Die Verbreitung von Fake News über das Internet kann das Leben in vielen Bereichen beeinträchtigen. Art. 5 GG steht allerdings einem umfassenden strafbewehrten Verbot der Verbreitung unwahrer Tatsachen entgegen, da ein solches Verbot einen zu starken chilling effect hätte. Viele Lebensbereiche, die durch falsche Nachrichten gefährdet werden können, sind durch bestehende Strafvorschriften hinreichend geschützt. Eine Lücke besteht jedoch für die wahrheitswidrige Ankündigung drohender Katastrophen.
A. Fake News als Bedrohung
Die Wahrheit ist zu einem bedrohten Gut geworden. In früheren, analogen Zeiten waren Redakteure und Lektorinnen darum bemüht, „falsche Tatsachen“ aus den gedruckten und durch Funk übermittelten Medien herauszuhalten. Mit der Demokratisierung der weitgehend ins Internet verlagerten öffentlichen Diskussion und dem anonymen Zugang für jedermann zu dem digitalen Diskurs sind solche Kontrollen über den Wahrheitsgehalt von Inhalten weitgehend entfallen.[1] In vielen Bereichen, insbesondere im politischen Raum, haben sich seither „Fake News“ ausgebreitet: auf Tatsachen bezogene Mitteilungen, von denen die Urheber wissen oder jedenfalls annehmen, dass sie nicht der Realität
entsprechen, und die häufig über Kommunikationsplattformen im Internet verbreitet werden.[2]
Man könnte diese Selbst-Auflösung der Idee von Wahrheit (in ihrer alltagstauglichen Definition als Entsprechung von Äußerung und Wirklichkeit) einfach als ein Phänomen des Lebens im 21. Jahrhundert zur Kenntnis nehmen – wenn damit nicht ganz erhebliche, durchaus reale Störungen in vielen Bereichen verbunden wären.[3] Die Dissemination von ganz oder teilweise unwahren Informationen kann die Börsenkurse rapide steigen oder fallen lassen, zu Panikreaktionen wegen vermeintlicher Gesundheitsgefahren oder Versorgungsengpässe führen, Wähler in die Irre führen und ihr Wahlverhalten verfälschen oder die außenpolitischen Beziehungen eines Staates belasten. Vor allem aber stört die Verbreitung von Fake News die (im weitesten Sinne) politische Debatte der Fragen, die für ein Gemeinwesen von wesentlicher Bedeutung sind. Eine sinnvolle Diskussion solcher Fragen im öffentlichen Raum setzt voraus, dass die Teilnehmer und Teilnehmerinnen am Diskurs nicht von falschen tatsächlichen Voraussetzungen ausgehen, die ihnen von interessierter Seite suggeriert worden sind.[4] Tatsächlich stehen hinter der Verbreitung von Fake News häufig politische Interessen der Produzenten der Falschmeldungen, die die öffentliche Debatte in ihrem Sinne steuern wollen.[5]
Verschiedene Phänomene der digitalen Welt sind dafür verantwortlich, dass Fake News in den letzten Jahren einen rasanten Aufschwung genommen haben. Ursachen sind insbesondere die (vermeintliche) Anonymität von Äußerungen im Internet, die Möglichkeiten der sekundenschnellen Verbreitung von Desinformationen an eine unüberschaubare Zahl von Rezipienten, insbesondere mit Hilfe von Social Bots,[6] sowie auf
der Empfängerseite die Neigung, Mitteilungen aus sozialen Netzwerken ungeprüft als wahr zu akzeptieren und gleichzeitig (paradoxerweise) den traditionellen Medien zu misstrauen.[7] Wenn die Mehrzahl der jüngeren Menschen ihre Informationen ausschließlich aus Internet-Medien bezieht,[8] hat jeder, der dort eine Falsch-Information platziert, ohne große Mühe eine vieltausendköpfige gläubige Leserschaft.[9]
Angesichts dieser vielfältigen Gefahren stellt sich die Frage, in welcher Weise die Verbreitung von Fake News wirksam bekämpft werden kann. Die Möglichkeiten des Medienrechts und des Rechts der Aufsicht über Kommunikationsplattformen sind – jedenfalls bisher – in diesem Bereich sehr begrenzt.[10] Die traditionellen medienrechtlichen Mittel des Unterlassungsanspruchs und der Gegendarstellung sind bei elektronischen Medien ineffektiv – sie kommen zu spät und können die seit der Veröffentlichung eingetretene Weiterverbreitung der Information an Tausende Internet-Nutzer nicht mehr rückgängig machen.[11] Man muss sogar annehmen, dass die Publikation einer Richtigstellung die ursprüngliche Falschmeldung in Erinnerung ruft und ihre Wirkung dadurch noch verstärkt.[12] Der Digital Services Act der Europäischen Union[13] sieht in Art. 8 und 9 vor, dass Plattform-Betreiber nicht von sich aus nach verbotenen Inhalten zu suchen brauchen, sondern dass sie nur auf Anweisung der zuständigen Behörde tätig werden und rechtswidrige Inhalte löschen müssen. Das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz begründet zwar eine Verpflichtung der Netzwerkbetreiber, ihnen bekannt gewordene strafbare Inhalte alsbald zu löschen – aber diese Verpflichtung besteht nur, wenn die Verbreitung von Fake News eine Straftat ist.[14] Und genau das ist bisher nicht – oder nur in sehr begrenztem Umfang – der Fall.[15]
Daher bleibt als Kernfrage, inwiefern die Verbreitung von Fake News unter Strafe gestellt werden sollte.[16]
