. etwa Kuhli/Papenfuß KriPoZ 2023, 71 ff.; Heger/Huthmann KriPoZ 2023, 259 ff.; Jahn/Wenglarczyk JZ 2023, 885 ff.; Schönberger/Naujoks, in VerfBlog vom 08.11.2023 (https://verfassungsblog.de/%c2%a7-129-stgb-und-die-erheblichkeit-der-erheblichkeit).

[4] S. etwa https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/letzte-generation-durchsuchungen-104.html.

[5] So aber der verbreitete Tenor in der Medienberichterstattung; vgl. nur Bild-Zeitung vom 24.11.2023: „Letzte Generation“ ist eine kriminelle Vereinigung – Selbst 5-Euro-Spenden sind jetzt illegal!, abrufbar unter https://www.bild.de/news/inland/news-inland/letzte-generation-ist-kriminelle-vereinigung-selbst-5-euro-spenden-jetzt-illegal-86200654.bild.html.

[6] Jahn/Wenglarczyk JZ 2023, 885, 886 f.

[7] BVerfG NStZ-RR 2004, 207; BGH NJW 1989, 97; Mavany, in Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 5/1, 27. Aufl. 2020, § 152 Rn.27; Gercke, in Heidelberger Kommentar Strafprozessordnung, 7. Aufl. 2023, § 152 Rn. 12.

[8] LR-Mavany, § 152 Rn. 37; HK-Gercke, § 152 Rn. 13.

[9] Kuhli/Papenfuß KriPoZ 2023, 71, 74; ebenso der Prüfvermerk E 4110/E/10/2022 der Berliner Senatsverwaltung vom 11.07.2023 zur möglichen Strafbarkeit der Mitglieder der Bewegung „Aufstand der letzten Generation“ wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, S. 24.

[10] Vgl. https://letztegeneration.org/forderungen/.

[11] BGHSt 15, 259, 260; 27, 325, 326; 41, 47, 56; Krauß, in Leipziger Kommentar StGB, 13. Aufl. 2020, § 129a Rn. 32; Gazeas, in Anwaltkommentar StGB, 3. Aufl. 2020 § 129 Rn. 27; Fischer, StGB, 71. Aufl. 2024, § 129 Rn. 17.

[12] BGHSt 41, 47, 56; Sternberg-Lieben, in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 129 Rn. 7; AnwK-Gazeas, § 129 Rn. 27.

[13] Kuhli/Papenfuß KriPoZ 2023, 71, 74.

[14] Vgl. nur BVerfGE 104, 92; BGHSt 41, 182; krit. Zöller GA 2004, 147 ff.

[15] BGHSt 41, 47, 51; BGH StV 2018, 95; BayOblG StV 1998, 265, 266; MüKo-Schäfer/Anstötz, § 129 Rn. 42; Stein/Greco, in Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. 3, 9. Aufl. 2019, § 129 Rn. 32; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schittenhelm, § 129 Rn. 6; a.A. Kuhli/Papenfuß KriPoZ 2023, 71, 74.

[16] BT-Drs. 18/11275, S. 10.

[17] Heger/Huthmann KriPoZ 2023, 259.

[18] Zur Kritik nur Zöller, Terrorismusstrafrecht, 2009, S. 514 ff. m.w.N.

[19] S. nur SK/StGB-Stein, § 125 Rn. 19 m.w.N.

[20] BGHSt 41, 47, 51; 57, 14, 17 f.

[21] BGHSt 41, 47, 51 ff.; BGH NJW 1995, 3395, 3396.

[22] SK/StGB-Stein/Greco, § 129 Rn. 40.

[23] SK/StGB-Stein/Greco, § 129 Rn. 40.

[24] BGHSt 41, 47, 52 m.w.N.

[25] So aber die überwiegende Ansicht, vgl. BGHSt 41, 47, 56 f.; MüKo/StGB-Schäfer/Anstötz, § 129 Rn. 72.

Kategorie(n)
Kernstrafrecht