B. Bedarf für Strafnormen?
I. Allgemeine Erwägungen
Angesichts des erheblichen Schadenspotentials von Fake News für das soziale, wirtschaftliche und politische Leben und angesichts des Mangels an wirksamen Alternativen ist es verständlich, dass für eine Eindämmung des Phänomens nach dem Strafrecht gerufen wird. Strafrechtliche Verbote kommen immer dann in Betracht, wenn die Einhaltung einer allgemein konsentierten, für das Zusammenleben wichtigen Verhaltensregel abgesichert werden soll und wenn dafür keine gleich wirksamen anderen Mittel zur Verfügung stehen. Dann bleibt für eine effektive Steuerung des menschlichen Verhaltens nur das spezifische Instrumentarium des Strafrechts, d.h. die demonstrative ethische Missbilligung durch eine Verurteilung verbunden mit der Verhängung von Sanktionen mit abschreckender Wirkung.[17] Man sollte sich allerdings von einer Inkriminierung keine allzu große Steuerungswirkung erhoffen: Wenn weite Teile der Bevölkerung das Vertrauen in die Akteure der Politik und teilweise auch in die „offiziellen“ Medien verloren haben, kann dieses Problem nicht durch eine Strafverfolgung bestimmter Falschbehauptungen gelöst werden.[18] Die Einführung von Strafvorschriften in diesem Bereich sollte daher nicht flächendeckend erfolgen, sondern sich auf solche Bereiche beschränken, in denen durch die Verbreitung von Fake News rechtlich geschützte Interessen gefährdet werden, ohne dass solche Angriffe durch die bereits vorhandenen Strafnormen erfasst sind.[19]
II. Konflikt mit der Freiheit der Meinungsäußerung?
Bevor wir die verschiedenen möglichen Anwendungsfelder näher betrachten, soll eine grundsätzliche Fragen beleuchtet werden, die sich bei einer Inkriminierung der Verbreitung von Fake News stellt: Eine strafrechtliche Ahndung der Veröffentlichung von Nachrichten im Internet könnte jedenfalls auf den ersten Blick in Konflikt mit dem Schutz der Freiheit zum Äußern und Verbreiten von Meinungen (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) geraten. Dieses Grundrecht bezieht sich zwar im Schwerpunkt auf „Meinungen“, die durch das Element der persönlichen Überzeugung geprägt sind; es ist jedoch anerkannt, dass davon auch Ausführungen zu Tatsachen erfasst sind, die zur Unterstützung der Meinungsäußerung ins Feld geführt werden.[20] Allerdings liegt die Ratio der Meinungsäußerungsfreiheit im demokratischen Staat wesentlich darin, dass sie dem freien Austausch der Auffassungen mit dem Ziel der Suche nach bestmöglichen Lösungen dienen soll;[21] dieser Zielsetzung entspricht der Ausschluss des Schutzes gegenüber solchen Äußerungen, die „zu der verfassungsrechtlichen Meinungsbildung nichts beitragen können“,[22] da sie „falsche“ Tatsachen als wahr darstellen.[23] Mit Recht hat allerdings das Bundesverfassungsgericht vor einer Überspannung der Wahrheitspflicht für den Einzelnen gewarnt, „die die Bereitschaft zum Gebrauch des Grundrechts herabsetzen und so auf die Meinungsfreiheit insgesamt einschnürend wirken“ könnte.[24] Von einem solchen chilling effect wäre nicht nur die individuelle Meinungsäußerungsfreiheit, sondern insbesondere auch die Freiheit der Wissenschaft (Art. 5 Abs. 3 GG) betroffen, die ja gewissermaßen davon lebt, dass sie vorläufige „Wahrheiten“ – die sich später als unwahr erweisen können – zur Diskussion stellt.
Ungeachtet der offenen Frage, ob sich Stellungnahmen zu gesellschaftlich interessierenden Fragen trennscharf in Tatsachenbehauptungen und Meinungen zerlegen lassen,[25] ist mit dem Ausschluss von bewusst
falschen Tatsachenbehauptungen aus dem Schutzbereich von Art. 5 GG eine vergleichsweise klare Richtlinie für den Umgang mit Fake News gewonnen. Allerdings stellt diese Vorgabe den Rechtsanwender vor das Problem, dass er jeweils entscheiden muss, welche Tatsachen „wahr“ und welche „bewusst unwahr“ sind. Auch diesseits der erkenntnistheoretischen Debatten um den Begriff der Wahrheit wirft dies nicht nur prozessual-beweisrechtliche Fragen auf, sondern führt rasch an ein Kernproblem des demokratischen Staates: ob es eine Instanz geben soll, die mit letztverbindlicher Autorität über „wahr oder unwahr?“ entscheiden darf oder muss.[26]
Der Umstand, dass selbst „objektive Wahrheiten“ zeitgebunden, der Falsifizierung ausgesetzt und darüber hinaus den Mitgliedern eines Strafgerichts nicht ohne weiteres zugänglich sind, spricht stark dafür, dass man eine Strafbarkeit von Fake News eng auf solche Fälle beschränkt, in denen der Täter eine Äußerung verbreitet, von der er weiß, dass sie einer ihm bekannten Tatsache eindeutig widerspricht.[27] Das ist etwa der Fall, wenn jemand einem Politiker einen Satz zuschreibt, den dieser weder so noch so ähnlich jemals geäußert hat. Mit einer Beschränkung auf solche Fallgestaltungen ginge der Strafgesetzgeber zwar einem Konflikt mit Art. 5 Abs. 1 GG aus dem Weg – er würde aber eine Strafvorschrift schaffen, die gerade gegen die häufigen und unter Umständen durchaus schädlichen Fälle der Verbreitung von Halbwahrheiten, ungeprüften Vermutungen und Gerüchten nichts ausrichten könnte.[28]
Dieses Problem ließe sich möglicherweise beheben, wenn man jedenfalls bei Verhaltensweisen, die erkennbar zur Herbeiführung von erheblichen Störungen des sozialen Lebens führen können (wie etwa die Verbreitung falscher Warnungen vor angeblich in örtlicher Nähe drohenden Katastrophen), schon die leichtfertige Begehung unter Strafe stellte.[29] Es
ist jedoch zweifelhaft, ob der Gesetzgeber die Internet-Nutzer tatsächlich unter Strafdrohung verpflichten sollte, den Wahrheitsgehalt von Nachrichten zu prüfen, bevor sie sie mit anderen Nutzern teilen. Angesichts des routinemäßigen Charakters des Weitergebens von Informationen im Internet schiene mir eine Strafbarkeit des Verbreitens von Fake News bei Gutgläubigkeit des Nutzers selbst dann zu weit zu gehen, wenn sich die Unwahrheit ohne großen Aufwand feststellen ließe.[30]
III. Strafbewehrtes Lügeverbot?
Eine radikale Lösung für das Problem von Fake News besteht darin, die Verbreitung von Falschnachrichten unter bestimmten Voraussetzungen generell unter Strafe zu stellen. Im Ausland finden sich dafür verschiedene Beispiele. So ist nach Art. 656 des italienischen Strafgesetzbuchs die Veröffentlichung oder Verbreitung falscher, übertriebener oder tendenziöser Meldungen unter Strafe gestellt, wenn die Tat auch nur die Möglichkeit einer Störung der öffentlichen Ordnung begründet.[31] Ähnlich ist die Rechtslage in Malta: Dort wird nach Art. 82 des Strafgesetzbuchs mit Freiheitsstrafe von einem bis zu drei Monaten bestraft, wer böswillig falsche Nachrichten verbreitet, von denen anzunehmen ist, dass sie die öffentliche Meinung in Aufregung versetzen, die öffentliche Ordnung oder den öffentlichen Frieden stören oder Unruhe in der Öffentlichkeit oder einem Teil von ihr hervorrufen.[32] In beiden Fällen handelt es sich um „alte“ Vorschriften, die nicht speziell auf die Verbreitung von Fake News im Internet zugeschnitten sind. Sie haben gemeinsam, dass sie nicht schon die Verbreitung von Lügen als solche unter Strafe stellen,[33]
sondern darüber hinaus wenigstens die Eignung der Tat zur Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung voraussetzen; ob dies freilich eine wirksame Eingrenzung der Strafbarkeit ist, muss man bezweifeln.[34]
Stärker spezifizierte Varianten eines strafbewehrten Verbots werden von Bernd Schünemann und Tamina Preuß vorgeschlagen. Dabei sieht der Diskussionsentwurf Schünemanns[35] als taugliche Täter in erster Linie bestimmte Personengruppen (z.B. Amtsträger und Mitarbeiter der überregionalen Presse) vor, die als besonders vertrauenswürdig angesehen werden und daher durch Falschinformationen größeren Schaden anrichten können; andere Personen, die Fake News über das Internet verbreiten, sollen nur bestraft werden, wenn sie gemeinschaftlich mit anderen handeln oder „besondere Zurüstungen“ treffen.[36] Der Vorschlag von Preuß[37] erfasst – ähnlich wie die oben zitierten ausländischen Regelungen – jede Veröffentlichung oder öffentliche Verbreitung einer falschen Tatsache, wenn die Tat „geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören“. Durch dieses Merkmal sollen „Trivialitäten, wie Meldungen der Boulevardpresse, und Satire“ aus dem Bereich der Strafbarkeit ausgenommen werden.[38] Die Eignung der Tat zur Herbeiführung gravierender Folgen wie der Beeinträchtigung der außenpolitischen Beziehungen Deutschlands oder des Aufstachelns zum Hass gegen eine Gruppe sollen nicht Voraussetzung der Strafbarkeit, sondern qualifizierende Merkmale gegenüber dem Grundtatbestand sein.
Der Vorschlag von Preuß hat den Vorzug, flächendeckend und doch in der Rechtsfolge differenzierend alle potentiell schädlichen Fälle der Verbreitung falscher Tatsachen auch außerhalb des Internet zu erfassen. In dieser – aus meiner Sicht: übermäßigen – Reichweite liegt aber gleichzeitig das Manko ihres Gesetzentwurfs. Er hätte aufgrund der Drohung mit Kriminalstrafe nicht nur einen massiven chilling effect für die öffentliche Kommunikation, sondern er würde dem Strafrecht – und damit den Gerichten und Strafverfolgungsbehörden – auch ein unermesslich weites
Feld an möglicherweise falschen Tatsachenbehauptungen aus allen Lebens- und Wissensgebieten eröffnen, das von missverständlichen, irreführenden oder übertreibenden Formulierungen im Kern richtiger Sachverhalte über ernsthaft umstrittene Fragen bis zu eindeutig wirklichkeitsfernen Behauptungen reicht. Gleichzeitig würde dem staatlichen Strafrecht die Last aufgebürdet, die Rezipienten von Nachrichten in den verschiedensten Kommunikationsmedien davor zu bewahren, sich auf unrichtige Angaben zu verlassen. Dies kann aber dem mündigen, zu gesundem Misstrauen im Medienbereich erzogenen Bürger in erheblichem Umfang selbst zugetraut werden. Und man wird sich wohl damit abfinden müssen, dass das Internet ein virtueller und anonymer Raum ist, in dem weder Gewissheiten noch persönliche Vertrauensbeziehungen bestehen.
Für das Eingreifen des Strafrechts gibt es folglich nur dort einen Bedarf, wo die Verbreitung von Fake News erhebliche, nicht bereits durch bestehende Strafvorschriften abgedeckte Gefahren für konkrete Rechtsgüter bewirkt. Im Folgenden werde ich einen kurzen Rundblick über solche Sachgebiete versuchen.
IV. Gefährdete Bereiche
1. Ehre
Dass die Behauptung falscher Tatsachen ein perfides Mittel sein kann, um die Ehre (oder auch die Kreditwürdigkeit) einer Person anzugreifen, hat der Gesetzgeber schon früh erkannt und deshalb in § 187 StGB die Verleumdung unter Strafe gestellt. Nach § 186 StGB ist sogar die gutgläubige Verbreitung ehrenrühriger Tatsachenbehauptungen strafbar, wenn sich die Richtigkeit der Aussage vor Gericht nicht erweisen lässt. Angesichts der besonderen Gefahren, die herabsetzende Äußerungen im Internet wegen ihrer raschen Verbreitung und der praktischen Unmöglichkeit ihrer Beseitigung nicht nur für die persönlich Betroffenen, sondern
auch allgemein für das Gut der freien Meinungsäußerung mit sich bringen,[39] haben sowohl der Gesetzgeber[40] als auch das Bundesverfassungsgericht[41] den Schutz gegenüber ehrverletzenden Äußerungen im Netz in jüngerer Zeit verstärkt. Insofern besteht für weitere Vorschriften zum Schutz der Ehre gegen Fake News jedenfalls auf den ersten Blick kein Bedarf. Eine mögliche Lücke wurde jedoch für Fallgestaltungen entdeckt, in denen einem Politiker eine erfundene Äußerung zugeschrieben wird, die ihn jedenfalls bei einem Teil der Wählerschaft zu diskreditieren geeignet ist.[42]
Ein Beispiel ist die angebliche (frei erfundene) Interview-Äußerung der Grünen-Politikerin Renate Künast zu einem in Freiburg von einem Geflüchteten an einer jungen Frau begangenen Mord: „Der traumatisierte junge Flüchtling hat zwar getötet, man muss ihm jetzt aber dennoch helfen.“[43] Legt man einen normativen Maßstab an die „Ehrenrührigkeit“ einer Bekundung an, so enthält die angebliche Äußerung der Politikerin nichts, was sie im Sinne von § 187 StGB „verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen“ geeignet ist – die Bemühung um resozialisierende Hilfe auch für den Täter eines schweren Verbrechens entspricht vielmehr einem Grundgedanken des deutschen Strafvollzugsrechts.[44] Zur Annahme einer Verleumdung kommt man in dem Fall Künast und ähnlichen Fällen daher nur dann, wenn man die faktischen Auswirkungen der Falschbehauptung berücksichtigt: In einigen Teilen der Bevölkerung wurde die angebliche Aussage als deplatzierte, übermäßige Empathie mit dem Täter und als gleichzeitige Missachtung der Gefühle der Familie des Opfers verstanden, so dass sich ein massiver hate storm gegen die Politikerin entwickelte. Es dürfte indes durchaus dem Zweck von § 187 StGB entsprechen und auch die Grenze des Wortlauts der Vorschrift nicht überschreiten, auch solche Falschbehauptungen als „Herabwürdigung“ in der „öffentlichen Meinung“ zu verstehen.[45] Der Gesetzgeber hat ja auch im Fall der „Kreditwürdigkeit“ bei § 187 StGB
bewusst auf die Stellung des Opfers in der Öffentlichkeit, also auf die „äußere Ehre“, und nicht auf die normativ geprägte Menschenwürde Bezug genommen.[46] An ihre Grenzen gerät diese Betrachtungsweise allerdings dort, wo ein Täter jemanden fälschlich als „Juden“ oder als „schwul“ bezeichnet, in der (möglicherweise zutreffenden) Erwartung, dass diese Eigenschaft in der sozialen Umgebung des Betroffenen als Abwertung angesehen wird. Hier kann die Rechtsordnung eine von maßgeblichen verfassungsrechtlichen Wertungen diametral abweichende Einstellung bestimmter sozialer Gruppen nicht für das Strafrecht übernehmen.[47] Einer speziellen Strafvorschrift für solche seltenen Fälle der gezielten Deklassierung eines Menschen durch eine an sich neutrale Bezeichnung bedarf es jedoch nicht.
2. Schutz von vulnerablen Gruppen (§ 130 StGB)
Soweit die Verbreitung von Fake News das Ziel verfolgt, Hass gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen zu schüren, etwa indem fälschlich deren Beteiligung an schweren Straftaten behauptet wird, ist die Handlung ohne weiteres von § 130 Abs. 1 und 2 StGB erfasst, und zwar entweder als „Verleumdung“ oder als eine Äußerung, die zum Hass aufstacheln soll.[48] Letzteres kann sogar wirksamer durch die Behauptung falscher Tatsachen als durch bloße Beschimpfungen oder Meinungsäußerungen bewirkt werden.[49] Eine Erweiterung der ohnehin schon überladenen Vorschrift um eine weitere Fallgruppe – die noch dazu Gefahr liefe, den tatsächlichen Entwicklungen auf diesem Gebiet alsbald hinterherzuhinken[50] – ist also nicht notwendig.[51]
3. Schutz von Vermögenswerten
Durch die Verbreitung von Fake News über wirtschaftlich relevante Tatsachen können Rezipienten der falschen Nachricht zu nachteiligen Verfügungen über ihr Vermögen veranlasst werden. Dies kann, wenn ein Vermögensschaden bei einer durch die falsche Nachricht getäuschten
Person eingetreten ist, als Betrug (§ 263 StGB) strafbar sein. Für den für Falschmeldungen besonders empfindlichen Bereich der Kapitalanlage gibt es darüber hinaus Sondervorschriften, die schon das gefährdende Vortäuschen falscher (oder das Unterdrücken wahrer) Nachrichten unter Strafe stellen.[52] Zu nennen ist hier zunächst der Tatbestand des Kapitalanlagebetrugs (§ 264a StGB). Für den geregelten Wertpapiermarkt verbietet Art. 15 der Marktmissbrauchsverordnung der EU[53] (MMVO) die „Marktmanipulation“; hierzu zählt nach Art. 12 Abs. 1 lit. c MMVO u.a. die Verbreitung von Informationen (einschließlich von Gerüchten) über das Internet, die falsche oder irreführende Signale hinsichtlich des Angebots oder des Kurses eines Finanzinstruments geben oder ein anormales oder künstliches Kursniveau eines Finanzinstruments herbeiführen. Die Begehung einer solchen Marktmanipulation ist nach § 119 iVm § 120 Abs. 15 Nr. 2 WpHG strafbar, wenn der Täter durch sein Verhalten auf den Preis eines Finanzinstruments einwirkt; ohne diese Folge handelt es sich um eine Ordnungswidrigkeit. Da Art. 12 Abs. 1 lit. c MMVO bereits Falschmeldungen im Internet erfasst, die zur Verfälschung von Börsenkursen etc. führen können, besteht kein Bedarf für eine weiterreichende Inkriminierung der Kapitalmarktmanipulation durch Fake News.[54]
4. Auswärtige Beziehungen
Fake News können die guten Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu anderen Staaten gefährden, etwa wenn Personen im Internet wahrheitswidrig behaupten, die deutsche Regierung plane einen Angriff auf einen Nachbarstaat oder es fänden in Deutschland gezielte Übergriffe auf die Bürger eines anderen Staates statt.[55] Für solche Falschmeldungen sieht allerdings § 100a StGB unter dem (zu eng gefassten) Titel „Landesverräterische Fälschung“ bereits Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren vor, und zwar gerade auch für den Fall, dass der Täter unwahre Behauptungen tatsächlicher Art aufstellt, die im Falle ihrer Wahrheit für die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu einer fremden Macht von Bedeutung wären, und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für
die Beziehungen Deutschlands zu einer fremden Macht herbeiführt. Damit sind die Fälle der Beeinträchtigung der auswärtigen Beziehungen durch Fake News bereits hinreichend erfasst.[56]
5. Wahlen
Wer Fake News verbreitet, tut dies häufig, um auf die politische Einstellung oder Stimmung der Rezipienten Einfluss zu nehmen. Durch gezielte Falschinformationen, z.B. über Programme, Stellungnahmen und Absichten einzelner Politiker oder Parteien, können wahlberechtigte Personen dazu veranlasst werden, ihre Stimme für einen Kandidaten oder eine Partei abzugeben, die sie in Kenntnis der wahren Sachlage nicht gewählt hätten. Auf diese Weise können in- oder ausländische Organisationen den Wählerwillen verfälschen und damit im Extremfall sogar die Machtverhältnisse in einem demokratischen Staat in ihrem Sinne beeinflussen. Dass hierin eine erhebliche Gefahr für das demokratische politische System liegt, ist unbestreitbar.
Das geltende deutsche Strafrecht enthält in § 108a StGB nur eine punktuelle und nicht sehr effektive Vorschrift gegen solche Manipulationsversuche. Danach wird (nur) bestraft, wer durch Täuschung bewirkt, „dass jemand bei der Stimmabgabe über den Inhalt seiner Erklärung irrt oder gegen seinen Willen nicht oder ungültig wählt“; das Hervorrufen eines Motivirrtums, der zu der Stimmabgabe des Wählers für eine Partei führt, die er bei zutreffender Information nicht wählen würde, wird dadurch nicht erfasst.[57] Diese Lücke sollte nach Meinung verschiedener Autoren geschlossen werden.[58] Sie verweisen insbesondere auf eine einschlägige Vorschrift des österreichischen Strafrechts: Nach § 264 Abs. 1 ö.StGB macht sich strafbar, „wer öffentlich eine falsche Nachricht über einen Umstand, der geeignet ist, Wahl- oder Stimmberechtigte von der Stimmabgabe abzuhalten oder zur Ausübung des Wahl- oder Stimmrechts in einem bestimmten Sinn zu veranlassen, zu einer Zeit verbreitet, da eine Gegenäußerung nicht mehr wirksam verbreitet werden kann“. Die umständliche Formulierung der Strafnorm macht allerdings das Dilemma deutlich, vor dem der Gesetzgeber hier steht: Es ist nicht festzustellen,
welche Auswirkung eine Falschmeldung auf das Wahl- oder Abstimmungsverhalten konkreter Wähler hat, so dass eigentlich jede einigermaßen politisch relevante Falschnachricht, egal zu welchem Zeitpunkt sie verbreitet wird, unter den Tatbestand fallen müsste.[59] Um immer neue Strafverfahren im Hinblick auf die Wahrheit von Informationen zu vermeiden, hat der österreichische Gesetzgeber eine zeitliche Begrenzung auf das unmittelbare Vorfeld von Wahlen vorgenommen („…zu einer Zeit verbreitet, da eine Gegenäußerung nicht mehr wirksam verbreitet werden kann“), die freilich unter den gegenwärtigen Verhältnissen des Internet antiquiert wirkt und die Vorschrift praktisch bedeutungslos machen dürfte.
Ein zweites Problem verbirgt sich in dem Begriff der „Eignung“ einer Information zur Wählerbeeinflussung. Einerseits wird man diese Voraussetzung bei politisch relevanten Äußerungen – und selbst bei Informationen über das Privatleben von Kandidaten – kaum je verneinen können, da Wahlentscheidungen individuell von einer Vielzahl von Faktoren abhängig gemacht werden können. So mag ein Wähler besonderen Wert auf die akademische Qualifikation von Kandidaten legen, ein anderer seine Entscheidung von der Stellungnahme der Politiker zu einer einzigen Sachfrage, die ihn persönlich betrifft, abhängig machen. Andererseits hat die empirische Sozialforschung zu Wahlentscheidungen deutlich gemacht, dass rationale, auf konkreten Informationen beruhende Erwägungen für die individuelle Wahlentscheidung generell nur eine geringe Rolle gegenüber traditionellen Einstellungen, heuristischen Logiken und schlichtem Wunschdenken spielen.[60] Dass eine Wahlentscheidung tatsächlich auf einer singulären Falschinformation beruht, dürfte danach eher eine seltene Ausnahme darstellen. Dies spricht dagegen, politisch relevante Äußerungen zu Sachfragen unter das Damoklesschwert der strafrechtlichen Verurteilung zu stellen. Auch hier ist es besser, auf die Vernunft der Wähler zu vertrauen, die in aller Regel wissen, dass Versprechungen und sonstige Äußerungen im Wahlkampf mit Vorsicht zu genießen sind. Allenfalls mag man nach dem Vorbild des französischen
Rechts die Möglichkeit schaffen, im unmittelbaren Vorfeld von Wahlen und Abstimmungen durch richterlichen Beschluss die Löschung von gezielt irreführende Informationen im Internet zu bewirken.[61]
6. Öffentliche Sicherheit
Wenn große Teile der Bevölkerung ihre Informationen im Wesentlichen aus dem Internet beziehen, ist es nicht schwer, durch dort gestreute Falschmeldungen Panik zu verursachen. Man denke etwa an Behauptungen wie „Ein militärischer Angriff durch einen ausländischen Staat steht unmittelbar bevor“, „Viele Chargen eines gängigen Schmerzmittels sind verunreinigt und rufen schwerste Gesundheitsschäden hervor“ oder „Ein Staudamm in der Nähe unserer Stadt droht in wenigen Stunden zu brechen“.[62] Solche Horrormeldungen, die zu großer Unruhe in der Bevölkerung, sinnlosen Panikreaktionen und auch zur Fehlallokation staatlicher Rettungsdienste führen können, sind nur zu einem kleinen Teil vom geltenden deutschen Strafrecht erfasst: Strafbar ist nach § 126 Abs. 2 StGB nur die wahrheitswidrige und friedensstörende Behauptung, die Verwirklichung einer schweren Straftat stehe bevor.[63] Die Behauptung, eine Naturkatastrophe oder ein anderes, nicht durch eine Straftat ausgelöstes Schadensereignis sei für die nahe Zukunft zu erwarten, kann jedoch ebenso massive Folgen nicht nur für das Sicherheitsgefühl der Rezipienten, sondern auch für die allgemeine Sicherheit auslösen, etwa dadurch, dass viele Menschen vor der vermeintlichen Gefahr flüchten wollen. Dies spricht dafür, solche Falschinformationen jedenfalls dann unter Strafe zu stellen, wenn der Täter die Auslösung von Panikreaktionen beabsichtigt oder voraussieht. Es bietet sich insoweit eine Formulierung in Parallele zu § 100a StGB über die Gefährdung der auswärtigen
Beziehungen durch Falschinformationen an.[64] Sie sollte allerdings nicht so weit reichen wie der oben zitierte, allzu vage formulierte Art. 656 des italienischen Codice Penale.[65] Eine enger auf die Hervorrufung von „Panik“ (die allerdings kein Rechtsbegriff ist) bezogene Strafvorschrift, die systematisch in das Umfeld von § 126 StGB passen würde, könnte etwa lauten: „Wer über elektronische Medien wider besseres Wissen eine unrichtige Information über eine angeblich drohende Gefahr verbreitet, die geeignet ist, bei einer großen Zahl von Menschen Unruhe oder große Angst auszulösen, wird … bestraft.“[66]
C. Fazit
Die Verbreitung von Fake News ist ein Ärgernis, das erhebliche Gefahren für wichtige individuelle und gesellschaftliche Interessen hervorrufen kann. Eine allgemeine Inkriminierung der Verbreitung „falscher Tatsachen“ würde jedoch die durch Art. 5 GG geschützte öffentliche Debatte zu stark einschränken. Die meisten Fälle, in denen konkrete Interessen durch Fake News beeinträchtigt werden können, sind durch Strafvorschriften des deutschen Rechts bereits hinreichend abgedeckt. Einer zusätzlichen Strafnorm bedarf es allerdings für Fälle, in denen der Täter durch das Vortäuschen einer bevorstehenden Katastrophe oder großen Gefahr Angst und Unruhe in der Bevölkerung auslösen kann.
Der Autor ist Professor i.R. an der Universität zu Köln. Er bedankt sich herzlich bei Frau Melisa Yegin für ihre wertvolle Unterstützung bei der Quellenrecherche.
[1] Preuß, Fake News, 2021, 82.
[2] Zu unterschiedlichen Versuchen, „Fake News“ zu definieren, s. etwa Holznagel MMR 2018, 18, 18; Kusche, in Beck/Kusche/Valerius (Hrsg.), Robotik und Recht, 2020, 421, 421; Lammich, Fake News als Herausforderung des deutschen Rechts, 2022, 35 ff. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Definition von „disinformation“ durch die Europäische Kommission in: Tackling online disinformation: a European Approach, 26.4.2018, Nr. 2.1: „Disinformation is understood as verifiably false or misleading information that is created, presented and disseminated for economic gain or to intentionally deceive the public, and may cause public harm. Public harm comprises threats to democratic political and policy-making processes as well as public goods such as the protection of EU citizens‘ health, the environment or security.” Online abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELEX:52018DC0236. Zu weiteren Definitionen im europäischen Raum O‘Fathaigh/Helberger/Appleman Internet Policy Review 10 (2021) 4, abrufbar unter https://policyreview.info/articles/analysis/perils-legally-defining-disinformation.
[3] Dazu eingehend Preuß (Fn. 1), 100 ff.; s. auch Lammich (Fn. 2), 119 ff.
[4] Hoven ZStW 129 (2017), 718, 737.
[5] Kusche (Fn. 2), 423 f.
[6] Rößner, in Hill/Kugelmann/Martini (Hrsg.), Digitalisierung im Recht, 2018, 55, 55 f.
[7] Preuß (Fn. 1), 99 f.
[8] S. die bei Hoven ZStW 129 (2017), 718, 718 wiedergegebenen Befunde aus empirischen Untersuchungen.
[9] Dabei spielt auch das Phänomen eine Rolle, dass sich gerade Falschmeldungen – wohl aufgrund ihres typischerweise die Emotionen ansprechenden Inhalts – im Internet besonders schnell verbreiten; Mafi-Gudarzi ZRP 2019, 65, 65; Preuß (Fn. 1), 68.
[10] Kühling ZUM 2021, 461, 470.
[11] Lammich (Fn. 2), 116 f.
[12] Holznagel MMR 2018, 18, 19.
[13] Regulation (EU) 2022/2065 of the European Parliament and of the Council of 19 October 2022 on a Single Market for Digital Services and amending Directive 2000/31/EC (Digital Services Act).
[14] Hoven/Gersdorf, in BeckOK Informations- und Medienrecht, NetzDG § 1 Rn. 4.
[15] Zu weiteren Hindernissen für eine wirksame Zurückdrängung von Fake News s. Kühling ZUM 2021, 461, 470.
[16] Im Folgenden soll es nur um die Strafbarkeit von Einzelpersonen gehen. Die Frage, inwiefern Unternehmen, die Plattformen im Internet betreiben, zur Verhinderung der Ausbreitung von Fake News in die Pflicht genommen werden können, ist im Wesentlichen außerhalb des Strafrechts zu lösen; s. dazu Schreiber, Strafbarkeit politischer Fake News, 2022, 223 ff..
[17] Grundlegend dazu Frisch NJW 2016, 16; Hilgendorf, in Hilgendorf/Kudlich/Valerius (Hrsg.), Handbuch des Strafrechts, Bd. 1, 2019, § 17 Rn. 10 ff.; eingehend zu den Voraussetzungen und Begrenzungen des Einsatzes strafrechtlicher Mittel gegen Fake News Schreiber (Fn. 16), 246 ff.
[18] Zutreffend Rostalski Rechtswissenschaft 2017, 436, 452 f.
[19] Ähnlich Preuß (Fn. 1), 174; Schreiber (Fn. 16), 280 ff.
[20] BVerfGE 61, 1, 8 f. S. dazu Steinbach JZ 2017, 653, 654 f.
[21] Mafi-Gudarzi ZRP 2019, 65, 67.
[22] BVerfGE 90, 241, 247; s. auch bereits BVerfGE 61, 1, 8 f.
[23] Näher dazu Schreiber (Fn. 16), 104 f., 120 f.; Reinbacher ZJS 2022, 802, 803. Treffend weist Kühling ZUM 2021, 461, 464 darauf hin, dass in den USA „das Freiheitsideal eines extrem weiten Verständnisses der Meinungsfreiheit unter den Funktionsbedingungen der modernen Informationsgesellschaft in sich zusammenfällt“.
[24] BVerfGE 114, 339, 353. Eingehend zu diesem Problem bereits Grimm NJW 1995, 1697; s. auch Holznagel MMR 2018, 18, 19.
[25] Siehe dazu Schreiber (Fn. 16), 110 ff. mit Nachweisen aus der verfassungsrechtlichen Diskussion.
[26] Rostalski Rechtswissenschaft 2017, 436, 460 warnt in diesem Zusammenhang vor einem „Abrutschen in totalitäre Strukturen, in denen der Staat als Zensurbehörde darüber entscheidet, was die ‚Wahrheit‘ ist“. Andererseits meint Soares, in Staffler u.a. (Hrsg.), Strafrecht und Demokratie, 2022, 179, 182, dass das Rechtsgut der Wahrheit im vorliegenden Kontext immer nur das „staatliche bzw. offizielle Narrativ“ sein könne.
[27] Strafbewehrte Verbote des öffentlichen Leugnens tatsächlich begangener völkerrechtlicher Verbrechen enthält das geltende Recht bekanntlich in § 130 Abs. 3 und 5 StGB. Zur Verfassungsmäßigkeit von § 130 Abs. 3 StGB s. BVerfGE 124, 300, 328 ff.; Schäfer/Anstötz, in: MK-StGB, 4. Aufl. 2021, § 130 Rn. 77 mwN.
[28] Näher hierzu Kusche (Fn. 2), 431 f.
[29] In diese Richtung geht der Vorschlag von Hoven ZStW 129 (2017), 718, 743; zustimmend Kusche (Fn. 2), 433.
[30] Nicht ohne Grund verlangt § 126 Abs. 2 StGB für die Strafbarkeit einer objektiv falschen Warnung, dass die Verwirklichung einer schweren Straftat bevorstehe, Handeln „wider besseres Wissen“.
[31] Art. 656 Codice Penale: „Chiunque pubblica o diffonde notizie false, esagerate o tendenziose, per le quali possa essere turbato l’ordine pubblico, è punito se il fatto non costituisce un più grave reato, con l’arresto fino a tre mesi o con l’ammenda fino a lire tremila.“
[32] Art. 82 Penal Code: “Whosoever shall maliciously spread false news which is likely to alarm public opinion or disturb public good order or the public peace or to create a commotion among the public or among certain classes of the public, shall, on conviction, be liable to imprisonment for a term from one to three months.” Eine ähnliche Vorschrift gab es bis zum Jahre 2015 auch in Österreich. Nach § 276 Abs. 1 ö.StGB a.F. war strafbar, wer „ein Gerücht, von dem er weiß (…), dass es falsch ist, und das geeignet ist, einen großen Personenkreis zu beunruhigen und dadurch die öffentliche Ordnung zu gefährden, absichtlich verbreitet“. S. dazu näher Preuß (Fn. 1), 168.
[33] Eine solche, an Kants ethische Wahrheitspflicht anknüpfende Strafvorschrift käme jedenfalls für Deutschland nicht in Betracht; Hoven ZStW 129 (2017), 718, 739 f.; Rostalski Rechtswissenschaft 2017, 436, 445 f.; Schreiber (Fn. 16), 285 ff. S. aber in Kenia Art. 22 (1) Computer Misuse and Cybercrimes Act v. 16.5.2018: „A person who intentionally publishes false, misleading or fictitious data or misinforms with intent that the data shall be considered or acted upon as authentic, with or without any financial gain, commits an offence…“.
[34] Ähnlich Soares (Fn. 25), 192.
[35] Schünemann GA 2019, 620, 639.
[36] Kritisch zu dieser Einschränkung Preuß (Fn. 1), 177. Eingehende Kritik des Vorschlags von Schünemann bei Schreiber (Fn. 16), 303 ff., der mit Recht die Notwendigkeit verneint, einzelne Personengruppen unter besondere Strafdrohung zu stellen.
[37] Preuß (Fn. 1), 178.
[38] Preuß (Fn. 1), 179.
[39] S. dazu Hoven/Witting NJW 2021, 2397; Reinbacher ZJS 2022, 802, 808.
[40] Durch die Strafrahmenerhöhung für Beleidigungen, die durch Verbreiten eines Inhalts begangen werden, in § 185 StGB.
[41] Durch die vier „Mai-Beschlüsse“ BVerfG NJW 2020, 2622; 2629; 2631; 2636.
[42] Hoven/Krause JuS 2017, 1167, 1169; Kusche (Fn. 2), 426; Preuß (Fn. 1), 156.
[43] S. hierzu Hoven ZStW 129 (2017), 718, 721; Hoven/Krause JuS 2017, 1167; Preuß (Fn. 1), 150 ff.; Lammich (Fn. 2), 156 ff.; Schreiber (Fn. 16), 170 ff.
[44] S. beispielsweise § 1 Satz 1 StVollzG NRW.
[45] A.A. Lammich (Fn. 2), 156 ff.
[46] Zum Stand der Diskussion um den Begriff der Ehre in §§ 185 ff. StGB Hilgendorf, in LK-StGB, 13. Aufl. 2023, vor § 185 Rn. 9 ff.
[47] Ebenso Hoven ZStW 129 (2017), 718, 722; Preuß (Fn. 1), 153; Schreiber (Fn. 16), 174 ff.
[48] Rückert, in Albrecht u.a. (Hrsg.), Strafrecht und Politik, 2018, 167, 170.
[49] Hoven ZStW 129 (2017), 718, 732; Preuß (Fn. 1), 159.
[50] Kusche (Fn. 2), 428.
[51] Ebenso Lammich (Fn. 2), 207.
[52] Dazu näher Lammich (Fn. 2), 208 ff.
[53] VO (EU) 596/2914 (MAR).
[54] Im Ergebnis ebenso Rückert (Fn. 48), 170; Lammich (Fn. 2), 220.
[55] Preuß (Fn. 1), 106.
[56] Ebenso Lammich (Fn. 2), 207 f. Es leuchtet deshalb nicht ein, dass Schünemann GA 2019, 620, 639 diesen Fall gesondert in einer „Fake News“-Vorschrift regeln möchte.
[57] H. E. Müller, in MK-StGB, 4. Aufl. 2021, § 108a Rn. 6.
[58] S. etwa Hoven ZStW 129 (2017), 718, 741.
[59] Dem entspricht der Vorschlag von Schreiber (Fn. 16), 293: „„Wer wider besseres Wissen öffentlich eine unwahre Tatsache mit Wahrheitsanspruch, die geeignet ist, Wahlberechtigte bei der Ausübung ihres Wahlrechts in einem bestimmten Sinn zu beeinflussen, unter Verwendung eines reichweitevergrößernden Computerprogramms behauptet oder verbreitet, wird … bestraft“. Das Fehlen einer zeitlichen Begrenzung der Tathandlung will Schreiber dadurch kompensieren, dass er für eine Strafbarkeit die Verwendung von Social Bots voraussetzt.
[60] Eingehend hierzu Rückert (Fn. 48), 177 ff. mit zahlreichen Nachweisen aus der Wahlforschung.
[61] S. Art. 163-2.-I. Code Electoral: „Pendant les trois mois précédant le premier jour du mois d’élections générales et jusqu’à la date du tour de scrutin où celles-ci sont acquises, lorsque des allégations ou imputations inexactes ou trompeuses d’un fait de nature à altérer la sincérité du scrutin à venir sont diffusées de manière délibérée, artificielle ou automatisée et massive par le biais d’un service de communication au public en ligne, le juge des référés peut (…) prescrire aux personnes physiques ou morales (…) toutes mesures proportionnées et nécessaires pour faire cesser cette diffusion.” Für eine Lösung des Problems im Wahlrecht statt im Strafrecht auch Rostalski Rechtswissenschaft 2017, 436, 447.
[62] Preuß (Fn. 1), 101 f., 166.
[63] Nach § 145d Abs. 1 Nr. 2 StGB ist auch die Irreführung einer Behörde über das Bevorstehen einer schweren Straftat strafbar; diese Tat kann auch durch Veröffentlichungen im Internet begangen werden, soweit zu erwarten ist, dass die Behörde durch Dritte über die angebliche Tat informiert wird; Rückert (Fn. 48), 169 f.
[64] Rostalski Rechtswissenschaft 2017, 436, 450 wendet gegen eine solche Parallele ein, dass die Regierung Falschinformationen gegenüber der eigenen Bevölkerung leichter richtigstellen könne als gegenüber einer ausländischen Macht. Dies ist jedoch eine Frage des Einzelfalls und spricht nicht generell gegen eine strafrechtliche Regelung in Anlehnung an § 100a StGB.
[65] S. Codice Penale (Fn. 30).
[66] Ähnlich der Vorschlag von Rostalski Rechtswissenschaft 2017, 436, 453, die allerdings die Strafbarkeit auf Fälle beschränken möchte, in denen der Täter die „Gefahr eines schweren Nachteils für die innere Sicherheit“ herbeiführt.